Libretto: I Lombardi alla prima crociata

von Giuseppe Verdi


Personen:
ARVINO (Tenor) und
PAGANO (Bass), Söhne Folcos, des Herschers von Rò
VICLINDA, Arvinos Gemahlin (Sopran)
GISELDA, ihre Tochter (Sopran)
PIRRO, Arvinos Waffenknecht (Bass)
PRIOR der Stadt Mailand (Tenor)
ACCIANO, Tyrann von Antiochia (Bass)
ORONTE, sein Sohn (Tenor)
SOFIA, Accianos heimlich zum Christentum übergetretene Gemahlin (Sopran)

CHOR und STATISTEN:
Nonnen, Prioren, Schergen, Soldaten in Folcos Palast.
Persische, medische, damaszenische und chaldäische Botschafter.
Kreuzritter und Soldaten, Pilger.
Lombardische Frauen, Haremsdamen, himmlische Jungfrauen.



ERSTER AKT - Die Rache

ERSTES BILD
Platz vor der Basilika Sant'Ambrogio in Mailand
Aus der Kirche dringt heitere Musik.


Vorspiel und Einleitung

CHOR DER BÜRGER
O edles Vorbild!
Habt ihr gesehen? In allen Gesichtern
glänzte die Freude des Herzens.
Doch in Paganos aufgeregten Augen
zeigten sich Spuren des langen Schreckens.
In seinem furchtbaren, finsteren Blick
steht noch immer der heftige Aufruhr seiner Seele.
Es mag sein, doch ist es eher selten,
dass sich das Rasen des Wolfes
in das sanfte Gemüt eines Lammes verwandelt.

CHOR DER FRAUEN
die aus der Kirche kommen
Warum dringen zur Stunde der Toten
festliche Klänge aus der grossen Kirche?
Oh, sagt, was ist geschehen?

BÜRGER
Heute wird dem Frevler
vom besänftigten Himmel vergeben.
Hier muss der verbannte Pagano sich niederwerfen,
der zu den Freuden der Heimaterde zurückkehrt.

FRAUEN
Erzählt, erzählt! Welches unheilvolle Los
hatte ihn bloss von den Gestaden seiner Heimat vertrieben?

BÜRGER
Viclinda war ein entzückendes Mädchen,
von lieblich duftendem Wesen.
Die wohlhabendsten, hübschesten Jünglinge
begehrten sie und brannten darauf,
sie ihre Braut zu nennen.
Doch Viclindas unschuldige Seele fand Gefallen
an Arvino und nahm ihn zum Gatten.
Der verschmähte Pagano schwor in der rasenden Brust,
entsetzliche Rache zu nehmen.
Eines Tages - es war zur Stunde der Toten -
ging das glückliche Paar zur Kirche,
als plötzlich diese niederträchtige Seele
den Bruder am ganzen Leibe verwundete.
Seither irrte er einsam und verstossen
zu den heiligen Stätten, um dort zu beten.
Schon seit vielen Jahren bereut er sein Verbrechen.
Nun ist es ihm vergönnt,
zu den Seinen zurückzukehren.

FRAUEN
Da sind sie! Sie kommen! Seht ihr?
In allen Gesichtern funkelt die Freude des Herzens.

BÜRGER
Doch in Paganos aufgeregten Augen etc.

ALLE
In seinem furchtbaren, finsteren Blick etc.

Pagano, Arvino, Giselda, Viclinda und Pirro treten aus der Kirche.
Ihnen voran schreiten die Prioren der Stadt und Diener, die Fackeln tragen.


PAGANO
auf der Erde hingestreckt
Hier an diesem heiligen, geweihten Ort,
dem Zeugen meines Verbrechens,
bitte ich demütig und mit betrübtem Herzen
Gott und die Welt um Vergebung.

ARVINO
Komm! … Der Kuss des Bruders
soll deine Vergebung besiegeln.

Sie umarmen sich.

PRIOREN DER STADT
Es lebe Arvino! Welch edles Herz! …

GISELDA, VICLINDA
Frieden! … Frieden! …

PAGANO
(O meine Schande!)

GISELDA
zu Arvino
Ein Schaudern ergreift dich! …
Vater, was ist?
Deine Stirn ist blass.
Mein Herz ist erfüllt von unermesslicher Freude,
und du, willst du sie nicht mit mir teilen?
ARVINO
zu sich
Die Seele war mir auf den Lippen,
doch plötzlich ergriff eisige Kälte mein Herz.
In diesen Blicken ist bestimmt Gewalt.
Ein furchtbarer Verdacht erwacht in mir.

PAGANO
zu Pirro
Pirro, hast du verstanden! Selbst der Himmel
wird sie nicht vor meiner Wut schützen!
Törichte! Sie haben mir das Herz durchbohrt
und von mir Frieden erhofft!

GISELDA, VICLINDA
zu Arvino
Mein Herz ist erfüllt von unermesslicher Freude, etc.

PIRRO
zu Pagano
Herr, dein Zeichen sei mir Befehl.
Du hast hundert Helfer für deine Wut.
Im finsteren Schrecken dieser Nacht
werden wir wie Geister zu dir kommen.

CHOR
Sie haben sich geküsst!
Möge dieser Kuss nicht sein wie der,
mit welchem Judas den Herrn verriet!
leise
Oh, das plötzliche Schweigen
verkündet dem Herzen keinen sicheren Frieden!

EIN PRIOR
Vernehmt nun den Willen der Bürger!
Vom Rufe Petrus' entflammt ernennen dich,
edler Arvino, alle zum Anführer
der lombardischen Kreuzfahrer.

