Libretto: Carmen

von Georges Bizet


Personen:
DON JOSÉ, Brigadier (Tenor)
ESCAMILLO, Torero (Bariton)
DANCAIRO, Schmuggler (Bass)
REMENDADO, Schmuggler (Tenor)
MORALÈS, Sergeant (Bariton)
ZUNIGA, Leutnant (Bass)
LILLAS PASTIA, Schankwirt (Sprechrolle)
EIN BERGFÜHRER (Sprechrolle)
CARMEN, Zigeunerin (Mezzosopran)
MICAËLA, Bauernmädchen (Sopran)
FRASQUITA, Zigeunerin (Sopran)
MERCÉDÈS, Zigeunerin (Sopran)
ANDRES, Leutnant (Tenor)
EIN ZIGEUNER (Bass)
EIN SOLDAT (Sprechrolle)
EINE ORANGENVERKÄUFERIN (Alt)

CHOR und BALLETT
Soldaten, Junge Männer, Zigarettenfabrikarbeiterinnen,
Anhänger Escamillos, Zigeuner, Zigeunerinnen,
Fächer- und Orangenverkäuferinnen,
Programm-, Getränke-, Wein- und Zigarettenverkäufer
Polizisten, Stierkämpfer, Volk, Gassenjungen, Der Alcalde



ERSTER AKT

Nr. 1 - Vorspiel

Ein Platz in Sevilla. Rechts das Tor der Tabakfabrik. Im Hintergrund, dem Publikum zugewandt, eine begehbare Brücke, die die Bühne in ihrer ganzen Ausdehnung überspannt. Zu dieser Brücke gelangt man von der Bühne über eine Wendeltreppe, die sich rechter Hand über dem Tor der Tabakfabrik emporwindet. Der Raum unter der Brücke ist begehbar. Links im Vordergrund die Wachstube. Vor der Wachstube, um zwei oder drei Stufen erhöht, eine kleine überdachte Galerie; nahe der Wachstube in einem Ständer die Lanzen der Dragoner mit ihren gelben und roten Fähnchen

Nr. 2 - Szene und Chor

Beim Aufgeben des Vorhangs gruppieren sich etwa fünfzehn Soldaten (Dragoner des Regiments von Almansa) vor der Wachstube. Die einen sitzen und rauchen, die anderen stützen sich mit den Ellenbogen auf die Brüstung der Galerie. Passanten laufen auf dem Platz umher. Eilige, geschäftige Leute kommen, geben, treffen sich, begrüssen einander, drängeln sich usw.

CHOR
Auf dem Platze
geht jedermann seines Wegs,
ein jeder kommt oder geht;
seltsame Leute sind das.
Seltsame Leute! Seltsame Leute!

MORALES
An der Tür der Wachstube
rauchen wir, um die Zeit
totzuschlagen, wir schwatzen, wir
sehen den Vorbeigehenden zu,
Auf dem Platze usw.

CHOR
Auf dem Platze usw.

Seit einigen Minuten ist Micaëla aufgetreten. In ihrem blauen Rock und mit ihren auf die Schultern herabfallenden Zöpfen betrachtet sie zögernd und verlegen die Soldaten, geht vorwärts, weicht zurück, usw.

MORALES
zu den Soldaten
Seht doch dort diese Kleine
die anscheinend mit uns sprechen will.
Seht, seht, sie geht herum, sie zögert.

CHOR.
Wir müssen ihr helfen.

MORALES
zu Micaëla
Was sucht Ihr, meine Schöne?

MICAËLA
Ich! Ich suche einen Brigadier.

MORALES.
Da bin ich schon, hier!

MICAËLA
Mein Brigadier heisst
Don José ... kennt Ihr ihn?

MORALES
Don José, den kennen wir alle.

MICAËLA
Wirklich? Bitte sagt mir, ob er bei Euch ist?

MORALES
Er ist nicht Brigadier in unserer Kompanie.

MICAËLA
traurig
Dann ist er also nicht da?

MORALES
Nein, reizendes Fräulein, er ist nicht da,
aber er wird gleich hier sein.
Ja, gleich wird er hier sein.
Er kommt, wenn die aufziehende Wache
die abtretende Wache ablöst.

ALLE
Er kommt, wenn die aufziehende Wache
die abtretende Wache ablöst.

MORALES
Aber während Ihr darauf wartet, dass er kommt,
mein schönes Kind, macht es Euch etwas aus,
einen Augenblick zu uns hereinzukommen?

MICAËLA
Zu Euch!

CHOR
Zu uns.

MICAËLA
Nicht doch, nicht doch,
vielen Dank, meine Herren Soldaten.

MORALES
Kommt ohne Furcht herein, meine Süsse,
ich verspreche Euch, man wird
für Eure werte Person
allen nötigen Respekt haben.

MICAËLA
Daran zweifle ich nicht;
dennoch werde ich zurückkommen,
ich werde zurückkehren, das ist klüger.
Nimmt lachend den Satz des Feldwebels auf
Ich komme zurück, wenn die aufziehende Wache die abtretende Wache ablöst.

MORALES und CHOR
umringen Micaëla
Ihr müsst bleiben, denn die aufziehende Wache
wird gleich die abtretende Wache ablösen.

MORALES.
Ihr werdet bleiben!

MICAËLA
sucht loszukommen
Nicht doch! Nicht doch!

MORALES und CHOR
Ihr werdet bleiben, Ihr bleibt, Ihr bleibt,
ja, Ihr werdet bleiben, werdet bleiben.

MICAËLA
Nicht doch! Nicht doch! Nein! Nein! Nein! Nein!
Auf Wiedersehen, meine Herren Soldaten.
Sie flüchtet und läuft davon.

MORALES
Der Vogel fliegt davon,
wir kommen darüber hinweg.
Nehmen wir unsern Zeitvertreib wieder auf
und sehen wir den Vorbeigehenden zu.

CHOR
Auf dem Platze usw.


Nr. 2 a - Couplet des Morales

Das Hin- und Hergehen der Passanten, das während der Szene mit Micaëla aufgehört hatte, hat mit einiger Lebhaftigkeit wieder begonnen. Unter den Leuten, die kommen und gehen, ist ein alter Herr, der seinen Arm einer jungen Dame reicht ... Der alte Herr möchte seinen Spaziergang gerne fortsetzen, aber die junge Dame tut alles, um ihn auf dem Platze zurückzuhalten. Sie scheint bewegt, unruhig. Sie blickt nach recht und links. Sie erwartet jemanden, und die-ser jemand kommt nicht. - Diese Pantomime muss sehr genau mit dem folgenden Couplet übereinstimmen.

MORALES
Achtung! Pst! Seien wir still!
Hier kommt ein alter Ehemann
mit misstrauischem Blick und eifersüchtiger Miene;
am Arm hält er seine junge Gattin;
der Liebhaber ist sicher nicht weit;
er wird schon aus irgendeinem Winkel hervorkommen.
In diesem Augenblick tritt in junger Mann eilig auf den Platz.
Ha! Ha! Ha! Ha!
Da ist er schon.
Sehen wir, was daraus entsteht.

Das zweite Couplet ist die Fortsetzung und passt sich genau der Szene an, die von den drei Personen dargestellt wird. Der junge Mann nähert sich dem alten Herrn und der jungen Dame, grüsst und wechselt mit leiser Stimme einige Worte usw.

MORALES
ahmt den beflissenen Gruss des jungen Mannes nach.
Welch ein Glück, Euch hier anzutreffen!
Er nimmt die griesgrämige Miene des alten Ehemannes an.
Ich bin ganz Euer Diener,
Er nimmt wieder die Miene des jungen Mannes an.
Er grüsst, er spricht mit feinem Anstand.
Dann mit der Miene des alten Ehemanns.
Der alte Ehemann zieht eine Grimasse.
Er imitiert das Lächeln der Dame.
Aber mit sehr aufmunterndem Blick
wendet sich die Dame ihrem Galan zu.
Der junge Mann zieht in diesem Augenblick ein Briefchen aus der Tasche, das er der Dame zeigt.
Ha! Ha! Ha! Ha!
So weit ist es schon gekommen.
Sehen wir, was daraus werden wird.
Der Ehemann, die Frau und der Galan machen alle drei sehr langsam eine kleine Runde über den Platz. Der junge Mann versucht dabei, der Dame seinen Liebesbrief zu geben.

MORALES
Sie machen zusammen einige Schritte;
unser Liebhaber hebt den Arm
und zeigt dem Ehemann etwas.
Und der noch immer mürrische Ehemann
guckt in die Luft ... Es hat geklappt,
denn die Dame hat das Briefchen genommen.
Der junge Mann zeigt dem alten Herrn mit einer Hand etwas in der Luft, und mit der anderen gibt er der Dame das Briefchen.
Ha! Ha! Ha! Ha!
Und so ist es,
man sieht, was daraus werden wird.

ALLE
lachend.
Ha! Ha! Ha! Ha! Und so ist es,
man sieht, was daraus werden wird.


Nr. 3 - Chor der Gassenjungen

Man hört in der Ferne, in sehr weiter Ferne, einen Militärmarsch, Trompeten und Querpfeifen. Das ist die aufziehende Wache, die eintrifft. Der alte Herr und der junge Mann drucken sich herzlich die Hand. Respektvoller Gruss des jungen Mannes für die Dame. Ein Offizier tritt aus der Wachstube heraus. Die Soldaten der Wachmannschaft holen ihre Lanzen und stellen sich vor der Wachstube in einer Reihe auf. Die Passanten rechter Hand bilden eine Gruppe, um der Parade beizuwohnen. Der Militärmarsch nähert sich, nähert sich ... Die aufziehende Wache kommt endlich von der linken Seite her zum Vorschein und überquert die Bühne. Zunächst zwei Trompeten und zwei Querpfeifen. Dann eine Schar von kleinen jungen, die sich bemühen, grosse Schritte zu machen, um im Gleichschritt mit den Dragonern zu marschieren. - Die Kinder so klein wie möglich. Hinter den Kindern der Leutnant Zuniga und der Brigadier Don José, dann die Dragoner mit ihren Lanzen.

CHOR DER GASSENJUNGEN
Zusammen mit der aufziehenden Wache
treffen wir ein, da sind wir ...
Erklinge, schmetternde Trompete,
Taratata, taratata;
wir marschieren erhobenen Hauptes
wie kleine Soldaten,
ohne Fehler zu machen,
eins ... zwei ... treten wir auf der Stelle,
die Schultern zurückgenommen
und die Brust heraus,
die Arme auf die bekannte Weise
längs dem Körper herabfallend;
mit der aufziehenden Garde
treffen wir ein, da sind wir!
Erklinge, schmetternde Trompete,
Taratata, taratata.

Die aufziehende Wache stellt sich rechter Hand der abziehenden Wache gegenüber auf. Sobald die kleinen jungen, die rechts vor den Schaulustigen Halt gemacht haben, zu singen aufgehört haben, grüssen sich die Offiziere mit dem Degen und beginnen sich leise zu unterhalten. Die Wachposten werden abgelöst.

Melodram

MORALES
zu Don José
Ein hübsches Junges Mädchen hat nach dir gefragt.
Sie sagte, dass sie wiederkommen werde ...

JOSÉ
Ein hübsches Mädchen?

MORALES
Ja, und niedlich gekleidet, ein blauer Rock,
Zöpfe, die auf die Schultern herabfallen ...

JOSÉ
Das ist Micaëla.
Das kann nur Micaëla sein.

MORALES
Sie hat nicht gesagt, wie sie heisst.

Die Wachposten sind abgelöst. Signalhörner erklingen. Die abziehende Wache passiert die aufziehende Wache. - Die Jungen scharen sich wieder hinter die Signalhörner und die Querpfeifen der abziehenden Wache an der Stelle, die sie hinter den Trommeln und den Querpfeifen der aufziehenden Wache eingenommen hatten.

CHOR DER JUNGEN
Und die abziehende Wache
kehrt heim und geht ab.
Erklinge, schmetternde Trompete,
Taratata, taratata.
Wir marschieren erhobenen Hauptes
wie kleine Soldaten,
ohne Fehler zu machen,
eins ... zwei ... treten wir auf der Stelle.
Taratata ratata usw.

Soldaten, Jungen und Schaulustige entfernen sich im Hintergrund; Chor, Querpfeifen und Signalhörner werden schwächer. Der Offizier der aufziehenden Wache inspiziert währenddessen leise seine Leute. Als der Chor der jungen und die Querpfeifen nicht mehr zu hören sind, sagt der Leutnant: »Präsentiert die Lanzen ... Hoch die Lanzen.Weggetreten.«
Die Dragoner stellen alle ihre Lanzen in den Ständer, dann gehen sie in die Wachstube. Don José und Zuniga bleiben allein auf der Bühne.



Gesprochener Dialog

ZUNIGA
Sagt, Brigadier ...

JOSÉ
steht auf
Herr Leutnant!

ZUNIGA
Ich bin erst seit zwei Tagen im Regiment und bin niemals zuvor nach Sevilla gekommen. Was ist das für ein grosses Gebäude?

JOSÉ
Das ist die Tabakfabrik ...

ZUNIGA
Arbeiten dort Frauen? ...

JOSÉ
Ja, Herr Leutnant. Sie sind jetzt nicht da; gleich nach dem Essen werden sie wiederkommen. Und ich versichere Euch, dann gibt es hier viele Leute, um sie vorbeigehen zu sehen.

ZUNIGA
Sind es viele?

JOSÉ
Weiss Gott, es sind sicher vier- oder fünfhundert, die in einem grossen Saal Zigarren drehen ...

ZUNIGA
Das muss kurios sein.

JOSÉ
Ja, aber Männer dürfen diesen Saal nicht ohne Erlaubnis betreten ...

ZUNIGA
Ah!

JOSÉ
Weil es sich diese Arbeiterinnen bei der Hitze bequem machen, besonders die jungen.

ZUNIGA
Es sind auch junge dabei?

JOSÉ
Aber ja, Herr Leutnant.

ZUNIGA
Und hübsche?

JOSÉ
lachend
Ich nehme es an ... Aber, um die Wahrheit zu sagen, bin ich da nicht ganz sicher, obwohl ich hier schon mehrmals Wache gestanden habe, denn ich habe sie mir niemals besonders angesehen ...

ZUNIGA
Ach was! ...

JOSÉ
Was wollt Ihr? ... Diese Andalusierinnen machen mir Angst. Ich bin ihre Art nicht gewohnt, immer spotten ... niemals ein vernünftiges Wort ...

ZUNIGA.
Und dann haben wir eine Schwäche für blaue Röcke und Zöpfe, die auf die Schultern herabfallen ...

JOSÉ
lachend
Ah! Herr Leutnant hat gehört, was Morales zu mir gesagt hat? ...

ZUNIGA.
Ja

JOSÉ
Ich leugne es nicht… der blaue Rock, die Zöpfe, das ist die Tracht von Navarra… das erinnert mich an meine Heimat…

ZUNIGA
Ihr seid Navarrese?

JOSÉ
Und von reiner christlicher Abstammung. Don José Lizzarabengoa, so heisse ich ... Ich sollte zunächst Priester werden, und man liess mich studieren. Aber ich hatte kaum etwas davon, ich spielte zu gerne Pelota ... Eines Tages, als ich gewonnen hatte, fing ein Bursche aus Alava mit mir Streit an; auch hierbei gewann ich, aber das zwang mich, das Heimatland zu verlassen. Ich wurde Soldat! Ich hatte keinen Vater mehr; meine Mutter folgte mir und liess sich zehn Meilen von Sevilla entfernt nieder ... mit der kleinen Micaëla . . . das ist eine Waise, die meine Mutter zu sich genommen hat und die sich nicht von ihr trennen wollte.

ZUNIGA.
Und wie alt ist die kleine Micaëla?

JOSÉ
Siebzehn Jahre ...

