Libretto: La Bohème

von Giacomo Puccini


Personen:
RODOLFO, Dichter (Tenor)
SCHAUNARD, Musiker (Bariton)
MARCELLO, Maler (Bariton)
COLLINE, Philosoph (Bass)
MIMI (Sopran)
MUSETTA (Mezzosopran)
BENOÎT, Hausherr (Bass)
ALCINDORO, Staatsrat (Bass)
PARPIGNOL (Tenor)
SERGEANT der Zollwache (Bass)
EIN ZÖLLNER (Bass)

CHOR
Studenten, Näherinnen, Bürger, Verkäufer und Verkäuferinnen,
Strassenhändler, Soldaten, Kellner, Knaben, Mädchen, usw.



ERSTES BILD

Eine Mansarde mit einem grossen Fenster, durch das der Blick auf die schneebedeckten Dächer von Paris fällt.
Es ist Weihnachtsabend.


MARCELLO
der versucht, ein Bild zu malen
Dieses Rote Meer durchweicht und durchfröstelt mich
als regnete es auf mich herab in Tropfen.
Um mich zu rächen, ersäuf ich einen Pharao!
zu Rodolfo
Was tust du?

RODOLFO
Ich blicke zum Himmel und sehe,
wie der Rauch aufsteigt aus tausend Pariser Schloten,
auf den leeren Ofen weisend
und denk an diesen Faulenzer
von einem alten, betrügerischen Kamin,
der im Müssiggang lebt wie ein grosser Herr!

MARCELLO
Seinen gebührenden Lohn hat er schon lange nicht erhalten.

RODOLFO
Die dummen Wälder, was tun sie unter dem Schnee?

MARCELLO
Rodolfo, lass mich dir sagen einen meiner tiefen Gedanken:
es ist eine Hundekälte.

RODOLFO
Und ich, Marcel, will dir nicht verhehlen:
ich glaube nicht mehr an den Schweiss des Angesichts.

MARCELLO
Erfroren sind mir die Finger, als hätte ich sie tief versenk
in dem grossen Eisberg, dem Herzen der Musetta.

RODOLFO
Die Liebe ist ein Kamin, der zuviel verschwendet

MARCELLO
… und in Eile!

RODOLFO
… wo der Mann Brennholz ...

MARCELLO
… und das Weib der Feuerbock …

RODOLFO
… das eine lodert dahin ...

MARCELLO ...
und das andere schaut zu.

RODOLFO
Doch indessen friert man hier …

MARCELLO ...
und stirbt vor Hunger!

RODOLFO
Wir brachen Feuer!

MARCELLO
Warte … wir opfern den Stuhl hier!

RODOLFO
wehrt ihn davon ab und bemächtigt sich eines umfangreichen Manuskriptes
Heureka!

MARCELLO
Hast du es gefunden?

RODOLFO
Ja! Ein Geistesblitz.
Das Genie soll in Flammen aufgehen.

MARCELLO
Verbrennen wir das Rote Meer?

RODOLFO
Nein. Die bemalte Leinwand stinkt.
Mein Drama, mein feuriges Drama soll uns erwärmen.

MARCELLO
Willst du es mir etwa vorlesen? Mich friert.

RODOLFO
Nein, in Asche zerfalle das Papier.
Und die göttliche Eingebung fliegt zum Himmel zurück.
Dem Jahrhundert droht Ungeheures … Rom ist in Gefahr!

MARCELLO
Wie grossmütig du bist!

RODOLFO
Hier kommt der erste Akt.

MARCELLO
Gib her.

RODOLFO
Zerreiss ihn!

MARCELLO
Zünd an!

RODOLFO
hat einen Teil des Manuskripts angezündet
Wie schön es brennt!

MARCELLO
Wie schön es brennt!

COLLINE
tritt ein und wirft ein Paket Bücher auf den Tisch
Schon erscheinen
die Zeichen der Apokalypse.
Am Weihnachtsabend
werden keine Pfänder angenommen!
bemerkt das Feuer: erstaunt
Eine lodernde Flamme!

RODOLFO
Still! Man gibt mein Drama . . .

COLLINE
… ins Feuer. Ich finde es blendend.

RODOLFO
Lebhaft.

COLLINE
als das Feuer am Erlöschen ist
Doch leider sehr kurz.

RODOLFO
Die Kürze hat grossen Wert.

COLLINE
nimmt Rodolfo den Sesse weg
Autor, gib mir den Sessel.

MARCELLO
Diese Pausen sind zum Sterben fad.
Geschwinde.

RODOLFO
wirft weitere Seiten des Manuskripts ins Feuer
Zweiter Aufzug.

MARCELLO
Kein Geräusch!

COLLINE
Welch tiefer Gedanke!

MARCELLO
Die Farbe ist richtig!

RODOLFO
In jenem bläulichen Zucken
schmachtet eine feurige Liebesszene dahin!

COLLINE
Ein Blatt prasselt.

MARCELLO
Das waren Küsse.

RODOLFO
den Rest des Manuskripts ins Feuer werfend
Drei Akte will ich zugleich hören!

COLLINE
Solch Kühnheit vollendet die grosse Idee.

RODOLFO, MARCELLO, COLLINE
Schön in heiterer Glut zu vergehn!

MARCELLO
O Gott … die Flammen sinken schon.

COLLINE
Welch hohles, vergängliches Drama!

MARCELLO
Schon knittert es, verrunzelt und stirbt!
das Feuer geht aus

MARCELLO, COLLINE
Nieder, nieder mit dem Autor!

Zwei Laufburschen treten auf, einer mit Speisen, Wein und Zigarren, der andere mit einem Bündel Holz.

RODOLFO
Holz!

MARCELLO
Zigarren!

COLLINE
Bordeaux!

RODOLFO
Holz!

MARCELLO
Bordeaux!

RODOLFO, MARCELLO, COLLINE
Den Reichtum eines Jahrmarktes hat uns das Schicksal bestimmt.

SCHAUNARD
tritt ein mit triumphierender Miene und wirft einige Münzen auf den Boden
Die Bank von Frankreich macht euretwegen Pleite.

COLLINE
Hebt sie auf, hebt sie auf!

MARCELLO
ungläubig
Das ist ja Blech!

SCHAUNARD
Bist du schwerhörig? Siehst du schlecht?
zeigt ihm eine der Münzen
Wer ist dieser Mann?

RODOLFO
verbeugt sich
Louis Philippe! Ich neige mich vor meinem König.

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
die Münzen auf den Tisch legend
Louis Philippe liegt uns zu Füssen!

SCHAUNARD
Gold, sag ich euch. Dieses Gold vielmehr, dies Silber, hat eine interessante Geschichte.

MARCELLO
Heizen wir den Kamin!

COLLINE
Solche Kälte hat er gelitten!

SCHAUNARD
Ein Engländer, ein Herr, ein Lord oder Mylord, oder was, sucht einen Musikanten. . .

MARCELLO
wirft Collines Bücherbändel vom Tisch hinunter
Weg damit! ...
… Wir decken den Tisch!

SCHAUNARD
fährt fort mit seiner Erzählung
… Mich vielleicht? Ich eile hin.

RODOLFO
Wo ist der Zunder?

COLLINE
Da!

MARCELLO
Gib her.
sie zünden den Ofen an und machen ein grosses Feuer

SCHAUNARD
… und stelle mich vor.
Er akzeptiert, und ich frage . . .

COLLINE
Kalter Braten!

MARCELLO
Süsse Pastete!

SCHAUNARD
… wann sollen die Stunden anfangen?
bemerkt, dass niemand zugehört hat
Ich stelle mich vor, er akzeptiert, und ich frage: wann sollen die Stunden anfangen? Und er antwortet:
den englischen Akzent nachahmend
"Beginnen wir gleich! ... Sehen sie!"
Und deutet auf einen Papagei im ersten Stock,
und fügt hinzu: "Sie spielen bis jener dort sterben!"

RODOLFO
Glänzend ... erstrahlt die festliche Halle.

SCHAUNARD
Und so war es! Ich spielte. . .
... drei lange Tage ...

MARCELLO
Windet zwei Kerzen an und setzt sie auf den Tisch
Nun die Kerzen!

COLLINE
Süsse Pastete!

SCHAUNARD
… dann benützte ich den Reiz meines gewinnenden Äusserens
… bezauberte die Magd …

MARCELLO
Essen wir ohne Tischtuch?

RODOLFO
nimmt die Zeitung aus der Tasche
Eine Idee!

MARCELLO, COLLINE
Der "Constitutionnel!"

RODOLFO
breitet die Zeitung auf dem Tische aus
Bestes …
… Papier. Man isst und verschlingt dabei

SCHAUNARD
... gab ihm etwas Petersilie ...

