Jan Bosses «Orfeo»

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (04.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Ein Fest wird gefeiert im Theater Basel, so glanz- und stil- und stimmungsvoll, wie es selten ist im heutigen Opernbetrieb. Zeremonienmeister ist der nicht zuletzt vom Zürcher Schauspielhaus her bekannte Jan Bosse, der mit Monteverdis «Orfeo» ein hinreissendes Debüt als Opernregisseur gibt. Schon im Foyer schickt er die Figuren, die 1607 ebenfalls bei einem Fest am Hof der Gonzaga in Mantua ihren ersten Auftritt hatten, mitten unter das Publikum (und auch wenn er den Trick nicht zum ersten Mal anwendet: Er funktioniert).

Spiegelketten verdecken den Beton, Musiker spielen sich ein, Champagner wird serviert, und auf rotem Teppich schreitet Yeree Suh als Musica die Treppe herunter und kündigt in glitzerndem Kleid und mit ebensolchem Sopran die Geschichte des Orpheus an.

Das Stück hat begonnen, und wir sind mittendrin. Noch im Foyer stehend, lernen wir den jungen Nikolay Borchev als Orfeo kennen, dessen Stimme fast bersten kann vor Glück, ohne dass sie je laut werden müsste dafür, und der im Leid später nicht nur Proserpina rühren wird. Wir hören die ergreifende Klage der Botin (Rita Ahonen), die den Tod der Euridice meldet, und staunen darüber, wie voll der Klang des Basler Barockorchesters La Cetra in diesem Raum wirkt.

Die Hälfte des zweistündigen Abends ist schon vorbei, wenn Orfeo seinen Gang in die Unterwelt und damit zur «richtigen» Bühne antritt. Auch hier setzt Bosse zusammen mit Stéphane Laimé (Bühnenbild), Kathrin Plath (Kostüme) und Ulrike Lindenmann (Video) auf klare, genau gestaltete Bilder. Und die Protagonisten bleiben auf Tuchfühlung mit dem Publikum: Von hinten singt ein Herrscherpaar im Stil der «Addams Family», Orfeo sucht sich seinen Weg durch den Saal, und das Orchester hat sich keineswegs in den Graben verzogen - der wird als Styx gebraucht.

Die intime räumliche Konstellation tut auch musikalisch ihre Wirkung. Andrea Marcon leitet das Orchester vom Cembalo aus, eher als Vormusiker denn als Dirigent. So straff er vor allem manche Chöre angeht, es klingt nie nach Drill. Die Rhythmen bleiben elastisch, der Klang rund (und wer sich über einzelne nicht ganz so strahlkräftige Stimmen aufhält, ist selbst schuld). Was das Revolutionäre an Monteverdis Partitur war, ist nicht zu überhören, gerade in dieser Unterwelt, wo Harmonien harsch gegeneinander geschnitten werden und sinistre Klänge den Eindringling fern halten sollen.

So stimmt alles zusammen in diesem «Orfeo», der in Zusammenarbeit mit der Schola Cantorum Basiliensis entstanden ist: die theatralische Gegenwart und der historische Hintergrund, die Bilder und die Musik. Bosse und Marcon nehmen dem Mythos einer grossen Liebe und eines grossen Scheiterns nichts von seinem Geheimnis, sie laden ihm auch keinen überflüssigen Ballast auf. Damit wird am Ende, wenn Orfeo im wahrsten Sinn des Wortes abhebt, eine Utopie des Glücks möglich. Das Glück im Publikum ist da ohnehin längst vollkommen.