Tiefland
Eugen d' Albert

MARTA
Ich weiss nicht, wer mein Vater war.
Ich sah ihn nie, weiss nichts von ihm.
Die Mutter bettelte in Barcelona
In Sonnenbrand und Schnee und Regen stand ich mit ihr,
der blinden Frau, vor Kirchentüren und an Strassenecken.
Sie sprach kein Wort. Mit ausgestreckter Hand stand sie nur da.
Ich klammert mich an sie und weinte in die Falten ihres Kleides.
Und eines Tages kam ein Mann zu uns,
ein lahmer Alter. Und wir bettelten zu dritt.
Die Mutter und der Alte, sie schlugen sich
und zankten oft ganze Nächte lang.
O welch ein Leben voller Qual war das!
Doch eines Nachts gab's keinen lauten Lärm.
Still lag die Mutter auf der Erde, stumm sass der Alte neben ihr.
Am Morgen aber stand er auf und sagt zu mir: sie ist gestorben.
Der Worte Sinn verstand ich nicht.
Und Jahre später weint ich um die Mutter erst.

TOMMASO
Erzähle weiter!

MARTA
Von Barcelona zogen wir hinaus ins flache Land, von Dorf zu Dorf.
Ich wuchs heran. Wie gerne, ach, hätt Arbeit ich gesucht.
Der Alte aber hielt mich fest.
Er liess mich tanzen und die Leute gafften
und warfen mir die Münzen vor die Füsse
Er war zufrieden. Und was kümmert's ihn,
dass ich die langen Nächte still durchweinte.

TOMMASO
Du armes Kind!

MARTA
So kamen wir denn eines Tags hierher.
Ich tanzte vor den Bauern, und der Alte ging umher
und heischte milde Gaben.
Da trat ein Mann zu mir, sie nannten ihn den Herrn,
und Sebastiano war's.
Er strich mir übers Haar und fragte mich, wieso es komme,
dass ich so schön geworden, wo ich das Tanzen gelernt?
Zum erstenmal sprach einer gut mit mir.
Dann wandte sich der Herr zu meinem Herrn und frug ihn,
ob er hier nicht bleiben wolle, als Müller auf der Mühle.
Ich sah ihn bittend an: O nicht mehr betteln gehn
und nicht mehr tanzen müssen auf der Strasse!
Der Alte sprach leise mit Sebastiano.
Sie stritten und sie feilschten ... und wir blieben.
Ich zählte damals dreizehn Jahre. Und jeden Tag kam Sebastiano.
Er brachte mir Geschenke, bat und drohte.
Der Alte schlug mich, riss mich bei den Haaren.
Wenn ich den Herrn nicht erhörte,
wär es aus mit Ruh und Frieden.
Ich sollte wieder betteln, wieder tanzen,
nein, nein, nein! Und so ist es geschehn.

TOMMASO
Du Unglückselige!

MARTA
Ein Wunder geschah: mir war es in der Kirche,
als sprach zu mir ein Bote aus der Höh:
Das ist dein Mann, dein Schutz und Stab,
er wird dich retten aus aller Not und Qual.
Und Pedro, Pedro liebt mich,
er liebt mich wirklich, die ich's nicht verdiene.

HISTORICAL INTERPRETATIONS

Leonie Rysanek, 1952