Libretto: Don Carlos / Don Carlo

von Giuseppe Verdi


Überarbeitete Fassung von 1886 (fünf Akte)


Personen:
PHILIPP II., König von Spanien (Bass)
ELISABETH VON VALOIS, seine Gemahlin (Sopran)
DON CARLOS, Infant von Spanien (Tenor)
PRINZESSIN EBOLI, Dame der Königin (Mezzosopran),
GRÄFIN VON AREMBERG, Dame der Königin (stumme Rolle)
RODRIGO, MARQUIS VON POSA, ein Malteserritter, Grande von Spanien (Bariton),
GRAF VON LERMA, Grande von Spanien (Tenor)
TEBALDO / THIBAULT, ein Page der Königin (Sopran)
EIN KÖNIGLICHER HEROLD (Tenor)
EINE STIMME VON OBEN (Sopran)
DER GROSSINQUISITOR des Königreiches, ein Greis von neunzig Jahren und blind (Bass)
EIN MÖNCH [Kaiser Karl V.] (Bass)

CHOR
Abgesandte von Flandern und andern Spanischen Provinzen,
Herren und Damen vom Spanischen Hofe, Volk, Pagen, Leibwachen des Königs,
Mönche, Diener der Inquisition, Soldaten, Magistratspersonen, etc.

ERSTER AUFZUG

Der Wald von Fontainebleau Winter. In der Ferne der Palast. Rechts ein grosser Fels, der eine Art Unterstand gewährt. Holzfäller, Jäger, dann von links Elisabeth von Valois zu Pferde, geführt von ihrem Pagen Thibault, mit Dienern und Piqueurs

DIE JÄGER
hinter der Bühne
Der Hirsch flüchtet sich ins Dickicht ...
Bei Sankt Hubertus!
Verfolgen wir ihn, solange der Tag währt,
im wilden Forst!
Elisabeth mit Gefolge zieht unter Jagdsignalen vorüber und verteilt Geld unter die Holzfäller. In diesem Augenblick erscheint links Carlos, sich zwischen den Bäumen verbergend. Die Holzfäller sehen der Prinzessin nach, nehmen ihr Werkzeug auf und verschwinden im Hintergrund
Der Hirsch flüchtet sich ins Dickicht
Bei Sankt Hubertus!

DON CARLOS
allein
Fontainebleau! Wald, unermesslich und einsam!
Welche Gärten, strahlend von Blumen und Licht,
kämen für Don Carlos in seinem Glück diesem vereisten Boden gleich,
wo seine Elisabeth lächelnd vorüberging?
Ich verliess Spanien und den Hof meines Vaters,
trotzte Philipps furchtbarem Zorn,
verbarg mich im Gefolge seines Gesandten
und konnte sie nun endlich sehen, meine schöne Braut,
die seit langem meine Gedanken beherrschte,
die von nun an mein Herz beherrschen wird!

Ich sah sie, und aus ihrem Lächeln,
aus ihren Augen voll lieblichem Feuer
konnte mein tiefbewegtes Herz
das Glück erfahren, zu leben und sie zu lieben.
Zukunft voller Zärtlichkeit!
Himmelsblau, das all unsere Tage verschönt!
Gott lächelt unserer Jugend,
Gott segnet unsere reine Liebe!

Er will Elisabeth nachstürzen, dann bleibt er unentschlossen stehen und lauscht. In der Ferne ertönt ein Hornruf

Der Hörnerklang verhallt im tiefen Dunkel,
das Lied der Jäger verklingt ...
Er lauscht
Alles ist still! Die Nacht kommt, und der erste Stern
erglänzt am fernen Horizont!
Wie finde ich den Weg zurück zum Palast
in diesen Wäldern, die der Nebel verhüllt?

THIBAULT
von fern
Holla! Piqueurs! Holla! Pagen des Königs!

DON CARLOS
Welche Stimme erklingt in diesem unendlichen Wald?

THIBAULT
Holla! Ihr lieben Landleute und Holzfäller! Kommt her!

Der Page erscheint mit Elisabeth, die sich auf seinen Arm stützt

DON CARLOS
zieht sich seitwärts zurück
Ah! Welch bezaubernder Schatten nähert sich mir!

THIBAULT
ängstlich
Ach! Ich finde den unkenntlichen Pfad nicht mehr...
Mit Verlaub, stützt Euch auf mich!
Die Nacht bricht herein, und die Luft ist eisig...
Gehen wir weiter...

ELISABETH
Gott! Wie erschöpft ich bin!

Carlos erscheint und verneigt sich vor Elisabeth

THIBAULT
erschrocken; zu Carlos
Ah! Wer seid Ihr?

DON CARLOS
zu Elisabeth
Ich bin ein Fremder …
Ein Spanier…

ELISABETH
Einer aus dem Gefolge,
das den alten Grafen von Lerma begleitet, den spanischen Gesandten?

DON CARLOS
Ja, edle Dame! Und sollte eine Gefahr …

THIBAULT
im Hintergrund
Welch ein Glück! In der klaren Nacht
habe ich dort hinten Fontainebleau erblickt!
Ich lasse Eure Sänfte bringen
und laufe zum Schloss.

ELISABETH
mit Autorität
Geh, und habe keine Angst um mich! Ich bin die Verlobte
des Infanten Den Carlos. Ich vertraue
auf die spanische Ehre! Page, tu, was du sagtest!
zeigt auf Carlos
Dieser Herr kann die Tochter deines Königs schützen!

Thibault verneigt sich und geht. Carlos, die Hand am Degen, stellt sich stolz an die rechte Seite Elisabeths. Elisabeth hebt ihre Augen zu Don Carlos auf. Ihre Blicke begegnen sich. Carlos beugt wie in einer unwillkürlichen Bewegung das Knie vor Elisabeth. Diese Reaktion überspielend, beginnt er, trockene Zweige zu sammeln

ELISABETH
erstaunt
Was tut Ihr denn da?

DON CARLOS
Im Krieg, wenn wir den blauen Himmel zum Zelt haben,
sammeln wir so das Farnkraut
und lernen, wie man Feuer macht.
Seht! Aus diesen Kieseln sprang der Funke,
und schon leuchtet die Flamme.
Wenn im Lager so die Flamme schlägt, lebendig und schön,
verheisst sie, so sagt man, Sieg oder Liebe!

ELISABETH
Ihr kommt aus Madrid?

DON CARLOS
Ja.

ELISABETH
Vielleicht wird man schon heute abend
den Frieden unterzeichnen...

DON CARLOS
Ja, und ohne Zweifel werdet Ihr heute
dem Sohn des Königs verlobt, meinem Herrn,
dem Infanten Den Carlos!

ELISABETH
Ah! Erzählt mir von ihm!
Ohne es zu wollen, habe ich Angst vor dem Unbekannten:
Diese Ehe bedeutet für mich das Exil!
Wird der Infant mich lieben?
Und wird er von Herzen wünschen, dass ich ihn liebe?

DON CARLOS
Auf Knien wird Carlos Euch dienen,
sein Herz ist aufrichtig, und er ist Eurer würdig.

ELISABETH
Ich werde meinen Vater und Frankreich verlassen.
Gott will es, und ich gehorche.
Ich gehe in meine neue Heimat,
fröhlich und voller Hoffnung!

DON CARLOS
Carlos ist glücklich und will leben in Liebe zu Euch:
Zu Euren Füssen will ich es Euch schwören!

ELISABETH
Mein ganzes Wesen fühlte ich erzittern. Himmel! Wer seid Ihr?

DON CARLOS
Der Bote dessen, der Euer Gatte sein wird.
Gibt ihr eine Schatulle

ELISABETH
Diese Schatulle...

DON CARLOS
Sie enthält, Madame, das Bild
Eures Verlobten.

ELISABETH
Des Infanten? Wäre es möglich!
Ich wage nicht zu öffnen! Ah! ich habe Angst vor mir selbst.
betrachtet das Bild und erkennt Carlos
O allmächtiger Gott!

DON CARLOS
fällt ihr zu Füssen
Ich bin Carlos … Ich liebe dich!

ELISABETH
für sich
Welch schmerzlich-süsse Seligkeit
erfüllt mir die Seele!
Ach, es ist Carlos, und mir zu Füssen
hat ein Gott ihn geführt!
Ach! ich zitterte, und vor Glück
zittere ich auch jetzt!
Ja, es ist Carlos! Seiner Stimme
will mein Herz sich öffnen!

DON CARLOS
Ah! ich liebe Euch, und Gott selbst,
Gott hat mich Euch zu Füssen geführt!

ELISABETH
Wenn seine Hand uns in dieser seltsamen Nacht leitete,
dann will er auch, dass ich Euch liebe!
ein Kanonenschuss
Hört!

DON CARLOS
Ein Kanonenschuss.

ELISABETH
Glücklicher Tag!
Ein Zeichen der Freude

Die erleuchteten Terrassen von Fontainebleau glänzen in der Ferne

DON CARLOS und ELISABETH
Gott sei gelobt! Der Frieden ist geschlossen!

ELISABETH
Seht! Der Palast erstrahlt im Licht!

DON CARLOS
Ihr kahlen Wälder, Schluchten, Gebüsch,
vor meinem entzückten Blick bedeckt ihr euch mit Blumen!

ELISABETH
Ah! Himmel!

DON CARLOS und ELISABETH
Vereinigen wir vor dem Angesicht Gottes unsere Herzen im Verlobungskuss!

DON CARLOS
Zittre nicht, fasse dich!
Ach, zittre nicht, fasse dich,
meine schöne Braut!
Zittre nicht, hebe den gesenkten Blick
auf zu mir.
Für immer vereint durch den Eid,
der uns seit langem verbindet,
gehen wir den Lebensweg
in Liebe vereint!

ELISABETH
Ach, noch zittere ich, doch nicht vor Angst.
Lest in meinen Gedanken:
Und dieses Glück, mir so unverhofft,
nimmt meine bedrängte Seele gefangen.
Für immer vereint durch den Eid,
der uns seit langem verbindet,
gehen wir den Lebensweg in Liebe vereint!

Thibault und Pagen mit Fackeln; die Pagen bleiben im Hintergrund, Thibault geht allein auf Elisabeth zu

THIBAULT
kniet vor Elisabeth nieder und küsst ihr den Saum
Dem, der Euch, Madame,
eine glückliche Botschaft überbringt,
gewährt die Gunst, die er von Euch erbittet:
Euch niemals zu verlassen!

