Zwischen Stuhl und Bank

Michael Graber, Blick (04.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Die erste Oper der Welt: «L'Orfeo» von Claudio Monteverdi. 401 Jahre nach der Uraufführung muss das Publikum stehend zuhören.

Im schönen Land Arkadien, wo sich Schäfer und Nymphen vornehmlich singend unterhalten, erzählt diese Ur-Oper die Fabel des Sängers Orpheus, der in die Unterwelt reist, um seine geliebte Eurydike zurückzuholen.

In der Basler Inszenierung von Jan Bosse singt ein hinreissender Nikolay Borchev mit zu grossen Koteletten und in silbernen Schuhen den Orpheus. Die Geschichte beginnt im Foyer, das mit viel Glitzer-Klimbim in einen von Arkadiens Wäldern verwandelt wurde. Das Orchester ist mit seinen Barockinstrumenten auf der Treppe platziert, während sich Sänger und Publikum immer mal wieder ein bisschen vermischen.

Es geht heiter zu und her, schliesslich ist der Held glücklich verliebt, und das will gefeiert werden - zusammen mit dem Publikum. Doch dann die schreckliche Nachricht im zweiten Akt: Eurydike wurde von einer Schlange gebissen und starb.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird es für den stehenden Teil des Publikums langsam ungemütlich. Die Leute fangen an, sich an Theken abzustützen, die stehende Totenwache übersteigt die Ausdauer vieler Premierengäste.

Die Erlösung für die Zuschauer kommt ironischerweise im dritten Akt, in dem Orpheus zur Hölle reist. Die befindet sich nämlich auf der Grossen Bühne und das Publikum darf endlich Platz nehmen auf den gewohnten Sitzen. Auch hier singt Orpheus oft aus dem Zuschauerraum. Diese räumliche Trennung von Welt und Unterwelt funktioniert sehr gut. Der dritte und der vierte Akt können mit Lust genossen werden.

Leider hatte dann aber jemand die selten schlechte Idee, die Himmelfahrt des Opheus im fünften Akt mit einer Videoprojektion zu verdeutlichen, die nicht nur vom Bühnengeschehen ablenkt, sondern vor allem von einer ganz miserablen TV-Qualität ist und den ganzen Schluss ins Lächerliche zieht. Hätte man darauf ersatzlos verzichtet, wäre der Basler «Orfeo» um einiges reicher. Doch auch so bleiben die starken Momente aus den Akten vor dem elektronischen Sündenfall im kollektiven Publikumsgedächtnis haften.