ARVINO
Ich nehme die schwierige Aufgabe an,
gerne vergiesse ich dafür mein Blut.
O Bruder! Lass uns einander an die Brust drücken
und Himmel und Erde unsere Schwüre hören!

ALLE
Über den Frevler, der das heilige Versprechen bricht,
soll Schmach und Schande kommen.
Möge ihm keine Stunde des Friedens vergönnt sein,
das Tageslicht soll sich mit Blut färben.

ARVINO, PAGANO
Genug! Wir wollen nicht mehr von Hass sprechen.
Lass uns die Schwerter ziehen, um uns zu verbrüdern.
Wir wollen uns gemeinsam wie Löwen
auf die schändlichen Banner stürzen,
die der Himmel verdammte!


Chor der Nonnen
Szene und Arie Pagano und
Chor der Schergen


CHOR DER NONNEN
hinter der Szene
Zu dir steigt zur unseligen Stunde
des Unheils und der Ruhe
ein frommes Gebet
aus dem beschützten Kloster empor.
Öffne deinen gläubigen Jungfrauen
in ihren Träumen den Himmel.
Bringe mit der düsteren Finsternis
Frieden über die Menschen.
Vereitle die Intrigen der Schändlichen,
demütige den gottlosen Sterblichen,
und der neue Tag wird freudiger
von Gesängen widerhallen.

PAGANO
Jungfrauen! … Der Himmel hat sich
euren Gebeten einstweilen verschlossen.
Um so gewisser wird
in dieser schicksalhaften Nacht der Rache
die Klinge meines Dolches zustossen!
Ach Pirro, dabei wurde diese Seele
nicht zum Verbrechen geboren!
Es war an der Liebe, sie fromm oder böse zu machen!

NONNEN
Bringe den Menschen Frieden …

PAGANO
Elende! Glaubtest du,
ich hätte dich vergessen können,
du auf dem Gipfel des Glücks,
ich auf dem Gipfel des Schmerzes?
Wie der italische Vulkan
seine Nahrung aus den Quellen zieht,
wuchs ich fern von dir
an der Heftigkeit meiner Liebe!

PIRRO
Viele Getreue halten sich hier versteckt,
bereit, deinen Befehlen zu folgen.

PAGANO
Lass mich sie sehen! …
Pirro deutet in Richtung der Büsche.
Sie sollen auf allen Seiten
Feuer verbreiten.
Die Aufgabe ist voller Gefahren! …
Arvino hat viele Diener.
Doch wer sich für mich einsetzt,
den erwartet eine hohe Belohnung.

CHOR DER SCHERGEN
leise
Keine Gefahr versetzt unsere Herzen
in feige Furcht.
Es gibt keine Dunkelheit,
die nicht das Blitzen des Dolches erhellte.
Leise dringen wir sicheren Fusses
durch jede Tür, in jedes Haus.
Zwischen Schreien und Wehklagen
erfreuen wir uns daran,
die Seelen anderer furchtlos und schweigend
mit einem einzigen Hieb ins Paradies zu schicken!
Danach setzen wir uns mit blutverschmiertem
Dolch an die Festtafel!

NONNEN
hinter der Szene
Vereitle die Intrigen der Schändlichen …

PAGANO
O Hoffnung auf Rache,
du funkelst bereits in meinem Gesicht.
Seit vielen Jahren höre ich auf keine andere
als die mir liebe Stimme.
Eines Tages werde ich diese zauberhafte Schönheit
mit Blut erkauft haben.
Ach, nun endlich, nun bist du mein,
und ein anderer wird sein Blut vergiessen.

PIRRO, SCHERGEN
Du brauchst nur zu befehlen, zu gebieten,
und ein jeder wird dir zu dienen wissen!


ZWEITES BILD
Galerie im Palast Folcos,
die zur linken Seite zu Arvinos Gemächern, zur rechten zu anderen Räumen führt.
Die Bühne wird von einer Lampe erleuchtet.


Szene und Gebet Giselda

VICLINDA
Ich fühle noch immer, wie meine ganze Seele bebt …
Nein …, auf dem Gesicht des Schändlichen erschien
der Schatten des Zorns, keine Reue.
Giselda tritt auf
Komm, Giselda! Lass uns
in solcher Gefahr Gott ein Gelübde ablegen;
Wir schwören, wenn er deinen Vater, meinen Gatten,
mit seinem barmherzigen Mantel beschützt,
wir schwören, dass wir nackten Fusses und betend
zum Heiligen Grab pilgern werden!

ARVINO
aus seinen Gemächern
Liebe Gattin, kehre nun
in deine Gemächer zurück,
aber gehe nicht zu Bett.

GISELDA
O Himmel …
Gibt es irgendeine Gefahr?

ARVINO
Mein Vater ist bei dir.
Mir schien ich hörte den Lärm
von vielen Schritten! Es könnte ein Streich
des erregten Gemüts sein …
Geh, meine Gattin! …

Er geht ab.

GISELDA
Ich flehe dich an, Heilige Jungfrau!
Sie kniet mit Viclinda nieder.
Sei gegrüsst. Maria! Möge der Herr,
der in dir war, dein Herz mit Gnade erfüllen!
Gesegnet sei deine göttliche Frucht,
o Glückliche unter den Frauen!
Heilige Jungfrau, Mutter Gottes,
bete für uns arme Sünder,
auf dass Er barmherzig auf uns blicke,
wenn unser letzter Abend kommt.

Sie gehen ab.

Szene und erstes Finale

PIRRO
Komm! … Arvino hat sich bereits in seinen
Gemächern hingelegt … Ein Diener sagte es.

PAGANO
O Freude! Lösch die unselige Lampe …
In wenigen Augenblicken
wird der Schein der Flammen
den Triumph meiner Rache erleuchten …
Warte! …

Er tritt vorsichtig in Arvinos Gemächer ein.
Man sieht im Innern den Schein von Flammen.