ELISABETH
hebt ihn auf
Das will ich!

THIBAULT
Ich grüsse Euch als Königin und Gattin Philipps II.!

ELISABETH
zitternd
Nein! Dem Infanten bin ich bestimmt!

THIBAULT
Dem König Philipp II. hat Heinrich Euch gegeben!
Ihr seid Königin!

ELISABETH
O Himmel!

DON CARLOS
Stumm, schreckensstarr,
vor dem offenen Abgrund erbebe ich in Entsetzen!

ELISABETH
Die verhängnisvolle Stunde hat geschlagen!
Nein! Gegen das Schicksal
zu kämpfen, ist heldenhaft und schön.
Ja, ehe ich Königin werde
und diese Kette trage,
will ich lieber ins Grab hinabsteigen!

DON CARLOS
Die verhängnisvolle Stunde hat geschlagen!
Das grausame Schicksal
zerbricht diesen schönen Traum!
Meine Seele ist schmerzerfüllt,
und wir schleppen unsere Kette
bis zum Frieden des Grabes.

Der Graf von Lerma, der Gesandte Spaniens; die Gräfin von Aremberg; Hofdamen der Elisabeth; Pagen; Diener tragen Fackeln und eine Sänfte. Sie alle und das Volk nähern sich

CHOR
O Lieder des Jubels und der Freude,
erfüllt ohne Unterlass
die frohen Lüfte.
Das Glück des Friedens
wurde uns mit dieser Hochzeit
durch die Fügung des Himmels beschert!
Heil und Freude der Schönsten,
Ehre jener,
die morgen,
auf einem Thron, auf den sie Gott geleitet,
dem König von Spanien
ihre Hand reichen wird.

ELISABETH
Alles ist vorbei!

DON CARLOS
Verhängnisvolle Fügung!

ELISABETH
Unsere verdammten Seelen ...

DON CARLOS und ELISABETH ...
… werden niemals erfahren,
was Glück und Frieden ist!

ELISABETH
Ah!
Die Stunde des Verhängnisses hat geschlagen,
das grausame Schicksal
zerbricht diesen schönen Traum!
Weh mir! Weh mir!
Unsere verdammten Seelen
werden niemals erfahren,
was Glück und Frieden ist!

DON CARLOS
Die Stunde des Verhängnisses hat geschlagen!
Mein Leben war voller Seligkeit,
nun erscheint es mir grausam und verhängnisvoll!
Alles ist vorbei!
Unsere Seelen sind
zu ewigen Qalen verdammt,
die Liebe ist nun vorbei!

CHOR
O Lieder des Jubels etc.

GRAF VON LERMA
zu Elisabeth
Der ruhmreichste König von Frankreich, Euer Vater,
hat dem mächtigen König von Spanien und Indien
die Hand seiner geliebten Tochter versprochen.
Ein blutiger Krieg wurde zu diesem Preis beendet.
Doch Philipp will Euer Herz nur Euch selbst zu danken haben.
Nehmt Ihr die Hand des Königs an, der Euch liebt?

DIE FRAUEN
O Prinzessin, nehmt Philipp zum Gemahl!
Frieden! Wir leiden unsäglich, habt Erbarmen mit uns!

GRAF VON LERMA
Eure Antwort?

ELISABETH
mit ersterbender Stimme
Ja!

CHOR
Gott soll uns hören,
o tapferes Herz!
Und möge Er an Euch
unser Glück vergelten!
O Lieder des Jubels und der Freude etc.

DON CARLOS und ELISABETH
Das ist Todesqual!
Ich sterbe! Ah!
Alles ist vorbei! O Schmerz! O Qual!
Unsere Seelen, zu ewigen Qualen verdammt,
werden niemals erfahren,
was Glück und Frieden ist!

CHOR
Gepriesen sei die Königin von Spanien!

Elisabeth, geführt vom Grafen von Lerma, steigt in die Sänfte. Carlos bleibt verzweifelt, den Kopf in die Hände gestützt, auf dem Felsen sitzen, auf dem zuvor Elisabeth gesessen hatte. Der Zug setzt sich in Bewegung

DON CARLOS
Ach! Ach!

CHOR
Ehr und Preis!
sich allmählich entfernend
O Lieder des Jubels, etc.

DON CARLOS
verzweifelt
Die Stunde des Verhängnisses hat geschlagen,
das grausame Schicksal
zerbricht meinen schönen Traum!
O Verhängnis, o Verhängnis!

ZWEITER AUFZUG

ERSTES BILD
Der Kreuzgang des Klosters St. Just Rechts eine erleuchtete Kapelle mit dem Grab Karls V., das durch ein vergoldetes Gitter wahrzunehmen ist. Links eine Tür, die ins Freie führt. Im Hintergrund Garten mit hohen Zypressen. Morgendämmerung

Szene und Gebet
Der Chor der Mönche psalmodiert in der Kapelle. Auf der Bühne ein knieender Mönch, der vor dem Grabmal betet

CHOR DER MÖNCHE
Karl V., der erhabene Herrscher,
ist nur noch Asche und Staub,
und seine stolze Seele
liegt jetzt zitternd dem Herrn zu Füssen.

DER MÖNCH
Er wollte die Welt beherrschen
und vergass jenen, dessen Hand
den Gestirnen ihre Bahn wies.
Sein Hochmut war gross, sein Wahn war tief!

CHOR DER MÖNCHE
Karl V., der erhabene Herrscher,
ist nur noch Asche und Staub.
Möge dein Zorn
sich von ihm wenden, Herr!

DER MÖNCH
Gott allein ist gross! Sein Feuerstrahl
lässt Erde und Himmel erbeben!
Ach, barmherziger Gott,
neige dich zu dem Sünder und gewähre seiner Seele
himmlischen Frieden und Vergebung.
Gott allein ist gross!

CHOR DER MÖNCHE
Karl V., der erhabene Herrscher,
ist nur noch Asche und Staub.
Herr, möge dein Zorn
sich von ihm wenden.
Gott allein ist gross!

Eine Glocke ertönt. Die Mönche kommen aus der Kapelle, überqueren den Innenhof und gehen ab. Carlos erscheint in den Gewölben des Kreuzgangs

DON CARLOS
Im Kloster St. Just, wo Karl V., mein Grossvater,
müde seiner Grösse sein Leben beschloss,
suche ich vergebens Frieden und Vergessen des Vergangenen:
Sie wurde mir geraubt,
und ihr Bild irrt mit mir durch diese eisigen Gewölbe!

DER MÖNCH
hat sich erhoben und nähert sich Carlos
Mein Sohn, die Schmerzen der Welt
verfolgen uns auch an diesem Ort.
Der Frieden, den Euer Herz erhofft,
ist nur bei Gott zu finden.
Er geht weiter

DON CARLOS
Bei dieser Stimme schaudert mich!
Mir schien, ich sah - entsetzlich! -
den Schatten des Kaisers.
Unter der Kutte verbarg er seine Krone
und seinen goldenen Harnisch.
Hier, so heisst es, erscheint er noch immer!

DER MÖNCH
sich immer weiter entfernend
Frieden ist nur bei Gott zu finden.

DON CARLOS
Diese Stimme! Mich schaudert ...
O Entsetzen! O Entsetzen!

RODRIGO
tritt auf
Da ist er! Der Infant!

DON CARLOS
O mein Rodrigo!

RODRIGO
Hoheit!

DON CARLOS
Dich halte ich in meinen Armen!

RODRIGO
Ach, lieber Prinz … Carlos!

DON CARLOS
Dich hat in meinem Schmerz
Gott mir gesendet, mein Engel, mein Trost!

RODRIGO
Ach, mein lieber Prinz!
Die Stunde hat geschlagen! Die Stimme Flanderns ruft Euch!
Helft, Carlos, seid ihr rettender Gott!
Doch was sehe ich? Welche Todesblässe!
Der Funke des Schmerzes glüht in Euren Augen!
Ihr schweigt? Ihr seufzt ?Tränen!?
Mein Carlos, teile mit mir deine Schmerzen!

DON CARLOS
Mein Erretter, mein Freund, mein Bruder,
lass mich in deinen Armen weinen!

RODRIGO
Der Stimme eines aufrichtigen Freundes
soll dein Herz sich nicht verschliessen!
Sprich!

DON CARLOS
Du willst es? So lerne denn mein Elend kennen!
Erbebe vor dem Schicksalsschlag, der mein Herz verwundet hat!
Ich bin von Sinnen vor Liebe
zu Elisabeth...

RODRIGO
Deiner Mutter!
Allmächtiger Gott!

DON CARLOS
Du erbleichst... Wider Willen
flieht dein Blick den meinen ... Ich Elender! Mein Rodrigo, er selbst,
Rodrigo wendet sich entsetzt von mir!

RODRIGO
Rodrigo bleibt dein Freund!
Bei meinem christlichen Glauben,
du leidest ... Und nichts mehr gilt die Welt in meinen Augen!

DON CARLOS
O mein Rodrigo!

RODRIGO
Mein Carlos!
Wurde dein Geheimnis von dem König schon entdeckt?

DON CARLOS
Nein!

RODRIGO
Dann erwirke von ihm, dass du nach Flandern gehst.
Mit einer Anstrengung, die deiner würdig ist,
bezwinge dein Herz! Und erlerne
unter Unglücklichen den harten Beruf des Königs!

DON CARLOS
Ich folge dir, mein Bruder!
Eine Glocke ertönt

RODRIGO
Höre!
Die Pforten des Klosters öffnen sich. Das ist gewiss
Philipp mit der Königin.

DON CARLOS
Elisabeth!

RODRIGO
Carlos,
an meiner Seite richte deine schwankende Seele auf!
Deine Bestimmung kann noch einmal nützlich und schön sein …
Erbitte von Gott die Kraft des Helden!

DON CARLOS und RODRIGO
Gott, du hast in unsere Seelen
den Strahl desselben Feuers gesandt,
dieselbe begeisterte Liebe,
die Liebe zur Freiheit!
Gott, der du unsere aufrichtigen Herzen
zu Herzen zweier Brüder machtest,
höre unseren Eid:
Wir lieben uns bis in den Tod!
Ah! Gott, du hast in unsere Seelen etc.

Philipp, Elisabeth führend, erscheint; die Mönche schreiten voran

RODRIGO
Sie kommen!

DON CARLOS
Ich zittre! Ich sterbe bei ihrem Anblick!

RODRIGO
Mut!