ZUNIGA
Das hättet Ihr gleich sagen sollen ... jetzt verstehe ich, warum Ihr mir nicht sagen konntet, ob die Arbeiterinnen der Fabrik hübsch oder hässlich sind
Man hört die Glocke der Fabrik.

JOSÉ
Da läutet die Glocke, Herr Leutnant, und Ihr könnt selbst urteilen ... Was mich angeht, so werde ich eine Kette herstellen, um die Reinigungsnadel für das Zündloch meines Gewehrs zu befestigen.


Nr. 4 - Chor der Zigarrenarbeiterinnen

Der Platz füllt sich mit jungen Leuten, die sich dort hinstellen, wo die Zigarrenarbeiterinnen vorbeikommen. Die Soldaten verlassen ihren Posten. Don José setzt sich auf einen Stuhl und verharrt dort sehr gleichgültig all dem Hin- und Herlaufen gegenüber, wobei er an seiner Reinigungsnadel arbeitet.

CHOR
Die Glocke hat geläutet, wir lauern
hier auf die Rückkehr der Arbeiterinnen;
und wir werden euch folgen, brünette
Zigarrenarbeiterinnen, und euch Liebesworte zuraunen.
In diesem Augenblick erscheinen die Zigarrenarbeiterinnen, die Zigarette zwischen den Lippen. Sie gehen unter der Brücke hindurch und steigen langsam auf die Bühne herab.

CHOR
Seht sie euch an ... dreiste Blicke,
kokette Miene,
alle lässig ihre
Zigarette rauchend.

ZIGARRENARBEITERINNEN.
In der Luft folgen wir mit
den Augen dem Rauch,
der zum Himmel
aufsteigt,
wohlriechend aufsteigt.
Das steigt angenehm
zu Kopfe;
ganz sanft versetzt das eure Seele in festliche Stimmung.
Rauch ist
das sanfte Sprechen von Liebenden;
Rauch sind ihre Leidenschaften und Schwüre.
Ja, das ist Rauch,
ist Rauch.

JUNGE LEUTE
zu den Zigarrenarbeiterinnen
Ohne die Grausamen zu spielen,
hört uns an, ihr Schönen,
die wir anbeten,
die wir verehren.

ZIGARRENARBEITERINNEN
In der Luft folgen wir mit
den Augen dem Rauch,
dem Rauch.
In der Luft folgen wir mit den Augen
dem Rauch,
der zum Himmel steigt!
Dem Rauch! Dem Rauch!

CHOR
Aber wir sehen die Carmencita nicht.

ZIGARRENARBEITERINNEN und JUNGE LEUTE
Da ist sie,
da ist sie,
da ist die Carmencita.
Carmen tritt auf. Genau das Kostüm und der Auftritt, wie bei Mérimée beschrieben. Sie hat einen Kassienstrauss an ihrem Mieder und eine Kassienblüte im Mundwinkel. Drei oder vier junge Leute treten mit Carmen zusammen auf. Sie folgen ihr, umringen sie, sprechen mit ihr. Sie ziert sich, zieht eine Schnute und schwatzt mit ihnen. Don José hebt den Kopf Er betrachtet Carmen, dann arbeitet er ruhig an seiner Reinigungsnadel weiter.

JUNGE LEUTE
die mit Carmen aufgetreten sind
Carmen, auf Schritt und Tritt eilen wir dir alle nach;
Carmen, sei nett, antworte uns wenigstens,
und sag uns, an welchem Tage du uns lieben wirst.
Carmen, sag uns, an welchem Tage du uns lieben wirst!

CARMEN
betrachtet sie
Wann ich euch lieben werde,
weiss ich wahrhaftig nicht.
Vielleicht niemals, vielleicht morgen;
aber gewiss nicht heute.


Nr. 5 - Habanera

CARMEN
Die Liebe ist ein widerspenstiger Vogel,
den keiner zähmen kann,
und man ruft ihn vergebens,
wenn es ihm nicht zu kommen beliebt.
Nichts hilft dann, Drohen oder Bitten,
der eine kann gut reden, der andere ist ein Schweiger;
und es ist der andere, den Ich vorziehe;
er hat nichts gesagt, aber er gefällt mir.
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich;
wenn ich dich liebe,
nimm dich in acht!
Der Vogel, den du zu überlisten glaubtest,
schlug mit den Flügeln und flog davon ...
Die Liebe ist fern, du kannst auf sie warten.
Du erwartest sie nicht mehr ... schon ist sie da ...
Ganz um dich herum, schnell, schnell
kommt sie, geht sie davon, kommt dann wieder ...
Du glaubst sie festzuhalten, sie weicht dir aus,
du glaubst ihr auszuweichen, sie hält dich fest.
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich;
wenn ich dich liebe,
nimm dich in acht!


Nr. 6 - Szene

JUNGE LEUTE
Carmen, auf Schritt und Tritt eilen wir dir alle nach;
Carmen, sei nett, antworte uns wenigstens!
Ein Augenblick der Stille. Die jungen Leute umringen Carmen; diese betrachtet einen nach dem anderen, tritt aus dem Kreis, den sie um sie bilden und geht geradewegs auf Don José zu, der noch immer mit seiner Reinigungsnadel beschäftigt ist.

CARMEN
Na Gevatter, was machst du da?…

JOSÉ
Ich mache aus Messingdraht eine Kette, um meine Reinigungsnadel zu befestigen.

CARMEN
lachend
Deine Reinigungsnadel, wahrhaftig! Deine Reinigungsnadel, mein herzallerliebster Nadelhändler ...
Sie zieht aus ihrem Mieder die Kassienblüte und wirft sie Don José zu. Er steht schnell auf. Die Kassienblüte ist vor seine Füsse gefallen. Allgemeines Gelächter.

CHOR
Die Liebe ist ein Zigeunerkind.
Sie hat niemals, niemals Gesetze gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich!
Wenn ich dich liebe, nimm dich in acht!
Die Glocke der Fabrik läutet zum zweiten Mal. Arbeiterinnen und junge Leute gehen ab. Carmen rennt als erste davon und geht in die Fabrik. Die jungen Leute gehen rechts und links ab. Zuniga, der während dieser Szene mit zwei oder drei Arbeiterinnen schwatzte, verlässt sie und geht zum Wachposten, nachdem die Soldaten dorthin zurückgekehrt sind. Don José bleibt allein.


Monolog II

JOSÉ
Was soll dieses Verhalten bedeuten? ... Welche Dreistigkeit! ...
Lächelnd.
All das, weil ich sie nicht beachtet habe! ... Da ist sie gekommen ganz nach der Art von Frauen und Katzen, die nicht kommen, wenn man sie ruft, und die kommen, wenn man sie nicht ruft ...,
Er betrachtet die Kassienblüte auf der Erde, zu seinen Füssen. Er hebt sie auf
Mit welchem Geschick sie sie mir zugeworfen hat, die Blüte ... dorthin, genau zwischen die Augen ... das wirkte auf mich wie eine Kugel, die mich traf ...
Er atmet den Duft der Blüte ein.
Wie stark das ist! ... Gewiss, wenn es Hexen gibt, ist dieses Mädchen eine davon.
Micaëla tritt auf.


Gesprochener Dialog III

MICAËLA
Herr Brigadier?

JOSÉ
versteckt hastig die Kassienblüte
Was? . . . Was gibt's? ... Micaëla! ... Du bist es ...

MICAËLA
Ich bin's!

JOSÉ
Und du kommst von dort? ...

MICAËLA
Und ich komme von dort… Eure Mutter schickt mich…


Nr. 7 - Duett

JOSÉ
Erzähl mir von meiner Mutter!
Erzähl mir von meiner Mutter!

MICAËLA
Ich bringe als treue Botin
von ihr diesen Brief.

JOSÉ
betrachtet den Brief
Einen Brief.

MICAËLA
Und dann ein wenig Geld,
sie gibt ihm eine kleine Börse
zusätzlich zu Eurem Sold,
und dann ...

JOSÉ
Und dann?

MICAËLA
Und dann ... Ich traue mich wirklich nicht,
und dann ... noch etwas anderes,
das mehr wert ist als das Geld und das
für einen guten Sohn
gewiss mehr Wert hat.

JOSÉ
Was ist diese andere Sache?
Sprich doch!

MICAËLA
Ja, ich werde sprechen;
was man mir gegeben hat,
werde ich Euch geben.
Eure Mutter trat mit mir aus der Kapelle,
und da sagte sie zu mir, während sie mich küsste,
du wirst in die Stadt gehen,
die Strecke ist nicht weit;
in Sevilla angekommen,
wirst du meinen Sohn aufsuchen,
meinen José, mein Kind ...
und du wirst ihm sagen, dass seine Mutter
Tag und Nacht an den fernen Sohn denkt ...
dass sie ihn vermisst und dass sie für ihn hofft,
dass sie verzeiht und dass sie wartet;
all das, mein Herzblatt, wirst du
ihm doch von mir sagen,
und diesen Kuss, den ich dir gebe,
wirst du ihm von mir übermitteln.

JOSÉ
sehr bewegt
Einen Kuss meiner Mutter?

MICAËLA
Einen Kuss für ihren Sohn.

JOSÉ
Einen Kuss meiner Mutter?

MICAËLA
Einen Kuss für ihren Sohn!
José, ich übermittle ihn Euch, wie ich es versprach.
Micaëla stellt sich etwas auf die Zehenspitzen und gibt Don José einen sehr offenherzigen, sehr mütterlichen Kuss. Don José, der sehr bewegt ist, lässt sie gewähren. Er sieht ihr tief in die Augen. - Einen Augenblick der Stille.

JOSÉ
sieht Micaëla weiter an
Meine Mutter sehe ich ...
ja, ich sehe mein Dorf wieder!
O Erinnerungen an früher,
süsse Erinnerungen an die Heimat!
Süsse Erinnerungen an die Heimat!
O liebe Erinnerungen!
Ihr erfüllt mein Herz
mit Kraft und Mut.
O liebe Erinnerungen!
Meine Mutter sehe ich, ich sehe mein Dorf wieder!

MICAËLA
Seine Mutter sieht er wieder!
Sein Dorf sieht er wieder!
O Erinnerungen an früher!
Erinnerungen an das Heimatland!
Ihr erfüllt sein Herz
mit Kraft und Mut.
O liebe Erinnerungen!
Seine Mutter sieht er wieder, sein Dorf sieht er wieder!

JOSÉ
heftet die Augen auf die Tabakfabrik
Wer weiss, welches Dämons Beute ich fast wurde!
Selbst aus der Ferne verteidigt mich meine Mutter,
und dieser Kuss, den sie mir schickt,
dieser Kuss, den sie mir schickt,
wendet die Gefahr ab und rettet ihr Kind.

MICAËLA
Welcher Dämon, welche Gefahr?
Ich verstehe nicht recht.
Was heisst das?

JOSÉ
Nichts! Nichts!
Sprechen wir von dir, der Botin.
Du wirst in die Heimat zurückkehren ...

MICAËLA
Ja, noch diesen Abend,
morgen sehe ich Eure Mutter.

JOSÉ
Du wirst ' sie sehen! Nun gut, du wirst ihr sagen,
dass ihr Sohn sie liebt und verehrt
und dass er heute Reue empfindet.
Er möchte, dass dort
seine Mutter mit ihm zufrieden ist!
All das, nicht wahr meine Kleine,
wirst du ihr von mir sagen;
und diesen Kuss, den ich dir gebe,
gibst du ihr von mir zurück.
Er küsst sie.

MICAËLA
Ja, ich verspreche es Euch ...
von ihrem Sohn José
werde ich ihn, wie versprochen,
übermitteln.

JOSÉ
Ich sehe meine Mutter usw.

MICAËLA
Er sieht seine Mutter usw.


Gesprochener Dialog IV

JOSÉ
Warte jetzt einen Moment… ich werde ihren Brief lesen …

MICAËLA
Ich warte, Herr Brigadier, ich warte

JOSÉ
küsst den Brief bevor er zu lesen beginnt
Ah!
Er liest
»Benimm dich weiterhin gut, mein Kind! Man hat dir versprochen, dich zum Quartiermeister zu machen; vielleicht kannst du dann den Dienst quittieren, dir eine kleine Stelle geben lassen und zu mir zurückkommen? Ich werde allmählich recht alt. Du solltest zu mir zurückkommen und dich verheiraten; wir sollten meines Erachtens kein grosses Problem haben, eine Frau für dich zu finden, und ich weiss wohl, was mich betrifft, welche ich dir zu wählen raten würde: Es ist ganz genau die, die dir den Brief bringt ... Es gibt keine sittsamere und nettere . . .«

MICAËLA
unterbricht ihn
Es ist besser, ich bleibe nicht hier! ...

JOSÉ
Warum denn?

MICAËLA
verwirrt
Eben erinnere ich mich, dass Eure Mutter mir einige kleine Einkäufe aufgetragen hat; ich werde mich gleich darum kümmern.

JOSÉ
Warte einen Augenblick, ich bin fertig ...

MICAËLA
Ihr werdet zu Ende lesen, wenn ich nicht mehr da bin ...

JOSÉ
Aber die Antwort? ...

MICAËLA
Ich hole sie vor meiner Abreise und bringe sie Eurer Mutter ... Adieu!

JOSÉ
Micaëla!

MICAËLA.
Nein, nein… Ich komme wieder, ich finde das besser… ich komme wieder, ich komme wieder…
Sie geht ab.

JOSÉ
liest
»Es gibt keine sittsamere, keine nettere ... es gibt vor allem keine, die dich mehr liebt ... und wenn du wolltest ... « ja, meine Mutter, ja, ich tue, was du wünschst ... Ich heirate Micaëla, und was diese Zigeunerin angeht, mit ihren Blüten, die verhexen .. .

In dem Augenblick, in dem er die Blüten von seiner Jacke nehmen will, ertönt grosser Lärm im Innern der Fabrik. - Zuniga tritt auf; ihm folgen Soldaten.


Nr. 8 - Chor

ZUNIGA
Was ist denn da los?
Die Arbeiterinnen kommen schnell und ungeordnet heraus.

CHOR DER ZIGARRENARBEITERINNEN
Hilfe! Hört ihr nicht?
Hilfe! Ihr Herren Soldaten!

ERSTE GRUPPE DER FRAUEN
Das ist die Carmencita.

ZWEITE GRUPPE
Nein, nein, das ist nicht sie.

ERSTE GRUPPE
Das ist die Carmencita.

ZWEITE GRUPPE
Nein, neinn, das ist nicht sie! Ganz und gar nicht!

ERSTE GRUPPE
Sie ist es! Allerdings ist sie es!
Sie hat die ersten Hiebe versetzt.

ALLE FRAUEN
umringen den Leutnant
Hört nicht auf sie, mein Herr, hört auf uns,
hört auf uns, mein Herr, auf uns!

ERSTE GRUPPE
sie ziehen den Offizier auf ihre Seite
Die Manuelita sagte
und wiederholte mit lauter Stimme,
dass sie auf jeden Fall
einen Esel kaufen würde, der ihr gefiel.

ZWEITE GRUPPE
dasselbe Spiel
Da sagte die Carmencita
wie üblich voller Spott:
Einen Esel, wozu?
Ein Besen reicht doch für dich.

ERSTE GRUPPE
Manuelita erwiderte
und sagte zu ihrer Arbeitskollegin:
Für einen bestimmten Spazierritt
wird mein Esel dir zu Diensten sein.

ZWEITE GRUPPE
Und an diesem Tage wirst
du mit Recht stolz sein können;
zwei Lakaien werden dir folgen und mit aller Kraft die
Fliegen von deinen Schultern peitschen.

ALLE FRAUEN
Darüber sind sich alle
Beide in die Haare geraten.

ZUNIGA
Zum Teufel mit diesem ganzen Geschwätz.
Zu Don José
Nehmt zwei Mann, José, und seht
da drinnen nach, wer diesen Lärm macht.

ERSTE GRUPPE
Das ist die Carmencita!

ZWEITE GRUPPE
Nein, nein, die ist es nicht!