PIRRO
Die Schergen haben bereits Feuer gelegt! …
Was ist das für ein Lärm von Schwertern!
Eilen wir hin … im harten Spiel
kann ich sehr gut mein Gesicht wechseln.

Er zieht das Schwert und eilt davon.
Giselda überquert hastig die Bühne.


VICLINDA
von Pagano fortgezerrt
Ruchloser! O mein Gatte! …

PAGANO
Du rufst ihn vor die Spitze eines Dolches …
Sei still und folge mir.

VICLINDA
Eher will ich zu deinen Füssen sterben! …

PAGANO
Wer kann dich
in diesen Räumen retten?
Niemand wird dich fortan von mir trennen.
Auf dein Jammern, auf dein trauriges Wehklagen
kann allein der Scherge antworten …
Der Brand im Innern kommt allmählich um Erlöschen.
Es gibt hier niemanden, der dich hört.

ARVINO
Ich höre sie.

PAGANO
O mein Erstaunen!!!
Das Schwert ist doch von Blut getränkt! …
Wer hat es vergossen?

GISELDA, VICLINDA
Der Vater!

Pagano lässt den Dolch fallen.

ALLE, PAGANO
Entsetzen!!! Abscheuliches Monstrum der Hölle,
tut sich denn nicht der Boden unter dir/unter mir auf?
Hat der Ewige keinen Blitz,
der dich/mich zu Asche verbrennt?
Allein dein/mein Name lässt den Himmel erschaudern!

ARVINO
Vatermörder! Du sollst durchbohrt
auf deines Vaters Leichnam sterben.

GISELDA
dazwischentretend
Ach, füge dem Verbrechen kein weiteres hinzu!
Erspare uns eine weitere Szene des Grauens.

PAGANO
zu Arvino
Wie? … Du zögerst? Hast keinen Mut?
Sieh … ich füge mir selbst die Wunde zu.

Er will sich mit dem Schwert töten, wird jedoch von den Soldaten zurückgehalten.

CHOR
Elender! … Das Leben soll dir
eine schlimmere Qual sein als der Tod!

ALLE, PAGANO
Verschwinde! Auf deiner/meiner Stirn brennt
der Ewige das verhängnisvolle Kainsmal ein.
Mehr als das Feuer und die Schlangen der Hölle
wird Entsetzen deinen/meinen Leib verzehren!
Verschwinde! / Weh mir! Zwischen den Blumen
am heiteren Wegrand, in den Grotten, in den Wäldern,
auf dem Berg wirst du/werde ich stets
aus deiner/meiner Stirn bluten, wird allzeit ein Dämon
in deinem/meinem Rücken sein!

ZWEITER AKT - Der Mann der Höhle
Saal im Palast Accianos in Antiochia.

Acciano sitzt auf dem Thron, vor ihm stehen Gesandte, Soldaten und Volk.


Chor der Gesandten

GESANDTE
So ist es also wahr?

ACCIANO
Ich sah die schändlichen Schwerter blitzen!

GESANDTE
Verwegene! Wozu verliessen sie
die barbarischen Gefilde ihrer Heimat?
Wir werden sehen, wie Mohammeds Blitz
sie vernichten wird!

ACCIANO
Sie sind stark und grausam, jubeln
bei Schändung und Raub.
Überall lassen sie einen Haufen
Verwüstung und Trümmer zurück.

ALLE
Ach, steig herab, schrecklicher Allah,
um die Ruchlosen zu bestrafen!
Nun, da der Blitz aus Europa
unsere Felder bedroht,
fliege für uns auf den Stürmen,
kämpfe für uns in den Gewittern,
und wir werden fühlen, wie deine Tapferkeit
in unsere Seelen strömt.
Wir schwören! … Du wirst sehen,
wie wir uns alle erheben wie ein einziger Mann,
die Zwiste vergessen, und wie uns
ein einziger Zorn entflammt.
Was wird die Elenden retten,
wenn du unsere Herzen entflammst?
Wir schwören, wir schwören, wir schwören.

Sie gehen ab.

Szene und Kavatine Oronte

ORONTE
O Mutter, was tut sie?

SOFIA
Sie seufzt, sie weint
und ruft nach ihren Lieben …
und doch liebt dich die Unglückliche.

ORONTE
mit Nachdruck
Es gibt keinen glücklicheren Menschen
auf Erden als mich!

SOFIA
(Ach, möge Gott
den Geist meines Sohnes
erleuchten!)

ORONTE
mit Freude
Ach, ich möchte meine Freude
in ihr teures Herz strömen lassen!
Ich möchte durch das Herzklopfen
meiner glücklichen Liebe so viel Wohlklang
im Himmel erwecken,
wie dieser Planeten hat.
Ach, mit ihr in den Himmel gehen und mich dorthin
erheben, wohin kein Sterblicher gelangt!

SOFIA
Oh, aber bedenke, dass du sie nicht
zur Deinen machen kannst, wenn du dich nicht erst
vor dem Gott ihrer Väter niederwirfst.

ORONTE
Meine Gesinnung sei die Eure!

SOFIA
O meine Freude!

ORONTE
O meine Mutter!
Ich habe schon oft im Herzen gedacht,
dass der Gott dieses Engels der Liebe
der einzig wahre sein muss.
Wie konnte der Himmel
einen so reinen Engel schaffen
und vor seinen Augen nicht den Schleier
der Wahrheit lüften?
Komm, führe mich zu ihr,
erleuchte meine Sinne.
Komm, auf dass die Wahrheit
den zweifelnden Geist und das Herz beruhigt!