Rodrigo hat sich von Carlos entfernt, der sich unter dem argwöhnischen Blick Philipps verneigt und seine Erregung zu unterdrücken sucht. Elisabeth erbebt, als sie Carlos erblickt. König und Königin gehen in die Kapelle

CHOR DER MÖNCHE
Karl V., der erhabene Herrscher, etc.

DON CARLOS
Sie ist sein, grosser Gott! Ich habe sie verloren!

DER MÖNCH
Ah! Frieden, Vergebung vorn Himmel herab!
Gott allein ist gross!

RODRIGO
Komm, an meiner Seite wird dein Herz Kraft gewinnen!

DON CARLOS und RODRIGO
Wir wollen vereint sein im Leben und im Tod!
Gott, höre unseren Eid:
Wir lieben uns bis in den Tod!
Wir wollen vereint sein im Leben und im Tod!


ZWEITES BILD
reundliche Gegend vor den Toren des Klosters St. Just. Ein Springbrunnen, Rasenflächen, Gruppen von Orangenbäumen, Pinien und Mastixbäumen. Am Horizont die blauen Berge der Estremadura. Im Hintergrund die Pforte des Klosters, zu der einige Stufen hinaufführen. Die Hofdamen sitzen auf dem Rasen rund um den Brunnen. Ein Page stimmt seine Mandoline

DIE DAMEN
Unter dem weiten Blätterdach dieser Bäume,
im Schutz des Schattens und der Ruhe
rings um das Haus Gottes,
unter dem schirmenden Zelt dieser Pinien
können wir der sengenden Hitze,
der Glut des brennenden Himmels entfliehen.

THIBAULT
tritt mit Eboli auf
Blumen bedecken hier die Erde,
die Pinien öffnen ihre Schirme,
und um euch unter schattigem Laubwerk zu erfreuen,
haben die Nachtigallen ihre Stimmen erhoben.

THIBAULT, DIE DAMEN
nehmen unter den Bäumen nahe am Brunnen Platz
Es ist wohltuend, unter diesen Bäumen zu sitzen,
zu lauschen, wie die Quelle unter Tränen
ihr Lied auf Marmorsteinen murmelt.
Es ist wohltuend, zu sengender Stunde
das langsame Vergehen des Tages
inmitten von Schatten und Blumen zu verschönern.

EBOLI
Da dieses Kloster nur die Königin von Spanien
betreten darf - wollt ihr, meine Gefährtinnen,
während wir das Dämmern des Himmels abwarten,
zu unserer Unterhaltung ein Spiel versuchen?

THIBAULT, DIE DAMEN
Wir alle folgen deinem Einfall,
bezaubernde Prinzessin Eboli!

EBOLI
zu ThibaultBringt eine Mandoline,
und wir singen miteinander,
wir singen das sarazenische Lied,
das vom Schleier, der die Liebe beschützt.
Singen wir!

THIBAULT, DIE DAMEN
Singen wir!

EBOLI
Im Feenpalast
der Könige von Granada,
an den Seerosenteichen
jener schönen Gärten
erschien, bedeckt mit einem Schleier,
eines abends eine Frau,
allein und unter freiem Himmel,
und liess sich nieder.
Achmed, der Maurenkönig,
kam vorbei und erblickte sie,
und obwohl verschleiert,
entzückte sie ihn.
»Komm, meine Herrscherin,
regiere an meinem Hofe«,
sagte er zu ihr, »die Königin
hat meine Liebe nicht mehr.«
Ah!

EBOLI und THIBAULT
Ah! O junge Mädchen, webt Schleier,
solange der Himmel im Tageslicht erstrahlt.
Bei Sternenschimmer
sind die Schleier
der Liebe hold.

DIE DAMEN
O junge Mädchen, webt Schleier,
solange der Himmel im Tageslicht erstrahlt.
Bei Sternenschimmer
sind die Schleier
der Liebe hold.

EBOLI und THIBAULT
Ah! sind die Schleier
der Liebe hold.

EBOLI
»Kaum erkenne ich
im dunklen Garten
dein ebenholzschwarzes Haar,
deinen zierlichen Fuss.
O bezauberndes Mädchen,
ein König wird dir seine Liebe schenken:
Sei die lebendige Blume
meiner Alhambra!
Doch lass diesen Schleier fallen,
schöner Zauberstern,
mach es wie das Gestirn
am blauen Firmament!«
»Ich gehorche gern:
Komm und sieh mich an. «
»Allah! Das ist die Königin!«,
rief der König!
Ah!

EBOLI und THIBAULT
Ah! O junge Mädchen, webt Schleier etc.

DIE DAMEN
O junge Mädchen, webt Schleier etc.

Elisabeth kommt aus dem Kloster

DIE DAMEN
Die Königin!

EBOLI
Ein trauriger Gedanke
lastet immer auf ihrer Seele.

ELISABETH
lässt sich am Brunnen nieder
Ihr habt gesungen, frei von Kummer.
Ach! In vergangenen Tagen war auch ich fröhlich!

Rodrigo erscheint. Thibault geht auf ihn zu, unterhält sich einen Augenblick leise mit ihm und kehrt dann zur Königin zurück

THIBAULT
meldet Rodrigo
Marquis von Posa, Grande von Spanien!

RODRIGO
verneigt sich vor der Königin
Hoheit,
von Eurer Mutter wurde in Paris für Euer Majestät
dieses Schreiben meinen Händen übergeben.

Er gibt der Königin einen Brief, dann fügt er, indem er ihr zusammen mit dem Brief ein Billett zuspielt, sehr leise hinzu:
Lest, bei Eurem Seelenheil!
zeigt den Brief den Damen
Seht! Das königliche Siegel, die Krone und die Lilien!

Elisabeth bleibt unbeweglich, verwirrt, will sprechen. Auf den drängenden Blick Rodrigos hin bleibt sie stumm

EBOLI
zu Rodrigo
Was treibt man denn am Hof von Frankreich,
diesem schönen Land der Lebenskunst?

RODRIGO
zur Eboli
Alle Weit spricht von einem Turnier,
zu dem auch der König erscheinen soll.

ELISABETH
das Billet in der Hand
(Ah! Ich wage nicht, es zu öffnen!
Mir ist, als verletzte ich die Ehre!
Ach! Ich zittere!)

EBOLI
zu Rodrigo
Die Französinnen sind unübertroffen,
erzählt man uns, an Geist und Anmut.

RODRIGO
zur Eboli
Ihr allein könnt es unter jedem Himmel
mit ihnen allen an Geschmack und Anmut aufnehmen!

EBOLI
zu Rodrigo
Ist es wahr, dass bei den Festen im Louvre
die Damen der Gesellschaft soviel Glanz verbreiten,
als kämen sie gerade aus dem sich öffnenden Himmel herab?

ELISABETH
Doch meine Seele ist unbefleckt, und Gott liest in meinem Herzen!

RODRIGO
zur Eboli
Und dennoch ist die Schönste nicht dabei...

EBOLI
(zu Rodrigo)
Zum Ball trägt man, denke ich mir,
wahre Kostbarkeiten an Seide und Schmuck...

ELISABETH
liest
(»Bei der Erinnerung, die uns verbindet,
bei Eurem Seelenfrieden
und meinem Leben,
vertraut diesem Mann wie mir selbst - Carlos.«)

RODRIGO
zur Eboli
Was zählt das alles, Prinzessin,
wenn man mit Eurer Schönheit beschenkt ist!

ELISABETH
zu Rodrigo
Gut! Danke! Erbittet von der Königin eine Gunst!

RODRIGO
Das tue ich, doch nicht für mich!

ELISABETH
(Ich kann kaum noch die Fassung bewahren!)

EBOLI
zu Rodrigo
Wer wäre denn würdiger als Ihr, dass er seine Wünsche
durch die Königin erfüllt sehen dürfte?

ELISABETH
(Ach! Ich zittre!)

EBOLI
Sagt doch!

ELISABETH
Sprecht!

RODRIGO
Carlos, der Infant, unsere Hoffnung,
lebt unter Schmerz und Tränen,
und niemand kann ermessen, welches Leid
die Blüte seiner Jugend welken lässt!
Ihr, seine Mutter, müsst seinem empfindsamen Herzen
Kraft und Ruhe wiedergeben…
Gewährt ihm eine Begegnung, schenkt ihm Gehör!
Rettet den Infanten! Rettet Carlos!

EBOLI
{Einmal, als ich bei seiner Mutter stand,
sah ich, wie der Infant unter meinen Blicken verlegen wurde,
erbleichte! Sollte er mich lieben?)

ELISABETH
(O bittere Fügung!
Ihn wiedersehen ... ich bebe!)

EBOLI
(Warum wagt er nicht, sich zu erklären?)

RODRIGO
Ach! Carlos fand das Herz des Königs, seines Vaters,
stets verschlossen,
und wer wäre dabei auf dieser Erde
mehr der Liebe wert?
Ein Wort der Liebe würde diesem empfindsamen Herzen
Kraft und Ruhe wiedergeben.
Gewährt ihm eine Begegnung, schenkt ihm Gehör,
rettet den Infanten! Rettet Carlos!

EBOLI
(Ich sah, wie der Infant unter meinen Blicken verlegen wurde,
erbleichte! Sollte er mich lieben?
Warum wagt er nicht, sich zu erklären?)

ELISABETH
(Ach! Ich kann kaum noch die Fassung bewahren!
Grosser Gott! Ihn wiedersehen! Ich bebe!)
zu Thibault
Geh! Ich bin bereit, meinen Sohn zu empfangen!

EBOLI
(Ah! Wenn er mich liebte! Und wenn er es wagte, mir sein liebendes Herz zu öffnen!)

Rodrigo nimmt die Eboli bei der Hand. Sie entfernen sich in leiser Unterhaltung. Die Hofdamen und die Pagen gehen ab. Carlos tritt auf, nähert sich langsam Elisabeth und verneigt sich, ohne die Augen zu heben. Elisabeth, die kaum ihre Gefühle beherrschen kann, gibt Carlos ein Zeichen, näherzutreten. Die Gräfin von Aremberg, die als letzte derAbgehenden zurückblieb, entfernt sich gleichfalls auf eine Geste Elisabeths

DON CARLOS
Ich komme, um von der Königin eine Gunst zu erflehen.
Die im Herzen des Königs
den ersten Platz einnimmt,
nur sie kann diese Gunst für mich erlangen!
Die Luft Spaniens tötet mich. . ., sie lastet auf mir, erdrückt mich
wie der schwere Gedanke an ein Verbrechen.
Erwirkt … es muss sein, dass ich noch heute
nach Flandern gehe.

