Von der Champagner-Party direkt in die innere Hölle

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (03.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Barock-Oper vom Besten in Basel: Der Schauspielregisseur Jan Bosse hat Monteverdis «Orfeo» mitten im Publikum gefeiert, und Andrea Marcon hat die Musik bei der Premiere am Freitag in all ihrer farbigen Pracht zum Blühen gebracht.

Das Theater Basel hat ein besonders goldenes Händchen für Musiktheater nach Monteverdi. Vor acht Jahren schuf es mit der Madrigalzusammenstellung «Guerra d'amore» ein Theaterereignis, jetzt ist ihm dasselbe mit der Oper «Orfeo» gelungen. Damals war es ein Choreograf, Joachim Schlömer, der sich zum ersten Mal ins Musiktheater wagte, und mit den Elementen seiner eigenen Sprache für erfrischend neue, schlüssige und überzeugende Szenen sorgte. Jetzt ist es ein Schauspielregisseur, Jan Bosse, der diesen Schritt mindestens so beeindruckend tat.

Bosse führte die Sänger nicht nur wie Schauspieler, sondern verschmolz sie praktisch mit dem Publikum. Damals stand mit René Jacobs ein Spezialist am Dirigentenpult, der die spezifischen Elemente von Monteverdis frühbarocker Tonsprache in all ihrer Farbigkeit und Feinheit zum Klingen brachte, diesmal gelingt genau dasselbe Andrea Marcon, dem Organisten aus Treviso (Italien).

Eine ganz andere Welt

Mit bemerkenswerter Gelassenheit leitete Marcon souverän von der Orgel aus durch die Partitur, immer im Puls dieser Musik, die vom farbigen, lebendigen Continuo angetrieben ihre mitreissende Kraft ganz ungezwungen entfalten konnte. Im Orchester glänzten die Streicher in barockem Spiel, die Krummhörner und Posaunen ergaben ein perfektes Consort, und im Continuo entfaltete sich die ganze Pracht barocker Generalbass-Begleitung. Und als sich Charon dem Eindringling donnernd (Ismael Arróniz Gonzáles hätte noch mehr donnern dürfen) entgegengestellt hatte, wurde er von den Klängen des Regals begleitet, das - auf der Bühne gespielt - mindestens so effektvoll wie der Trockeneisvorhang mit seinen beiden Blasbälgen auch optisch für eine ganz andere Welt stand. Eine Welt übrigens, die uns Bosse und sein Bühnenbildner Stéphane Laimé nicht zeigen respektive auf uns zurückwerfen: Sie besteht aus nichts, ausser einem riesigen Spiegel: Die Hölle ist in uns selber drin.

Pluto und Proserpina (Andrew Murphy und Rosa Dominguez) sangen von den Logenplätzen der Empore. Der Himmel allerdings, in den am Ende Orpheus, von Apollo geleitet, aufstieg, war dafür weit weg: In die unendlichen Weiten des Weltraums entführte uns das Video, und noch beim begeisterten Schlussapplaus funkelten die Sterne fröhlich mit.

Oper hautnah

Wer übrigens schon immer einmal in einem Opernchor mitsingen wollte, hatte hier die ultimative Gelegenheit dazu: Bosse liess das Stück im festlich geschmückten Foyer beginnen, mitten im Publikum. Mit dem spendierten Champagner in der Hand, besangen und betanzten die arkadischen Sänger ihre Idylle. La Musica im Glitzerkleid kündete im Stil einer TV-Show den Superstar an: Orpheus, der Sänger, den der junge Weissrusse Nikolay Borchev auch wirklich herausragend sang. Die Treppe diente als Bühne, das Orchester sass auf der Seite, auf einer grossen Leinwand flimmerten die Live-Bilder, alles wie bei «Wetten, dass ...?» oder so. Wenn Orpheus sich dann auf den Weg machte, seine Euridice (Agata Wilewska) in der Unterwelt zu suchen, wurde auch das Publikum ins Theater hineingeführt. Aber auch dort war die Oper mitten unter uns: Kein Graben für das Orchester, La Speranza (Svetlana Ignatovich) führte Orfeo quer durch die Zuschauerreihen. Bemerkenswert, wie sicher sich die Sänger allesamt in diesem schwierigen Ambiente auch über die Distanz mit dem Continuo verstanden beziehungsweise wie flexibel alle aufeinander reagierten. Keine Frage: So nah war uns Monteverdi noch nie.