RODOLFO
... das Feuilleton!

SCHAUNARD
... und Lorchen spreizt die Flügel, Lorchen öffnet den Schnabel; ein bisschen von der Schierlingspetersilie, an der Sokrates starb.

COLLINE
Wer?

SCHAUNARD
Der Teufel soll euch alle holen!
sieht, dass die anderen begonnen haben zu essen
Doch was tut ihr da? Nein! Diese Speisen sind Proviant für die düstere und unbestimmte Zukunft.
räumt alles in den Speiseschrank
Zu Hause speisen am Weihnachtsabend, wenn das Quartier Latin seine Strassen mit Würsten und Leckereien schmückt? Wenn ein Duft von Pfannkuchen wie Balsam die alten Strassen durchzieht? Wo die Mädchen fröhlich singen ...

RODOLFO, MARCELLO, COLLINE
Weihnachtsabend!

SCHAUNARD
… und jede hat zum Echo einen Studenten! Ein bisschen Tradition, meine Herren: Man trinkt zu Hause, doch man speist auswärts

BENOIT
klopft an die Türe
Ist's erlaubt?

MARCELLO
Wer ist da?

BENOIT
Benoit!

MARCELLO
Der Hausherr!

SCHAUNARD
Lasst ihn nicht rein!

COLLINE
Es ist niemand da!

SCHAUNARD
Geschlossen!

BENOIT
Ein einziges Wort.

SCHAUNARD
lässt ihn eintreten
Eines nur!

BENOIT
zeigt Marcello ein Blatt
Die Miete!

MARCELLO
Holla! Bringt einen Sessel.

RODOLFO
Schnell!

BENOIT
Ist nicht nötig. Ich möchte . . .

SCHAUNARD
Nehmen sie Platz.

MARCELLO
Etwas zu trinken?

BENOIT
Danke.

RODOLFO
Stosst an.

COLLINE
Stosst an.
Alle trinken

SCHAUNARD
Trinkt!

RODOLFO
Stosst an.

BENOIT
Es ist der letzte des Quartals . . .

MARCELLO
Nun, das freut mich.

BENOIT
Und daher. . .

SCHAUNARD
Noch einen Schluck.

BENOIT
Danke!

RODOLFO
Stosst an!

COLLINE
Stosst an!

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Auf's Wohl!

BENOIT
Ich komme zu Ihnen, weil im vergangenen Quartal Sie mir versprochen . . .

MARCELLO
zeigt auf das Geld auf dem Tisch
Meine Versprechen halt' ich.

RODOLFO
leise zu Marcello
Was tust du?

SCHAUNARD
leise zu Marcello
Bist du verrückt?

MARCELLO
zu Benoit
Sehen Sie es? Nun bleiben Sie doch noch eine Weile in unserer Gesellschaft. Sagen Sie, wie alt sind Sie eigentlich, werter Herr Benoit?

BENOIT
Wie alt? O du meine Güte!

RODOLFO
So beiläufig in unserem Alter.

BENOIT
Älter, viel älter.

COLLINE
Er sagte ja: so beiläufig.
Sie füllen dauernd Benoits Glas

MARCELLO
Kürzlich des Abends sah ich ihn bei Mabil mit einer Dame!

BENOIT
Mich!

MARCELLO
Ich sah ihn bei Mabil. Streiten Sie es ab?

BENOIT
Ein Zufall.

MARCELLO
Eine hübsche Dame!

BENOIT
Sehr sogar!

SCHAUNARD
Gauner!

RODOLFO
Gauner!

COLLINE
Verführer!

SCHAUNARD
Gauner!

RODOLFO
Gauner!

MARCELLO
Eine Eiche! Eine wahre Kanone!

RODOLFO
Der Mann hat Geschmack.

BENOIT
He! He!

MARCELLO
Mit rotblonden Locken!

SCHAUNARD
Gauner!

MARCELLO
Er bildet sich was ein auf seine Rüstigkeit.

BENOIT
Bin alt, doch robust.

RODOLFO, SCHAUNARD, COLLINE
Er bläst sich auf voll Stolz auf seine Rüstigkeit.

MARCELLO
Und die weibliche Unschuld fiel ihm zum Opfer.

BENOIT
War ich schüchtern in der Jugend,
halte ich mich jetzt schadlos!
Und so, zur Zerstreuung,
ein Frauenzimmer,
lustig und ein wenig…
Zwar keinen Walfisch
oder einen Globus,
oder ein Gesicht rund
wie der Vollmond .. .
doch mager, richtig mager,
nein, das schon gar nicht!
Die magern Weiber sind eine Sorge
und oft ein Elend . . .
sie sind voll von Beschwerden,
nehmt beispielsweise meine Gattin…

MARCELLO
heuchelt Entrüstung
Dieser Mensch hat eine Gattin.
Und schamlose Wünsche hat er im Herzen!

SCHAUNARD, COLLINE
Entsetzlich!

RODOLFO
Verseucht und verpestet ist unser ehrsames Haus!

SCHAUNARD, COLLINE
Hinaus!

MARCELLO
Wir müssen ausräuchern!

COLLINE
Jagt den Verworfenen hinaus!

SCHAUNARD
Es ist die Moral . . .

BENOIT
Ich sag . . .

SCHAUNARD
… die tief gekränkte…

BENOIT
Ich sage…

MARCELLO
Ruhe!

COLLINE
Ruhe!

SCHAUNARD
... die Sie hinausjagt!

RODOLFO
Ruhe!

BENOIT
Meine Herren . . .

MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Ruhe! Geh'n Sie, mein Herr!

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Geh'n Sie fort von hier!
Und guten Abend der Frau Gemahlin. Ha! Ha!
sie jagen ihn hinaus

MARCELLO
Für das Quartal hab ich bezahlt!

SCHAUNARD
Im Quartier Latin erwartet uns Momus.

MARCELLO
Ein Hoch dem, der spendiert!

SCHAUNARD
Teilen wir die Beute!

RODOLFO
Teilen wir!

COLLINE
Teilen wir!
Sie verteilen das Geld, das Schaunard gebracht hat

MARCELLO
hält Colline einen zerbrochenen Spiegel vor
Dort gibt es Schöne, herabgestiegen vom Himmel.
Jetzt da du reich bist, pflege den Anstand.
Bär, putz dir dein Fell.

COLLINE
So will ich denn zum ersten Male
mit einem Bartscherer Bekanntschaft machen.
Führt mich zur lächerlichen Schimpflichkeit des Rasiermessers.
Gehen wir!

SCHAUNARD
Gehen wir!

MARCELLO
Gehen wir!

SCHAUNARD
Gehen wir!

COLLINE
Gehen wir!

RODOLFO
Ich bleibe, um den Leitartikel für den "Biber" fertig zu schreiben.

MARCELLO
Mach schnell.

RODOLFO
Fünf Minuten. Ich kenne das Handwerk.

COLLINE
Wir warten auf dich beim Hauswart.

MARCELLO
Wenn du dich verspätest, bekommst du was zu hören!

RODOLFO
Fünf Minuten.

SCHAUNARD
im Hinausgehen
Stutze deinem "Biber" den Schweif!

MARCELLO
von draussen
Pass auf die Stufen auf, halt dich am Geländer an,

RODOLFO
ruft hinaus
Langsam!

COLLINE
von draussen
Es ist stockfinster.

SCHAUNARD
von draussen
Der verfluchte Portier!
man hört einen dumpfen Fall

COLLINE
Ah, verdammt!

RODOLFO
Colline, bist du tot?

COLLINE
vom Fuss der Treppe
Nich nicht!

MARCELLOS STIMME
Komm bald!
Rodolfo setzt sich an den Arbeitstisch und versucht zu schreiben. Er wird ungeduldig, zerreisst das Papier und wirft die Feder beiseite.

RODOLFO
Ich bin nicht in Stimmung.
ein schüchternes Klopfen an der Türe
Wer ist da?

MIMIS STIMME
Verzeihung.

RODOLFO
Eine Dame!

MIMIS STIMME
Bitte um Vergebung, meine Kerze ist erloschen.

RODOLFO
öffnet die Türe
Hier, bitte!

MIMI
Ist's gestattet ... ?

RODOLFO
Nehmen Sie einen Moment Platz!

MIMI
Nicht nötig.

RODOLFO
Ich bitte Sie, treten Sie ein.
Mimi tritt ein, doch wird plötzlich atemlos und schwankt
Fühlen Sie sich nicht gut?

MIMI
Nein . es ist nichts.

RODOLFO
Sie sind ja ganz blass!