ELISABETH
Mein Sohn!

DON CARLOS
Nicht diese Anrede! Jene
von einst!
Elisabeth will sich entfernen; Carlos' Flehen hält sie auf
Ach! Ich vergesse mich!
Erbarmen! Ich leide unsagbar! Erbarmen! Der Himmel in seinem Geiz
gab mir nur einen Tag, und der entfloh so schnell!

ELISABETH
Prinz, wenn der König
sich meiner Bitte öffnet …, könnt Ihr schon morgen
nach Flandern gehen,
das durch ihn Eurer Hand anvertraut ist!

Elisabeth macht Don Carlos eine Gebärde des Abschieds und will sich entfernen

DON CARLOS
Wie! Kein Wort, kein Bedauern,
keine Träne für den Verbannten!
Ach, hätte doch wenigstens das menschliche Erbarmen
aus Eurem Blick zu mir gesprochen!
Ach! Meine Seele geht zugrunde ...
Ich fühle den Tod ... Ich Wahnsinniger!
In meinem Fieber flehte ich
zum Marmor, gefühllos und eiskalt!

ELISABETH
Carlos, beschuldigt mein Herz nicht der Gleichgültigkeit.
Ihr solltet seine hohe Gesinnung besser kennen und sein Schweigen.
Die heilige Flamme der Pflicht erstrahlte vor meinen Augen,
von ihr geleitet, gehe ich meinen Weg
und richte meine Hoffnung auf den Himmel!

DON CARLOS
O verlorenes Glück ... unschätzbares Gut!
Einzige Seligkeit meines Lebens!
Sprecht, sprecht: In trunkenem Entzücken
bei Eurer Stimme träumt meine Seele vom Paradies!

ELISABETH
O Gott in deiner Gnade, lass dieses unschätzbare Herz
Trost und Vergessen finden!
Lebe wohl, Carlos! Ach, in diesem Leben
mit Euch zu leben, wäre das Paradies gewesen!

DON CARLOS
O Wunder! Mein gequältes Herz ist getröstet!
Der brennende Schmerz schwindet!
Der Himmel erbarmt sich meiner Tränen...
Zu Euren Füssen, verloren in Liebe, sterbe ich!

Er fällt ohnmächtig zu Boden

ELISABETH
beugt sich über Don Carlos
Allmächtiger Gott! Das Leben ist erloschen
in seinem Blick, von Tränen verschleiert!
Gib ihm Frieden in deiner himmlischen Güte,
diesem edlen Herzen, das ohne Trost ist.
Ach! Sein Schmerz foltert mich;
in meinen Armen, bleich und starr,
stirbt vor Liebe, vor Schmerz,
der mein Verlobter war!

DON CARLOS
fiebernd
Welch süsse Stimme gibt meiner Seele das Leben wieder?
Elisabeth, bist du es, Geliebte?
Du sitzt an meiner Seite wie einst?
Ah! Die Frühlingspracht liess die Wälder ergrünen!

ELISABETH
O Fieberwahn! Entsetzen!
Er stirbt!
O gütiger Himmel! Erbarmen!

DON CARLOS
Du bist mein Schatz!
Du bist mein süsses Lieb!
Du bist meine Geliebte!

ELISABETH
Grosser Gott!
Gerechter Himmel!

DON CARLOS
Warum reisst du mich aus meinem geschlossenen Grab,
kommt wieder zu sich
aus meinem ewigen Schlaf,
grausamer Gott!

ELISABETH
Carlos!

DON CARLOS
Öffne sich unter meinen Füssen die Erde!
Fahre auf mein Haupt der Blitzstrahl nieder!
Ich liebe dich, Elisabeth! Die Welt ist vergessen!

Er nimmt sie in seine Arme

ELISABETH
befreit sich entsetzt aus der Umarmung
So erschlagt denn Euren Vater!
Schleppt, besudelt von seinem Blut,
Eure Mutter vor den Altar!

DON CARLOS
Ah! Verfluchter Sohn!
läuft schreckensstarr fort

ELISABETH
Der Herr hat über uns gewacht!
fällt auf die Knie
Herrgott! Herrgott!

Philipp, die Gräfin von Aremberg, Rodrigo, Chor, Pagen, nacheinander auftretend

THIBAULT
kommt schnell aus dem Kloster
Der König!

PHILIPP
zur Elisabeth
Warum allein, Madame?
Die Königin hat nicht eine einzige Dame bei sich?
Kennt Ihr nicht die Regel meines Hofes?
Welche Dame war Euch heute zur Begleitung zugewiesen?
Gräfin von Aremberg löst sich aus der Gruppe und tritt ängstlich vor den König
Gräfin, schon morgen reist Ihr nach Frankreich!
Die Gräfin zieht sich weinend zurück. Alle sehen erstaunt auf die Königin

CHOR
Ah! Welche Beleidigung für die Königin!

ELISABETH
zur Gräfin von Aremberg
O meine liebe Gefährtin,
meine Schwester, weine nicht.
Man vertreibt dich aus Spanien,
doch nicht aus meinem Herzen.
Mit dir habe ich
die frohen Tage meiner Kindheit verbracht!
Du wirst Frankreich wiedersehen.
Ah! Bringe ihm mein Lebewohl!

gibt der Gräfin einen Ring
Nimm dieses letzte Pfand
meiner ganzen Gunst.
Halte geheim, welche Beleidigung
mich mit Röte bedeckt.
Verrate niemandem meine Leiden,
die Tränen meiner Augen.
Du wirst Frankreich wiedersehen.
Ah! Bringe ihm mein Lebewohl!

CHOR, RODRIGO
Ah! die Unschuld
strahlt ihr aus den Augen.

PHILIPP
(Mit welcher Sicherheit
sie den Himmel zum Zeugen anruft!)

ELISABETH
Du wirst Frankreich wiedersehen,
bringe ihm mein Lebewohl!

Die Königin wendet sich weinend von der Gräfin ab und geht. Der Chor folgt ihr

PHILIPP
zu Rodrigo, der gehen will
Bleibt!
Rodrigo bleibt stehen, beugt das Knie vor dem König, geht dann auf ihn zu und bedeckt den Kopf ohne das geringste Zeichen von Befangenheit
Warum habt Ihr nie ersucht,
zu meiner Person vorgelassen zu werden?
Ich zeige mich gern denen erkenntlich, die meineFreunde sind.
Ihr habt, ich weiss es, meiner Krone gute Dienste geleistet.

RODRIGO
Was könnte ich von der Gunst der Könige begehren,
Sire? Ich lebe zufrieden, im Schutz unserer Gesetze.

PHILIPP
Nur allzusehr liebe ich den Stolz! Die Kühnheit verzeihe ich
bisweilen! Ihr habt meine Fahnen verlassen,
und dabei haben Leute wie Ihr, Soldaten edler Herkunft,
nie die Ruhe geliebt.

RODRIGO
Wenn mein Land einen Degen braucht,
sollte es eines Rächers, eines Hüters bedürfen,
der meine wird alsbald glänzen, von Blut getränkt.

PHILIPP
Ich weiss …, doch für Euch, was könnte ich tun?

RODRIGO
Nichts!
Nein... nichts für mich, doch andere...

PHILIPP
Was soll das heissen?
Andere?

RODRIGO
Ich rede, Sire,
wenn Ihr es wollt.

PHILIPP
Redet!

RODRIGO
O König! Ich komme aus Flandern,
diesem Land, das einst so schön war!
Es ist nur noch eine Wüste von Asche,
ein Schreckensort, ein Grab!
Dort bettelt die Waise
weinend in den Strassen
und fällt auf der Flucht vor dem Feuer
über Menschengebeine!
Blut rötet das Wasser der Flüsse,
die sich, von Leichen beladen, dahinwälzen,
die Luft ist erfüllt von den Schreien der Witwen,
die über dahingeschlachteten Männern klagen.
Ah! Die Hand Gottes sei gesegnet,
die durch mich
das Sterbeläuten dieses Todeskampfes
vor die Gerechtigkeit des Königs trägt!

PHILIPP
Mit diesem Blutpreis habe ich den Frieden der Welt bezahlt;
mein Blitz hat den Hochmut der Neuerer zerschmettert,
die das Volk in lügnerische Träume stürzen wollen!
Der Tod aus meinen Händen kann fruchtbar werden.

RODRIGO
Wie! Ihr glaubt, indem Ihr Tod sät,
sät Ihr für die Zukunft?

PHILIPP
Seht meine spanischen Länder!
Der Handwerker in der Stadt, das Volk auf dem Lande,
sie leben treu zu Gott und ergeben in ihr Schicksal!
Denselben Frieden biete ich meinem Flandern...

RODRIGO
Niemals
diesen Frieden! Den Frieden eines Friedhofs!
O König! Möge die Zukunft bei Eurem Namen
nicht sagen: Er war ein Nero!
Ist das der Frieden, den Ihr der Welt schenkt?
Eure Gaben sind der Schrecken, das tiefe Entsetzen!
Jeder Priester ist ein Henker, jeder Soldat ein Bandit!
Das Volk stirbt dahin, in schweigendem Leiden,
und Euer Reich ist eine unendliche Wüste,
in der Philipps Name verflucht ist! Ja, verflucht!
Wie ein Gott schüttet das Glück über den Menschen aus,
König, ragt erhaben empor unter den anderen Königen!
Mit einem Wort verwandelt die Erde,
gebt Freiheit!

PHILIPP
Welch sonderbarer Träumer!
Ihr werdet Eure Meinung ändern, wenn Ihr das Herz
des Menschen so kennt wie Philipp.
Kein Wort mehr! ...
Der König hat nichts gehört.... sei ohne Angst!
Doch hüte dich vor meinem Inquisitor...

RODRIGO
Wie! Sire!

PHILIPP
Ihr steht noch immer vor mir,
und ich bewundere,
dass Ihr noch nichts vom König erbeten habt!
Ich will Euch stets in meiner Nähe haben.

RODRIGO
Sire!
Nein! Lasst mich bleiben, was ich bin!

PHILIPP
Ihr treibt den Stolz zu weit!
Euer kühner Blick drang bis zu meinem Thron empor,
doch erfahrt Leid und Schmerz dieses Hauptes,
auf dem die Krone lastet.
Betrachtet mein Haus …, Sorge herrscht ringsum …
Ja! … vom Unglück ist der Vater und schwerer noch der Gatte geschlagen!