SOFIA
Sohn, ein Engel flösste dir
zu deinem Heil Liebe ein!

SOFIA, ORONTE
Komm, komm, komm!


Begehbare Anhöhen eines Berges mit dem Eingang einer Höhle.

Grosse Szene und Marsch der Kreuzfahrer

Ein Eremit tritt aus der Höhle.

EREMIT
Noch ist alles still!
Ach wann, wann wird sich das Rauschen
des Windes und des Stroms
mit dem Lärm des Krieges mischen?
Werden diese Augen, die immerzu
voll Tränen sind, nie von den Gipfeln
des Berges die Banner der Kreuzfahrer
leuchten sehen? …
Können meine Hände denn niemals
die frevlerische Bande der Muselmanen zerfleischen,
um sich vom Schmutz der schrecklichen Schandtat
reinzuwaschen? Es ist noch immer still! O Törichter!
Wer bin ich denn, dass meiner Seele
ein Regenbogen des Friedens lachen sollte …?
Gott allein ist gerecht.
Möge er Leid und Kummer segnen!
leise
Doch wenn ein schreckliches Getöse
verkündet, dass Gott es will,
wenn ich das Kreuz leuchten sehe
wie eine neue Sonne,
wird mein Herz ganz
in jugendlichem Ungestüm entbrennen,
und meine kalte Hand
wird das Schwert ergreifen.
Dann wird meine Seele
im Himmel wieder erlöst sein.
Doch wer kommt dort an der Wegbiegung?
Der Kleidung nach ein Muselmane.
Ich will mich zurückziehen.

PIRRO
Bleib stehen! Höre aus Mitleid
einen Unglücklichen an!
Die Kunde von deinen heiligen Tugenden
hat sich überall verbreitet!
Sag mir, ach sag mir, welche Vergebung
ich hier auf Erden erlangen kann!
Ich bin Pirro und war ein Lombarde,
ich half einem Vatermörder.
Als ich hierher floh,
verleugnete ich feige meinen Glauben.
Furcht und Kummer führen mich
flehend zu deinen Füssen!

EREMIT
Steh auf, hab Hoffnung! …

PIRRO
Die Mauern von Antiochia sind mir anvertraut.

Man hört in der Ferne Geräusche.

EREMIT
Was ist das für ein Lärm! …

PIRRO
Die Kreuzfahrer haben sich
in der Ebene verteilt.

EREMIT
Himmel! … Was höre ich! …
Sprichst du die Wahrheit?
auf dem Höhepunkt der Begeisterung
Gehe, durch mich wird dir verziehen!
Gott, grosser Gott der Unglücklichen,
deine Gnade hat keine Grenzen.
Wohlan! Für deine Sünde
opfere dem Himmel die schändliche Stadt.

Musik in geringer Entfernung.

PIRRO
Heiliger Mann, ich schwöre dir,
dass ich selbst in dieser Nacht
meinem Volk Einlass
durch die frevlerischen Mauern gewähren werde!

EREMIT
Der Lärm nimmt zu, kommt näher...
Die Kreuzfahrer treten auf
leidenschaftlich bewegt

Himmel! … Lombarden!

PIRRO
Ja. Lombarden! …

EREMIT
Komm! … Die Höhle wird dir Schutz gewähren.
Der Eremit tritt mit Pirro in die Höhle und kommt mit einem Helm und einem Schwert zurück. Unterdessen verteilen sich die Kreuzfahrer, angeführt von Arvino, auf dem Berg.
Ach, funkle noch einmal
in den Augen deines Kriegers,
altes Schwert. o mein Helm!

Er setzt den Helm auf und zieht das Visier herunter.


Duettino Arvino und Pagano (Eremit)
und Hymne der Kreuzfahrer

ARVINO
Bist du der Mann der Höhle?

EREMIT
Ich? Der bin ich! … Was willst du von mir?

ARVINO
Deine Gebete! Ach, du allein
kannst den ewigen Zorn gegen mich besänftigen!

EREMIT
Oh! Weisst du, wen du anrufst?

ARVINO
Alle sprechen von dir.
Alle in dieser Gegend berichten,
dass Gott sich deinem Glauben offenbart!
Höre … Eine Horde Muselmanen
hat mir meine Tochter geraubt.
Ich versuchte vergeblich, sie zu verfolgen,
die Bande war bereits verschwunden.

EREMIT
Sag mir … hast du viele tapfere Leute?

ARVINO
Ja.

EREMIT
Dann wirst du deine geliebte Tochter wiedersehen.

Er führt ihn auf die Anhöhe.

ARVINO
Du siehst ganz Europa dort versammelt,
dem Befehl Gottfrieds [von Bouillon] unterstellt!

EREMIT
O meine Freude! … Es wird schon Nacht! …
Folgt mir, o lombardische Brüder.
Noch in dieser Nacht, ich schwöre es, werdet ihr
eure Zelte in der erhabenen Stadt aufschlagen!

ARVINO
Heiliger Greis, der du uns zum Ruhm aufrufst,
dein Feuer züngelt bereits in uns!

ALLE
Törichter Allah! … Über dein Haupt brechen
bereits die Wogen des verheissenen Zorns.
Eine heilige Stimme erschallt ringsum
und verkündet deinen letzten Tag.

ARVINO, EREMIT, dann CHOR
Schon leuchtet das Kreuz in den Lüften,
mit blutigem, schrecklichem Schein.
Die barbarische Bande ist zerschlagen,
der stolze Ungläubige floh.


Im Innern des Harems.