ERSTE GRUPPE
Allerdings ist sie das!

ZWEITE GRUPPE
Keineswegs!

ERSTE GRUPPE
Sie hat die ersten Hiebe versetzt!

ZUNIGA
Heda! Schafft mir alle diese Frauen weg.

ALLE FRAUEN
Mein Herr!
Mein Herr!
Hört nicht auf sie! Mein Herr, hört auf uns!

ERSTE GRUPPE
Das ist die Carmencita, die die ersten Hiebe versetzt hat!

ZWEITE GRUPPE
Das ist die Manuelita, die die ersten Hiebe versetzt hat!

ERSTE GRUPPE
Die Carmencita!

ZWEITE GRUPPE
Die Manuelita!

ERSTE GRUPPE
Ja! ja! ja! ja!
Sie hat die ersten Hiebe versetzt!
Das ist die Carmencita!

ZWEITE GRUPPE
Nein! Nein! Nein! Nein!
Sie hat die ersten Hiebe versetzt!
Das ist die Manuelita!

Den Soldaten gelingt es endlich, die Zigarrenarbeiterinnen zurückzudrängen. Die Frauen werden um den Platz herum von einem Spalier von Dragonern auf Distanz gehalten. Carmen erscheint an dem Tor der Fabrik, geleitet von Don José, dem zwei Dragoner folgen.


Gesprochener Dialog V

ZUNIGA
Na also, Brigadier . . . Da wir jetzt ein bisschen Ruhe haben ... was habt Ihr da drinnen vorgefunden? ...

JOSÉ
Ich habe zunächst dreihundert Frauen vorgefunden, die schrien, heulten, gestikulierten und einen Lärm machten, dass man Gottes Donner nicht hätte hören können . . . Auf der einen Seite war eine, die lag auf dem Rücken und schrie: »Nehmt mir die Beichte ab! . . . Ich bin tot ... « Auf dem Gesicht hatte sie ein X, das man ihr soeben mit zwei Messerstichen eingeritzt hatte . . . Der Verletzten gegenüber sah ich ...
Auf einen Blick von Carmen hin hält er inne.

ZUNIGA
Nun?

JOSÉ
Sah ich Mademoiselle ...

ZUNIGA
Mademoiselle Carmencita?

JOSÉ
Ja, Herr Leutnant.

ZUNIGA
Und was sagte Mademoiselle Carmencita?

JOSÉ
Sie sagte nichts, Herr Leutnant; sie biss die Zähne zusammen und rollte mit den Augen wie ein Chamäleon.

CARMEN
Man hatte mich provoziert ... ich habe mich nur verteidigt . . . Der Herr Brigadier wird es Euch sagen ...
Zu José
Nicht wahr, Herr Brigadier?

JOSÉ
nach kurzem Zögern
Alles, was ich inmitten des Lärms habe verstehen können, ist, dass es einen Wortwechsel zwischen diesen beiden Damen gab und dass infolge dieses Wortwechsels Mademoiselle mit dem Messer, mit dem sie das Ende der Zigarren abschnitt, begonnen hatte, Andreaskreuze in das Gesicht ihrer Kollegin zu zeichnen ...
Zuniga betrachtet Carmen; diese ist nach einem Blick auf Don José und einem ganz leichten Schulterzucken wieder gleichmütig geworden.
Der Fall schien für mich klar. Ich bat Mademoiselle, mir zu folgen ... Sie machte zunächst eine Bewegung, als wolle sie Widerstand leisten ... dann hat sie resigniert ... und ist mir gefolgt, sanft wie ein Schaf!

ZUNIGA
Und die Verletzung der anderen Frau?

JOSÉ
Sehr leicht, Herr Leutnant, zwei Schnittwunden auf der Hautoberfläche.

ZUNIGA
zu Carmen
Nun, meine Schöne, habt Ihr den Brigadier gehört! ...
Zu José
Ich brauche Euch nicht zu fragen, ob Ihr die Wahrheit gesagt habt.

JOSÉ
So wahr ich ein Navarreser bin, Herr Leutnant!
Carmen dreht sich unvermittelt um und sieht José noch einmal an.

ZUNIGA
zu Carmen
Nun! ... Habt Ihr gehört? ... Habt Ihr etwas zu antworten? ... Sprecht, ich warte . . .


Nr. 9 - Chanson und Melodram

Anstatt zu antworten, beginnt Carmen zu trällern.

CARMEN
Tra lalalalalalala.
Schneide mich in Stücke, verbrenne mich,
ich sage dir nichts,
tra lalalalalalala.
Ich trotze allem, dem Feuer, dem Eisen
und dem Himmel selbst.

ZUNIGA
Ich will keine Lieder, sondern eine Antwort.

CARMEN
Tra lalalalalalala.
Mein Geheimnis bewahre ich, und ich bewahre es gut.
Tra lalalalalalala.
Ich liebe einen anderen, und noch im Sterben sage ich,
dass ich ihn liebe.'

ZUNIGA
Ha! Ha! Wir schlagen also diesen Ton an ...
Zu José
Es ist nun einmal sicher, nicht wahr, dass es Messerstiche gab und dass sie sie ausgeteilt hat ...

In diesem Augenblick gelingt es fünf oder sechs Frauen auf der rechten Seite, die Linie der Wachposten zu durchbrechen und sich mit dem Ruf auf die Bühne zu stürzen: »Ja, ja, sie ist es!. . . « Eine der Frauen befindet sich dicht bei Carmen. Diese hebt die Hand und will sich auf die Frau stürzen. Don José hält Carmen zurück. Die Soldaten drängen die Frauen ab und schieben sie dieses Mal ganz von der Bühne. Einige Wachposten bleiben weiter sichtbar und bewachen die Zugänge des Platzes.

ZUNIGA
zu Carmen
Ei nun! Ihr habt wirklich ein loses Handgelenk!
Zu den Soldaten
Holt mir einen Strick.

Ein Augenblick der Stille, während der Carmen auf unverschämteste Art wieder zu trällern beginnt und dabei den Offizier ansieht.

EIN SOLDAT
bringt einen Strick
Hier, Herr Leutnant.

ZUNIGA
zu Don José
Bindet damit diese beiden hübschen Hände zusammen.

Carmen leistet nicht den geringsten Widerstand und hält lächelnd Don José ihre beiden Hände hin.

Das ist wirklich schade, denn sie ist hübsch ... Aber so hübsch Ihr auch seid, Ihr werdet dennoch einen Gang ins Gefängnis machen. Dort könnt Ihr dann Eure Zigeunerlieder singen. Der Gefängniswärter wird Euch sagen, was er davon hält.
Carmens Hände sind gebunden, man bringt sie auf einem Hocker vor der Wachstube zum Sitzen. Dort bleibt sie unbeweglich mit gesenkten Augen.
Ich werde den Befehl aufsetzen.
Zu Don José
Ihr werdet sie begleiten.
Er geht ab.

Ein Augenblick der Stille. Carmen hebt die Augen und sieht José an. Dieser wendet sich ab, entfernt sich einige Schritte, dann kommt er zu Carmen zurück, die ihn noch immer ansieht.


Gesprochener Dialog VI

CARMEN
Wo bringt Ihr mich hin?

JOSÉ
Ins Gefängnis, mein armes Kind ...

CARMEN
Ach! Was soll aus mir werden? Herr Offizier, habt Mitleid mit mir ... Ihr seid so nett ...
José antwortet nicht, geht weg und kommt wieder, immer unter Carmens Blicken.
Diesen Strick, wie fest Ihr ihn geschnürt habt ... Meine Handgelenke sind gebrochen.

JOSÉ
nähert sich Carmen
Wenn er Euch verletzt, kann ich ihn lockern ... Der Leutnant hat mir befohlen, Eure Hände zu binden ... Er sagte nicht
Er lockert den Strick.

CARMEN
leise
Lass mich entkommen, ich gebe dir ein Stück vom Bar Lachi, einem kleinen Stein, der alle Frauen in dich verliebt machen wird.

JOSÉ
entfernt sich
Wir sind nicht hier, um Unsinn zu reden ... Ihr müsst ins Gefängnis gehen. Das ist der Befehl, und es gibt keine Abhilfe dagegen.
Stille.

CARMEN
Eben habt Ihr gesagt: Auf das Wort eines Navarresers . . . Ihr seid aus der Gegend? ...

JOSÉ
Ich bin aus Elizondo ...

CARMEN
Und ich aus Echalar ...

JOSÉ
bleibt stehen
Aus Echalar! …Das ist vier Stunden von Elizondo entfernt.

CARMEN
Ja, dort wurde ich geboren ... Ich wurde von Zigeunern nach Sevilla gebracht. Ich arbeitete in der Tabakfabrik, um das zu verdienen, womit ich nach Navarra zurükkehren kann, zu meiner armen Mutter, die nur mich als Stütze hat ... Man hat mich beleidigt, weil ich nicht aus diesem Land der Gauner stamme, der Händler mit verfaulten Orangen, und diese Schurken haben sich gegen mich gewandt, weil ich ihnen sagte, dass alle ihre Maulhelden von Sevilla mit ihren Messern keinem Kerl von uns mit seiner blauen Baskenmütze und seiner Maquila Angst machen können. Kamerad, mein Freund, wollt Ihr nichts für eine Landsmännin tun?

JOSÉ
Ihr seid Navarresin, Ihr?

CARMEN
Ja sicher.

JOSÉ
Ach was ... daran ist kein wahres Wort ... Allein Eure Augen, Euer Mund, Euer Teint ... alles kennzeichnet Euch als Zigeunerin ...

CARMEN
Zigeunerin, glaubst du?

JOSÉ
Ich bin mir sicher ...

CARMEN
In der Tat, warum mache ich mir eigentlich die Mühe, zu lügen ... ja, ich bin Zigeunerin, aber du tust trotzdem, was ich von dir verlange ... Du tust es, weil du mich liebst ...

JOSÉ
Ich!

CARMEN
Jawohl, du liebst mich ... sag nicht nein, ich kenne mich darin aus! Deine Rücksicht, die Art, wie du mit mir sprichst, und diese Blüte, die du aufgehoben hast. Oh! Du kannst sie jetzt wegwerfen ... Das ändert nichts mehr. Sie ist lange genug an deinem Herzen geblieben; der Zauber hat gewirkt.

JOSÉ
wütend
Sprich nicht mehr mit mir, verstehst du, ich verbiete dir, mit mir zu sprechen ...

CARMEN
Sehr wohl, Herr Offizier, sehr wohl.
Ihr verbietet mir zu sprechen, ich spreche nicht mehr ...


Nr. 10 - Seguidilla und Duett

CARMEN
An den Stadtmauern von Sevilla`
bei meinem Freund Lillas Pastia
werde ich die Seguidilla tanzen
und Manzanilla trinken!
Zu meinem Freund Lillas Pastia werde ich gehen.
ja, aber ganz allein langweilt man sich,
und die wahren Vergnügungen sind zu zweit
Um also Gesellschaft zu haben,
werde ich meinen Liebhaber mitbringen
Mein Liebhaber! Der ist zum Teufel
Gestern setzte ich ihn vor die Tür . . .
Mein armes Herz ist leicht zu trösten,
mein Herz ist frei wie die Luft
ich habe Verehrer im Dutzend,
aber sie gefallen mir nicht;
jetzt ist Wochenende,
wer mich lieben will, den liebe ich.
Wer will meine Seele sie ist zu haben
Ihr kommt im rechten Augenblick,
ich habe kaum Zeit zu warten,
denn mit meinem neuen Liebhaber
werde ich an der Stadtmauer von Sevilla
bei meinem Freund Lillas Pastia
die Seguidilla tanzen
und Manzanilla trinken.
Ja, ich gehe zu meinem Freund Lillas Pastia!

JOSÉ
Sei still, ich befehle dir, nicht mehr zu sprechen.

CARMEN
Ich spreche nicht mit dir ... ich singe für mich selbst, und ich denke ... es ist nicht verboten zu denken, ich denke an einen gewissen Offizier, der mich liebt und den ich meinerseits, ja meinerseits auch lieben könnte.

JOSÉ
Carmen! ...

CARMEN
Mein Offizier ist kein Hauptmann,
nicht einmal Leutnant,
er ist nur Brigadier.
Aber das ist für eine Zigeunerin genug,
und ich gebe mich gütigst damit zufrieden!

JOSÉ
löst den Strick, der Carmens Hände fesselt
Carmen, ich bin wie trunken,
wenn ich nachgebe, wenn ich mich ausliefere,
hältst du dann dein Versprechen ...
Ah! Carmen, wenn ich dich liebe,
wirst du mich lieben ...

CARMEN
Ja ...

JOSÉ
Bei Lillas Pastia.

CARMEN
Wir tanzen die Seguidilla
und trinken dabei Manzanilla.

JOSÉ
Du versprichst es!
Carmen! Du versprichst es!

CARMEN
Ah! An den Stadtmauern von Sevilla
bei meinem Freund Lillas Pastia
tanzen wir die Seguidilla
und trinken Manzanilla.
Tra lalalalalalalalalala!

JOSÉ
Der Leutnant! ... Passt auf.

Carmen setzt sich wieder auf ihren Hocker, die Hände hinter dem Rücken. Zuniga kommt zurück.


Nr. 11 - Finale

ZUNIGA
Hier ist der Befehl, geht los und passt gut auf ...

CARMEN
leise zu José
Unterwegs schubse ich dich, ich schubse dich
so sehr, wie ich kann ...
Lass dich fallen ... Der Rest ist meine Sache!

Sie stellt sich zwischen zwei Dragoner, José neben sie. In der Zwischenzeit sind die Frauen und Bürger auf die Bühne zurückgekehrt und werden noch immer von den Dragonern auf Distanz gehalten ... Carmen überquert die Szene von links nach rechts und geht auf die Brücke zu ...

CARMEN
Die Liebe ist ein Zigeunerkind,
sie hat niemals ein Gesetz gekannt;
wenn du mich nicht liebst, liebe ich dich,
wenn ich dich liebe, nimm dich in acht.

Als sie rechts am Treppenaufgang zur Brücke ankommt, schubst Carmen José, der sich fallen lässt. Durcheinander, Unordnung, Carmen flieht. Auf der Mitte der Brücke bleibt sie einen Augenblick stehen, wirft ihren Strick mit Schwung über das Geländer der Brücke und macht sich davon, während auf der Brücke die Zigarrenarbeiterinnen mit grossem Gelächter den Leutnant umringen.


ZWISCHENAKTMUSIK


ZWEITER AKT

Die Taverne von Lillas Pastia. Rechts und links Tische. Carmen, Mercédès, Frasquita, der Leutnant Zuniga, Moralès und ein Leutnant. Das Abendessen ist zu Ende. Der Tisch ist unaufgeräumt. Die Offiziere und die Zigeuner zupfen die Gitarre in einer Ecke der Taverne und zwei Zigeunerinnen tanzen mitten auf der Bühne. - Carmen sitzt und sieht zu, wie die Zigeunerinnen tanzen; der Leutnant spricht leise mit ihr, aber sie nimmt keine Notiz von ihm. Plötzlich erhebt sie sich und beginnt zu singen.

Nr. 12 - Zigeunerlied

CARMEN
Die Stäbe des Sistrums ertönten
mit metallischem Klang,
und bei dieser wundersamen Musik
erhoben sich die jungen Zigeunerinnen.
Baskische Trommeln ertönten darein,
und entfesselte Gitarren
ächzten unter den beharrlichen Griffen,
dasselbe Lied, derselbe Refrain.
Tra lalalalalala, tra lalalala.
Zu diesem Refrain tanzen die Zigeunerinnen.

CARMEN, FRASQUITA und MERCÉDÈS
Tra lalalala, tra lalalala.