RODRIGO
Sire! Was sagt Ihr?

PHILIPP
Die Königin..., ein Verdacht quält mich...
Mein Sohn...

RODRIGO
Seine Seele ist edel und rein...

PHILIPP
mit einem Ausbruch des Schmerzes
Nichts auf Erden kommt dem Gut gleich, das er mir raubte!
(Rodrigo blickt erschrocken auf Philipp, ohne zu antworten
Seid ihr Richter und mein Halt!
Erforscht diese Herzen, die von wahnsinniger Liebe hingerissen werden!
Ihr habt die volle Ermächtigung, mit der Königin zu sprechen...
Du, der einzig Menschliche unter Menschen,
ich lege mein Herz vertrauend in deine Hände!

RODRIGO
(Ah! Welche Morgenröte steigt am Himmel auf!)

PHILIPP
... in deine Hände!

RODRIGO
(Es hat sich geöffnet, dieses Herz, das sich niemals öffnete

PHILIPP
Könnte doch dieser glückliche Tag meinem Herzen den Frieden wiedergeben!

RODRIGO
Ah! Welche Morgenröte etc.
(O meine göttliche Hoffnung! O mein ruhmreicher Traum!)

PHILIPP
Könnte doch dieser glückliche Tag etc.
Hüte dich vor meinem Inquisitor!
Hüte dich! Hüte dich!

RODRIGO
Sire!
Der König reicht Rodrigo die Hand, die dieser, vor dem König niederkniend, küsst

DRITTER AUFZUG

Vorspiel

ERSTES BILD
Die Gärten der Königin. Im Hintergrund unter einem Gewölbe eine Brunnenfigur. Helle Nacht.

DON CARLOS
einen Brief lesend
»Um Mitternacht, in den Gärten der Königin,
unter den Lorbeerbäumen bei der Quelle ...
« Es ist Mitternacht! Ich höre
das helle Murmeln der Quelle in der Stille.
Trunken vor Liebe, erfüllt von unermesslicher Freude,
erwarte ich dich, Elisabeth, mein Leben, mein Glück!

zur Eboli, die maskiert auftritt, und die er für Elisabeth hält

Ihr seid es, Geliebte,
die durch Blumen wandelt,
Ihr seid es! Meine entzückte Seele
sieht ihre Schmerzen schwinden.
O brennende, heilige Quelle
meines süssesten Glücks,
meiner geliebten Traurigkeit,
mein Leben, meine Liebe, Ihr seid es!

EBOLI
(Solche Liebe ist höchstes Glück
Ich bin selig, so geliebt zu sein!)

DON CARLOS
Vergessen wir die Welt, das Leben und selbst den Himmel!
Was zählt die Vergangenheit? Was zählt die Zukunft?
Ich liebe dich!

EBOLI
Könnte die Liebe uns auf immer vereinen!
nimmt die Maske ab

DON CARLOS
(Gott! Das ist nicht die Königin!)

EBOLI
O Himmel! Welcher Gedanke
hält Euch zurück, bleich, bewegungslos und mit starren Lippen!
Welches Gespenst erhebt sich zwischen uns?
Zweifelt Ihr an diesem Herzen, das nur für Euch schlägt?

Ach! Eure Jugend verkennt,
welch furchtbare Falle man Euch auf Euren Wegen stellt;
ich höre das vernichtende Unwetter
bereits leise über Eurem Haupt grollen!

DON CARLOS
Glaubt nicht, dass ich die Gefahren verkenne,
die unter meinen Schritten gesät sind.
Ich höre das vernichtende Unwetter
leise über meinem Haupt grollen!

EBOLI
Euer Vater ... und kein anderer als Posa
haben oft leise über Euch gesprochen!
Ich kann Euch retten... Ich liebe Euch!

DON CARLOS
Rodrigo! Welches Geheimnis wird mir hier enthüllt?

EBOLI
Carlos!

DON CARLOS
Ah! Ihr habt das Herz eines Engels,
doch das meine schläft für immer, verschlossen vor dem Glück.
Wir beide verfielen einem seltsamen Traum,
durch diese schöne Nacht, unter duftenden Bäumen!

EBOLI
Ein Traum! O Himmel! Diese glühenden Worte
glaubtet Ihr an eine andere Frau zu richten?
Welche Erleuchtung! Welches Geheimnis!
Ihr liebt die Königin!

DON CARLOS
Erbarmen!

Rodrigo tritt auf

RODRIGO
Was sagt er? Er ist im Fieber...
Glaubt ihm nicht, er ist von Sinnen!

EBOLI
Ich habe auf dem Grund seines Herzens lesen können,
und sein Urteil ist gesprochen!

RODRIGO
Was hat er gesagt?

EBOLI
Lasst mich!

RODRIGO
Was hat er gesagt? Unselige,
zittere! Ich bin...

EBOLI
Der Günstling des Königs!
Ja, das weiss ich, aber ich, ich bin
eine gefährliche Feindin!
Ich kenne Eure Macht… Ihr kennt die meine nicht.

RODRIGO
Was wollt Ihr damit sagen?

EBOLI
Nichts!
Fürchtet meine Wut!
In meinen Händen halte ich sein Leben!

RODRIGO
zur Eboli
Redet und verratet mir,
was Euch hierhergebracht hat!

EBOLI
Ah! Die Löwin ist im Herzen verwundet!
Fürchtet eine beleidigte Frau!

RODRIGO
Fürchtet, Gott zu erzürnen,
den Beschützer der Unschuld!

DON CARLOS
Was habe ich getan? O bitterer Schmerz!
Ich habe den Namen meiner Mutter entehrt!
Nur das Auge des Allmächtigen
kann den Unschuldigen erkennen!

EBOLI
Fürchtet meine Wut etc.

RODRIGO
Fürchtet, Gott zu erzürnen etc.

EBOLI
Und ich habe vor ihr gezittert!
Sie, diese heilige Unschuld,
wahrte mit himmlischer Tugendhaftigkeit den äusseren Schein
und wollte in vollen Zügen sich am Becher gütlich tun,
aus dem man die Freuden des Lebens trinkt!
Ah! Bei meiner Seele, das war ein tolldreistes Stück!

RODRIGO
zieht seinen Dolch
Das sollst du büssen!

DON CARLOS
hält ihn auf
Rodrigo!

RODRIGO
Das Gift
hat ihren verfluchten Mund noch nicht verlassen!

DON CARLOS
Rodrigo, beruhige dich!

EBOLI
Eure Hand zögert?
Warum stosst Ihr nicht zu? ... Hier bin ich!

RODRIGO
wirft den Dolch fort
Nein! Eine Hoffnung bleibt mir, und Gott wird mich leiten!

EBOLI
zu Don Carlos
Unglück über dich, ehebrecherischer Sohn,
mein Racheschrei wird ertönen...
Unglück über dich, morgen wird die Erde
sich öffnen und dich verschlingen!

RODRIGO
zur Eboli
Wenn Ihr redet, so möge ein strenger Gott
seinen Arm heben und Euch strafen!
Wenn Ihr redet, ah! so soll die Erde
sich öffnen und Euch verschlingen!

DON CARLOS
Sie weiss alles! O bittere Qual!
Schmerz, der mir den Tod bringt!
Sie weiss alles! Ah! Wenn sich doch die Erde
endlich öffnete, um mich zu verschlingen!

Eboli geht wütend ab

RODRIGO
Carlos, wenn du irgendeinen wichtigen Brief hast ...
Notizen.... Pläne.... du musst sie mir übergeben!

DON CARLOS
zögernd
Dir? ... dem Günstling des Königs?

RODRIGO
Carlos, du zweifelst an mir?

DON CARLOS
Nein! Mein Halt.... meine Hoffnung!
Dieses Herz, das dich so sehr liebt,
wird sich dir nie verschliessen.
Dir vertraue ich immer...
Hier.... meine wichtigen Papiere, hier hast du sie!

RODRIGO
O mein Carlos!
O mein treuer Prinz - Dank!

DON CARLOS
Ah! Dir überlasse ich mich!

Sie fallen einander in die Arme


ZWEITES BILD
Grosser Platz vor der Kathedrale von Valladolid Rechts die Kirche, zu der eine grosse Treppe hinaufführt. Links ein Palast. Im Hintergrund eine andere Treppe, die zu einem tiefer gelegenen Platz führt. Grosse Gebäude und ferne Hügel schliessen den Hintergrund ab

Grosses Finale
Die Menge, von den Hellebardieren nur mit Mühe zurückgehalten, strömt auf den Platz. Die Glocken läuten

DAS VOLK
Dieser glückliche Tag ist von Jubel erfüllt!
Ehre dem mächtigsten der Könige!
Ihm huldigt die Welt.
Die Welt beugt sich seinen Gesetzen!
Unsere Liebe begleitet ihn überall,
eine Liebe, die er verdient wie kein anderer.
Sein Name ist der Stolz Spaniens,
möge er ewig leben!

Ein Trauermarsch ertönt. Mönche führen die von der Inquisition zum Tode Verurteilten über den Platz

DIE MÖNCHE
Dies ist ein Tag des Zorns,
ein Tag der Trauer, ein Tag des Schreckens.
Wehe! Wehe dem Verwegenen,
der dem Gesetz des Himmels trotzte!
Doch die Verzeihung folgt der Verdammung,
wenn der entsetzte Sünder
in seiner letzten Stunde,
auf der Schwelle zur Ewigkeit bereut!

Die Mönche und die Verurteilten steigen zu dem tiefergelegenen Platz hinab, wo die Scheiterhaufen vorbereitet werden

DAS VOLK
Ehre dem mächtigsten der Könige!
Unsere Liebe begleitet ihn überall etc.

Ehre dem König!

Ein Zug verlässt den Palast: die Vertreter aller Staatsorgane; der ganze Hof; die Deputierten aller Provinzen des Reiches; die Granden Spaniens, unter ihnen Rodrigo; die Königin inmitten ihrer Hofdamen; Thibault, die Schleppe ihres Mantels tragend; Pagen usw. Der Zug stellt sich vor der Kirchentreppe auf

DAS VOLK
Dieser glückliche Tag ist von Jubel erfüllt! etc.
Ehre dem König!