MIMI
Das Atmen ... diese Treppe. . .
Rodolfo stützt sie und fährt sie zum Sessel. Da sie im Begriffe ist, ohnmächtig zu werden, entfallen ihr der Schlüssel zu ihrer Kammer und die Kerze

RODOLFO
Und was fang ich jetzt an?
Er holt Wasser und besprengt ihr Gesicht
So! Sie sieht sehr krank aus.
sie kommt zu sich
Fühlen Sie sich besser?

MIMI
Ja.

RODOLFO
Es ist so kalt hier.
Setzen Sie sich näher zum Feuer . . .
Warten Sie. . ein bisschen Wein. . .

MIMI
Danke.

RODOLFO
Bringt ihr ein Glas
Bitte sehr.

MIMI
Ganz wenig.

RODOLFO
So?

MIMI
Danke.

RODOLFO
für sich
Wie hübsch sie ist!

MIMI
Jetzt gestatten Sie, dass ich meine Kerze anzünde.
Es ist schon vorüber.

RODOLFO
Gar so eilig?

MIMI
Ja.
Rodolfo hebt die Kerze auf, zündet sie an und reicht sie ihr
Danke. Guten Abend.
Sie geht hinaus

RODOLFO
Guten Abend.

MIMI
kehrt zurück
Ach, wie dumm ich bin!
Der Schlüssel meiner Kammer,
wo hab ich ihn wohl verloren?

RODOLFO
Bleiben Sie nicht in der Tür stehen,
die Kerze flackert im Winde.
Mimis Kerze erlischt wieder

MIMI
O mein Gott! Zünden Sie sie nochmals an.

RODOLFO
bläst heimlich auf seine Kerze
O mein Gott! Meine ist auch erloschen!

M1M1
Ach!
Und der Schlüssel . . .

RODOLFO
Stockfinster!

MIMI
Wie peinlich!

RODOLFO
Wo mag er sein?

MIMI
Ich mache Ihnen so viel Mühe!

RODOLFO
Aber, was denken Sie!

MIMI
Ich mache Ihnen so viel Mühe!

RODOLFO
Was fällt Ihnen ein, wie können Sie so etwas denken?

MIMI
Suchen Sie?

RODOLFO
Ich suche schon.

MIMI
Wo ist er bloss?

RODOLFO
stolpert über den Schlüssel und trachtet ihn hurtig zu verstecken
Ah!

MIMI
Haben Sie ihn gefunden?

RODOLFO
Nein!

MIMI
Mir schien…

RODOLFO
Wirklich nicht!

MIMI
Suchen Sie?

RODOLFO
Ich suche!

MIMI
tastet herum und im Dunkeln berühren sich ihre Hände
Ah!

RODOLFO
Wie eiskalt ist dies Händchen,
wenn Sie es mir lassen, will ich's wärmen.
Was nützt das Suchen?
Im Dunkeln findet man nichts.
Doch zum Glücke
ist's eine Mondnacht,
und hier is der Mond
unser Nachbar.
da Mimi versucht, die Hand zurückzuziehen
Warten Sie doch, mein Fräulein,
ich erzähle Ihnen in wenigen Worten
wer ich bin, und was ich tue,
wie ich lebe. Ist's gefällig?

Wer ich bin? Ich bin ein Dichter.
Was ich tue? Ich schreibe.
Und wie ich lebe? Ich lebe.
in meiner frohen Armut
verprasse ich wie ein grosser Herr
Reime und Liebeslieder.
An Träumen und an Chimären
und an Luftschlössern
ist meine Seele Millionärin.
Bisweilen aus meiner Schatzkammer
stehlen alle Juwelen
zwei Diebe: schöne Augen.
Mit Ihnen sind sie eben erschienen
und meine gewohnten Träume,
une meine wunderschönen Träume
sind eiligst verschwunden!
Doch der Diebstahl betrübt mich nicht,
denn, die Hoffnung
ist nun eingezogen!
Nun da Sie mich kennen,
sprechen Sie von sich. Wer sind Sie?
Beliebtes Ihnen?

MIMI
Ja. Man nennt mich Mimi,
doch mein Name ist Lucia.
Meine Geschichte ist kurz.
Auf Leinen oder auf Seide
sticke ich daheim und auswärts.
Ich bin ruhig und heiter
und am liebsten sticke ich
Lilien und Rosen.
Mich freuen diese Dinge,
die solchen süssen Zauber besitzen,
die von der Liebe sprechen und vomFrühling;
die mir von Träumen sprechen und von Chimären,
diese Dinge, die Poesie heissen.
Sie verstehen mich?

RODOLFO
Ja.

MIMI
Man nennt mich Mimi,
warum, weiss ich nicht.
Allein für mich
koch ich mein Essen.
Ich gehe nicht immer in die Messe,
doch bete ich oft zu Gott.
Ich lebe allein, ganz allein
hier in einem weissen Kämmerchen;
schau über die Dächer und in den Himmel,
doch fängt es an zu tauen,
mein ist die erste Sonne;
der erste Kuss des Aprils ist mein.
Die erste Sonne ist mein!
In einer Vase spriesst
eine Rose;
Blatt um Blatt
seh ich erblühn. So hold
ist der Duft der Blumen!
Doch die Blumen, die ich sticke, ach....
die Blumen, die ich sticke, ach!
die haben keinen Duft!
Sonst weiss ich von mir nichts zu berichten;
ich bin Ihre Nachbarin,
die eben hier eintrat,
um Sie zu belästigen.

SCHAUNARD
von draussen
He, Rodolfo!

COLLINE
von draussen
Rodolfo!

MARCELLO
von draussen
Holla. Hörst du nicht? Schnecke!

COLLINE
Dichterfürst!

SCHAUNARD
Verdammter Faulpelz!

RODOLFO
ruft aus dem Fenster
Ich will nur noch drei Zeilen schreiben.

MIMI
Wer sind die?

RODOLFO
Freunde.

SCHAUNARD
Du sollst es büssen . . .

MARCELLO
Was tust du da ganz allein?

RODOLFO
Ich bin nicht allein. Wir sind zu zweit.
Geht voraus zu Momus, haltet die Plätze,
wir folgen bald.

MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Momus, Momus, Momus,
still und taktvoll ziehen wir dahin.

SCHAUNARD, COLLINE
Momus! Momus!

MARCELLO
Er hat seine Eingebung gefunden!

SCHAUNARD, COLLINE
Momus, Momus, Momus!

RODOLFO
O liebliches Mädchen

MARCELLO
Seine Eingebung hat er gefunden!

RODOLFO
… O süsses Antlitz, umflossen
von des Mondes sanftem Licht,
in dir erkenn ich
den Traum, den stets zu träumen ich ersehnt!

MIMI
Ach! Du allein gebiete, Liebe!

RODOLFO
In der Seele beben schon ...
… allerhöchste Wonnen.

MIMI
Du allein gebiete, Liebe!

RODOLFO
In der Seele beben schon ...
allerhöchste Wonnen, usw.
In Küssen erbebt die Liebe!

MIMI
O! wie süss dringen seine
Schmeichelworte mir ins Herz,
du allein gebiete, Liebe!
er versucht sie zu küssen
Nein doch, bitte!

RODOLFO
Sei mein!

MIMI
Die Freunde warten…

RODOLFO
Schickst du mich schon weg?

MIMI
Ich wollte sagen ... doch wag ich's kaum…

RODOLFO
Sag' mir's!

MIMI
Wenn ich mitkäme?

RODOLFO
Wie? ... Mimi!
Es wäre doch so hübsch, hier zu bleiben.
Draussen ist es kalt.

MIMI
Ich bleibe ja ganz bei dir!

RODOLFO
Und wenn wir zurück sind?

MIMI
Wart es ab!

RODOLFO
Reich mir den Arm, meine Kleine.

MIMI
Ich gehorche, mein Herr!

RODOLFO
Sag, dass du mich liebst.

MIMI
Ich liebe dich!

MIMI, RODOLFO
im Abgehen
Liebe! Liebe! Liebe!

ZWEITES BILD

Später am gleichen Abend ausserhalb des Café Momus im Quartier Latin; das Café ist so voll, dass die Gäste an den Tischen ausserhalb untergebracht werden mässen.
Um sie herum schreien Strassenhändler aus voller Kehle ihre Waren aus.


STRASSENHÄNDLER
abwechselnd
Orangen, Datteln! Heisse Kastanien!
Spielzeug, Kreuze! Nougat!
Schlagsahne!
Hier die Pastete!
Bonbons! Blumen für die Schönen!
Hier die Pastete! Schlagsahne!
Finken, Sperlinge! Datteln!