CARMEN
Die Ringe aus Kupfer und Silber
glänzten auf schwarzbrauner Haut;
orange- und rotgestreifte Stoffe
flatterten im Wind;
der Tanz vermählte sich dein Gesang
zunächst unentschieden und zaghaft,
dann lebhafter und schneller;
das schwoll an, immer, immer mehr!
Tra lalalalalalala, tra lalalalala.

CARMEN, FRASQUITA und MERCÉDÈS
Tra lalalala, tra lalalala.

CARMEN
Die Zigeuner spielten besessen
mit voller Kraft auf ihren Instrumenten,
und diese prächtige Klangentladung
verhexte die Zigeunerinnen!
Zum Rhythmus des Liedes
liessen sie sich heiss, verrückt
und wie im Fieber berauscht
von dem Taumel forttragen.
Tra lalalalala, tra lalalala.

CARMEN, FRASQUITA und MERCÉDÈS
Tra lalalala, tra lalalala.

Sehr schnelle und sehr heftige Tanzbewegungen. Carmen selbst tanzt und fällt mit den letzten Noten des Orchesters atemlos auf eine Bank der Taverne. Nach dem Tanz beginnt Lillas Pastia die Offiziere mit verlegener Miene zu umkreisen.


Gesprochener Dialog VII

ZUNIGA
Ihr wollt uns etwas sagen, Maître Lillas Pastia?

PASTIA
Ach Gott, meine Herren ...

MORALÈS
Sprich, nun? ...

PASTIA
Es wird allmählich spät ... und ich bin mehr als andere gezwungen, die Vorschriften einzuhalten. Der Herr Corregidor ist auf mich ziemlich schlecht zu sprechen ... Ich weiss nicht, was er gegen mich hat …

ZUNIGA
Ich weiss es sehr wohl. Es ist, weil dein Wirtshaus gewöhnlich der Treffpunkt aller Schmuggler der Provinz ist.

PASTIA
Ob aus diesem oder einem anderen Grunde muss ich vorsichtig sein ... nun, ich sage es Euch noch einmal, es wird allmählich spät.

MORALÈS
Das heisst, dass du uns vor die Tür setzt!

PASTIA.
O nein, meine Herren Offiziere ... o nein! Ich weise euch nur darauf hin, dass mein Wirtshaus seit zehn Minuten geschlossen sein müsste ...

ZUNIGA
Gott weiss, was in deinem Wirtshaus vor sich geht, wenn es erst geschlossen ist ...

PASTIA
Oh! Herr Leutnant ...

ZUNIGA
Kurzum, wir haben noch vor dem Zapfenstreich die Zeit, eine Stunde im Theater zu verbringen ... Ihr kommt mit uns, nicht wahr, ihr Schönen?
Pastia gibt den Zigeunerinnen ein Zeichen abzulehnen.

FRASQUITA
Nein, meine Herren Offiziere, nein, wir bleiben hier.

ZUNIGA
Wie, ihr kommt nicht mit ...

MERCÉDÈS
Es ist unmöglich ...

MORALÈS
Mercédès!

MERCÉDÈS
Ich bedaure ...

MORALÈS
Frasquita!

FRASQUITA
Es tut mir leid

ZUNIGA
Aber du, Carmen, bei dir bin ich sicher, dass du nicht ablehnen wirst ...

CARMEN
Darin täuscht Ihr Euch, mein Leutnant ... Ich lehne ab und das noch deutlicher als die beiden, sofern das möglich ist ...
Während der Leutnant mit Carmen spricht, versuchen Moralès und die beiden anderen Leutnants, Frasquita und Mercédès umzustimmen.

ZUNIGA
Bist du mir böse?

CARMEN
Warum sollte ich Euch böse sein?

ZUNIGA
Weil ich vor einem Monat so grausam war, dich ins Gefängnis zu schicken ...

CARMEN
als ob sie sich nicht daran erinnerte
Ins Gefängnis?

ZUNIGA
Ich hatte Dienst, ich konnte nicht anders.

CARMEN
dasselbe Spiel
Ins Gefängnis ... ich erinnere mich nicht, ins Gefängnis gegangen zu sein ...

ZUNIGA
Ich weiss wahrlich genau, dass du dort nicht hingegangen bist . . . Der Brigadier, der dich auf Befehl abführen sollte, hielt es für angebracht, dich entkommen zu lassen . . . und sich dafür degradieren und ins Gefängnis sperren zu lassen . ...

CARMEN
ernsthaft
Degradieren und ins Gefängnis sperren?

ZUNIGA
Mein Gott, man wollte nicht gelten lassen, dass eine so kleine Hand stark genug war, einen Mann umzuwerfen ...

CARMEN
Oh!

ZUNIGA
Das schien nicht normal ...

CARMEN
Und dieser arme junge ist wieder einfacher Soldat geworden?

ZUNIGA
Ja… er war einen Monat im Gefängnis …

CARMEN
Aber er ist jetzt draussen?

ZUNIGA
Seit gestern erst!

CARMEN
lässt die Kastagnetten klappern
Alles ist gut, da er ja wieder draussen ist, alles ist gut.

ZUNIGA
So ist's recht, du kommst schnell darüber hinweg…

CARMEN
beiseite
Und ich habe recht…
Laut
Wenn Ihr mir glaubt, tut Ihr so wie ich; Ihr wollt uns mitnehmen, wir wollen nicht mitkommen… Ihr kommt darüber hinweg…

MORALÈS
Wir müssen wohl.

Die Szene wird von einem Chor hinter der Bühne unterbrochen.


Nr. 13 - Chor und Ensemble

CHOR
Ein Hoch, ein Hoch auf den Torero!
Ein Hoch, ein Hoch auf Escamillo!
Noch nie hat ein verwegener Mann
durch einen schöneren Stoss
mit schnellerer Hand
den Stier zu Boden gestreckt!
Er lebe hoch, hoch, hoch!

ZUNIGA
Was ist denn das?

MERCÉDÈS
Ein Fackelzug ...

MORALÈS
Und wen geleitet man?

FRASQUITA
Ich erkenne ihn wieder ... Es ist Escamillo ... ein Torero, der bei den letzten Stierkämpfen von Granada auffiel und der dem Ruhm von Montes und Pepe-Hillo gleichzukommen verspricht ...

ZUNIGA
Donnerwetter, den müssen wir kommen lassen ... wir werden auf ihn anstossen!

MORALÈS
Genau, ich werde ihn einladen ...
Er geht zum Fenster
Herr Torero ... würdet Ihr so freundlich sein heraufzukommen? Ihr findet hier Leute, die alle die sehr gern haben, die wie Ihr geschickt und mutig sind ...
Er verlässt das Fenster.
Er kommt . . .

PASTIA
flehend
Meine Herren Offiziere, ich hatte Euch doch gesagt ...

ZUNIGA
Seid so gut und lasst uns in Ruhe, Maître Lillas Pastia, und lasst uns etwas zu trinken bringen

CHOR
Ein Hoch, ein Hoch auf den Torero!
Ein Hoch, ein Hoch auf Escamillo!
Er lebe hoch, hoch, hoch!

Escamillo erscheint.


Gesprochener Dialog VIII

ZUNIGA
Diese Damen und wir danken Euch, dass ihr unsere Einladung angenommen habt; wir wollten Euch nicht ziehen lassen, ohne mit uns auf die grosse Kunst des Stierkampfs angestossen zu haben.

ESCAMILLO
Meine Herren Offiziere, ich danke Euch.


Nr. 14 - Couplet

ESCAMILLO
Euren Toast ... kann ich erwidern,
Señiores, Señiores, denn mit den Soldaten
können sich Toreros gut verstehen.,
Ihr Vergnügen ist der Kampf.
Die Arena ist voll, es ist Feiertag,
die Arena ist von oben bis unten gefüllt.
Die Zuschauer verlieren den Kopf,
die Zuschauer schreien untereinander
mit grossem Lärm: Zurufe, Schreie und Krakeel,
exzessiv bis zur Raserei.
Denn das ist das Fest des Mutes,
es ist das Fest der beherzten Leute.
Auf in den Kampf! Auf! Auf! Ah!
Torero, auf in den Kampf,
Torero, Torero,
und denk daran, ja denk beim Kampf daran,
dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass die Liebe dich erwartet.
Torero, die Liebe,
die Liebe erwartet dich!

ALLE
Torero, auf in den Kampf,
Torero, Torero,
beim Kampfe denk daran, dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass die Liebe dich erwartet,
Torero, die Liebe, die Liebe erwartet dich!

ESCAMILLO
Plötzlich sind alle still;
alle sind still. Ah, was geschieht?
Keine Schreie mehr; es ist der Augenblick,
da der Stier in Sprüngen aus dem Zwinger herausstürzt…
Er stürzt heraus, er kommt herein, er stösst zu, ein Pferd stürzt zu Boden
und reisst den Picador mit sich.
»Ah, bravo dem Stier!« heult die Menge.
Der Stier läuft hierhin ... läuft dorthin ... läuft und stösst wieder zu!
Er schüttelt die BanderiIlas
voller Wut, er läuft!
Die Arena ist voller Blut;
alles rettet sich, man übersteigt die Gitter;
jetzt bist du an der Reihe.
Auf in den Kampf! Auf! Auf! Ah!
Torero, auf in den Kampf!
Torero, Torero!
Und denk daran, ja denk beim Kampf daran,
dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass die Liebe dich erwartet.
Torero, die Liebe erwartet dich!

ALLE
Torero, auf in den Kampf!
Torero! Torero!
Beim Kampfe denk daran, dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass dich die Liebe erwartet.
Torero, die Liebe, die Liebe erwartet dich.

MERCÉDÈS
Die Liebe!

ESCAM1LLO
Die Liebe!

FRASQUITA
Die Liebe!

ESCAMILLO
Die Liebe!

CARMEN
Die Liebe!

ESCAMILLO
Die Liebe!

ALLE
Torero, Torero!
Die Liebe erwartet dich!

Man trinkt, man schüttelt dem Torero die Hand.


Gesprochener Dialog IX

PASTIA
Meine Herren Offiziere, ich bitte Euch.

ZUNIGA
Schon gut, schon gut, wir gehen.
Die Offiziere beginnen den Aufbruch vorzubereiten. Escamillo steht bei Carmen.

ESCAMILLO
Sag mir deinen Namen; das erste Mal, wenn ich den Stier treffe, werde ich deinen Namen rufen.

CARMEN
Ich heisse Carmencita.

ESCAMILLO
Die Carmencita?

CARMEN
Carmen, die Carmencita, wie du willst.

ESCAMILLO
Nun gut! Carmen oder die Carmencita, wenn mir einfallen würde, dich zu lieben und von dir geliebt zu werden, was würdest du mir antworten?

CARMEN
Ich würde antworten, du kannst mich lieben, wie du magst, aber von mir zur Zeit geliebt zu werden, daran darfst du nicht denken!

ESCAMILLO
Ah!

CARMEN
So ist das nun einmal.

ESCAMILLO
Dann warte ich und begnüge mich damit, zu hoffen

CARMEN
Es ist nicht verboten zu warten, und es Ist immer angenehm zu hoffen.

MORALÈS
zu Frasquita und Mercédès
Ihr kommt endgültig nicht mit?

MERCÉDÈS und FRASQUITA
auf ein neues Zeichen von Pastia
Aber nein doch, nein ...

MORALÈS
zu Zuniga
Ungünstiger Feldzug, Leutnant.

ZUNIGA
Bah! Die Schlacht ist noch nicht verloren ...
Leise zu Carmen
Hör zu, Carmen, da du nicht mit uns kommen willst, komme ich in einer Stunde hierher zurück.

CARMEN
Hierher? ...

ZUNIGA
Ja, in einer Stunde ... nach dem Appell.

CARMEN
Ich empfehle Euch nicht zurückzukommen ...

ZUNIGA
lachend
Ich komme trotzdem.
Laut
Wir gehen mit Euch, Torero, und wir schliessen uns dem Zug an, der Euch begleitet.

ESCAMILLO,
Das ist eine grosse Ehre für mich; ich werde versuchen, mich dessen nicht unwürdig zu erweisen, wenn ich unter Euren Augen kämpfen werde.

Alle geben ab ausser Carmen, Frasquita, Mercédès und Lillas Pastia.

FRASQUITA
zu Pastia
Warum hattest du es so eilig, sie zum Gehen zu veranlassen, und warum hast du uns Zeichen gemacht, ihnen nicht zu folgen?

PASTIA
Der Dancaire und der Remendado sind soeben eingetroffen . Sie müssen mit euch über ihr Angelegenheiten sprechen, Zigeunerangelegenheiten.

CARMEN
Der Dancaire und der Remendado?

PASTIA
öffnet eine Tür und macht eine einladende Geste
Ja, hier sind sie ... Seht ihr . ».
Der Dancaire und der Remendado treten ein. - Pastia schliesst die Türen, Fensterläden etc.

FRASQUITA
Nun, Neuigkeiten?

DANCAIRE
Nicht zu schlecht die Neuigkeiten; wir kommen aus Gibraltar ...

REMENDADO
Hübsche Stadt Gibraltar! ... Man sieht dort Engländer, viele Engländer; hübsche Männer die Engländer; ein wenig kühl, aber vornehm.

DANCAIRE
Remendado! ...

REMENDADO
Chef?

DANCAIRE
legt die Hand an sein Messer
Ihr versteht?

REMENDADO
Vollkommen, Chef ...

DANCAIRE
Dann seid still. Wir kommen aus Gibraltar, wir haben mit einem Schiffskapitän die Verladung von englischen Waren vereinbart. Wir werden sie nahe der Küste erwarten; einen Teil verstecken wir in den Bergen, und den Rest schmuggeln wir durch. Alle unsere Kameraden sind benachrichtigt ... Sie sind hier versteckt, aber wir brauchen vor allem euch drei ... ihr kommt mit uns

CARMEN
lachend
Wozu? Um euch beim Tragen der Ballen zu helfen? ...

REMENDADO
O nein! Damen Ballen tragen zu lassen ... das wäre nicht vornehm.

DANCAIRE
drohend
Remendado?

REMENDADO
Ja, Chef.

DANCAIRE
Wir werden euch keine Ballen tragen lassen, aber wir brauchen euch für etwas anderes.


Nr. 15 - Quintett

DANCAIRE
Wir haben etwas vor!

MERCÉDÈS und FRASQUITA
Ist es etwas Gutes, wie?

DANCAIRE
Es ist etwas Wunderbares, meine Liebe;
aber wir brauchen euch.

REMENDADO
Ja, wir brauchen euch!

CARMEN
Uns?

DANCAIRE
Euch!

FRASQUITA
Uns?

REMENDADO
Euch.

MERCÉDÈS
Uns?

FRASQUITA, MERCÉDÈS und CARMEN
Wie! Ihr braucht uns?

REMENDADO und DANCAIRE
Ja, wir brauchen euch!
Denn wir gestehen es demütig ein
und voller Respekt,
ja, wir gestehen es demütig ein:
Wenn es um Täuschung,
Betrug, um Diebereien geht,
ist es, weiss Gott, immer gut,
die Frauen dabei zu haben,
und ohne sie,
meine Wunderschönen,
schafft man niemals etwas Gutes.

FRASQUITA, MERCÉDÈS und CARMEN
Wie? Ohne uns nie
etwas Gutes?

DANCAIRE und REMENDADO
Seid ihr nicht dieser Ansicht?

FRASQUITA, MERCÉDÈS und CARMEN
Doch, ich bin dieser Ansicht.
Doch ich bin wahrlich dieser Ansicht.

ALLE FÜNF
Wenn es um Täuschung,
Betrug, um Diebereien geht,
ist es, weiss Gott, immer gut,
die Frauen dabei zu haben.
Und ohne sie, meine Wunderschönen,
schafft man niemals etwas Gutes.

DANCAIRE
Es steht also fest, ihr geht los.

MERCÉDÈS und FRASQUITA
Wann ihr wollt.

REMENDADO
Aber jetzt gleich.