DER HEROLD DES KÖNIGS
vor den geschlossenen Toren der Kirche
Öffnet euch, o geweihte Pforten!
Haus des Herrn, öffne dich!
O verehrungswürdige Gewölbe,
gebt uns unseren König wieder!

DAS VOLK
Öffnet euch, o geweihte Pforten! etc.

Die Kirchentüren öffnen sich. Philipp erscheint, die Krone auf dem Haupt, unter einem Baldachin schreitend, inmitten von Mönchen. Die Granden verneigen sich, das Volk kniet nieder

PHILIPP
unter dem Baldachin
Volk, als ich mir diese Krone auf das Haupt setzte,
schwur ich zu Gott, der sie mir verlieh,
sie mit Feuer und Schwert zu rächen!

DAS VOLK
Ruhm sei Philipp! Ruhm sei Gott!

Alle verneigen sich schweigend. Philipp schreitet die Stufen der Kirche herab und nimmt Elisabeth bei der Hand, um seinen Weg fortzusetzen. Plötzlich erscheinen die Deputierten Flanderns, geführt von Carlos, und werfen sich Philipp zu Füssen

ELISABETH
(O Himmel! Carlos!)

RODRIGO
(Was wagt er zu tun?)

PHILIPP
Wer sind diese Leute, die sich vor meinen Füssen krümmen?

DON CARLOS
Deputierte aus Brabant, aus Flandern,
die Euer Sohn vor Euch führt!

SECHS FLANDRISCHE DEPUTIERTE
Sire, hat die letzte Stunde
nun also für Eure flandrischen Untertanen geschlagen?
Ein ganzes Volk trägt unter Tränen
seine Schreie und Klagen vor Euer Ohr!
Wenn Eure Seele, milde gestimmt,
Gnade und Frieden am heiligen Ort geschöpft hat,
rettet unsere Heimat,
mächtiger König, der Ihr die Macht von Gott empfangt!

PHILIPP
Von Gott seid ihr abgefallen,
abgefallen von eurem König.
Diese Bittsteller sind Rebellen.
Wachen! Entfernt sie aus meinen Augen!

SECHS MÖNCHE
Die Flamen sind Abtrünnige,
sie haben dem Gesetz getrotzt.
Diese Bittsteller sind Rebellen.
Euer Herz möge sie richten, o König!

ELISABETH, DON CARLOS, RODRIGO, THIBAULT, DAS VOLK
Haltet auch über ihre Häupter Eure Herrscherhand,
Sire, habt Erbarmen mit einem unglücklichen Volk,
das blutend seine Kette schleppt,
zur Verzweiflung, zum Tode verurteilt!

PHILIPP
Von Gott seid ihr abgefallen, etc.

DIE FLANDRISCHEN DEPUTIERTEN
Sire, hat die letzte Stunde etc.

Der König will weitergehen. Carlos stellt sich ihm in den Weg

DON CARLOS
Sire, die Zeit ist gekommen, dass ich lebe!
Ich bin es überdrüssig, die Jugend müssig
an Eurem Hofe zu verbringen.
Wenn Gott es will, dass einst auf meinem Haupt
die goldene Krone funkle,
so bereitet Spanien einen würdigen Herrscher!
Vertraut mir
Brabant und Flandern an!

PHILIPP
Wahnsinniger! Was wagst du zu fordern?
Du willst, dass ich dir, ausgerechnet dir,
das Schwert gebe, das früher oder später den König hinschlachten würde!

DON CARLOS
Ah! Gott liest in unseren Herzen, Gott hat unser Urteil gesprochen, Sire!

ELISABETH
(Ich bebe!)

RODRIGO
(Er ist verloren!)

DON CARLOS
zieht den Degen
Gott ist mein Zeuge:
Ich werde dein Retter sein, edles flandrisches Volk!

ELISABETH, THIBAULT, RODRIGO, DIE MÖNCHE, DAS VOLK
Den Degen vor dem König! Der Infant ist von Sinnen!

PHILIPP
Wachen! Entwaffnet den Infanten!
Ihr Granden, ihr Stützen meines Thrones,
entwaffnet den Infanten! Wie! Keiner!

DON CARLOS
Ich will sehen, wer das wagt!
Meine Hand ist bereit zur Rache!

Die Granden von Spanien weichen vor Carlos zurück

PHILIPP
Entwaffnet den Infanten!

RODRIGO
zu Carlos
Euren Degen!

ELISABETH
O Himmel!

DON CARLOS
Du, Rodrigo!

Er gibt seinen Degen Rodrigo, der ihn mit einer Verneigung dem König überreicht

DAS VOLK
Er! Posa!

ELISABETH
Er!

PHILIPP
Marquis, Ihr seid Herzog! … Jetzt zum Fest!

Der König reicht der Königin die Hand, und sie gehen. Der ganze Hof folgt ihm. Sie nehmen Platz auf der Tribüne, die ihnen für das Autodafé freigehalten wurde. In der Ferne flammen die Scheiterhaufen auf

DAS VOLK
Dies ist ein Jubeltag! etc.

DIE MÖNCHE
Dies ist ein Tag des Zorns! ...

EINE STIMME VON OBEN
Fliegt empor zum Herrn, fliegt empor, o arme Seelen!
Freut euch des Friedens an Gottes Thron
und der Vergebung!

DIE FLANDRISCHEN DEPUTIERTEN
Gott duldet diese Freveltaten! Gott löscht nicht diese Flammen!
Und in seinem Namen werden diese lodernden Scheiterhaufen errichtet!

DIE MÖNCHE
… ein Tag der Trauer, ein Tag des Schreckens!

PHILIPP, DIE MÖNCHE
Ruhm sei Gott!

DAS VOLK
Ruhm sei Gott!

Die Flammen der Scheiterhaufen steigen höher

VIERTER AUFZUG

ERSTES BILD
Das Arbeitszimmer des Königs

Philipp, in tiefes Nachdenken versunken, stützt sich auf einen mit Papieren bedeckten Tisch. Die Kerzen sind niedergebrannt, durch die Fenster dämmert der beginnende Tag

PHILIPP
wie im Traum
Sie liebt mich nicht! Nein! Ihr Herz ist mir verschlossen,
nie hat sie mich geliebt!
Ich sehe sie noch, den Blick schweigend
auf mein weisses Haar gerichtet, an jenem Tag, als sie aus Frankreich kam.
Nein, sie liebt mich nicht!
Sie liebt mich nicht!
zu sich kommend
Wo bin ich? Diese Kerzen
sind niedergebrannt … Der Morgen erhellt die Fenster,
es ist Tag! Ach! Der erquickende Schlaf,
der süsse Schlaf ist für immer von meinen Lidern geflohen!
Ich werde in meinem Königsmantel schlafen,
wenn einst meine letzte Stunde erloschen ist,
dann schlafe ich unter den steinernen Gewölben
der Gruft des Escorial!

Wenn die Königsgewalt uns doch die Macht gäbe,
auf dem Grunde der Herzen zu lesen, wo Gott allein alles sehen kann!
Wenn der König schläft, wird Verrat gesponnen,
man raubt ihm seine Krone und seine Frau!

Ich werde in meinem Königsmantel schlafen, etc.

Ah! Wenn die Königsgewalt uns doch die Macht gäbe,
auf dem Grunde der Herzen zu lesen!
Sie liebt mich nicht! Nein, ihr Herz ist mir verschlossen,
sie liebt mich nicht!

Er versinkt wieder in seine Träume

GRAF VON LERMA
eintretend
Der Grossinquisitor!

Lerma geht ab. Der Grossinquisitor, blind, 90jährig, tritt ein, von zwei Dominikanermönchen gestützt

GROSSINQUISITOR
Stehe ich vor dem König?

PHILIPP
Ja, ich bat Euch um Hilfe, mein Vater, gebt mir einen Rat.
Der Infant erfüllt mein Herz mit schwerer Sorge,
der Infant ist ein Rebell, hebt die Waffe gegen seinen Vater.

GROSSINQUISITOR
Was habt Ihr gegen ihn beschlossen?

PHILIPP
Alles... oder nichts!

GROSSINQUISITOR
Erklärt Euch!

PHILIPP
Er soll fliehen.... oder das Schwert soll...

GROSSINQUISITOR
Nun?

PHILIPP
Wenn ich den Infanten töte, würde deine Hand mir die Absolution erteilen?

GROSSINQUISITOR
Der Friede der Welt ist das Blut eines aufrührerischen Sohnes wert.

PHILIPP
Kann ich meinen Sohn der Welt opfern, ich, ein Christ?

GROSSINQUISITOR
Gott opferte den seinen, um uns alle zu erlösen.

PHILIPP
Kannst du überall einen so strengen Glauben schaffen?

GROSSINQUISITOR
Überall, wo der Christ dem Glauben Golgathas folgt.

PHILIPP
Werden Natur und Blut in mir schweigen?

GROSSINQUISITOR
Alles beugt sich und schweigt, wenn der Glaube spricht!

PHILIPP
Es ist gut!

GROSSINQUISITOR
Philipp der Zweite hat mir weiter nichts zu sagen?

PHILIPP
Nein!

GROSSINQUISITOR
Dann werde ich zu Euch sprechen, Sire!

In diesem schönen Land, das rein ist von gärender Ketzerei,
wagt ein Mensch, das göttliche Gebäude zu unterwühlen.
Er ist der Freund des Königs, sein enger Vertrauter,
der verführerische Dämon, der ihn in den Abgrund treibt.
Die verbrecherischen Absichten, deren Ihr den Infanten anklagt,
sind gegen die seinen nur ein Kinderspiel.
Und ich , der Inquisitor, ich erhebe
über jedem beliebigen Übeltäter die Hand mit dem Richtschwert
und schwöre dabei meinem Zorn über die Mächtigen der Welt ab:
Ich lasse diesen Schwerverbrecher friedlich leben … und Euch!

PHILIPP
Um die Tage der Prüfung zu bestehen, die für uns gekommen sind,
suchte ich an meinem Hof, dieser menschenleeren Wüste,
einen Menschen, einen vertrauenswürdigen Freund … Ich habe ihn gefunden!

GROSSINQUISITOR
Warum
einen Menschen? Und mit welchem Recht nennt Ihr Euch König,
Sire, wenn Ihr andere zu Euresgleichen macht?

PHILIPP
Schweige, Priester!

GROSSINQUISITOR
Der Geist der Neuerer ergreift bereits Besitz von Euch!
Ihr wollt mit Eurer schwachen Hand
das heilige Joch erschüttern, das über dem römischen Weltreich hängt!
Besinnt Euch auf die Pflicht! Die Kirche, wie eine gute Mutter,
kann aufrichtige Reue noch anerkennen.
Liefert uns den Marquis von Posa aus!