GASSENBUBEN
Orangen, Spielzeug! Heisse Kastanien und Bonbons! Nougat!
Vorwärts, kommt! Vorwärts, kommt!

MÄNNER
Welch Gedränge! Welch Lärm!

FRAUEN
Ah! Welch Gedränge!

STUDENTEN
zu den Midinetten
Vorwärts, kommt!
Halt dich an mich!
Welch Lärm! Vorwärts, kommt!

MENGE
Gebt den Weg frei! Vorwärts, kommt!

STRASSENHÄNDLER, GASSENBUBEN
wiederholen wie früher
Heisse Kastanien! Sahne, Nougat!
Kokosnussmilch! Hier, die Pastete! usw.

MENGE
Welch Gedränge! Kommt, lasst uns gehn!
Ah! ... Gebt den Weg frei!

VERSCHIEDENE GÄSTE
an einem Tisch ausserhalb des Café Momus
Schnell hierher! Kellner! Ein Glas! . . .
… Rasch! Bier! zu trinken!

BÜRGER
Ah! Welch Gedränge!

STRASSENHÄNDLER
Finken und Sperlinge! Heisse Kastanien!

STUDENTEN
zu den Midinetten
Halt dich an mich! Lasst uns gehen!

EINE MUTTER
Emma! Wenn ich dich rufe!

EIN GAST
Also? Einen Kaffee?

ANDERE GÄSTE
Zu trinken!
Kellner! Holla!

KINDER
mischen sich in den Wirbel, kurz darauf
Möcht' einen Speer!

BÜRGER, STUDENTEN
Welch Lärm! Halt dich an mich!

BÜRGER
Welch Gedränge! Lasst uns gehn!

STRASSENHÄNDLER
schreiend ihre Waren anbietend, wie früher
Orangen usw. Mäntel, Karotten! Blumen!
Kokosnussmilch! Mäntel, Karotten!

BÜRGER
Welch Gedränge! Kommt, lasst uns gehn!

STRASSENHÄNDLER
Datteln! Spielzeug! Orangen und Blumen!

SCHAUNARD
probiert ein Horn, das er von einem Alteisenhändler kaufen will
Das D ist verstimmt!
Wieviel für Pfeife und Horn?

COLLINE
betrachtet einen Mantel, den er eben alt gekauft hat
Ein bisschen schäbig ...

RODOLFO
zu Mimi
Gehn wir!

MIMI
Gehn wir das Häubchen kaufen?

COLLINE
… doch verlässlich und billig.

RODOLFO
Halt dich an meinem Arm.

MIMI
Ich halte mich fest an dich.

MIMI, RODOLFO
Gehn wir!
treten in ein Modistengeschäft ein

MARCELLO
Ich fühle mich in der Stimmung, zu schreien:
Ihr lustigen Mädchen, wer wünscht
ein wenig Liebe!

STRASSENHÄNDLER
(Bässe) Datteln! Forellen!
(Tenöre) Pflaumen aus Tours!

MARCELLO
zu einem Mädchen
Machen wir ein Geschäft ab ...

STRASSENHÄNDLER
(Tenöre) Pflaumen aus Tours!

MARCELLO
... ich geb für einen Groschen mein jungfräuliches Herz!

SCHAUNARD
Gestossen und getreten, eilend . .
…wimmelt die Menge und ergö tzt sich daran,
närrische, unbefriedigende Freuden zu suchen.

STRASSENHÄNDLER
wie immer: ihre Stimmen vereinigen sich nach einer Weile mit der Gruppe
Spielzeug, Nadeln! Datteln und Bonbons!
die Gassenbuben wechseln ab Ah!
Blumen für die Schönen!

COLLINE
nähert sich dem Café, ein altes Buch schwenkend
Ein seltenes, vielmehr einziges Exemplar:
die Runische Grammatik!

SCHAUNARD
Feiner Mensch!

MARCELLO
Zu Tische!

SCHAUNARD, COLLINE
Wo ist Rodolfo?

MARCELLO
Er trat ein bei der Modistin.

RODOLFO
verlässt den Modistenladen mit Mimi
Komm, die Freunde erwarten uns.

STRASSENHÄNDLER
Schlagsahne!

MIMI
Kleidet mich das rosa Häubchen?

STRASSENHÄNDLER
Kokosnussmilch! Da die Pastete! Schlagsahne!

GÄSTE
Kellner ...
Ein Glas ...

RODOLFO
Du bist brünett ...
…die Farbe steht dir gut.

GÄSTE
Geschwind, holla! ...
... Ratafia!

MIMI
bewundert das Schaufenster eines Juweliers
Schön dieses Schmuckstück ...
… aus Korallen!

RODOLFO
Ich hab einen Onkel, der ist Millionär.
Wenn es dem lieben Gott einmal gefällt,
kauf ich. dir dann
ein viel schöneres Stück!

GASSENBUBEN, STUDENTEN, ARBEITERINNEN
einzeln und abwechselnd
Ha! Ha! Ha! usw.

FRAUEN
Gehen wir der Menge nach!

STRASSENHÄNDLER, GASSENBUBEN
laut rufend, wiederholt
Hier, die Pastete usw. Blumen für die Schönen!

MÄNNER
Ihr Mädchen, gebt Obacht!
Wir nehmen die Rue Mazarin!
Seht da . . .

FRAUEN
Weich Lärm! Welch Gedränge!
Ich ersticke, lasst uns gehn!

MÄNNER
... hier ist das Café

GASSENBUBEN, STRASSENHÄNDLER
Spielzeug, Datteln, heisse Kastanien!

MENGE
Gehn wir zu Momus!

STRASSENHÄNDLER
Orangen, DatteIn, Spielzeug, Blumen!
Finken, Sperlinge, Sahne, Nougat!

MENGE
Ah!

RODOLFO
zu Mimi, die eine Gruppe von Studenten beobachtet
Was schaust du?

COLLINE
Ich hasse den profanen Pöbel ...
… wie schon Horaz.

MIMI
zu Rodolfo
Bist du eifersüchtig?

RODOLFO
Wenn der Mensch glücklich ist, bleibt der Argwohn nicht aus.

SCHAUNARD
zu Colline
Und ich, will ich mich laben ...
... muss ich Platz dazu haben.

MIMI
zu Rodolfo
Bist du glücklich?

MARCELLO
zum Kellner
Wir wollen eine prima Mahlzeit.

RODOLFO
zu Mimi
O ja! so sehr!

MARCELLO
zum Kellner
Rasch!

SCHAUNARD
zum Kellner
Für viele Leute!

RODOLFO
zu Mimi
Und du?

MIMI
Ja, so sehr!

STUDENTEN
Hier ist Momus!

ARBEITERINNEN
Kommt, kommt!

MARCELLO, COLLINE, SCHAUNARD
zum Kellner
Rasch!

PARPIGNOLS STIMME
Hier! Spielzeug von Parpignol!

RODOLFO
trifft die Freunde im Café
Zwei Plätze.

COLLINE
Endlich!

RODOLFO
Ja wir sind da.
Dies ist Mimi, ein fröhliches Blumenmädchen.
Ihre Ankunft vervollkommnet
unsere lustige Gesellschaft,
denn ich bin der Poet
und sie ist die Poesie.
Meinem Geist entspriessen die Lieder
ihren Händen entspriessen die Blumen,
den jubelnden Seelen entspriesst die Liebe.

MARCFLLO, SCHAUNARD, COLLINE
Haha, haha.

MARCELLO
Gott, weich erhabne Ideen!

COLLINE
feierlich auf Mimi weisend
Digna est intrari.

SCHAUNARD
Ingrediat si necessit.

COLLINE
Und ich sage nur: "accessit".
sie setzen sich alle an den Tisch

PARPIGNOLS STIMME
Hier das Spielzeug von Parpignol!

COLLINE
ruft dem Kellner zu
Wurst!

Parpignol kommt die Strasse herab, gefolgt von einer Menge Buben und Mädchen

BUBEN,MÄDCHEN
Parpignol! Parpignol! Parpignol! Parpignol!
Hier ist Parpignol! Parpignol! Parpignol!
Mit seinem vollen Karren.
Hier ist Parpignol! Parpignol! Parpignol!
abwechselnd
Will die Trompete, ich das Pferd!
Mir die Trommel, das Tamburin!
Will die Kanone, will die Peitsche!
Ich die Fahne der Soldaten!

SCHAUNARD
Zum Kellner
Hirschbraten!

MARCELLO
Einmal Truthahn!

SCHAUNARD
Rheinwein!

COLLINE
Tafelwein!

SCHAUNARD
Hummer ohne Schale!