CARMEN
Ah! Mit Verlaub.
Zu Mercédès und Frasquita
Wenn ihr losgehen wollt, geht nur.
Aber ich bin nicht mit von der Partie;
ich gehe nicht weg ... ich gehe nicht weg.

REMENDADO und DANCAIRE
Carmen, mein Liebling, du kommst,
und du hast nicht den Mut,
uns in Schwierigkeiten im Stich zu lassen.

CARMEN
Ich gehe nicht weg ... ich gehe nicht weg.

FRASQUITA und MERCÉDÈS
Ah! Meine Carmen, du kommst schon!

DANCAIRE
Aber du sagst uns wenigstens den Grund, Carmen?

FRASQUITA, MERCÉDÈS, DANCAIRE und REMENDADO
Den Grund! Den Grund! Den Grund! Den Grund!

CARMEN
Ich sag' ihn sicherlich.

DANCAIRE, REMENDADO, FRASQUITA und MERCÉDÈS
Na also! Na also! Na also! Na also!

CARMEN
Der Grund ist, dass ich in diesem Moment…

DANCAIRE und REMENDADO
Nun?

FRASQUITA und MERCÉDÈS
Nun?

CARMEN
Ich bin verliebt.

DANCAIRE und REMENDADO
Was hat sie gesagt?

FRASQUITA und MERCÉDÈS
Sie sagt, sie sei verliebt.

DANCAIRE, REMENDADO, FRASQUITA und MERCÉDÈS
Verliebt! Verliebt!

DANCAIRE
Hör mal, Carmen, sei ernsthaft.

CARMEN
Verliebt bis zum Wahnsinn.

DANCAIRE und REMENDADO
Die Sache erstaunt uns schon,
aber es ist nicht der erste Tag,
an dem Ihr, meine Süsse, nicht
Pflicht und Liebe zusammengebracht hättet.

CARMEN
Meine Freunde, ich würde mich freuen,
mit euch heute abend mitgehen zu können,
aber dieses Mal, nichts für ungut,
muss die Liebe vor der Pflicht rangieren.

DANCAIRE
Das ist doch nicht dein letztes Wort?

CARMEN
Absolut.

REMENDADO
Du musst dich erweichen lassen.

ALLE VIER
Du musst mitkommen, Carmen, du musst mitkommen.
Für unsere Sache
ist es notwendig,
denn unter uns ...

CARMEN
Was das angeht, stimme ich euch zu.

ALLE FÜNF
Wenn es um Täuschung,
Betrug, um Diebereien geht usw.


Gesprochener Dialog X

DANCAIRE
Genug jetzt; ich sagte dir, dass du mitkommen musst, und du kommst mit ... ich bin immerhin der Chef ...

CARMEN
Wie meinst du das?

DANCAIRE
Ich sage dir, dass ich der Chef bin

CARMEN
Und du glaubt, dass ich dir gehorche?

DANCAIRE
wütend
Carmen! ...

CARMEN
sehr ruhig
Nun! ...

REMENDADO
wirft sich zwischen den Dancaire und Carmen
Ich bitte euch ... so vornehme Leute ...

DANCAIRE
gibt ihm einen Fusstritt, dem der Remendado ausweicht
Das ist für dich ...

REMENDADO
richtet sich auf
Chef ...

DANCAIRE
Was gibt es?

REMENDADO
Nichts, Chef!

DANCAIRE
Verliebt ... das ist doch kein Grund.

REMENDADO
Das ist wirklich kein Grund ... ich bin auch verliebt, und das hindert mich nicht, mich nützlich zu machen.

CARMEN
Geht ohne mich ... ich stosse morgen zu euch, aber heute abend bleibe ich ...

FRASQUITA
Ich habe dich noch niemals so gesehen; wen erwartest du denn? ...

MERCÉDÈS
Den Soldaten, der im Gefängnis war?

CARMEN
Ja...

FRASQUITA
Und dem vor vierzehn Tagen der Kerkermeister von dir ein Brot gegeben hat, in dem ein Goldstück und eine Feile steckte? ...

CARMEN
geht wieder zum Fenster
Ja.

DANCAIRE
Hat er sich der Feile bedient?

CARMEN
Nein.

DANCAIRE
Da siehst du's! Dein Soldat wird Angst gehabt haben, noch härter bestraft zu werden, als er schon wurde; auch heute abend wird er noch Angst haben. . - Da kannst du lange die Fensterläden öffnen und nachsehen, ob er kommt; ich wette, er kommt nicht.

CARMEN
Wette nicht, du würdest verlieren.


Nr. 16 - Lied

JOSÉ
mit weit entfernter Stimme
Halt!
Wer da?
Dragoner von Almansa!

CARMEN
Hört! Da ist er!

JOSÉ
Wohin gehst du,
Dragoner von Almansa?
Ich gehe, um
meinen Feind
Staub fressen zu lassen.
Wenn es so ist,
passiert, mein Freund!
Ehrenhändel,
Liebeshändel
für uns liegt alles darin,
Dragoner von Almansa!

Carmen, der Dancaire, der Remendado, Mercédès und Frasquita sehen durch die halbgeschlossenen Fensterläden José kommen.


Gesprochener Dialog XI

MERCÉDÈS
Das ist wahrhaftig ein Dragoner.

FRASQUITA
Und ein schöner Dragoner.

DANCAIRE
zu Carmen
Nun, da du erst morgen kommen willst, weisst du wenigstens, was du tun müsstest?

CARMEN.
Was müsste ich denn tun?

DANCAIRE
Du müsstest deinen Dragoner dazu bringen, mit dir zu kommen und sich uns anzuschliessen.

CARMEN
Ah! ... Wenn das möglich wäre! ... Aber daran ist nicht zu denken ... das ist dummes Zeug ... er ist zu naiv.

DANCAIRE
Warum liebst du ihn, wenn du selbst eingestehst…

CARMEN
Weil er eben ein hübscher Bursche ist und er mir gefällt.

REMENDADO
überheblich
Das versteht der Chef nicht ... dass es genügt, ein hübscher Bursche zu sein, um den Frauen zu gefallen ...

DANCAIRE
Hör mal, hör mal ...
Der Remendado bringt sich in Sicherheit und geht ab. Der Dancaire verfolgt ihn und geht seinerseits ab, wobei er Mercédèis und Frasquita mit sich zieht, die ihn zu beruhigen versuchen.

JOSÉ
die Stimme sehr viel näher
Halt!
Wer da?
Dragoner von Almansa!
Wohin gehst du,
Dragoner von Almansa?
Zuverlässig und treu
gehe ich dorthin, wohin mich
die Liebe meiner Schönen ruft.
Wenn es so ist,
passiert, mein Freund.
Ehrenhändel,
Liebeshändel,
für uns liegt alles darin,
Dragoner von Almansa!

CARMEN
Endlich…da bist du… endlich!

JOSÉ
Ich bin erst vor zwei Stunden aus dem Gefängnis gekommen.

CARMEN
Wer hinderte dich, früher herauszukommen? Ich hatte dir eine Felle und ein Goldstück geschickt … Mit der Felle solltest du den dicksten Gitterstab des Gefängnisses durchsägen ... mit dem Goldstück beim erstbesten Trödler deine Uniform gegen bürgerliche Kleidung eintauschen.

JOSÉ
Das war tatsächlich alles möglich.

CARMEN
Warum hast du es nicht getan?

JOSÉ
Was willst du? Ich habe noch meine Soldatenehre; und zu desertieren, erschiene mir als ein grosses Verbrechen ... Oh! Ich bin dir deshalb nicht weniger dankbar ... Du hast mir eine Feile und ein Goldstück geschickt ... Die Feile wird mir dazu dienen, meine Lanze zu schärfen, und ich behalte sie als Erinnerung an dich.
Er reicht ihr das Goldstück.
Was das Geld angeht ...

CARMEN
Sieh, er hat es aufbewahrt! ... Das trifft sich ausgezeichnet . . .
Sie schreit und stampft mit dem Fuss auf.
Hallo! ... Lillas Pastia, hallo! ... Wir essen alles, du hältst mich frei ... Hallo! Hallo!
Pastia tritt auf.

PASTIA
hindert sie zu schreien
Seht Euch doch vor ...

CARMEN
wirft ihm das Goldstück zu
Da, fang auf ... und bring uns kandierte Früchte, bring uns Konfekt, bring uns Orangen, bring uns Manzanilla ... bring uns von allem, was du hast, von allem, von allem ...

PASTIA
Sofort, Mademoiselle Carmencita.

CARMEN
zu Josè
Du bist mir jetzt böse, und du bedauerst, dass du dich um meiner schönen Augen willen hast ins Gefängnis werfen lassen?

JOSÉ
Was das angeht, nein, nicht doch,

CARMEN
Wirklich?

JOSÉ
Man hat mich ins Gefängnis gesteckt, man hat mich degradiert, aber das ist mir egal.

CARMEN
Weil du mich liebst?

JOSÉ
Ja, weil ich dich liebe, weil ich dich anbete.

CARMEN
legt ihre beiden Hände in die Josés
Ich bezahle meine Schulden ... das ist bei uns Zigeunerinnen Gesetz ... Ich bezahle meine Schulden, ich bezahle meine Schulden ...

Lillas Pastia kommt zurück und bringt ein Tablett mit Orangen, Konfekt, kandierten Früchten, Manzanilla.

CARMEN
Stelle das alles hierher auf einmal, hab keine Angst
Pastia gehorcht, und die Hälfte der Sachen fällt zu Boden.
Das macht nichts, wir heben das alles selbst auf. Verschwinde jetzt, verschwinde, verschwinde.
Pastia geht ab.
Setz dich dorthin, und essen wir von allem! Von allem! Von allem!
Sie sitzt, Don José setzt sich ihr gegenüber.

JOSÉ
Du knabberst das Konfekt wie ein Kind von sechs Jahren ...

CARMEN
Ich mag es eben gern ... Dein Leutnant war eben hier mit anderen Offizieren, sie haben uns die Romalis tanzen lassen.

JOSÉ
Du hast getanzt?

CARMEN
Ja; und als ich getanzt hatte, hat dein Leutnant sich erlaubt, mir zu sagen, dass er mich anbetet ...

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Was hast du? ... Solltest du etwa eifersüchtig sein? ...

JOSÉ
Aber sicher bin ich eifersüchtig ...

CARMEN
Je nun! ... Kanarienvogel, lass gut sein! ... Du bist ein richtiger Kanarienvogel, in Kleidung und Charakter ... nun ärgere dich nicht ... warum bist du eifersüchtig? Weil ich gerade für diese Offiziere getanzt habe ... Nun gut, wenn du willst, tanze ich jetzt für dich, für dich allein.

JOSÉ
Wenn ich will? Ich glaube schon, dass ich will ...

CARMEN
Wo sind meine Kastagnetten? ... Was habe ich mit meinen Kastagnetten gemacht?
Sie lacht.
Du hast sie mir weggenommen, meine Kastagnetten?

JOSÉ
Aber nein!

CARMEN
zärtlich
Aber doch, aber doch ... sicher warst du es ... Ach was! Hier sind Kastagnetten.
Sie zerbricht einen Teller; aus zwei Stücken Steingut macht sie sich Kastagnetten und probiert sie aus.
Ah! Das ist nicht so viel wert wie meine Kastagnetten ... Wo sind sie nur?

JOSÉ
findet die Kastagnetten auf dem Tisch rechts
Sieh, da sind sie ...

CARMEN
lachend
Ah! Siehst du wohl ... du hattest sie genommen ...

JOSÉ
Ah! Wie ich dich liebe, Carmen, wie ich dich liebe!

CARMEN.
Das will ich hoffen.


Nr. 17 - Duett

CARMEN
Ich tanze Euch zu Ehren,
und Ihr werdet sehen, mein Herr,
wie ich selbst meinen Tanz begleiten kann.
Setzt Euch dorthin, Don José, ich beginne.
Tra lalalalalalalalalalala ...

Sie lässt Don José in einer Ecke der Bühne Platz nehmen. Kleiner Tanz. Carmen summt mit gespitztem Mund ein Lied, das sie mit ihren Kastagnetten begleitet. Don José verschlingt sie mit den Augen. Man hört von fern, von sehr weit her die Trompeten, die den Zapfenstreich blasen. Don José horcht. Er glaubt die Trompeten zu hören, aber Carmens Kastagnetten klappern sehr laut. Don José nähert sich Carmen, fasst sie am Arm und zwingt sie aufzuhören.

JOSÉ
Warte ein wenig, Carmen, hör nur einen Augenblick lang auf.

CARMEN
Und warum, bitte schön?

JOSÉ
Mir scheint, da hinten…
Ja, es sind die Trompeten, die den Zapfenstreich blasen.
Hörst du sie nicht?

CARMEN
Bravo! Bravo! Es half nichts ...
Es ist trübsinnig, ohne Orchester zu tanzen.
Es lebe die Musik, die wie gerufen kommt!
La lalalalalalalalala ...

Sie nimmt ihr Lied wieder auf, das nun vom Zapfenstreich, den draussen die Trompeten blasen, rhythmisch untermalt wird. Carmen beginnt wieder zu tanzen, und Don José sieht wieder Carmen zu. Der Zapfenstreich nähert sich ... immer näher ... immer näher . . . geht unter den Fenstern des Wirtshauses vorbei ... entfernt sich dann. Der Klang der Trompeten wird immer schwächer. Neue Anstrengung Don Josés, sich von Carmens Anblick loszureissen ... Er nimmt ihren Arm und zwingt sie wieder innezuhalten.

JOSÉ
Du hast nicht verstanden ... Carmen, das ist der Zapfenstreich ... Ich muss zum Appell ins Quartier zurück.
Die Musik des Zapfenstreichs endet plötzlich.

CARMEN
betrachtet José, der seine Patronentasche wieder umhängt und das Koppel seines Säbels festmacht
Ins Quartier! Zum Appell!
Ah! Ich war wirklich zu dumm!
Ich habe mir ein Bein ausgerissen und mich in Unkosten gestürzt,
um den Herrn zu amüsieren, ich sang ... ich tanzte ...
Ich glaube, Gott möge mir's verzeihen,
dass ich ihn fast liebte ...
Taratata, die Trompete ertönt!
Er geht weg! Er ist schon weg!
Geh doch, Kanarienvogel.
Wütend wirft sie ihm seinen Tschako zu.
Nimm deinen Tschako, deinen Säbel, deine Patronentasche
und geh los, mein Junge,
geh,
kehr in deine Kaserne zurück.

JOSÉ
Das ist nicht recht von dir, Carmen, dich über mich lustig zu machen;
ich leide darunter, zu gehen ... denn niemals,
niemals hat eine Frau,
niemals vor dir,
nein, nein, niemals hat eine
Frau so tief meine Seele aufgewühlt.

CARMEN
Er leidet darunter, zu gehen,
denn niemals hat eine Frau
vor mir so tief
seine Seele aufgewühlt!
Ta ratata, mein Gott das ist der Zapfenstreich,
taratata, ich werde zu spät kommen,
o mein Gott, o mein Gott, das ist der Zapfenstreich!
Ich werde zu spät kommen. Er verliert den Kopf.
Er rennt, und das ist seine Liebe.

JOSÉ
So glaubst du nicht
an meine Liebe?

CARMEN
Aber nein!

JOSÉ
Nun gut! Du wirst mich anhören.

CARMEN
Ich will nichts hören ...

JOSÉ
Du wirst mich anhören!

CARMEN
Du wirst zu spät kommen!
Nein! Nein! Nein! Nein!