PHILIPP
Nein, niemals!

GROSSINQUISITOR
O König, wäre ich heute nicht hier
in diesem Palast: Beim lebendigen Gott, morgen stündet Ihr selbst
vor uns im obersten Tribunal!

PHILIPP
Priester! Zu lange duldete ich deinen verbrecherischen Hochmut!

GROSSINOUISITOR
Warum beschwort Ihr ihn, den Schatten Samuels?
Ich habe diesem mächtigen Weltreich zwei Könige gegeben.
Das Werk meinesganzen Lebens, Ihr wollteszerstören ...
Was habe ich hier zu tun? Was wollt Ihr von mir?
Er wendet sich zum Gehen

PHILIPP
Mein Vater, Frieden herrsche wieder unter uns.

GROSSINQUISITOR
im Abgehen
Frieden?

PHILIPP
Das Vorgefallene sei vergessen!

GROSSINQUISITOR
in der Tür, hinausgehend
Vielleicht!

PHILIPP
Der Stolz des Königs vergeht vor dem Stolz des Priesters!

ELISABETH
tritt ein und wirft sich dem König zu Füssen
Gerechtigkeit! Sire! Ich vertraue
auf den gerechten Sinn des Königs!
Ich werde an Eurem Hof unwürdig behandelt
und von unbekannten Feinden beleidigt …
Meine Schatulle … Sire, sie enthält alles, was mir wert ist,
meine Juwelen … noch grössere Kostbarkeiten …
Man hat sie gestohlen! Aus meinen Räumen! Gerechtigkeit! Das fordere ich
von Eurer Majestät!

Als sie den furchtbaren Ausdruck in Philipps Gesicht sieht, hält Elisabeth vor Schrecken inne. Der König erhebt sich langsam, nimmt eine Schatulle vom Tisch und hält sie der Königin hin

PHILIPP
Eure Schatulle, Madame,
hier ist sie!

ELISABETH
Himmel!

PHILIPP
Geruht Ihr sie zu öffnen?
Elisabeth verneint mit einer Geste
Dann werde ich selbst sie öffnen!
bricht die Schatulle auf

ELISABETH
Gott! Stehe mir bei!

PHILIPP
Ein Porträt des Infanten! Ihr hüllt Euch in Schweigen?
Ein Porträt des Infanten!

ELISABETH
Ja!

PHILIPP
Unter Euren Juwelen?

ELISABETH
Ja!

PHILIPP
Wie! Und Ihr gesteht es vor mir!

ELISABETH
Vor Euch!
Ihr wisst es! Ich war
Don Carlos versprochen, Eurem Sohn!
Ich war Gott gehorsam und kam zu Euch,
rein wie die Lilien Frankreichs.
Ihr wagt es, mit Blindheit geschlagen,
einer Königstochter zu misstrauen,...
einer Tochter Frankreichs,...
der Königin von Spanien.... mir!

PHILIPP
Das nenne ich beherzt gesprochen!
Ihr habt mich nur ... an Tagen der Schwäche gekannt.
Doch die Schwäche kann eines Tages in Zorn umschlagen.
Dann wehe Euch und allen!

ELISABETH
Welches Verbrechen habe ich begangen?

PHILIPP
Meineidige!
Wenn das Mass der Schändlichkeit voll ist,
wenn Ihr mich betrogen habt,beim allmächtigen Gott,
dann müsst Ihr zittern! Dann vergiesse ich Blut!

ELISABETH
Ich kann Euch nur bedauern!

PHILIPP
Ihr! Mich bedauern! Eine Ehebrecherin!

ELISABETH
verliert das Bewusstsein
Ah!

PHILIPP
öffnet die Türen
Helft der Königin!

Eboli stürzt herein, kurz darauf Rodrigo

EBOLI
erschrickt beim Anblick der ohnmächtigen Königin
(Ah, was habe ich getan! Ach!)

RODRIGO
zu Philipp
Sire! Die halbe Erde ist Euch untertan.
Seid Ihr in Euren unermesslichen Reichen der einzige,
den Ihr nicht beherrschen könnt?

PHILIPP
(Verflucht sei der schändliche Argwohn,
das Werk eines grässlichen Dämons!
Nein! Der Stolz dieser Frau
ist kein verwegenes Verbrechen!)

EBOLI
(O Reue! O bittere Trauer!
Ich beging ein grässliches Verbrechen.
Ich habe meine edle Herrin verraten:
Werde ich vom Himmel Vergebung erhalten?)

RODRIGO
(Ich muss handeln, jetzt ist es Zeit!
Aus der Tiefe des Himmels grollt das Gewitter.
Einer muss für Spanien sterben,
um ihm glückliche Tage zu vermachen,
um ihm eine strahlende Zukunft zu vermachen!)

ELISABETH
kommt wieder zu sich
Wo bin ich? Ach! Meine arme Mutter,
sieh die Tränen, die mir die Augen verbrennen.
Ich bin eine Fremde auf Erden!
Meine einzige Hoffnung ist auf den Himmel gerichtet.

Der König entfernt sich nach kurzem Zögern, Rodrigo folgt ihm mit einer Geste der Entschlossenheit. Eboli bleibt allein bei der Königin

EBOLI
wirft sich Elisabeth zu Füssen
Erbarmen! Vergebung für eine Frau, die Schuld auf sich lud!

ELISABETH
Erhebt Euch! Welches Vergehen?

EBOLI
Ah! Die Reue erdrückt mich!
Mein Herz ist ohne Trost.
Engel des Himmels, erhabene, angebetete Königin,
Ihr müsst wissen, welchem Dämon die Hölle Euch ausgeliefert hat!
Eure Schatulle.... ich selbst habe sie gestohlen!

ELISABETH
Ihr!

EBOLI
Ja, ich selbst habe Euch beschuldigt!

ELISABETH
Ihr?

EBOLI
Ja! Liebe, Zorn, mein Hass auf Euch!
Alle Qualen der Eifersucht tobten in meinem Herzen.
Ich liebte den Infanten, … der Infant stiess mich zurück!

ELISABETH
Ihr liebtet ihn! Erhebt Euch!

EBOLI
Nein! Nein! Erbarmen mit mir!
Noch eine Schuld ...

ELISABETH
Noch eine?

EBOLI
Erbarmen! Erbarmen! Der König …
Ihr dürft mich nicht verfluchen! Ja, … verführt! … Ein Opfer!
Ich klagte Euch an, und ich selbst beging das Verbrechen!

ELISABETH
Ah!
Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und geht zur Seite
Gebt Euer Kreuz zurück! Ihr verlasst den Hof,
sobald der Morgen graut!
Zwischen Kloster und Exil
habt Ihr die Wahl!
Sie geht

EBOLI
Ah! Nie mehr werde ich die Königin sehen!

O verhängnisvolle, abscheuliche Gabe,
vom Himmel im Zorn verliehen!
O du, du machst die Frau so stolz:
Ich verfluche dich, o meine Schönheit!

Fliesst, fliesst, bittere Tränen!
Meinen Verrat und meine Untat,
meine Schande und mein Elend
werdet ihr niemals fortwaschen!

Ich verfluche dich, o meine Schönheit!

Lebe wohl, Königin, unschuldiges Opfer
meiner unlauteren, wahnsinnigen Liebe!
In einem Kloster und im Busskleid
werde ich mich für immer verbergen!

Und Carlos? Ja! Morgen vielleicht
fällt er unter dem Richtschwert!
Ein Tag bleibt mir! Ja! Ich fühle neues Leben!
Gesegnet sei dieser Tag ... Ich werde ihn retten!


ZWEITES BILD
Das Gefängnis des Don Carlos. Im Hintergrund Eisengitter, die das Gefängnis von einem höhergelegenen Hof trennen, in dem Wachen kommen und gehen. Eine steinerne Treppe führt von den oberen Etagen des Palastes zu diesem Hof herab. Carlos sitzt, den Kopfin die Hände gestützt, gedankenverloren. Rodrigo tritt auf und spricht leise mit einigen Offizieren. Er macht eine Bewegung, die Carlos aus seinen Träumen reisst

RODRIGO
Ich bin es, Carlos!

DON CARLOS
gibt ihm die Hand
Mein Rodrigo! Ich danke dir,
dass du mich in diesem Grab aufsuchst!

RODRIGO
Carlos!

DON CARLOS
Du verstehst, meine Kraft ist gebrochen!
Die Liebe zu Elisabeth foltert und tötet mich ...
Nein! Ich kann nichts mehr für die Menschen tun! Aber du,
schenke du ihnen die goldene Zeit, die sie von mir erhofften!

RODRIGO
Ah! Lerne meine Seele und meine Liebe besser kennen.
Du wirst diesen düsteren Ort verlassen.
Mit welch zärtlichem Stolz drücke ich dich an mein Herz!
Ich habe dich gerettet!

DON CARLOS
Wie!

RODRIGO
Wir müssen uns Lebewohl sagen!
O meinCarlos!
Carlos bleibt unbeweglich und sieht Rodrigo mit Staunen an
Ja, Carlos! Dies ist mein höchster Tag,
sagen wir uns feierlich Lebewohl!
Doch Liebe wird einst erlaubt sein
denen, die Gott nahe, im Himmel sind.
Warum in deinen Augen voll Tränen
dieses stumme Entsetzen?
Wen beklagst du? Der Tod hat seinen Reiz,
o mein Carlos, für den, der statt deiner stirbt!

DON CARLOS
bebend
Was sprichst du von Tod?

RODRIGO
Höre! Die Zeit drängt...
Ich habe den Blitz der Rache von dir abgelenkt!
Der Nebenbuhler des Königs....
der verräterische Aufrührer in Flandern.... heute bin ich es!

DON CARLOS
Unglücklicher! Wer wird das glauben?

RODRIGO
Zwanzig Beweise auf einmal!
Deine Papiere, bei mir entdeckt,
Beweise für Verrat, die ich absichtlich auslegte ...
Kein Zweifel, in diesem Augenblick ist mein Kopf verpfändet!

Zwei Männer steigen die steinerne Treppe zum Gefängnis herab, der eine im Gewand des Inquisitionsgerichts, der andere mit einem Gewehr bewaffnet. Sie bleiben stehen und zeigen auf Carlos und Rodrigo, ohne von diesen gesehen zu werden

DON CARLOS
Ich gehe zum König...