Chor der Sklavinnen

CHOR DER FRAUEN
welche Giselda begleiten, die sich traurig auf einen Stuhl sinken lässt
ironisch

Die schöne Fremde … die die Herzen entzückt!
Kommt, kommt, lasst uns um sie tanzen.
Warum netzt sie dauernd die Augen mit Tränen,
wo ihr doch alle Freuden dieses Ortes zuteil sind?
Sie allein regiert in Orontes Herz …
Die schöne Fremde, die schöne Fremde!
Warum hast du die Paläste deiner Väter verlassen? …
Mangelte es deinem Herzen dort etwa an Liebhabern?
Schaut sie euch an, diese reizenden Augen,
die der neue Glanz des Ostens sind.
Wir sind nur ein Haufen niedrigster Mägde …
Welchen Dienst wünscht die schöne Fremde?
O Törichte! O Stolze!
Diese Augen, die im Prinzen
das Feuer einer schändlichen Liebe entfachten,
werden schon bald den Tod der Verwandten sehen,
das schändliche Banner befleckt im Schlamm.
Lasst uns gehen,
vielleicht will sie beten,
die schöne Fremde!

Sie eilen hinaus.


Rondo - Zweites Finale

GISELDA
sich ungestüm erhebend
O Mutter, hilf mir vom Himmel in meinem Gram.
Hilf meinem Herzen, das den Frieden verloren hat!
Warum hast du mich verlassen? … Der Kummer
einer sündhaften Liebe bedrückt mich! Ach, hilf mir!
Wenn ich schon vergebens bete, dass du zu mir
zurückkehrst, so soll mein Gebet mir helfen,
zu dir emporzusteigen. Ich sehe einen Haufen
schrecklicher Tage wie ein schauriges Gespenst
über mich hereinbrechen!

CHOR DER FRAUEN
hinter der Szene
Wer rettet uns! …

GISELDA
Was für ein Geschrei!

FRAUEN
Ach, lasst uns fliehen!...

KREUZFAHRER
Tötet, tötet!

Türkische Soldaten stürmen herein, verfolgt von Kreuzfahrern, dann Haremsdamen und Sofia.

FRAUEN
Wer rettet uns vor dem barbarischen Zorn,
wenn der Prophet seine Gläubigen verlassen hat?

GISELDA
Die Kreuzfahrer! …

SOFIA
O Giselda, schändlicher Verrat
hat die Feinde hierher geführt!
Mein Gatte und mein Sohn fielen zu meinen Füssen.

GISELDA
Ach, was sagst du da?

SOFIA
Sieh den Rasenden,
der sie tötete!

Arvino, der Eremit und die Kreuzfahrer treten auf.

GISELDA
das Gesicht mit den Händen verbergend
Mein Vater! … Er! …

EREMIT
auf Giselda deutend
Hiermit erfülle ich mein Versprechen, Herr.

ARVINO
Meine Giselda! … Kehre zurück
in die Arme deines Vaters! …

GISELDA
weicht entsetzt zurück
Welches Blut!

SOFIA
O Schmerz!

GISELDA
wie von Wahnsinn ergriffen
Nein!... Nein! Es ist nicht die gerechte Sache Gottes,
die Erde mit menschlichem Blut zu tränken.
Es ist schändliche Torheit, nicht fromme Gesinnung,
die durch das Gold der Muselmanen geweckt wird!
Dies waren nicht die Worte des Himmels,
nein, Gott will es nicht, nein, nein,
Gott will es nicht!

ARVINO und DIE KREUZFAHRER
Was höre ich!

SOFIA und DER EREMIT
Weh ihr, die Arme!

GISELDA
Welch schwarzes Band reisst mir
göttliche Kraft von den Augen!
Die Besiegten erheben sich, furchtbare Rache
steht in der Finsternis der kommenden Zeiten!
Keinem wird es vergönnt sein, seinen Geist dort
aufzugeben, wo er zu atmen begann!
Das schändliche Opfern von Menschenleben
hat den Gott der Menschen schon immer erzürnt.

ARVINO
Frevlerin! Gotteslästerin!

GISELDA
leise und in prophetischem Ton
Schon sehe ich, wie eure Köpfe
als Spielball der Winde herabbaumeln.
Ich sehe, wie sich Scharen von Barbaren erheben,
um die bezwungenen Völker Europas zu unterdrücken!
Denn es waren niemals Gottes Worte,
dass die Menschen Blut vergiessen sollten!
Nein, Gott will es nicht, nein Gott will es nicht,
er stieg einzig herab, um von Frieden zu sprechen.

EREMIT
So schweig doch, Unbesonnene!

ARVINO
den Dolch ziehend
Möge dein Tod die widerwärtigen Worte
deiner Lippen tilgen!

GISELDA
Stich zu!

SOFIA, EREMIT und CHOR
ihn zurückhaltend
Was tust du?
Die Arme leidet solchen Kummer,
dass sie, wie du wohl siehst,
den Verstand verloren hat!

ARVINO
Unbesonnene, sie hat den Verstand verloren!

DRITTER AKT - Die Bekehrung

Das Tal von Josaphat, umgeben von mehreren Hügeln, unter welchen der Ölberg herausragt.
In der Ferne sieht man Jerusalem.


Prozessions-Chor
Ritter, Kreuzfahrer, Frauen und Pilger, welche mit entblösstem Haupt in einer Prozession daherschreiten.

CHOR DER PILGER
Jerusalem! … Jerusalem! …
Die grosse, verheissene Stadt!
O wohl vergossenes Blut …
Gottes Kränze sind schon bereit!

Sie treten langsam auf

FRAUEN
Ach, bei den Stätten,
die zu sehen und mit Tränen zu benetzen
uns vergönnt ist,
mögen unsere Seelen
in ihrer letzten Schicksalsstunde
in Gottes Schoss schweben!