JOSÉ
heftig
Du wirst mich anhören! ja, du wirst mich anhören!
Ich will es, Carrnen, du wirst mich anhören!
Mit der linken Hand hat er barsch Carmens Arm gefasst; mit der rechten sucht er unter seiner Uniformjacke die Kassienblüte, die Carmen ihm im ersten Akt zugeworfen hat. Er zeigt Carmen diese Blüte.
Die Blüte, die du mir zugeworfen hattest,
ist mir in meinem Gefängnis geblieben;
verwelkt und trocken bewahrte
diese Blüte stets ihren süssen Duft;
und ganze Stunden lang
auf meinen Augen bei geschlossenen Lidern,
berauschte ich mich an diesem Duft,
und in der Nacht sah ich dich.
Ich begann dich zu verfluchen,
dich zu verachten, mir zu sagen:
Warum musste das Schicksal
sie mir über den Weg schicken?
Dann klagte ich mich der Blasphemie an,
und ich fühlte in mir selbst
nur ein einzig Verlangen, eine einzige Hoffnung,
dich, o Carmen, wiederzusehen, ja, dich wiederzusehen! ...
Denn du hattest nur erscheinen,
nur einen Blick auf mich werfen müssen,
um mein ganzes Wesen in Besitz zu nehmen,
o meine Carmen,
und ich gehörte dir an.
Carmen, ich liebe dich!

CARMEN
Nein, du liebst mich nicht.

JOSÉ
Was sagst du?

CARMEN
Nein, du liebst mich nicht, nein!
Denn, wenn du mich liebtest,
würdest du mir dorthin folgen.

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Ja! Dorthin, dorthin in die Berge ...

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Dorthin, dorthin würdest du mir folgen,
auf dein Pferd nähmst du mich
und wie ein ganzer Kerl` querfeldein würdest du mich
hinter dir auf dem Pferd sitzend davon tragen.
Dorthin, dorthin in die Berge ...

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Dorthin, dorthin würdest du mir folgen.
Du folgtest mir, wenn du mich liebtest.
Dort würdest du von niemandem abhängig sein,
kein Offizier, dem du gehorchen musst
kein Zapfenstreich, der ertönt,
um dem Liebhaber zu sagen, dass es Zeit ist zu gehen.
Der Himmel offen, das Leben ungebunden,
als Heimatland das Universum und als Gesetz deinWille
und vor allem die berauschendste Sache:
Die Freiheit! Die Freiheit!

JOSÉ
Mein Gott!

CARMEN
Dorthin, dorthin in die Berge ...

JOSÉ
Carmen!

CARMEN
Dorthin, dorthin, wenn du mich liebtest ...

JOSÉ
Schweig!

CARMEN
Dorthin, dorthin würdest du mir folgen!
Auf dein Pferd würdest du mich nehmen,
und wie ein ganzer Kerl querfeldein
würdest du mich davontragen,
wenn du mich liebtest!

JOSÉ
Ach Carmen, ach schweig doch! Schweig!
Mein Gott!
O weh! O weh! Hab Mitleid, Carmen!
O mein Gott! O weh!

CARMEN
Ja, nicht wahr?
Dorthin, dorthin wirst du mir folgen,
dorthin, dorthin wirst du mir folgen.
Du liebst mich, und du folgst mir.
Dorthin nimm mich mit fort!

JOSÉ
Ach! Schweige doch!
Entwindet sich schroff Carmens Armen.)
Nein, ich will dir nicht mehr zuhören ...
Meine Fahne verlassen ... desertieren ...
Das ist schändlich, das ist unehrenhaft,
davon will ich nichts wissen!

CARMEN
Nun gut, geh!

JOSÉ
Carmen, ich bitte dich…

CARMEN
Nein, ich liebe dich nicht mehr, geh! Ich hasse dich!

JOSÉ
Hör doch! Carmen!

CARMEN
Lebe wohl! Aber lebe wohl für immer!

JOSÉ
Nun gut, es sei! … Lebe wohl, lebe wohl für immer.

CARMEN
Geh!

JOSÉ
Carmen! Lebe wohl, lebe wohl für immer!

CARMEN
Lebe wohl!

Er rennt bis zur Tür… Im Augenblick, da er anlangt, klopft es… Don José bleibt stehen. Stille. Es klopft noch einmal.

Nr. 18 - Finale

ZUNIGA
Hallo! Carmen! Hallo! Hallo!

JOSÉ
Wer klopft? Wer kommt da?

CARMEN
Still! ... Still!

ZUNIGA
bricht die Tür auf
Ich öffne mir selbst und trete ein.
Er tritt ein und sieht Don José. Zu Carmen.
Ah! Pfui, meine Schöne,
die Wahl ist nicht glücklich; das ist eine Mésalliance,
den Soldaten zu nehmen, wenn man den Offizier hat.
Zu Don José
Los! Hau ab!

JOSÉ
Nein.

ZUNIGA
Doch, du gehst.

JOSÉ
Ich gehe nicht.

ZUNIGA
schlägt ihn
Halunke!

JOSÉ
stürzt sich auf seinen Säbel
Potz Blitz! Jetzt regnet es Hiebe!
Zuniga zieht blank bis zur Hälfte.

CARMEN
wirft sich zwischen die beiden
Zum Teufel mit dem Eifersüchtigen.
sie ruft.
Zu Hilfe! Zu Hilfe!
Der Dancaire, der Remendado und die Zigeuner erscheinen von allen Seiten. Mit einer Geste weist Carmen die Zigeuner auf Zuniga hin; der Dancaire und der Remendado werfen sich auf ihn und entwaffnen ihn.

CARMEN
Mein feiner Offizier, mein feiner Offizier,
die Liebe spielt Euch in diesem Augenblick einen ziemlich üblen Streich;
Ihr kommt sehr ungelegen, und wir sind gezwungen,
weil wir nicht angezeigt werden wollen,
Euch wenigstens eine Stunde lang hier zu behalten.

DANCAIRE und REMENDADO
Mein werter Herr, mein werter Herr,
wir werden mit Verlaub diesen Ort verlassen.
Kommt Ihr mit uns? Kommt Ihr mit uns?

CARMEN
Das ist ein Spaziergang.

DANCAIRF und REMENDADO
Seid Ihr einverstanden? Seid Ihr einverstanden?
Antwortet, Kamerad!

ZUNIGA
Gewiss,
umso mehr, da euer Argument
eines von denen ist,
denen man sich kaum widersetzen kann.
Aber für später nehmt euch in acht.

DANCAIRE
philosophisch
Krieg, das bedeutet Krieg.
Inzwischen, Herr Offizier,
geht voran, ohne Euch lange bitten zu lassen.

REMENDADO und CHOR
Geht voran, ohne Euch lange bitten zu lassen.
Der Offizier geht ab, von vier Zigeunern mit der Pistole in der Hand abgeführt.

CARMEN
zu Don José
Gehörst du jetzt zu uns?

JOSÉ
Ich muss wohl!

CARMEN
Ah! Das klingt nicht freundlich,
aber was soll's, schon gut, du wirst dich
daran gewöhnen, wenn du siehst,
wie schön das ungebundene Leben ist,
als Heimat das Universum,
als Gesetz dein eigener Wille
und vor allem das Berauschendste:
Die Freiheit! Die Freiheit!

FRASQUITA, MERCÉDÈS, CARMEN und DIE FRAUEN
Folge uns querfeldein,
komm mit uns in die Berge,
folge uns und du wirst dich daran gewöhnen,
wenn du siehst,
wie schön das ungebundene Leben ist,
als Heimat das Universum,
als Gesetz dein eigener Wille
und vor allem das Berauschendste:
Die Freiheit!

REMENDADO, DANCAIRE und DIE MÄNNER
Freund, folge uns ins offene Land,
komm mit uns in die Berge usw.

JOSÉ
Ah!

ALLE
Der Himmel ist offen, das Leben ungebunden,
als Heimat das ganze Universum,
als Gesetz dein eigener Wille
und vor allem das Berauschendste:
Die Freiheit! Die Freiheit!


DRITTER AKT

Der Vorhang hebt sich über einer Felsenlandschaft ... einer pittoresken und wilden Gegend ... Vollkommene Einsamkeit und schwarze Nacht. Musik als Vorspiel.
Nach einigen Augenblicken erscheint ein Schmuggler oben auf dem Felsen, dann ein anderer, dann zwei weitere, dann noch zwanzig hier und da, die die Felsen hinabsteigen und -klettern. Männer tragen dicke Ballen auf den Schultern.



Nr. 19 - Sextett und Chor

CHOR
Hör, Kamerad, hör zu,
das Glück liegt dort unten, dort unten,
aber Pass unterwegs auf,
pass auf, dass du nicht strauchelst

FRASQUITA, MERCÉDÈS, CARMEN, JOSÉ, REMENDADO und DANCAIRE
Unser Geschäft ist in Ordnung, aber um es auszuüben,
muss man Seelenstärke besitzen,
und die Gefahr, die Gefahr lauert dort oben,
sie lauert unten, sie lauert oben,
sie ist Überall, was macht das schon?
Wir ziehen dahin, unbekümmert um den Wildbach,
unbekümmert um das Gewitter,
unbekümmert um den Soldaten, der uns dort unten erwartet
und uns beim Vorbeigehen auflauert.
Unbekümmert gehen wir vorwärts!
Hör, Kamerad, hör zu,
das Glück liegt dort unten, dort unten . . .
aber pass unterwegs auf,
pass auf, dass du nicht strauchelst.
Pass auf! Pass auf!

Gesprochener Dialog XII

DANCAIRE.
Halt! Wir werden hier haltmachen ... Wer müde ist, kann eine halbe Stunde schlafen ...

REMENDADO
streckt sich wohlig aus.
Ah!

DANCAIRE
Ich meinerseits werde nachsehen, ob es ein Mittel gibt, die Waren in die Stadt zu bringen ... Eine Bresche hat sich in der' Stadtmauer gebildet, und wir können dort durch; dummerweise hat man einen Wachtposten hingestellt, um die Bresche zu bewachen.

JOSÉ
Lillas Pastia hat uns wissen lassen, dass der Wachtposten diese Nacht auf unserer Seite sein wird ...

DANCAIRE
Ja, aber Lillas Pastia kann sich geirrt haben ... Der Wachtposten, den er meint, kann ausgewechselt worden sein ... Ehe wir weitergehen, finde ich es gut, mich selbst zu überzeugen ...
Er ruft.
Remendado!

REMENDADO
wacht auf
Nun?

DANCAIRE
Steh auf, du kommst mit mir ...

REMENDADO
Aber, Chef ...

DANCAIRE
Was ist noch?

REMENDADO
erhebt sich
Bin schon da, Chef, bin schon da!

DANCAIRE
Los, geh voran.

REMENDADO
Und ich träumte davon, schlafen zu können ... Das war ein Traum, leider! Das war ein Traum!
Er geht ab, der Dancaire folgt ihm. Während der Szene zwischen Carmen und José machen einige Zigeuner ein Feuer, an das sich Mercédès und Frasquita dann setzen; die anderen rollen sich in ihre Mäntel ein, legen sich nieder und schlafen ein.

JOSÉ
Hör mal, Carmen ... wenn ich zu hart mit dir gesprochen habe, bitte ich dich um Verzeihung; machen wir Frieden.

CARMEN
Nein.

JOSÉ
Du liebst mich also nicht mehr?

CARMEN
Jedenfalls liebe ich dich viel weniger als früher ... und wenn du dich weiter so aufführst, werde ich dich schliesslich gar nicht mehr lieben ... Ich will nicht drangsaliert und vor allem nicht herumkommandiert werden. Was ich will, ist, frei zu sein und zu tun, was mir gefällt.

JOSÉ
Bist du der Teufel, Carmen?

CARMEN
Ja. Wonach schaust du da, woran denkst du?

JOSÉ
Ich sage mir, dass dort unten ... höchstens sieben oder acht Meilen von hier ein Dorf liegt, und in diesem Dorf lebt eine gute alte Frau, die glaubt, dass ich noch ein anständiger Mensch bin ...

CARMEN
Eine gute alte Frau?

JOSÉ
Ja, meine Mutter.

CARMEN
Deine Mutter ... Nun denn, aufrichtig gesagt, tätest du gut daran, zu ihr zurückzukehren, denn du bist entschieden nicht dafür gemacht, mit uns zu leben ... Hund und Wolf leben nicht lange gut zusammen ...

JOSÉ
Carmen ...

CARMEN
Ausserdem ist das Geschäft nicht ohne Gefahr für die, die sich wie du nicht verstecken wollen, wenn sie Gewehrschüsse hören ... mehreren von uns ist es an den Kragen gegangen; du wirst auch drankommen.

JOSÉ
Und du auch ... wenn du weiter davon sprichst, uns zu trennen, und wenn du dich mit mir nicht so aufführst, wie ich will, dass du es tust ...

CARMEN
Würdest du mich vielleicht töten? ...
José antwortet nicht.
Recht so! ... Ich habe mehrfach in den Karten gelesen, dass wir zusammen enden müssen.
Sie klappert mit ihren Kastagnetten.
Ach was! Es gehe, wie es wolle ...

JOSÉ
Bist du der Teufel, Carmen?

CARMEN
Aber ja, Ich habe es dir schon gesagt

Sie dreht José den Rücken zu und setzt sich neben Mercédès und Frasquita. - Nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit geht José seinerseits weg und streckt sich auf den Felsen aus. - Während der letzten Repliken der Szene haben Mercédès und Frasquita die Karten vor sich ausgebreitet.


Nr. 20 - Terzett

MERCÉDÈS
Mischen wir!

FRASQUITA
Mischen wir!

MERCÉDÈS
Heben wir ab!

FRASQUITA
Heben wir ab!

MERCÉDÈS
Gut, in Ordnung!

FRASQUITA
Gut, in Ordnung!

MERCÉDÈS
Drei Karten hierher ...

FRASQUITA
Drei Karten hierher ...

MERCÉDÈS
Vier dorthin!

FRASQUITA
Vier dorthin!

MERCÉDÈS und FRASQUITA.
Und Jetzt sprecht, meine Schönen,
berichtet Neues aus der Zukunft;
sagt uns, wer uns verraten wird,
sagt uns, wer uns lieben wird.
Sprecht, sprecht! Sprecht, sprecht!
Sagt uns., wer uns verraten wird,
sagt uns, wer uns lieben wird.

FRASQUITA
Sprecht! Sprecht!

MERCÉDÈS
Sprecht! Sprecht!

FRASQUITA
Ich sehe einen jungen Verliebten,
der mich liebt, wie es stärker nicht möglich ist.

MERCÉDÈS
Der meine ist sehr reich und sehr alt,
aber er spricht von Hochzeit.

FRASQUITA
Er setzt mich auf sein Pferd
und zieht mit mir in die Berge.

MERCÉDÈS
In einem fast königlichen Schloss
etabliert mich der meine als Fürstin.

FRASQUITA
Liebe ohne Ende,
jeden Tag neue Ausschweifungen.

MERCÉDÈS
Gold, so viel ich fassen kann,
Diamanten ... Geschmeide.

FRASQUITA
Meiner wird ein berühmter Kommandeur,
hundert Leute marschieren hinter ihm.

MERCÉDÈS
Meiner - soll ich meinen Augen trauen ...
ja ... er stirbt! Ah, ich bin Witwe,
und ich erbe.

FRASQUITA und MERCÉDÈS
Sprecht weiter, sprecht, meine Schönen,
berichtet Neues aus der Zukunft;
sagt uns, wer uns verraten wird,
sagt uns, wer uns lieben wird.
Sprecht weiter! Sprecht weiter!
Sie beginnen wieder die Karten zu befragen.

MERCÉDÈS
Reichtum!

FRASQUITA
Liebe!

Seit Beginn der Szene verfolgt Carmen das Spiel von Merédès und Frasquita mit ihren Blicken.