RODRIGO
Erhalte dich für Flandern!
Erhalte dich für unser Werk, es muss dafür gekämpft werden …
Ein neues goldenes Zeitalter wird unter deiner Herrschaft wiedererstehen,
ja, du musstest regieren und ich für dich sterben!

ein Gewehrschuss

DON CARLOS
Himmel! Der Tod! Für wen?

RODRIGO
tödlich verwundet
Für mich!.. .
Die Rache des Königs lässt nicht auf sich warten!

Er sinkt dem verzweifelten Carlos in die Arme

DON CARLOS
Grosser Gott!

RODRIGO
Carlos, höre... Deine Mutter
erwartet dich morgen in St. Just.
Sie weiss alles! Ah! Die Erde
wankt unter mir … O Carlos! deine Hand...

Ah! Ich sterbe, und meine Seele ist froh,
denn du lebst, gerettet durch mich...
Ah! Ich sehe ein glückliches Spanien!
Lebe wohl! Carlos, ah! denke daran!

Carlos, denke daran! ...
Ja, du musstest regieren
und ich für dich sterben!

Ah! Ich sterbe, und meine Seele ist froh,
denn du lebst, gerettet durch mich...
Ah! Ich sehe ein glückliches Spanien!

Lebe wohl! Carlos, ah! denke daran!
Ah! Die Erde
wankt unter mir ... Carlos, deine Hand ...
Carlos! Ah! Rette Flandern!
Lebe wohl, Carlos, ah! Lebe wohl!

Er stirbt, Carlos sinkt verzweifelt aufseine Leiche nieder. Philipp tritt auf mit Gefolge; die Granden von Spanien und Graf von Lerma. Carlos kniet an der Leiche Rodrigos nieder

PHILIPP
Mein Sohn, nehmt Euren Degen wieder!

DON CARLOS
verzweifelt
Zurück! Eure Hand trieft von Blut!
Entsetzlich! Brüderliche Schwüre
hielten uns verbunden … er liebte mich! Er gab sein Leben,
um mich zu retten!

PHILIPP
O meine Ahnung!

DON CARLOS
Du hast keinen Sohn mehr,
meine Reiche sind, wo er ist!

Er wirft sich über die Leiche Rodrigos

PHILIPP
Wer gibt mir diesen Toten wieder?

Sturmgeläute in der Ferne

DIE GRANDEN VON SPANIEN
Himmel! Die Sturmglocke!

DAS VOLK
entfernt
Tod dem, der uns aufhält!
Wir schlagen zu ohne Mitleid und Furcht!
Erzittert und beugt das Haupt
vor der Rache des Volkes!

GRAF VON LERMA
Das Volk tobt!
Es will den Infanten sehen!

PHILIPP
Öffnet die Tore!

GRAF VON LERMA, DIE GRANDEN VON SPANIEN
Um Gottes willen!

PHILIPP
Macht sie auf! Ich will es!

Das Volk stürmt herein; Eboli, die maskiert ist, drängt sich durch die Menge und nähert sich Carlos

DAS VOLK
Schlagt zu! Schlagt zu!
Tod dem, der uns aufhält!
Schlagt zu! Schlagt zu! ete.

EBOLI
zu Carlos
Flieht! Flieht!

PHILIPP
zum Volk
Was wollt ihr?

DAS VOLK
Den Infanten!

PHILIPP
Da ist er!

Der Grossinquisitor erscheint

GROSSINQUISITOR
Gottloses Volk!

DAS VOLK
zurückweichend
Der Grossinquisitor! ...

GROSSINQUISITOR
Werft euch nieder vor dem, den Gott beschützt!
Auf die Knie! Auf die Knie!

PHILIPP und GROSSINQUISITOR
Auf die Knie!

DAS VOLK
wirft sich nieder
Herr! Verzeiht uns!

PHILIPP und GROSSINQUISITOR
Grosser Gott, gelobt seist Du!

GRAF VON LERMA, DIE GRANDEN VON SPANIEN
mit gezogenem Degen
Es lebe der König!

FÜNFTER AUFZUG

Das Kloster von St. Just. Nacht. Mondschein. Elisabeth tritt langsam auf, gedankenverloren nähert sie sich dem Grab Karls V. und kniet nieder

ELISABETH
Du hast die Nichtigkeit der irdischen Grösse erkannt,
du geniessest endlich den lieblichen, tiefen Frieden:
Wenn auch im Himmel Tränen vergossen werden,
so trage du weinend meine Tränen dem Ewigen zu Füssen!
Carlos kommt hierher! Ja! Er muss fort von hier, er muss vergessen...
Ich versprach Posa, über sein Leben zu wachen,
dass er dem Weg des Ruhmes und Segens folge!
Meine Aufgabe ist getan, meine Tage sind beendet!

Frankreich, edles Land, so teuer meiner Jugend!
Fontainebleau! Mein Herz ist erfüllt von deinem Bild …
Dort hörte Gott unseren ewigen Schwur,
und seine Ewigkeit dauerte nur einen Augenblick ...
Ihr schönen Gärten Spaniens, wenn zur fahlen, düsteren Stunded
Carlos noch einmal in eurem Schatten innehält,
sollen eure Blumen, Gräser, Quellen und Wälder
mit all ihren Stimmen mein Andenken besingen!

Lebe wohl, goldener Traum ... Täuschung! ... Trugbild! ...
Jegliches Band ist zerrissen, das mich an die Erde bindet!
Lebt wohl, Jugend, Liebe! ... Mein Herz erliegt der Qual
und hat nur ein Verlangen: den Frieden im Tode!

Du hast die Nichtigkeit der irdischen Grösse erkannt,
du geniessest endlich den lieblichen, tiefen Frieden:
Wenn auch im Himmel Tränen vergossen werden,
so trage du weinend meine Tränen dem Ewigen zu Füssen!
Verklärte Seele, aufgestiegen zum Himmel,
ah, trage du weinend meine Tränen dem Ewigen zu Füssen!

DON CARLOS
tritt auf
Sie ist es!

ELISABETH
Ein Wort.... ein einziges, das Wort,
das den, der Abschied nimmt, Gott anbefiehlt;
danach verlange ich von Euch,
zu vergessen und zu leben!

DON CARLOS
Ja, ich will stark sein.
Doch wenn die Liebe zerbrochen wird, so tötet sie vor dem Tod.

ELISABETH
Nein! Denkt an Rodrigo. Waren es nur Hirngespinste,
für die er sich geopfert hat?

DON CARLOS
In seinem geliebten Flandern
will ich ihm sofort ein Denkmal errichten,
wie kein König je ein schöneres erhielt.

ELISABETH
Die Blumen des Paradieses werden seine Seele erfreuen!

DON CARLOS
Ich hatte einen schönen Traum! … Er verflog, und der düstere Tag
zeigt mir einen Brand, der die Lüfte erhellt,
einen Fluss, gerötet von Blut, verlassene Dörfer,
ein Volk in Todesqualen, das mich
am Tag der höchsten Not anfleht als seinen rettenden Gott.
Ihm will ich zu Hilfe eilen und, wie mein Schicksal auch sei, glücklich sein,
wenn Ihr meinen Triumph besingt oder meinen Tod beweint!

ELISABETH
Ja, das ist die edle Flamme des Heldenmutes,
die Liebe, die unser würdig ist, die Liebe der grossen Seelen.
Sie macht den Menschen zum Gott! Geh, verliere keinen Augenblick.
geh, zögre nicht, und rette ein Volk, das dich erwartet!

DON CARLOS
Ja, durch Eure Stimme ruft das Volk zu mir,
und wenn ich dafür sterbe, wie schön wird mein Tod sein!

Gestern, noch gestern hätte keines Menschen Macht
meine Hand aus dieser Hand lösen können,
und heute trägt die Ehre den Sieg über meine Liebe davon,
meine grosse Sendung hat mir die Seele stark gemacht.
Seht, Elisabeth! Ich halte Euch in meinen Armen,
und ich bleibe standhaft, ich schwanke nicht!
Jetzt, da alles vorbei ist, da meine Hand sich zurückzieht
aus Euren Händen,... jetzt weint Ihr?


ELISABETH
Ja, doch ich bewundere Euch,
es sind die Tränen der Seele, edle Tränen,
wie die Frauen sie immer den Helden weihen!

Auf Wiedersehen in einer Welt, wo das Leben besser ist,
wo die Zukunft ohne Ende die erste Stunde läutet,
und dort, im Frieden des Herrn, finden wir
jene immerwährende Entrücktheit, die Glück heisst!

ELISABETH und DON CARLOS
Auf Wiedersehen in einer Welt, wo das Leben besser ist etc

ELISABETH
In diesem feierlichen Augenblick keine unwürdige Schwäche ...

ELISABETH und DON CARLOS
Vergessen wir all die Namen irdischer Leidenschaft!

DON CARLOS
Lebt wohl, meine Mutter!

ELISABETH
Lebt wohl, mein Sohn!

ELISABETH und DON CARLOS
Für immer! Lebt wohl!

Es treten auf Philipp, der Grossinquisitor und Angehörige des Inquisitionsgerichts

PHILIPP
ergreift die Königin am Arm
Ja, für immer! Ein doppeltes Opfer muss gebracht werden!
Ich werde meine Pflicht tun.
zum Grossinquisitor
Und Ihr?

GROSSINQUISITOR
Das Heilige Offizium
wird die seine tun!

ELISABETH
Himmel!

GROSSINQUISITOR
zu den Mitgliedern des Inquisitionsgerichts, auf Carlos zeigend
Wachen!

DON CARLOS
Ah! Gott wird mich rächen,
seine Hand wird dieses Blutgericht zerschmettern!

Sich verteidigend, weicht Carlos zum Grabmal Karls V. zurück. Das Gitter öffnet sich. Der Mönch erscheint: Es ist Karl V. im Krönungsornat

DER MÖNCH
Mein Sohn, die Schmerzen der Welt
verfolgen uns bis ins Kloster.
Der Frieden, den Euer Herz erhofft,
ist nur bei Gott zu finden!

GROSSINQUISITOR
Die Stimme des Kaisers!

VIER ANGEHÖRIGE DES INQUISITIONSGERICHTS
Karl V.!

PHILIPP
entsetzt
Mein Vater!

ELISABETH
O Himmel!

Karl V. zieht den verwirrten Carlos in das Kloster.