MÜTTER
zu den Kindern
Ihr verflixten Spitzbuben,
was habt ihr denn da zu suchen?
Marsch nach Hause, ins Bett!
Los! Ihr ausgelassenen Rangen,
sind euch die Ohrfeigen zu wenig?
Nach Hause, ins Bett, ihr Spitzbuben, marsch, ins Bett!

EIN BUB
Will 'ne Trompete, will ein Pferd!

RODOLFO
Und du, Mimi, was willst du?

MIMI
Eine Crême.

SCHAUNARD
zum Kellner
Wie fein! Eine echte Dame.

BUBEN, MÄDCHEN
folgen Parpignols Karren, als er abgeht
Vivat Parpignol! Parpignol! Parpignol!
Die Trommel, das Tamburin . . .
Die Fahne der Soldaten . . .

MARCELLO
Fräulein Mimi, welch seltenes Geschenk
hat ihnen Ihr Rodolfo verehrt?

MIMI
Hier dieses Häubchen mit Spitzen
ganz bestickt in rosa;
zu meinen braunen Haaren passt die Farbe gut.
Schon so lange
war so ein Häubchen mein Wunsch,
und er erriet,
was mein Herz begehrt.
Nun, wer so im Herzen
lesen kann,
der kennt die Liebe
und ist klug.

SCHAUNARD
Er ist ein Gelehrter ...

COLLINE
… und hat bereits Diplome.
Voll von Erfahrung
sind seine Verse.

SCHAUNARD
Alles erscheint wahr, was er gedichtet.

MARCELLO
O schönes Alter der Täuschung und Utopien!
Man glaubt, man hofft und alles scheint so schön.

RODOLFO
Die göttlichste aller Poesien,
Freund, ist jene
die uns die Liebe beibringt!

MIMI
Die Liebe ist noch süsser als Honig!

MARCELLO
Je nach Geschmack, Honig oder Galle!

MIMI
O Gott, ich hab ihn beleidigt!

RODOLFO
Er ist in Trauer, liebste Mimi.

SCHAUNARD, COLLINE
Seid fröhlich, trinkt einen Toast!

MARCELLO
zum Kellner
Hier, zu Trinken!

MIMI, RODOLFO, MARCELLO
Fort mit den Sorgen, hoch das Glas!
Lasst uns trinken!

ALLE
Lasst uns trinken!

MARCELLO
Und mir bringt ein Glas Gift!

Musetta tritt auf, prächtig gekleidet und begleitet von einem aufgeblasenen alten Verehrer, Alcindoro di Mitonneaux

RODOLFO, SCHAUNARD, COLLINE
O!

MARCELLO
Sie selbst!

RODOLFO, SCHAUNARD, COLLINE
Musetta!

FRAUEN, STRASSENHÄNDLER
Ha! Sie! Ja! Ha! Sie!
Musetta!
Sie tut uns eine Ehre an!
Wie elegant!

ALCINDORO
Wie ein Dienstmann…
renne ich hierhin und dorthin.
Nein! Nein! ich mach nicht mehr mit . . .

MUSETTA
ruft Alcindoro wie einen Hund
Hierher, Lulu!

ALCINDORO
… ich kann nicht mehr.

MUSETTA
Hierher, Lulu

ALCINDORO
Ich kann …
… nicht mehr ...

SCHAUNARD
Der grausliche Kerl ...
... wie er schwitzt!

Musetta sieht die Freunde ausserhalb des Cafés sitzen und bedeutet Alcindoro, sich an einen freien Tisch zu setzen

ALCINDORO
Was? Hier draussen! Hier?

MUSETTA
Setz dich, Lulu!

ALCINDORO
Diesen Spitznamen, ich bitte dich,
behalte ihn doch für dich!

MUSETTA
Spiel hier nicht den Blaubart!

COLLINE
sieht Musettas Verehrer prüfend an
Es ist das würdevolle Laster.

MARCELLO
Mit der keuschen Susanna!

MIMI
zu Rodolfo
Sie ist so schön gekleidet.

RODOLFO
Die Engel gehen nackt!

MIMI
Du kennst sie? Wer ist sie?

MARCELLO
Fragt lieber mich.
Ihr Name ist Musetta ...

MUSETTA
Marcello hat mich gesehen . . .

MARCELLO
… Zuname: Versuchung!

MUSETTA
…und schaut mich nicht an, der Feigling!

MARCELLO
Von ...
… Beruf…
… ist sie ein Windrad ...

MUSETTA
Der Schaunard lacht sogar!

MARCELLO
… dreht sich und wechselt häufig
Liebhaber und Liebe ...

MUSETTA
Sie bringen mich in Wut!

MARCELLO
… und wie die Eule ...

MUSETTA
O könnt ich ihn prügeln!

MARCELLO
… ist sie ein …
… Raubvogel.

MUSETTA
O könnt ich ihn kratzen!

MARCELLO
Ihre gewöhnliche Speise ...

MUSETTA
Doch hab ich zur Hand

MARCELLO
… ist das Herz!

MUSETTA
… nur diesen Zahnstocher!

MARCELLO
Sie isst Herzen!

MUSETTA
Warte!

MARCELLO
Darum hab ich keines mehr!

MUSETTA
He Kellner!

MARCELLO
Reicht mir das Ragout.

MUSETTA
hebt eine Platte auf und schnüffelt daran
He! Kellner! Dieses Gericht
stinkt wie aufgewärmt!
Sie wirft die Platte heftig zu Boden

ALCINDORO
Aber Musetta … stille, stille!

MUSETTA
Er dreht sich nicht um!

ALCINDORO
Stille! Stille! Stille! Benimm dich doch!

MUSETTA
Ha, er dreht sich nicht um!

ALCINDORO
Mit wem sprichst du?

COLLINE
Dieses Huhn ist ein Gedicht!

MUSETTA
O könnt ich ihn schlagen, ja, ihn schlagen!

ALCINDORO
Mit wem sprichst du?

MUSETTA
Mit dem Kellner! Quäl mich nicht!

SCHAUNARD
Der Wein ist köstlich!

MUSETTA
Ich tue, was mir gefällt.

ALCINDORO
Sprich doch leise!

MUSETTA
Ich tue, was mir passt.

ALCINDORO
Sprich leise, sprich leise!

MUSETTA
Quäl mich nicht!

MÄDCHEN
Seht doch, seht doch,
sie selbst, Musetta!

STUDENTEN
Mit welchem Stottergreis!

MÄDCHEN, STUDENTEN
Sie selbst, Musetta!
Ha, ha, ha!

MUSETTA
Ist er eifersüchtig auf diese Mumie?

ALCINDORO
Der Anstand ... mein Rang … die Tugend…

MUSETTA
Lasst sehen ob genügend Macht mir geblieben ...
…über ihn, dass er nachgibt!

SCHAUNARD
Die Komödie ist wundervoll!

MUSETTA
spricht mit lauter Stimme und fixiert Marcello
Du schaust mich nicht an!

ALCINDORO
glaubt, dass Musetta zu ihm spricht
Du siehst doch, dass ich bestelle!

SCHAUNARD
Die Komödie ist wundervoll!

COLLINE
Wundervoll!

RODOLFO
Ich will dir ganz offen sagen:
ich würde dir nicht immer wieder verzeihen.

SCHAUNARD
Sie spricht zum einen ...
…doch meint sie den anderen.

MIMI
Ich liebe dich so…
... und bin ganz die Deine!

COLLINE
Und der der andere ...
…vergebens grausam ...

MIMI
Warum sprichst du zu mir
... vom Verzeihen?

COLLINE
… tut als verstünde er nicht, doch schlürft er es auf!

MUSETTA
Doch dein Herz, das hämmert!

ALCINDORO
Leise leise!

MUSETTA
Doch dein Herz, das hämmert!

ALCINDORO
Leise! Leise!

MUSETTA
immer noch Marcellos Aufmerksamkeit suchend
Wenn ich so gehe,
wenn ich so allein auf der Strasse gehe,
so bleiben die Leute stehen
und bewundern meine Schönheit, alle
betrachten mich von Kopf bis Fuss.

MARCELLO
O bindet mich an den Stuhl!

ALCINDORO
Was werden die Leute sagen?

MUSETTA
Dann koste ich das heimliche
Verlangen, das aus den Augen ihnen leuchtet,
und die offenkundigen Reize
deuten verborgene Schönheiten an.
So strömen die Wünsche
aller rund um mich–
und machen mich glücklich,
so glücklich machen sie mich!

ALCINDORO
Dieses unanständige Singen ...
…macht mir die Galle überlaufen!

MUSETTA
Und du, der ...
… es weiss, der in Frinnerung noch glüht,
du willst mich nun meiden?
Ich weiss es wohl: deinen Kummer
willst du nicht eingestehen ...