CARMEN
Nun also, jetzt versuche ich es meinerseits.
Sie beginnt die Karten aufzuschlagen.
Karo, Pik ... der Tod!
Ich habe richtig gelesen ... zuerst ich.
Sie zeigt auf den schlafenden José.
Dann er ... für alle beide der Tod.
Leise, wobei sie fortfährt, die Karten zu mischen.
In der vergeblichen Absicht, bittere Antworten
zu vermeiden, wirst du vergebens mischen,
das führt zu nichts, die Karten sind aufrichtig
und werden nicht lügen.
Wenn in dem Buch dort oben
deine Seite Glück enthält,
mische und hebe ohne Furcht ab,
die Karte wird sich unter deinen Händen
günstig legen
und dir das Glück verkünden.
Aber wenn du sterben musst, wenn das
furchtbare Wort vom Schicksal geschrieben ist,
fange zwanzig Mal wieder an ...
Die unerbittliche Karte
wiederholt: Der Tod!
Ja, wenn du sterben musst,
beginne zwanzig Mal ...
Die unerbittliche Karte
wiederholt: Der Tod!
Noch einmal! Noch einmal! Immer der Tod!

FRASQUITA und MERCÉDÈS
Sprecht noch einmal,
sprecht, meine Schönen,
berichtet Neues aus der Zukunft;
sagt uns, wer uns verraten wird,
sagt uns, wer uns lieben wird.
Reichtum! Liebe!

CARMEN
Noch einmal! Noch einmal!
Die Verzweiflung!
Der Tod, der Tod. Noch einmal
Der Tod. Immer wieder der Tod!

MERCÉDÈS
Reichtum!

FRASQUITA
Liebe!

CARMEN
Immer wieder der Tod!

ALLE DREI
Noch einmal! Noch einmal!

Der Dancaire und der Remendado kommen zurück.


Gesprochener Dialog XIII

CARMEN
Nun? ...

DANCAIRE
Nun, ich hatte recht, den Auskünften von Lillas Pastia nicht zu trauen; wir haben seinen Wachtposten nicht gefunden, aber dafür haben wir drei Zöllner bemerkt, die die Bresche bewachten und die sie, weiss Gott, gut bewachten.

CARMEN
Kennt Ihr die Namen dieser Zöllner?

REMENDADO
Sicher wissen wir ihre Namen; wer sollte die Zöllner kennen, wenn nicht wir? Es waren Eusebio, Perez und Bartolomé.

FRASQUITA
Eusebio ...

MERCÉDÈS
Perez ...

CARMEN
und Bartolomé…
Sie lacht.
Habt keine Angst, Dancaire, wir nehmen uns Eurer dreier Zöllner an

JOSÉ
wütend
Carmen!

DANCAIRE
Ach du, du wirst uns mit deiner Eifersucht in Ruhe lassen ...
Der Tag bricht an, und wir haben keine Zeit zu verlieren ... Auf, Kinder ...
Man beginnt die Ballen aufzunehmen.
Was dich angeht,
wendet sich zu José
ich vertraue dir die Wache über die Waren an, die wir nicht mitnehmen ... Du wirst dich dort, auf dieser Anhöhe, aufstellen ... Da bist du ausgezeichnet plaziert, um zu sehen, ob wir verfolgt werden ... ; wenn du jemanden bemerkst, gestatte ich dir, deine Wut an dem Vorwitzigen auszulassen. - Sind wir soweit?

REMENDADO
Ja, Chef.

DANCAIRE
Also los ...
Zu den Frauen
Aber ihr bildet euch nichts ein, ihr nehmt euch wirklich der drei Zöllner an?

CARMEN
Hab keine Angst, Dancaire.


Nr. 21 - Ensemble

FRASQUITA MERCÉDÈS und CARMEN
Was den Zöllner angeht, das ist unsere Sache,
wie jeder andere will er gefallen,
er will den Galan spielen.
Ah! Lasst uns vorangehen.

CARMEN, MERCÉDÈS, FRASQUITA und DIE FRAUEN
Was den Zöllner angeht, das ist unsere Sache.
Wie jeder andere will er gefallen.
Er will den Galan spielen.
Ah! Lasst uns vorangehen.

ALLE
Er will gefallen!

MERCÉDÈS
Der Zöllner wird milde sein!

ALLE
Er ist galant!

CARMEN
Der Zöllner wird charmant sein!

ALLE
Er will gefallen!

FRASQUITA
Der Zöllner wird galant sein!

MERCÉDÈS
Ja, der Zöllner wird sogar zum Draufgänger!

ALLE
Ja, der Zöllner, das ist unsere Sache!
Wie jeder andere will er gefallen,
er will den Galan spielen.
Lasst uns/sie vorangehen!

FRASQUITA, MERCÉDÈS und CARMEN
Es handelt sich um keine Schlacht mehr,
nein, es geht ganz einfach darum,
sich um die Taille fassen zu lassen
und ein Kompliment zu hören.
Wenn wir so weit gehen müssen, zu lächeln,
dann werden wir eben lächeln,
und ich kann voraussagen,
die Schmuggelware wird passieren.

CHOR
Und ich kann voraussagen,
die Schmuggelware wird passieren!

FRASQUITA, MERCÉDÈS und CARMEN
Vorwärts! Gehen wir! Los! Vorwärts!
Der Zöllner, das ist unsere Sache! usw.

Alle gehen ab. - José geht als letzter hinterher und prüft dabei den Zünder seines Karabiners, kurz bevor er abgeht, sieht man einen Mann seinen Kopf über den Felsen hinausstrecken. Es handelt sich um einen Bergführer.


Gesprochener Dialog XIV

BERGFÜHRER
geht behutsam vorwärts, dann macht er Micaëla, die man noch nicht sieht, ein Zeichen
Wir sind da.

MICAËLA
tritt auf
Hier ist es?

BERGFÜHRER
Ja, ein hässlicher Ort, nicht wahr, und wirklich unheimlich.

MICAËLA
Ich sehe niemanden.

BERGFÜHRER
Sie sind eben fortgegangen, aber sie kommen bald wieder, denn sie haben nicht alle ihre Waren mitgenommen ... ich kenne ihre Gewohnheiten ... Nehmt Euch in acht ... einer von ihnen muss irgendwo auf Wache stehen, und wenn man uns bemerkt hat

MICAËLA
Ich hoffe sehr, dass man mich bemerken wird …weil ich eben deshalb hierher gekommen bin, um mit … um mit einem der Schmuggler zu sprechen…

BERGFÜHRER.
Also wirklich, Ihr könnt von Glück sagen, Mut zu haben . . . eben, als wir uns inmitten der Herde von wilden Stieren befanden, die der berühmte Escamillo führte, habt Ihr nicht gezittert ... und jetzt diesen Zigeunern so einfach gegenüberzutreten ...

MICAËLA
Man erschreckt mich nicht so leicht.

BERGFÜHRER
Ihr sagt das, weil ich in Eurer Nähe bin, aber wenn Ihr alleine wärt ...

MICAËLA
Ich hätte keine Angst, seid dessen sicher.

BERGFÜHRER
Wirklich? ...

MICAËLA
Wirklich ...

BERGFÜHRER
in schlichtem Ton
Dann bitte ich Euch um die Erlaubnis, zu gehen. - Ich habe zugestimmt, Euch als Führer zu dienen, weil Ihr mich gut bezahlt habt; aber nun, da Ihr angekommen seid ... Wenn es Euch recht ist, erwarte ich Euch dort, wo Ihr mich gemietet habt ... in dem Gasthof, der am Fusse des Berges liegt.

MICAËLA
Einverstanden, wartet auf mich!

BERGFÜHRER.
Ihr wollt wirklich bleiben?

MICAËLA
Ja, ich bleibe!

BERGFÜHRER
Dann mögen Euch alle Heiligen des Paradieses beistehen, aber Eure Idee ist schon merkwürdig ...


Nr. 22 - Arie

MICAËLA
Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle,
ich sagte, ach, dass ich für mich einstehe
aber vergebens spiele ich die Tapfere,
im Grunde meines Herzens sterbe ich vor Schrecken . . .
Allein an diesem wilden Ort,
ganz allein habe ich Angst,
aber zu Unrecht habe ich Angst.
Ihr werdet mir Mut geben,
Ihr werdet mich schützen, Herr . . .
Ich werde diese Frau aus der Nähe sehen,
deren verwünschte Ränke
schliesslich einen Ehrlosen aus dem
gemacht haben, den ich einst liebte;
sie ist gefährlich, sie ist schön,
aber ich will keine Furcht haben.
Nein, ich will keine Furcht haben!
Ich werde laut und deutlich vor ihr sprechen.
Ach Herr ... Ihr werdet mich beschützen.
Ah! Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle etc.
Beschützt mich, o Herr!
Gebt mir Mut!
Beschützt mich, o Herr!
Beschützt mich, Herr!


Gesprochener Dialog XV

MICAËLA
Aber ... ich täusche mich nicht ... hundert Schritte von hier ... auf diesem Felsen, das ist Don José…
Sie ruft.
José, José!
Erschrocken.
Aber was tut er? ... Er schaut nicht hierher …er lädt seinen Karabiner, er zielt…er feuert…
Man hört einen Schuss.
Ach mein Gott, ich habe meinen Mut überschätzt… ich habe Angst . . . ich habe Angst.

Sie verschwindet hinter den Felsen. In demselben Augenblick tritt Escamillo auf mit dem Hut in der Hand.

ESCAMILLO
betrachtet seinen Hut
Ein bisschen tiefer ... und das wäre beim nächsten Stierkampf nicht ich gewesen, der das Vergnügen gehabt hätte, mit den Stieren zu kämpfen, die ich gerade treibe.

JOSÉ
mit dem Messer in der Hand
Wer seid Ihr? Antwortet.

ESCAMILLO
sehr ruhig
Na, na ... gemach!


Nr. 23 - Duett

ESCAMILLO
Ich bin Escamillo,
Torero aus Granada.

JOSÉ
Escamillo!

ESCAMILLO
Der bin ich.

JOSÉ
steckt sein Messer wieder in den Gürtel
Ich kenne Euren Namen.
Seid willkommen; aber wahrhaftig, Kamerad,
Ihr hättet drauf gehen können.

ESCAMILLO
Da ist etwas Wahres dran,
aber ich bin verliebt, mein Lieber, bis zum Wahnsinn,
und der wäre ein armer Tropf,
der nicht sein Leben riskierte,
um seine Liebe zu sehen.

JOSÉ
Ist sie hier, die Ihr liebt?

ESCAMILLO
Ganz recht.
Das ist eine Zigeunerin, mein Lieber.

JOSÉ
Wie heisst sie?

ESCAMILLO
Carmen.

JOSÉ
Carmen!

ESCAMILLO
Carmen! Ja, mein Lieber.
Sie hatte einen Soldaten
als Geliebten, der einst
für sie desertiert ist.

JOSÉ
Carmen!

ESCAMILLO
Sie liebten sich,
aber das ist aus, glaube ich.
Carmens Liebschaften
dauern keine sechs Monate.

JOSÉ
Dennoch liebt Ihr sie ...

ESCAMILLO
Ich liebe. sie.
Ich liebe sie, ja, mein Lieber,
ich liebe sie bis zum Wahnsinn!

JOSÉ
Aber weisst du nicht, dass man dafür bezahlen muss,
wenn man uns unsere Zigeunerinnen entführt?

ESCAMILLO
Sei's drum, man wird bezahlen.

JOSÉ
Und dass der Preis mit Navaja-Stössen bezahlt wird?

ESCAMILLO
überrascht
Mit Navaja-Stössen?

JOSÉ
Versteht Ihr?

ESCAMILLO
Die Worte sind sehr deutlich.
Dieser Deserteur, dieser schöne Soldat, den sie liebt
oder den sie zumindest liebte,
seid also Ihr?

JOSÉ
Ja, ich selbst.

ESCAMILLO
Ich bin entzückt, mein Lieber, und die Runde ist vollzählig.
Alle beide hüllen sich, die Navaja in der Hand, in ihre Mäntel.

JOSÉ
Endlich gerät
meine Wut an den Rechten.
Ja, das Blut wird,
hoffe ich, bald fliessen.

ESCAMILLO
Welch ein Missgriff;
ich könnte wirklich lachen!
Die Angebetete zu suchen
und deren Liebhaber zu finden.

JOSÉ und ESCAMILLO
Stellt Euch zum Kampf
und nehmt Euch in acht.
Schlimm für den,
der die Stösse zu spät pariert.
En garde, los!
Nehmt Euch in acht! Nehmt Euch in acht!

Sie stellen sich in einer bestimmten Entfernung in Kampfstellung auf

ESCAMILLO
Ich kenne sie,
deine navarresische Kampfstellung,
und ich warne dich als Freund,
dass sie nichts taugt…
Ohne zu antworten, geht Don José auf Escamillo los
Wie dir's beliebt,
ich habe dich wenigstens gewarnt.

Kampf; Escamillo, sehr ruhig, sucht sich nur zu verteidigen.

JOSÉ
Du machst nicht ernst, Verfluchter.

ESCAMILLO
Bei diesem Messerspielchen
bin ich zu stark für dich.

JOSÉ
Das werden wir sehen.

Schnelles und sehr lebhaftes Gefecht Mann gegen Mann. José ist in der Gewalt Escamillos, der nicht zustösst.

ESCAMILLO
Sachte,
dein Leben gehört mir, aber im Grunde
ist mein Metier, den Stier zu töten,
nicht das Menschenherz zu durchbohren.

JOSÉ
Stoss zu oder stirb ...
Das hier ist kein Spiel.

ESCAMILLO
macht sich los
Schön, aber hole wenigstens etwas Luft.

JOSÉ
En garde! Achtung!

JOSÉ und ESCAMILLO
Stellt Euch zum Kampf
und nehmt Euch in acht!
Schlimm für den,
der die Stösse zu spät pariert.
En garde, los!
Nehmt Euch in acht! Nehmt Euch in acht!

Nach dem letzten Ensemble wird der Kampf wieder aufgenommen. Escamillo gleitet aus und fällt.
Carmen und der Dancaire treten auf; Carmen fällt Don José in den Arm.
Der Remendado, Mercédès, Frasquita und die Schmuggler kommen währenddessen zurück.



Nr. 24 - Finale

CARMEN
Hallo! Hallo! José …

ESCAMILLO
erhebt sich
Wahrhaftig, meine Seele ist entzückt,
dass Ihr das seid, Carmen,
die mir das Leben gerettet habt.
Was dich betrifft, schöner Soldat,
zwischen uns steht es unentschieden,
und wir kämpfen die Entscheidungsschlacht
an dem Tage, an dem
du den Kampf wiederaufnehmen willst.

DANCAIRE
Gut, gut, keinen Streit mehr,
wir, wir gehen jetzt los.
zu Escamillo
Und dir… und dir, Freund, guten Abend.

ESCAMILLO
Gestattet mir wenigstens,
bevor ich euch auf Wiedersehen sage,
euch alle zu den Stierkämpfen von Sevilla einzuladen.
Ich denke dort meinerseits
bestens zu brillieren,
und wer mich liebt, kommt dorthin!
Er sieht Carmen an.
Und wer mich liebt, kommt dorthin!
Zu Don José, der ihm droht.
Freund, halte dich still, ich habe alles gesagt,
ja, ich habe alles gesagt und ich habe hier nur noch Abschied zu nehmen.

Bühnenspiel. Don José will sich auf den Torero stürzen. Der Dancaire und der Remendado halten ihn zurück, Escamillo geht sehr langsam ab.

JOSÉ
zu Carmen
Nimm dich in acht,
Carmen… ich habe es satt, zu leiden.
Carmen antwortet ihm mit einem leichten Achselzucken und entfernt sich von ihm.

DANCAIRE
Los ... Los…
Wir müssen losgehen.

ALLE
Los ... Los ...
Wir müssen losgehen.

REMENDADO
Halt! ... Irgend jemand
versucht sich dort zu verstecken.

Er führt Micaëla herbei.

CARMEN
Eine Frau!

DANCAIRE
Wahrhaftig, eine schöne Überraschung.

JOSÉ
erkennt Micaëla
Micaëla! ...

MICAËLA
Don josé! ...

JOSÉ
Unselige! Was tust du hier?