MÄNNER
Dort zwischen den Felsen
ergriffen die Frevler
das Lamm der Vergebung.
Hier fielen die gierigen Wölfe
zu Boden,
als Er sagte: Ich bin!
Auf diesem Hügel
beweinte der Nazarener
die unglückliche Stadt.
Dies ist der Berg,
wo der elenden Menschheit
Erlösung zuteil wurde!

ALLE
Ach, bei den Stätten,
die zu sehen etc.
O Berge, o Ebenen,
o Täler, die ihr dem Menschengedenken
auf ewig heilig seid!
Da kommt der lebendige Gott,
der schreckliche Krieger!
Sie gehen durch das Tal ab.
aus der Ferne

Jerusalem!
noch weiter entfernt
Jerusalem!

Giselda tritt auf

Szene und Duett Giselda und Oronte

GISELDA
Wohin soll ich so allein gehen?
Im Zelt meines Vaters konnte ich nicht atmen!
Ich brauche Luft, freie Luft.
Alles hier ist verlassen …
Die Gesänge sind verstummt …
Nur mein Geist schweift nicht zum Himmel …
Ach, meine Seele hat keinen Gedanken
ausser den der Liebe!

Oronte, der die letzten Worte gehört hat, tritt auf.

ORONTE
Giselda!

GISELDA
O Himmel! Träume ich?

ORONTE
mit Leidenschaft
Ach nein! Du bist in Orontes Armen!

GISELDA
Ach, es ist ein Traum!...
leidenschaftlich
Ach, lass mich deine Stirn mit Tränen benetzen!

ORONTE
O Giselda! Du hast mich also nicht vergessen?

GISELDA
Ach! Wie habe ich deinen Tod beweint!

ORONTE
Das feindliche Schwert
hatte mich nur zu Boden geworfen.
Die Hoffnung, dich noch einmal zu sehen,
machte mich feige! Ich ergriff die Flucht …
Ich zog irrend von Land zu Land,
wechselte die Kleidung, immer im Wunsch,
dich noch einmal zu sehen und dann zu sterben.

GISELDA
Ach, du wirst nicht sterben!

ORONTE
Ich habe alles verloren!
Freunde … Heimat … Eltern … den Thron …
Das Leben mit dir!

GISELDA
Nein, ich will dir folgen. Ich fliehe mit dir!

ORONTE
Du! Was höre ich!

GISELDA
Ich will deinem Schicksal folgen.

ORONTE
Unglückliche, dies ist ein schrecklicher Schwur.
Mein Weg ist verflucht.
Ich ziehe über Felsen und durch Wälder
wie ein verirrtes wildes Tier.
Wind und Stürmen ausgesetzt,
nächtige ich oft in einer Höhle, in einem Bau!
Dein Brautbett wird der Sand
der endlosen Wüste sein,
das Heulen der Hyäne
dein Liebeslied!
Ich, nur ich werde glücklich sein
in der Glut meines Herzens!

GISELDA
So beeile dich doch! Jeden Augenblick
droht uns schreckliche Gefahr!

ORONTE
Hast du es wohl überlegt?

GISELDA
Das liebende Herz
hört auf keinen anderen Rat mehr!

ORONTE
mit höchster Leidenschaft
O meine Freude! Nun trotze ich
allem Kummer und allem Leid auf Erden!
Komm! … Ich bin bei dir!
GISELDA
O ja! Du bist Vaterland,
Leben und Himmel für mich!

ORONTE
Ach, in dir finde ich ein bedeutenderes Gut
als das Königreich, das ich verlor!

GISELDA
O schöne Zelte der Lombarden,
sagt dieser Unglücklichen Lebewohl!
Ihr verströmt eine Aura
wie vom Himmel der Heimat!
Ach, weit himmlischere Freuden
nehmen mich in Tränen von euch fort!
Mutter, verzeih! Eine solche Liebe
erlöst eine Seele.

ORONTE
Du fliehst, gibst auf, o Unglückliche,
die Liebe der Deinen zugunsten der meinen!
Für dich, lombardische Jungfrau,
gebe auch ich alles auf …
Wir werden zusammen weinen,
wir werden ein einziges Herz haben!
Demselben Gott, den du verehrst,
werden auch meine Gebete gelten!

KREUZFAHRER
hinter der Szene
Zu den Waffen!

ORONTE
Was höre ich!

GISELDA
Die Schreie kamen aus dem Lager der Lombarden …
Ich habe Angst um dich!

KREUZFAHRER
hinter der Szene
Zu den Waffen!

GISELDA, ORONTE
Ach, komm, nur der Tod soll unsere Seelen trennen …
Weder Himmel noch Erde
können mich von dir losreissen.

KREUZFAHRER
Zu den Waffen, zu den Waffen, zu den Waffen!


Arvinos Zelt

Szene und Arie Arvino

ARVINO
Was hab' ich nur gesehen? …
Wut und Entsetzen liessen mich
wie gebannt stehen bleiben! …
Doch der Mann aus der Höhle
warf sich auf die Flüchtenden,
die von einem arabischen Pferd davongetragen wurden!
Im Nu entschwanden alle meinen Blicken!
O Feige! … Schändliche! …
Schandfleck meines Vaterhauses!
Wärest du doch in der Wiege gestorben,
frevlerisches Mädchen!
Schändliche Quelle des Unheils!
Oh, hätte ich dich bloss nie gezeugt!
Was gibt es Neues?

KREUZRITTER
Mehr als einer hat beobachtet,
wie Pagano zwischen den Zelten
des Kreuzfahrerlagers umherschlich.