MIMI
ihre Worte begleiten jene der Musetta im Refrain
Ich seh es wohl, dass diese Arme
ganz verliebt ist,
ganz verliebt ist in Marcello,
dass sie ganz verliebt ist!

MUSETTA
… weiss es wohl, dass du glaubst, daran zu sterben!

Schaunard und Colline stehen vom Tische auf und stellen sich an die Seite, gespannt der Szene zuschauend. Rodolfo und Mimi bleiben allein sitzend im Gespräch. Marcello, immer aufgeregter, versucht fortzugehen, kann jedoch Musettas Stimme nicht widerstehen.

ALCINDORO
Was werden die Leute sagen!

RODOLFO
zu Mimi
Marcello liebte sie einst!

SCHAUNARD
Ah! Marcello gibt nach!

RODOLFO
Doch das leichtsinnige Ding verliess ihn…

COLLINE
Wer weiss, was noch geschehen wird!

RODOLFO
…um sich ein besseres Leben zu schaffen.

SCHAUNARD
Beide finden Gefallen an der Schlinge . .

COLLINE
Heilige Götter, solche Sorgen

SCHAUNARD
... die sie knüpft, und der in ihr hängt.

COLLINE
... nie möge Colline da hinein stolpern!

MUSETTA
Ah! Marcello ...

ALCINDORO
Sprich leise!

MUSETTA
…ist rasend. Marcello ist bezwungen!

MIMI
Die Arme tut mir leid.

ALCINDORO
Leise, leise!

COLLINE
Sie ist schön, ich bin ...
... nicht blind ...

MIMI
zu Rodolfo
Ich liebe dich!

SCHAUNARD
Dieser Prahler…

RODOLFO
Mimi!

SCHAUNARD
... gleich ist er besiegt!

MIMI
Die Arme tut mir leid!

RODOLFO
Wertlos ist die Liebe, die, wenn sie gekränkt,
sich nicht zu rächen weiss!

SCHAUNARD
Wundervoll ist die Komödie!

COLLINE
beendet seine Betrachtung
... doch mehr Freude macht mir
eine Pfeife und ein griechischer Text!

MUSETTA
Ich weiss es wohl: deinen Kummer
willst du nicht eingestehn!

ALCINDORO
Anstand! Manieren!

MIMI
Liebe ohne Grossmut ist traurige Liebe!

RODOLFO
Erloschene Liebe erblüht nicht mehr!

SCHAUNARD
Marcello gibt nach!

COLLINE
immer der gleichen Idee nachhängend
… machen mir mehr Freude!

MUSETTA
Ah! Doch glaubst du, daran zu sterben!

ALCINDORO
tritt schliesslich der Gruppe bei: in Verzweiflung
Leise! Leise!

MUSETTA
Ich will tun, was mir gefällt.
Will tun, was gut mir scheint!
Quäl mich nicht! Quäl mich nicht!

MIMI
Die Arme, ah! usw.

RODOLFO
Wertlos ist die Liebe, usw.

SCHAUNARD
Setzt sein Gespräch mit Colline fort
Wenn so ein liebliches Wesen
auf Du und Du mit dir wäre, schnell
schicktest du deine mürrische
Weisheit zum Teufel!

COLLINE
Sie ist schön, ich bin nicht blind,
doch mehr Freude macht mir usw.

MUSETTA
… quäl mich nicht!
für sich
Ich muss den Alten loswerden!
gibt vor, Schmerzen am Fuss zu haben
Auweh!

ALCINDORO
Was ist's?

MUSETTA
Welch Schmerz, welch Brennen!

ALCINDORO
Wo?

MUSETTA
Am Fuss!

MARCELLO
Mein Jugend, du bist nicht tot,
noch die Erinnerung an dich!

MUSETTA
während Alcindoro sich bückt, um den Schuh etwas zu lockern
Löse, lockere, zerreisse, sprenge!
Ich flehe dich an!
Dort drüben ist ein Schuster,
lauf schnell! ich will
ein anderes Paar.

ALCINDORO
schaltet sich in die musikalische Passage, etwa im zweiten Drittel derselben ein
Du bist so unbedacht!

MUSETTA
Auweh! Wie er sticht …
…der verdammte enge Schuh!

ALCINDORO
Was werden die Leute sagen?

SCHAUNARD, COLLINE
Die Komödie ist wundervoll!

MARCELLO
Pochtest du an meine Türe ...

MUSETTA
Schleudert den Schuh ab
Weg mit ihm!

ALCINDORO
zu Musetta
Doch meine Stellung

MUSETTA
wirft den Schuh auf den Tisch
Da ist er!

MARCELLO
... mein Herz eilte, dir aufzutun!

MIMI
Ich sehe wohl, sie ist verliebt in Marcello!

RODOLFO
Ich sehe wohl, die Komödie ist wundervoll!

MUSETTA
Lauf! Lauf doch! Hurtig, geh, geh!

ALCINDORO
… willst du mich kompromittieren?
sieht, dass Musetto im Begriffe ist, auf Marcello zuzugehen
Warte, Musetta! Ich gehe schon!
eilt zum Schuhladen

SCHAUNARD, COLLINE
Wundervoll ist diese Komödie!

MUSETTA
Marcello!

MARCELLO
Sirene!
sie umarmen einander leidenschaftlich

SCHAUNARD
Wir kommen zur letzten Szene!
der Kellner präsentiert die Rechnung

RODOLFO, SCHAUNARD, COLLINE
Die Rechnung?

SCHAUNARD
Schon?

COLLINE
Wer hat sie verlangt?

SCHAUNARD
Zum Kellner
Lass sehen!

in der Ferne hört man Pfeifen und Trommeln

COLLINE, RODOLFO
Teuer genug!

RODOLFO, SCHAUNARD, COLLINE
Heraus mit dem Geld!

SCHAUNARD
Colline, Rodolfo, und du, Marcel?

GASSENBUBEN
während der Klang der Trommeln sich nähert
Der Zapfenstreich!

MARCELLO
Wir sind abgebrannt!

SCHAUNARD
Wie?

MÄDCHEN, STUDENTEN
Der Zapfenstreich!

RODOLFO
Ich habe nur dreissig Groschen!

MENGE
Der Zapfenstreich!

MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Was? Ist nichts mehr da?

SCHAUNARD
Doch was geschah mit meinem Reichtum?

GASSENBUBEN
Kommen sie von dort?

MUSETTA
Zum Kellner
Bring meine Rechnung!

MÄDCHEN, STUDENTEN
Nein! von da!

GASSENBUBEN
Sie kommen von dort!

MÄDCHEN, STUDENTEN
Sie kommen von da!

GASSENBUBEN
Nein, von dort!

MUSETTA
Gut.

MENGE
Macht Platz!

KINDER
Ich will sie sehen, will sie hören!

MUSETTA
zum Kellner
Schnell, rechne beide zusammen.

EINE MUTTER
Lisetta, sei still.

KINDER
Mama, ich will sehen!

MUSETTA
Alles zahlt der Herr, der mit mir war!

KINDER
Papa, ich will hören!

EINE MUTTER
Tonio, willst du aufhören!

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Der Herr bezahlt!

KINDER
Den Zapfenstreich will ich sehen!

EINE MUTTER
Bist du still, hörst du auf!

FRAUEN
Sie kommen von hier! von dort!

ALLE
Ja, von dort!

GASSENBUBEN
Wenn sie angekommen sind…

COLLINE
Der Herr bezahlt!

GASSENBUBEN
… folgen wir im Schritte mit!

SCHAUNARD
Der Herr bezahlt!

MARCELLO
Der Herr!

MUSETTA
Und wo er sass, dort findet er meine Grüsse!

STRASSENHÄNDLER
In diesen Trommeln hört man des Vaterlandes Majestät!

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Und wo er sass, dort findet er ihre Grüsse!

GASSENBUBEN, MENGE
Heho! Achtung jetzt!
Da sind sie! Macht Platz, macht Platz!

MARCELLO
Hier kommt der Zapfenstreich!

GASSENBUBEN, MENGE
Reiht euch ein!

MARCELLO, COLLINE
Dass uns der Alte nur nicht sieht ...
… wenn wir mit seiner Beute entfliehen!

RODOLFO
Hier kommt der Zapfenstreich!

MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Welch ein Gedränge ...
… zum Versteck wie geschaffen!

Die Soldaten treten auf, voran ein gigantischer Tambourmajor, der seinen Taktstock geschickt Iaviert

MENGE
Hier ist der Tambourmajor!
Noch stolzer als ein Krieger aus der Antike!
Der Tambourmajor! Der Tambourmajor!