MICAËLA
Ich, ich hole dich.
Dort unten ist das kleine Bauernhaus,
wo, unablässig betend,
eine Mutter, deine Mutter,
ach, über ihr Kind weint ...
Sie weint und ruft dich,
sie weint und streckt die Arme nach dir aus;
du wirst dich ihrer erbarmen, José,
ach José, du folgst mir, du folgst mir.

CARMEN
Geh! Geh! Du tust gut daran,
unser Metier ist nichts für dich.

JOSÉ
zu Carmen
Du rätst mir, ihr zu folgen?

CARMEN
Ja, du solltest gehen.

JOSÉ
Du rätst mir, ihr zu folgen,
damit du deinem neuen
Liebhaber nachlaufen kannst.
Nein, wahrhaftig,
sollte es auch mein Leben kosten,
nein, ich werde nicht gehen,
und die Bande, die uns verbinden,
werden uns bis zum Tode vereinen.
Sollte es auch mein Leben kosten,
nein, nein, nein, ich gehe nicht!

MICAËLA
Hör mich an, ich bitte dich darum,
deine Mutter streckt die Arme nach dir aus,
diese Bande, die dich binden,
José, du wirst sie zerreissen. Ach, José!

ALLE
Es wird dich das Leben kosten,
José, wenn du nicht gehst,
und die Bande, die euch verbinden,
wird dein Tod zerreissen.

JOSÉ
Lass mich,
denn ich bin verdammt!

ALLE
José, nimm dich in acht!

JOSÉ
Ah! Ich halte dich fest, verfluchtes Weib,
ich halte dich fest,
und ich werde dich zwingen,
die Bestimmung zu ertragen,
die dein Los an meines schmiedet.
Sollte es mein Leben kosten,
nein, nein, nein, ich gehe nicht!

ALLE
Ah! Nimm dich in acht, nimm dich in acht, Don José

MICAËLA
Noch ein Wort! Es ist das letzte.
Deine Mutter, ach, deine Mutter liegt im Sterben,
und deine Mutter
möchte nicht sterben,
ohne dir verziehen zu haben.

JOSÉ
Meine Mutter ... sie liegt im Sterben

MICAËLA
Ja, Don José.

JOSÉ
Gehen wir ... Ach, gehen wir!
zu Carmen.
Sei zufrieden, ich gehe,
aber wir sehen uns wieder.

Er zieht Micaëla mit sich fort.

ESCAMILLO
in der Ferne
Torero, auf in den Kampf,
Torero, Torero,
und denk daran, ja denk beim Kampf daran,
dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass die Liebe dich erwartet,
Torero, die Liebe erwartet dich.
José bleibt im Hintergrund in den Felsen stehen ... Er zögert. Carmen lauscht und beugt sich über die Felsen.

Zwischenaktmusik

VIERTER AKT

Ein Platz in Sevilla. Im Hintergrund der Bühne die Umfassungsmauern einer alten Stierkampfarena. Der Eingang zur Arena wird durch ein langes Zeltdacb abgeschlossen.
Es ist der Tag eines Stierkampfes. Lebhaftes Treiben auf dem Platz. Wasser-, Orangen- und Fächerverkäufer usw.


Nr. 25 - Chor

CHOR
Zu zwei Cuartos
Fächer, um sich Luft zuzufächeln,
Orangen zum Naschen,
das Programm mit den Details!
Wein! Wasser!
Zigaretten!
Zu zwei Cuartos!
Seht hier! Zu zwei Cuartos!
Damen und Herren.

Während des ersten Chores sind die beiden Offiziere aus dem ersten Akt aufgetreten, am Arm die beiden Zigeunerinnen Mercédès und Frasquita.

ZUNIGA
Orangen, schnell.

MEHRERE VERKÄUFER
stürzen herbei
Hier sind sie. Nehmt, nehmt, meine Fräulein.

EIN VERKÄUFER
zum Offizier, der bezahlt
Danke, Herr Offizier, danke.

DIE ANDEREN VERKÄUFER
Die hier, mein Herr, sind schöner ...
Fächer, um sich Luft zuzufächeln!
Orangen zum Naschen!
Das Programm mit den Details!
Wein! Wasser!
Zigaretten!

ZUNIGA
Hallo! Fächer.

EIN ZIGEUNER
stürzt herbei
Wollt Ihr auch Ferngläser?

CHOR
Zu zwei Cuartos,
zu zwei Cuartos,
seht hier zu zwei Cuartos,
Damen und Herren!
Seht hier! Seht hier!

Gesprochener Dialog XVI

ZUNIGA
Wo ist eigentlich Carmencita geblieben? Ich sehe sie nicht.

FRASQUITA
Wir sehen sie gleich ... Escamillo ist hier, Carmencita kann nicht weit sein.

ZUNIGA
Ah! Es ist jetzt also Escamillo?

MERCÉDÈS
Sie ist verrückt nach ihm ...

FRASQUITA
Und weiss man, was aus ihrem ehemaligen Liebhaber José geworden ist? ...

ZUNIGA
Er ist wieder in dem Dorf aufgetaucht, wo seine Mutter wohnte ... Es war sogar der Befehl ergangen, ihn festzunehmen, aber als die Soldaten hinkamen, war José nicht mehr da ...

MERCÉDÈS
Demnach ist er frei?

ZUNIGA
Ja, im Augenblick.

FRASQUITA
Hm! An Carmens Stelle wäre ich nicht ruhig, überhaupt nicht ruhig.

Man hört von draussen grosses Geschrei ... Fanfaren, etc. Die Cuadrilla kommt an.


Nr. 26 - Marsch und Chor

KINDER
Da sind sie! Das sind sie!
Da kommt die Cuadrillal

CHOR
Da sind sie! Da sind sie! ja, da sind sie!
Da ist die Cuadrilla!
Die Cuadrilla der Toreros,
die Lanzen reflektieren die Sonne,
in der Luft Mützen und Hüte!
Da sind sie, da ist die Cuadrilla,
die Cuadrilla der Toreros.
Da sind sie! Da sind sie! Da sind sie!

Vorbeizug der Cuadrilla. Während des Vorbeizugs singt der Chor das folgende Stück.

KINDER und CHOR
Da kommt auf den Platz,
da kommt zunächst, gemessen schreitend,
der Alguacil mit dem gemeinen Gesicht.
Nieder! Nieder! Nieder! Nieder!
Nieder mit dem Alguacil! Nieder!
Nieder! Nieder! Nieder! Nieder!

CHOR
Auftritt der Chulos und der Banderilleros
Und dann begrüssen wir bei ihrem Vorbeizug,
begrüssen wir die wagemutigen Chulos,
bravo! Vivat! Ruhm ihrem Mut.
Hier sind die wagemutigen Chulos!
Hier sind die Banderilleros,
seht welch verwegenes Aussehen!
Seht! Seht! Seht!
Welche Blicke und in welcher Pracht
die Stickerei ihres Kostüms
funkelt!
Hier sind die Banderilleros!
Die Picadores treten auf.
Eine andere Cuadrilla kommt näher.
Seht die Picadores! Wie schön sie sind!
Wie sie bald mit dem Eisen ihrer Lanze
die Weiche des Stiers reizen werden.
Der Matador! Der Matador!

KINDER und CHOR
Escamillo!

Zuletzt erscheint Escamillo, neben ihm Carmen strahlend und in prächtigem Kostüm.

KINDER und CHOR
Escamillo! Escamillo! Escamillo! Escamillo!
Das ist der Matador, ein guter Stierfechter,
derjenige, der alles schliesslich beendet,
der am Ende des Dramas erscheint
und den letzten Stoss setzt.
Es lebe Escamilloi Es lebe Escamilloi
Ah! Bravo!
Da sind sie! Da ist die Cuadrilla,
die Cuadrilla der Toreros!
Die Lanzen reflektieren die Sonne.
In die Luft, in die Luft, in die Luft Mützen und Hüte!
Es lebe Escamillo!
Bravo! Er lebe hoch! Bravo! Bravo!

ESCAMILLO
zu Carmen
Wenn du mich liebst, Carmen,
kannst du gleich
stolz auf mich sein.
Wenn du mich liebst! Wenn du mich liebst!

CARMEN
Ah! Ich liebe dich, Escamillo,
ich liebe dich, und ich möchte sterben,
wenn ich je jemanden
so sehr wie dich geliebt habe.

CARMEN und ESCAMILIO
Ah! Ich liebe dich.
Ja, ich liebe dich.

VIER ALGUACILS
Platz! Platz! Platz für den Herrn Alkalden!

Kleiner Marsch im Orchester. Zu diesem Marsch zieht sehr langsam im Hintergrund der Alkalde vorbei! Vor und hinter ihm Alguacils. Währenddessen nähern sich Carmen, Frasquita und Mercédès.

FRASQUITA
Carmen, ein guter Rat,
bleib nicht hier.

CARMEN
Und warum nicht, bitteschön?

MERCÉDÈS
Er ist da.

CARMEN
Wer denn?

MERCÉDÈS
Er,
Don José…er verbirgt sich in der Menge;
sieh nur.

CARMEN
Ja, ich sehe ihn.

FRASQUITA
Nimm dich in acht.

CARMEN
Ich bin nicht die Frau,
die vor ihm zittert ...
Ich erwarte ihn ... und ich werde mit ihm sprechen.

MERCÉDÈS
Carmen, glaube mir,
nimm dich in acht!

CARMEN
Ich fürchte nichts!

FRASQUITA
Nimm dich in acht!

Der Alkalde hat die Arena betreten. Hinter dem Alkalden nimmt der Zug der Cuadrilla seinen Aufmarsch wieder auf und betritt die Arena. Die Volksmenge folgt. Die Menge hat bei ihrem Weggehen Don José sichtbar werden lassen ... Carmen bleibt allein im Vordergrund zurück. Alle beide sehen sich an, während die Menge sich zerstreut und das Marschthema im Orchester schwächer wird und erstirbt. Bei den letzten Tönen bleiben Carmen und Don José allein einander gegenüberstehend zurück.


Nr. 27 - Duett und Schlusschor

CARMEN
Bist du's?

JOSÉ
Ich bin's.

CARMEN
Man hatte mich gewarnt,
dass du nicht fern seist,
dass du unweigerlich kommen würdest;
man hatte mir sogar gesagt,
ich müsse um mein Leben fürchten,
aber ich bin tapfer
und habe nicht fliehen wollen.

JOSÉ
Ich drohe nicht, ich flehe, ich bitte demütig;
unsere Vergangenheit, Carmen,
unsere Vergangenheit, ich vergesse sie.
Ja, wir werden zusammen
ein neues Leben beginnen,
fern von hier, in einem anderen Land.

CARMEN
Du verlangst Unmögliches,
Carmen hat niemals etwas vorgemacht,
ihre Seele bleibt unbeugsam,
zwischen ihr und dir ist alles aus.
Niemals habe ich etwas vorgemacht;
zwischen uns ist alles aus.

JOSÉ
Carmen, noch ist Zeit,
ja, noch ist Zeit ...
O meine Carmen, lass mich
dich retten, dich, die ich anbete,
und mich mit dir retten.

CARMEN
Nein, ich weiss wohl, das ist der Zeitpunkt,
ich weiss wohl, dass du mich töten wirst.
Aber ob ich lebe oder sterbe,
nein, nein, nein, ich gebe nicht nach.

JOSÉ
Carmen! Noch ist Zeit.
Ja, noch ist Zeit ...
O meine Carmen, lass mich dich retten,
dich, die ich anbete!
Ah, lass mich dich retten
und mich mit dir retten,
o meine Carmen, noch ist Zeit ...
Ah! Lass mich dich retten, Carmen,
ah, lass mich dich retten, dich, die ich anbete,
und mich mit dir retten.

CARMEN
Warum kümmerst du dich noch
um mein Herz, das dir nicht mehr gehört?
Nein, dieses Herz gehört dir nicht mehr.
Vergebens sagst du: »Ich bete dich an.«
Von mir erhältst du nichts, nein nichts.
Ah! Es ist vergebens ...
Du erhältst nichts von mir!

JOSÉ
Du liebst mich also nicht mehr?
Carmen schweigt, und José wiederholt.
Du liebst mich also nicht mehr?

CARMEN
Nein, ich liebe dich nicht mehr.

JOSÉ
Aber ich, Carmen, ich liebe dich noch;
Carmen, Carmen, ich bete dich an.

CARMEN
Wozu das alles?
Welch überflüssige Worte!

JOSÉ
Carmen, ich liebe dich, ich bete dich an!
Nun gut, wenn es, um dir zu gefallen, sein muss,
bleibe ich Bandit, alles, was du willst,
alles, verstehst du, alles,
verstehst du ... alles.
Aber verlass mich nicht,
o meine Carmen.
Ach, erinnere dich, erinnere dich an die Vergangenheit!
Wir liebten uns noch vor kurzem!
Ach, verlass mich nicht, Carmen,
verlass mich nicht!

CARMEN
Carmen gibt niemals nach;
frei ist sie geboren,
und frei wird sie sterben.

CHOR
in der Arena
Vivat! Vivat! Der Stierkampf ist schön,
auf dem blutigen Sand
stürmt der Stier, den man reizt,
in Sprüngen voran.
Vivat! Bravo! Sieg!

Während dieses Chors schweigen Carmen und José ... Beide hören zu ... Als sie die Schreie »Sieg, Sieg« hörte, entschlüpfte Carmen ein »ah« des Stolzes und der Freude ... Don José lässt Carmen nicht aus den Augen ... Als der Chor endet, macht Carmen einen Schritt in Richtung Arena.

JOSÉ
stellt sich ihr in den Weg
Wohin gehst du? ...

CARMEN.
Lass mich.

JOSÉ
Dieser Mann, dem sie applaudieren,
ist dein neuer Liebhaber.

CARMEN
will vorbeigehen
Lass mich ... Lass mich ...

JOSÉ
Bei meiner Seele,
du kommst nicht vorbei,
Carmen, du wirst mir folgen!

CARMEN
Lass mich, Don José! ...
Ich folge dir nicht.

JOSÉ
Du gehst wieder zu ihm, sag ...
Du liebst ihn also?

CARMEN
Ich liebe ihn, ich liebe ihn, und selbst im Augenblick des Todes
werde ich noch wiederholen, dass ich ihn liebe.

CHOR
in der Arena
Vivat! Bravo! Sieg!
Genau ins Herz getroffen!
Der Stier fällt!
Ruhm dem siegreichen Torero!
Sieg!

JOSÉ
So habe ich das Heil meiner
Seele verloren, damit du
davongehst, Verruchte,
um in seinen Armen über mich zu lachen.
Nein, bei meiner Seligkeit, du gehst nicht,
Carmen, du folgst mir!

CARMEN
Nein! Nein! Niemals!

JOSÉ
Ich habe es satt, dir zu drohen.

CARMEN
Dann also! Stich mich doch nieder
oder lass mich vorbei!

CHOR
in der Arena
Sieg!

JOSÉ
Zum letzten Mal, Dämon,
willst du mir folgen?

CARMEN.
Nein! Nein!
Diesen Ring hattest du mir
seinerzeit gegeben; da hast du ihn.

Sie wirft ihn in hohem Bogen durch die Luft.

JOSÉ
mit dem Dolch in der Hand auf Carmen zugehend
Nun dann, Verruchte ...

Carmen weicht zurück ... José verfolgt sie ... Während dieser Zeit Fanfaren und Chor in der Arena.

CHOR
in der Arena
Torero, auf in den Kampf, Torero, Torero,
und denk daran, ja denk im Kampf daran,
dass ein schwarzes Aug' dir zusieht
und dass dich die Liebe erwartet,
Torero, die Liebe,
die Liebe erwartet dich!

José hat Carmen niedergestochen ... Sie fällt tot zu Boden …
Der Zeltvorbau geht auf. Die Menge verlässt die Arena.


JOSÉ
Ihr könnt mich festnehmen ...
Ich habe sie getötet.

Escamillo erscheint auf den Stufen der Arena ... José wirft sich über Carmens Leichnam.

JOSÉ
Ach! Carmen! Meine angebetete Carmen!