«L’Orfeo» – ich singe, also bin ich

Bruno Rauch, Der Landbote (05.02.2008)

L'Orfeo, 01.02.2008, Basel

Eine sinnfällige Inszenierung und lebendiges Musizieren machen eine 400-jährige Oper zum aktuellen Ereignis: Premiere des «Orfeo» im Theater Basel vom Freitag.

Der Schauspielregisseur Jan Bosse aus Stuttgart, der wiederholt am Zürcher Schauspielhaus inszenierte, wagt sich in Basel erstmals auf die Opernbühne. Mit Claudio Monteverdis «L’Orfeo», 1607 in Mantua uraufgeführt, hat er sinnigerweise ein Werk gewählt, das am Anfang einer eben erst entwickelten Musikgattung steht. Das damalige Faszinosum des Musiktheaters hat offensichtlich auch den Opernneuling am Regiepult in Bann geschlagen.

Die Fabel des thrakischen Sängers, der ins Totenreich aufbricht, um seine am Hochzeitstag verstorbene Braut ins Leben zurückzuholen, und sie durch einen unbedachten Blick zurück wieder verliert, in Bosses Lesart wirkt sie unverbraucht und heutig. Der Regisseur nimmt dabei die Problemstellung auf, die schon die Erfinder der Oper umtrieb: Wie wird es glaubhaft, dass einer auf der Bühne singt statt spricht? Bosses Orpheus ist wirklich Sänger. Künstler! In den ersten zwei Akten stehen wir im geräumigen Theaterfoyer als Gäste einer glamourösen Promi-Hochzeit, an der sogar Champagner ausgeschenkt wird. Solisten und Choristen haben sich ebenfalls unters Publikum gemischt. Es ergibt sich so ein Raumklang, wie er Monteverdi vorgeschwebt sein dürfte.

Zusammen mit Yeree Suh als bezaubernde Musica und den mondänen «Hirten» – einer der arkadischen Pastores ist tatsächlich Pastor! – erwarten wir ihn: den Popstar. Da ist er endlich, in rotem Anzug und silbernen Schuhen (Kostüme: Kathrin Plath). Der junge Russe Nikolay Borchev besticht durch darstellerische Intensität ebenso wie durch seinen geschmeidigen, nuancierten Bariton.

Die Musik erhält ihren Raum

Das Basler Barock-Orchester «La Cetra» flankiert die rot ausgelegte Freitreppe, an deren Kopf jetzt die berühmte Monteverdi-Fanfare erschallt. Das mit originalen Instrumenten besetzte Orchester mit Zink, Theorbe, Chitarrone und, im Höllenakt, einem Regal mit handbetriebenen Bälgen lotet das reiche Klangspektrum sinnlich und kreativ aus.

Andrea Marcon, zu Beginn am Cembalo, später am Positiv, «dirigiert» höchst behutsam, packt nur bei den tänzerischen oder chorischen Tutti stärker zu und belässt so der Musik Raum und Zeit, ihr sprechendes Naturell wunderbar zu entfalten.

Von der Party in die Hölle

Wie ein Donnerschlag lähmt die Botschaft vom Tod Eurydikes durch eine Schlange die muntere Gesellschaft: Rita Ahonen verleiht der Unheilsbotin antike Tragik. Wie unter Schock wechseln wir, angeführt von La Speranza, in den Theatersaal: Die Partygäste werden unversehens zu Schatten der Toten.

Auch hier verzichtet Bosse auf aufgesetzte Theatralik. Ein greller Scheinwerfer, Schwärze, aufsteigender Dunst charakterisieren den Orkus, in den Orpheus rücklings stürzt, um im Jenseits aus einer Ohnmacht aufzuwachen (Bühne: Stéphane Laimé).

Die verspiegelte Bühnenrückwand unterstreicht die irreale Situation und gerät beim fatalen Blick prompt ins Wanken. Das höllische Herrscherpaar, hinten im Saal plaziert, erscheint als Projektion, ebenso Orfeos Apotheose am Schluss. Dank einem vorzüglichen Ensemble von Sängern und Instrumentalisten gelingt es, Geschehen und Musik zu einer Einheit zu verschmelzen, wie man sie dichter und berührender selten erlebt. Und wir, das Publikum, sind mittendrin.