MIMI, MUSETTA, RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Flink, flink, flink!

MENGE
Das Geniekorps, holla!
Hier ist der Tambourmajor!

GASSENBUBEN, MENGE
Der Zapfenstreich …

ARBEITERINNEN
Der Tambourmajor!

STUDENTEN
Wie ein General!

GASSENBUBEN, MENGE
… ist da!

MENGE
Hier, hier ist er! Der schöne Tambourmajor!
Der goldene Stab, in aller Pracht!
Da schaut nur, da geht er, da!

RODOLFO, MARCELLO, SCHAUNARD, COLLINE
Vivat Musetta! Schelmisches Herz!
Ruhm und Ehre, Ehre und Ruhm
des Quartier Latin!

MENGE
All die Pracht! Er ist der schönste Mann in Frankreich!
Der schöne Tambourmajor! Hier ist er!
Da schaut nur, da geht er, da!

Musetta, die nicht gehen kann, da sie nur einen Schuh hat, wird von Marcello und Colline gestützt und fortgetragen, den abgehenden Soldaten folgend. Alle anderen schliessen sich an und entfernen sich. Alcindoro kehrt zurück. Der Kellner präsentiert ihm beide Rechnungen, bei deren Anblick er vor Entsetzen starr in einen Sessel fällt.

DRITTES BILD

An der Barrière d'Enfer, einer der Zollschranken von Paris. Innerhalb der Schranken steht das Zollhäuschen und eine Schenke, an der ein zweckmässig bearbeitetes Gemälde von Marcello als Schild hängt. Es ist Februar, sehr zeitig am Morgen und alles ist mit Schnee bedeckt.

STRASSENKEHRER
ausserhalb der Gitter
Holla! Ihr Zöllner! Öffnet!
Holla, he! Wir sind von Gentilly! Die Strassenkehrer!
Der Schnee fällt! Holla, he! Hier erfriert man!

Ein Sergeant kommt aus dem Zollhaus und ordnet an, die Schranken zu öffnen.

ZÖLLNER
Komme schon!

STIMMEN AUS DER SCHENKE
Wer im Trinken Vergnügen fand
in seinem Glase, ah!
in der Glut der Küsse
er Liebe fand!

MUSETTAS STIMME
Ah! Wenn Vergnügen im Glase ist,
dann ist Liebe im jungen Kusse.

STIMMEN AUS DER SCHENKE
Trallerala, trallerala …Eva und Noah!

BÄUERINNEN
vor den Schranken
Hoppla, Hoppla!

ZÖLLNER
Die Bäuerinnen sind schon da!
Er öffnet die Schranke. Eine Reihe von Fuhrkarren mit Bauern kommt zugleich mit den Bäuerinnen.

FUHRLEUTE
Hoppla!

BÄUERINNEN
Hoppla!
Einzeln
Guten Morgen! Guten Morgen! Guten Morgen!

BAUERNMÄDCHEN
sprechen untereinander
Butter und Käse! Hühner und Eier!
Wohin geht ihr denn heute?
Zu San Michele!
Treffen wir uns später?
Bis Mittag denn!
Bis Mittag denn!
Gehen weiter

MIMI
nähert sich aus der Rue d'Enfer und wendet sich an den Sergeanten
Können Sie mir sagen, ich bitte, wo die
Schenke ist, in der ein Maler arbeitet?

SERGEANT
zeigt auf die Schenke
Hier ist sie.

MIMI
Danke.
zu einer Magd, die aus der Schenke kommt
O liebe Frau, täten Sie mir wohl denGefallen
und holten mir den Maler Marcello heraus?
Ich habe mit ihm zu sprechen. Bin sehr in Eile.
Sagen Sie ihm, ganz leise, Mimi erwarte ihn.

SERGEANT
zu einem Passanten
He, der Korb da!

ZÖLLNER
nachdem er den Korb untersucht hat
Leer!

SERGEANT
Passieren!

MARCELLO
kommt aus der Schenke
Mimi!

MIMI
Ich hoffte Sie hier zu finden.

MARCELLO
Ja, wir sind hier seit einem Monat
bei diesem Wirte in Kost.
Musetta lehrt die Gäste singen
und ich male diese Krieger
an die Fassade.
Es ist kalt. Treten Sie ein.

MIMI
Ist Rodolfo hier?

MARCELLO
Ja.

MIMI
Ich kann nicht eintreten, nein, nein!

MARCELLO
Warum?

MIMI
O guter Marcello, helft, helft!

MARCELLO
Was ist geschehen?

MIMI
Rodolfo liebt mich und doch flieht er vor mir.
Mein Rodolfo vergeht
vor Eifersucht.
Ein Schritt, ein Wort,
eine Kleinigkeit, eine Blume
erwecken sein Misstrauen.
Dann gibt es Groll und Zorn.
Bisweilen, des Nachts, gebe ich vor, zu schlafen
und ich fühle, wie er mein Antlitz betrachtet,
um meine Träume zu erspähen.
Immerfort drängt er mich:
Bleib nicht bei mir,
nimm dir einen anderen Liebhaber,
bleib nicht bei mir.
Ach! Ach!
Er spricht im Zorn,
ich weiss es wohl, aber was soll ich ihm antworten, Marcello?

MARCELLO
Wenn es so ist mit euch,
lebt doch nicht zusammen.

MIMI
Gewiss, gewiss:
wir müssen uns trennen.
Helft uns doch, helft uns;
wir versuchten es schon …
…einige Male, doch vergebens.

MARCELLO
Ich lebe leicht mit Musetta …
… und sie lebt leicht mit mir, weil ...
… wir die Liebe nicht ernst nehmen.
Wir lachen und singen, das ist das Wesen
der ewigen Liebe!

MIMI
Gewiss, gewiss; wir müssen uns trennen ...
… Ihr macht es besser.

MARCELLO
Schon gut! Schon gut! Ich will ihn wecken.

MIMI
Schläft er?

MARCELLO
Er erschien hier
eine Stunde vor Morgengrauen
und schlummerte ein auf einer Bank.
Sehen Sie selbst.
Mimi hustet unausgesetzt
Wie sie hustet!

MIMI
Seit gestern fühl ich mich wie gerädert.
Er floh von mir heute nacht
und sagte: Es ist zu Ende!
Am Morgen ging ich aus
und kam nun hierher.

MARCELLO
Er erwacht …erhebt sich ... sucht mich… er kommt ...

MIMI
Er darf mich nicht sehen!

MARCELLO
Denn gehen Sie nach Hause, Mimi, ums Himmels willen!
Machen Sie hier keine Szene!
Mimi versteckt sich, während Marcello Rodolfo entgegen geht

RODOLFO
Marcello! Endlich!
Hier hört uns niemand.
Ich will mich von Mimi trennen.

MARCELLO
Bist du so unbeständig?

RODOLFO
Einmal schon glaubte ich,
mein Herz sei tot,
doch der Glanz
dieser blauen Auge
erweckte es wieder.
Nun ist es dem Überdruss verfallen.

MARCELLO
Und du willst es auf's neue begraben?

RODOLFO
Auf ewig.

MARCELLO
Stimm ein anderes Lied an!
Nur Narren sehen die Liebe düster
und voller Tränen.
Wenn sie nicht lacht und funkelt
ist die Liebe matt und trübe.
Du bist eifersüchtig ...

RODOLFO
Ein wenig.

MARCELLO
... jähzornig, launenhaft, durchdrungen
von Vorurteilen, langweilig, starrköpfig!

MIMI
für sich
Ach, er erzürnt ihn! O ich Arme!

RODOLFO
Mimi ist eine Kokette,
die mit allen tändelt.
Ein Stutzer von einem Grafen
liebäugelt mit ihr –
und sie schwingt sich und zeigt die Beine
in verheissender und verführerischer Manier.

MARCELLO
Muss ich es sagen? Du klingst nicht aufrichtig.

RODOLFO
Nun gut denn, nein, ich bin es nicht.
Umsonst, umsonst verberge
ich meine wahre Qual.
Ich liebe Mimi über alles in der Welt,
ich liebe sie, doch hab ich Angst.
Mimi ist so krank!
Jeden Tag wird es schlimmer.
Die arme Kleine ist ...
... dem Tode verfallen!

MARCELLO
Mimi?

MIMI
Was will er sagen?

RODOLFO
Ein furchtbarer Husten
erschüttert ihre schmächtige Brust,
ihre abgezehrten Wangen
sind von Fieber rot.

MARCELLO
Arme Mimi!

MIMI
Weh mir, sterben?