ARVINO
O Gott! …

KREUZRITTER
Wer leitet ihn auf dem heiligen Weg?
Wen will der ruchlose Mörder verraten?
Siehst du in all dem Unheil
nicht die Hand des Himmels,
erzürnt durch den schändlichen Bruder?
Entsetzliche Rache soll den Unwürdigen verfolgen,
dem Zorn aller kann er nicht entfliehen!

ARVINO
Ja! Ich werde den Irrtum des Himmels,
der nicht bestraft, berichtigen.
Mein Schwert stösst bereits zu,
es durchbohrt dem Schändlichen schon das Herz.

KREUZRITTER
Entsetzliche Rache etc.

ARVINO
Ach, der Abscheuliche stirbt bereits.
Ich zertrete ihn mit meinem Fuss!
Selbst wenn er sich in der Hölle versteckte,
kann er mir nicht mehr entkommen.


Das Innere einer Grotte.
Durch eine Öffnung im Hintergrund sieht man die Ufer des Jordans.


Vorspiel und Terzett Giselda, Oronte, Pagano (Eremit)
Drittes Finale

GISELDA
die den verwundeten Oronte stützt
Leg dich hier hin!
Sie bettet ihn auf einen Felsen.
Weh mir! Was für eine Wunde
haben die Grausamen dir zugefügt! …

ORONTE
mit schwacher Stimme
Giselda! Ich sterbe!

GISELDA
Ach, welch schrecklichen Lohn
gibst du mir für meine Treue …

ORONTE
Ich sterbe!

GISELDA
Ach schweige! … So schweige doch!
Du wirst genesen … Meine Kleider
haben die furchtbare Wunde schon geschlossen …

ORONTE
Umsonst, umsonst bist du so barmherzig mit mir.

GISELDA
ausser sich
Nun höre mich an, Gott meiner Väter!
heftig
Du hast mir die Mutter genommen,
hast mich am Leben gelassen für düstere Tage …
Diese Liebe ist der einzige Trost für meine Tränen …
Und du nimmst sie mir … Du Grausamer …

EREMIT
Wer klagt Gott an?
Diese Liebe ist eine Sünde!

GISELDA
bestürzt
Welche Worte dringen mir ins Herz!

ORONTE
Wer bist du?

EREMIT
Ich bin einer, der dir neues Leben verkünden kann,
wenn du dich zu unserem Glauben bekehrst.
GISELDA
Gott inspiriert ihn!

ORONTE
Ja! … O Giselda,
du hast dein Werk vollbracht! …
Ich hatte es oft gewünscht …
Mann Gottes … komm näher!

EREMIT
Steh auf! … Du rufst den Himmel nicht umsonst an,
er entfaltet vor dir seine ganze Herrlichkeit.
Das heilige Wasser des Jordan
soll dein Leben reinwaschen!

GISELDA
Oh, unsere Liebe ist nicht länger
eine Sünde vor dem Himmel!
Lebe! … Ach, lebe! …

ORONTE
In die keuchende Brust
dringt eine ungewohnte Kraft!
Welches Wohlgefühl … spüre ich
von Ader zu Ader fliessen!
zu Giselda
Ich kann nicht mehr … hilf mir …
Ich kann dich kaum mehr sehen!

GISELDA
Ach, stirb nicht! Warte auf mich,
O meine zerronnene Hoffnung!
Wir haben zusammen im Leid gelebt,
wir werden miteinander sterben!

EREMIT
Möge die schicksalhafte letzte Stunde
deine Gedanken auf Gott lenken.
Möge einzig ein himmlisches, gottesfürchtiges
Beben dein Herz beleben.

ORONTE
Komm her! …
O neuer Zauber! …
Benetze mich mit deinen Tränen …
Ich erwarte dich im Himmel … beeile dich …
Du hast ihn mir erschlossen.

GISELDA
Warte auf mich … ach!
Kannst du die Frau, die dich so sehr liebte,
in Tränen zurücklassen?
Warum versagen mir die Engel den Himmel,
der für dich offen steht?

EREMIT
Wenn der Liebe hier nur Tränen beschieden waren,
hofft! … Eines Tages wird sie unter den Engeln
mit Freude belohnt werden!

VIERTER AKT - Das Heilige Grab

Eine Höhle
Die Handlung spielt in der Nähe von Jerusalem.


Erscheinung Orontes

Giselda allein. Sie wird im Traum von der Erscheinung himmlischer Geister überrascht.

CHOR DER HIMMLISCHEN GEISTER
Blicke mit freudigem Gesicht,
liebe Jungfrau,
durch dich ist eine erlöste Seele
ins Paradies gelangt.
Komm, es wird dir vergönnt sein,
das Glück mit ihr zu teilen, komm …

GISELDA
indem sie sich erhebt und weiterträumt
Oh, ich sehe die Höhle
in himmlischem Glanz erstrahlen.
Ja doch! … Steige schnell auf,
Morgenrot des ewigen Tages.
mit einem Freudenschrei
Oronte … Du unter den Engeln?
Warum sprichst du nicht mit mir?

ORONTE
Giselda, dank dir bin ich
im Himmel gesegnet! …
Mein Gebet wurde erhört
und steigt bereits zu Gottes Thron empor!
Geh, verkünde deinem Volke,
dass es Hoffnung schöpfe.
Ach, der Strom des Siloah
wird frisches Wasser bringen.

HIMMLISCHE GEISTER
Komm, es wird dir vergönnt sein,
das Glück mit ihm zu teilen …

Die Erscheinung verschwindet.

