Hinter dem Scheinwerfer lauert der Tod

Christian Fluri, Sonntag / MLZ (03.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Grandioser «Orfeo» am Theater Basel – mit Regisseur Jan Bosse, Dirigent Andrea Marcon und La Cetra Barockorchester Basel

Monteverdis «Orfeo» am Theater Basel ist ein grosser Erfolg: Jan Bosses erste Opernregie ist stark, musikalisch stimmt alles und auch Bariton Nikolay Borchev begeistert.

Orfeo ist in Basel der Popstar. Kostümbildnerin Kathrin Plath kleidet ihn vielsagend in einen knallroten Anzug, er geniesst den Jubel, den die im Publikum agierenden Solisten und Chorsänger anstimmen, und er geniesst sein Liebesglück mit Euridice, deren Gesicht gross auf die Leinwand projiziert ist.

Regisseur Jan Bosse lässt die Akte eins und zwei von Claudio Monteverdis «Orfeo» im Foyer des Theaters Basel spielen. Er bezieht das Publikum – wie in der Zürcher Hamlet-Inszenierung – mit ins Spiel ein, hier als das Opernpublikum, das den Star zum – natürlich – Kultobjekt stilisiert. Bosse und Bühnenbildner Stéphane Laimé verwandeln die arkadische Landschaft der «Favola in musica» in einen Glitzersaal mit rotem Teppich. Der Raum sucht die Nähe zu Hollywood, zum mythischen Geburtsort des Starkults, wobei Bosse zugleich auf die Uraufführung der ersten grossen Oper im Jahre 1607 anspielt. Sie fand nicht im Theater, sondern am Hof von Mantua statt; hier war die Nähe des Publikums zu Sängern und Musikern ebenfalls gegeben. Und vor allem: Monteverdis Oper über die Gesangskunst macht die Erfindung der Oper zum eigenen Thema. Bosse selbst verhandelt nun die Oper und ihren Sängerkult – mit dem Blick auf gut 400 Jahre Gattungsgeschichte.

Die Fangemeinde feiert also den Star, sein Glück. Mitten hinein schlägt das Unglück: Kaum hat Orfeo seine Euridice, stirbt sie. Wie Bosse diesen Schock inszeniert und eine beklemmende Atmosphäre schafft, ist atemberaubend: Das Videobild zeigt einen Scheinwerfer und das Dunkel dahinter: Dort lauert der Tod.

Orfeo lehnt sich auf gegen ihn, geht in die Unterwelt, um Euridice zurückzuholen. Die Unterwelt ist im Theater. Dunkel ist die Bühne, schwach schimmert Euridices Bild. Beeindruckend auch hier Bosses genaue Personenführung, die uns vorführt, wie in Orfeo Angst, Auflehnung und Sehnsucht gegeneinander ringen und daraus ergreifender Gesang entsteht. Das Herrscherpaar, Pluto und Proserpina, ist hingerissen. Bei Bosse ist es ein Stars produzierendes Managerpaar, das oben im Zuschauerraum sitzt und die Fäden zieht. Bosses Unterwelt symbolisiert die düstere Seite des Showgeschäfts. Doch tatsächlich, Orfeo erhält Euridice zurück, darf sie indes nicht ansehen. Der Zweifelnde schaut trotzdem zurück und verliert sie.

Eine grosse Stärke von Bosses Inszenierung ist, dass er die allegorische Ebene der Oper beibehält. Euridice ist des Sängers Projektion der idealen Frau, die er über seinen Ruhm und seine Kunst gewinnen will. Indem Orfeo Euridice in Besitz nimmt und sich dabei in gottähnliche Position hievt, stirbt ihm sein Ideal. Hinter dem erfüllten Begehren ist der Tod. Orfeo scheitert im Leben. Der aus dem Theater geworfene sieht draussen in der Putzfrau, der Garderobiere, im Bühnenarbeiter Euridice, wie Ulrike Lindemanns wunderbares Video zeigt. Der reale Orfeo singt auf der Bühne und betrachtet seine eigene Verlorenheit. Da hilft nur noch die Flucht in die Traumwelt. Apollo, gezeichnet als goldene Comicfigur, entführt ihn in den Himmel. Der Videofilm lässt beide wie Superman ins All fliegen. Das ist von frecher Ironie, die auch in der Musik anklingt.

Bosses sinnesfrohe Theaterbilder leuchten unter die schillernde Oberfläche. Das tut der Regisseur intelligent, ernsthaft und zugleich mit hintergründigem Humor. Und er tut es mit Poesie. Eine zauberhafte Theaterarbeit. Deshalb wird der Basler «Orfeo» wohl ein Renner. Dazu trägt auch Monteverdis geniale Musik bei, die Andrea Marcon, Dirigent, Organist und Cembalist, sowie La Cetra Barockorchester Basel vital und mitreissend spielen. Das zuerst an den Seiten der Foyer-Treppe aufgestellte und im dritten bis fünften Akt vor der Bühne platzierte Orchester lotet die Partitur farbenreich und ausdrucksstark aus – von den ersten Fanfaren über swingende Tänze bis zu den berührenden lyrischen Passagen. Dicht und lebendig klingt die Basso-continuo-Begleitung.

Die Sänger agieren mit Lust und Können. Der Basler Orfeo Nikolay Borchev meistert die für einen Bariton hohe Partie bravourös. In perfektem Recitar cantando (sprechendem Singen) entfaltet er die ganze Palette von Affekten. Gefühlvoll und schön singt Yeree Suh «La Musica», fein gestaltet Agata Wilewska die Euridice. Wie Rita Ahonen als Messaggiera das Unglück verkündet, raubt einem schlicht den Atem. Die kleinen Partien sind mit Karl-Heinz Brandt (Apollo/Pastor), Andrew Murphy (Pluto), Rosa Dominguez (Proserpina) und anderen gut besetzt. Der Chor singt so stark, als wäre er auf Frühbarock spezialisiert.