Arie Giselda

GISELDA
die durch die grosse Erregung erwacht
Welch ein Wunder! … Oh, verwandelt sich das
Paradies nun in einen finsteren Raum? …
Es war ein Traum! … Aber …
welche Kraft ist plötzlich in meinem Herzen? …
Es war kein Traum! Tief in der Seele
klingt noch die geliebte Stimme.
Ich sehe noch den Palmzweig
der Seligen in seiner Hand leuchten!
O Krieger des Kreuzes,
auf, eilt zu den heiligen Lorbeeren!
Der Fluss strömt, um die Gemüter
und die verwundeten Glieder zu beleben.


Die Zelte der Lombarden nahe dem Grab Rachels.

Chor der Kreuzfahrer und Pilger

KREUZFAHRER UND PILGER
O Herr, du riefst uns mit einem heiligen
Versprechen vom heimatlichen Dache fort.
Wir folgten der Aufforderung eines frommen Mannes,
frohlockten auf dem harten Weg.
Doch die einst wackeren, kühnen Diener
haben die Stirn gedemütigt, verzagt! …
Ach, lass nicht zu, Christus, dass deine treuen Krieger
zum Gespött der Völker werden!
O frische Winde, die ihr über die lieblichen Bächlein
der lombardischen Wiesen weht!
Ewige Quellen! Kristallklare Seen!
O sonnenvergoldete Weinberge!
Eine unselige, grausame Gabe ist die Erinnerung,
die uns euch so wahrhaft vor Augen malt
und den Sand des dürren Bodens den Lippen
harter und brennender macht! …

Szene - Schlachthymne

GISELDA, ARVINO, EREMIT
hinter der Szene
Zum Siloah! Zum Siloah!

CHOR
Was sind das für Stimmen!
GISELDA
Der Himmel hat die Gebete der Betrübten erhört!
Alle Leute stehen beim Wasser,
das der Siloah bringt! …

CHOR
O Freude! O Freude! …

ARVINO
Hört mich nun an, Lombarden!
Wenn ihr den Durst eurer Lippen gestillt habt,
werdet ihr gewiss nicht die letzten sein,
die noch einmal die verlassenen Mauern erklimmen!
Die Heiden sehen es nicht voraus … Da! …
Das Schmettern der Trompeten [Gottfrieds] von Bouillon! …
Heute wird das Heilige Land uns gehören.

ALLE
Ja! … Krieg! Krieg!
Krieg! Krieg! Greift zu den Schwertern,
lasst uns eilen und die Heere aufstellen.
Möge der Blitz auf die Bande niederfahren,
kein Mann soll entkommen.
Schon leuchten die heiligen Banner
wie Kometen von Blut und Schrecken.
Schon weist uns der Sieg
auf den Schwingen des Windes
den Siegeskranz zu!


Arvinos Zeltlager.

Szene, Terzettino Giselda, Arvino, Pagano und Schlusshymne

Nach langanhaltendem Schlachtgetöse tritt der Eremit auf, gestützt von Giselda undArvino.

ARVINO
Dies ist mein Zelt …
Hier, Unglücklicher,
kannst du deine Glieder ausstrecken …
Aber du sprichst nicht? …

GISELDA
Was für ein Anblick! … Er ist überall verwundet …
Er stieg als erster schreiend auf die Mauern.
EREMIT
Weg von mir! … Wer seid ihr? …

ARVINO
Schau! Erinnere dich! …
Du bist bei Arvino.

EREMIT
seine Hände betrachtend
Bei Arvino? Welcher Name!
Ach, schweige! … Schweige!
Dies ist Arvinos Blut!
O Hölle, öffne dich zu meinen Füssen! …
Es ist das Blut des Vaters!

ARVINO
Was redest du? …

GISELDA
Beruhige dich!
Sieh, du bist bei uns …
Bei der Betrübten, die du gerettet hast.

EREMIT
Welche Stimme! … Oh, wer erhellt
meinen Geist und öffnet mein Herz?
Du bist, du bist …
der Engel der Vergebung!

ARVINO
Sprich … wer bist du? …

EREMIT
Ich bin Pagano!

GISELDA, ARVINO
Himmel! Was höre ich!

PAGANO
mit schwacher Stimme
Mir bleibt nur noch ein kurzer
Augenblick zu leben …
O Bruder! … Diese Seele muss
vor Gott erscheinen!
Meine Strafe ist nun verbüsst!
Verfluche mich nicht!

GISELDA
Vater, du siehst, er stirbt mit Gott.
Der Himmel hat ihm seine Schuld vergeben.
PAGANO
O Bruder!

ARVINO
ihn umarmend
Du hast gesiegt!

GISELDA, ARVINO
Auch die Menschen werden dich freisprechen.

PAGAN O
Ich Glücklicher!
Nun möge mir … der Anblick …
der Stadt … vergönnt sein.

Das Zelt öffnet sich, und man sieht Jerusalem.
Auf den Mauern und Türmen wehen die Banner des Kreuzes, erleuchtet von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.
Pilger, Frauen und Kreuzfahrer.


PAGANO
Barmherziger Gott! …
O Gott! Mit welcher Freude
beehrst du nun den sterbenden Mörder!
Im letzten Augenblick erinnerst du dich
des Mannes, der die Welt mit Schrecken überhäufte!

GISELDA
Gehe dahin, Glücklicher! … Du wirst meinen seligen
Bräutigam, meine Mutter beim Herrn sehen.
Sag ihnen, schnell den ersehnten Tag herbeizuführen,
an dem auf ewig mein Herz mit ihnen vereint ist!

ARVINO
O Pagano! … Möge der Herr so milde
auf meine Vergehen schauen,
wie der Bruder dir in den letzten Momenten
in seinem Herzen verzeiht!

ALLE
Wir loben dich, grosser Gott des Sieges,
wir loben dich, unbesiegbarer Herr!
Du bist Erlösung, Führer und Ruhm
für die Tapferen, die dir ihr Herz öffnen.
Wir loben dich!