RODOLFO
Mein Zimmer ist eine düstere
Höhle ... das Feuer ist erloschen.
Der Nordwind
dringt ein und wirbelt umher.
Ihr Gesang und ihr Lachen
erwecken Gewissensbisse in mir.
Ich fühle mich schuldig an dem
Leiden, das sie tötet.

MARCELLO
Was kann man da machen?

MIMI
O mein Leben!

ODOLFO
Mimi ...
…ist eine Treibhauspflanze.
Die Armut hat ihr die Blüte geraubt;
die Liebe reicht nicht aus,
um sie wieder aufzuleben.

MIMI
Weh! Weh! Es ist vorbei!
Ich scheide aus dem Leben!
Weh, muss ich denn sterben?

MARCELLO
singt dazwischen
Was für ein Jammer!
Armes kleines Ding!
Arme Mimi!

RODOLFO
hört Mimis Husten und Schluchzen
Wie? Mimi! Du hier!

MARCELLO
Sie ... hat also mitgehört!

RODOLFO
Sie hat mich gehört? ...
…Leicht werd ich besorgt,
und quäle mich über nichts!
sucht Mimi in die Schenke zu führen
Komm in die Wärme!

MIMI
Nein, der üble Geruch erstickt mich!

RODOLFO
Ah, Mimi!

MARCELLO
hört ein freches Lachen aus der Schenke
Und Musetta lacht!
Mit wem lacht sie wohl?
läuft ungestüm in die Schenke
Ah, die Kokette! Ich will sie lehren.

MIMI
zu Rodolfo
Leb wohl!

RODOLFO
Wie! Du gehst?

MIMI
Von wo sie froh einst kam, deinem
Liebesruf folgend, dorthin
kehrt nun Mimi zum einsamen Nest zurück.
Sie kehrt zurück, um wiederum
künstliche Blumen zu sticken!
Leb wohl, ohne Groll.
Eine Bitte nur, höre!
Die wenigen Kleider, die ich lasse, leg' zusammen.
In meiner Schublade sind verschlossen
der goldene Ring
und mein Gebetbuch.
Wickle all diese Dinge in eine Schürze,
übergib sie dem Portier.
Und höre! Unter dem Kopfkissen
liegt das rosa Häubchen.
Wenn du willst ... behalte es zum Angedenken.
Leb wohl, leb wohl ohne Groll.

RODOLFO
So ist's denn wirklich zu Ende!
Du gehst von mir, meine Kleine.
Leb wohl, Traum der Liebe.

MIMI
Leb wohl, süsses Erwachen am Morgen!

RODOLFO
Leb wohl …
…träumerisches Leben!

MIMI
Lebt wohl, Zanken und Eifersucht…

RODOLFO
... die dein Lächeln beruhigt!

MIMI
Lebt wohl, Verdacht

RODOLFO
... Küsse ...

MIMI
... und brennende Bitterkeit ...

RODOLFO
... die ich als wahrer Dichter
gereimt mit Liebkosungen!

MIMI
Einsam ...

MIMI, RODOLFO
... im Winter, das ist zum Sterben!
Einsam,

MIMI
Einsam!

MIMI, RODOLFO
Doch im Frühling, da ist die Sonne unser Genosse!

MIMI
Da ist die Sonne unser Genosse!

MARCELLO
aufgeregt zu Musetta, während sie aus der Schenke kommen
Was tatest du? Was sagtest du…

MUSETTA
Wie meinst du das?

MARCELLO
…dort beim Feuer zu dem Herrn?

MUSETTA
Wie meinst du das?

MIMI
Niemand ist einsam im April.

MARCELLO
Als ich eintrat
wurdest du blass.

MUSETTA
Dieser Herr sagte mir:
"Lieben Sie den Tanz …

RODOLFO
Dann spricht man mit Lilien und Rosen.

MIMI
Aus dem Nest klingt ein liebliches Zwitschern.

MUSETTA
… mein Fräulein?"

MARCELLO
Eitle, leichtfertige Dirne!

MUSETTA
Errötend gab ich zur Antwort:
"Ich tanzte gern von früh bis abend!"

MARCELLO
Solche Reden verbergen unehrliche Absichten!

MUSETTA
Ich will meine volle Freiheit!

MARCELLO
Ich will dir übel zusetzen ...

RODOLFO, MIMI
Wenn alles blüht im Frühling, ist die Sonne unser Genosse!

MUSETTA
Was für Geschrei!

MARCELLO
... treff ich dich beim kokettieren!

MUSETTA
Was für Geschrei? Was für Getue?
Wir sind nicht am Altar vereint!

MARCELLO
Merke dir, unter meinem Hute
ist kein Platz ...
... für gewisse Verzierungen!

MUSETTA
O ich hasse die Liebhaber,
die tun wie ... hahaha ...
… Ehemänner.

RODOLFO, MIMI
Munter plaudern die Brunnen
des Abends leichte Brise
lindert der Menschen Wehen!

MARCELLO
Zum Gespött will ich nicht werden
für draufgängerische Neulinge.

MUSETTA
Ich kann lieben, wen ich will!

MARCELLO
Eitle, leichtfertige Dirne!

MUSETTA
Gefällts dir nicht?
Ich kann lieben, wen ich will!
Musetta geht denn, ja, sie geht!

MARCELLO
Wollen Sie gehen? Ich danke verbindlichst!
Reicher bin ich dadurch geworden!

MUSETTA, MARCELLO
ironisch
Ich grüsse Sie.

MIMI, RODOLFO
Wollen wir noch auf den Frühling warten?

MUSETTA
Mein Herr, ich sage ihnen adieu mit Vergnügen!

MARCELLO
Ihr Diener, und ich geh!

MUSETTA
im Abgehen
Kneipenmaler!

MARCELLO
ruft ihr nach
Schlange!

MUSETTA
Kröte!

MARCELLO
in die Schenke eintretend
Hexe!

MIMI
Immer dein für's Leben.

RODOLFO
Wir wollen scheiden…

MIMI
Wir wollen scheiden, wenn die Blumen wiederkommen.

RODOLFO
… wenn die Blumen wiederkommen.

MIMI
Ich wollte, der Winter würde
ewig dauern!

MIMI, RODOLFO
Wir wollen scheiden, wenn die Blumen wiederkommen.

VIERTES BILD

Die Mansarde wie im ersten Bild. Marcello und Rodolfo geben vor, zu arbeiten.

MARCELLO
die Unterhaltung fortsetzend
In einem Wagen?

RODOLFO
Mit Gespann und Livree.
Sie grüsste mich lächelnd. "Nun, Musetta!"
sage ich: "und das Herz? "
"Es schlägt nicht oder ich fühl es nicht,
weil es mit Samt bedeckt ist."

MARCELLO
heuchelt Gleichgültigkeit
Das freut mich wirklich!

RODOLFO
für sich
Heuchler, geh!
Du quälst dich und lachst!

MARCELLO
Es schlägt nicht? Gut!
Ich sah ebenfalls…

RODOLFO
Musetta?

MARCELLO
Mimi.

RODOLFO
lebhaft
Du sahst sie?
unterbricht sich plötzlich
Wirklich!

MARCELLO
Sie war in einer Kutsche,
gekleidet wie eine Königin.

RODOLFO
Prima! ich bin's zufrieden.

MARCELLO
für sich
Lügner, er vergeht vor Liebe.

RODOLFO
An die Arbeit.

MARCELLO
An die Arbeit.

RODOLFO
wirft die Feder weg
Schändliche Feder!

MARCELLO
schleudert den Pinsel fort
Elender Pinsel!

Marcello zieht heimlich ein Seidenband aus der Tasche und küsst es

RODOLFO
für sich
O Mimi, du kehrst nie wieder. O schöne Tage,
kleine Händchen, duftendes Haar …

MARCELLO
für sich, während er das Band wieder in die Tasche steckt
Ich weiss nicht wie es kommt ...
... dass mein Pinsel schafft
und Farben mischt
gegen meinen Willen.

RODOLFO
... schneeweisses Hälschen
ah! Mimi, meine kurze Jugend!

MARCELLO
Möchte ich malen
den Himmel oder die Erde,
Winter oder Frühling,
malt er mir anstatt dessen
zwei schwarze Augen,
und einen frechen Mund,
und immer wieder erscheint
Musettas Antlitz . . .

RODOLFO
für sich, während er das Häubchen aus der Schublade nimmt
Und du, kleines Häubchen,
das scheidend sie unter dem Kissen verbarg
du kennst all unser Glück.
Komm an mein Herz, an mein totes Herz,
ah, komm an mein Herz,
denn die Liebe ist tot.

MARCELLO
... und immer wieder erscheint Musettas Antlitz,
voller Anmut und voller Betrug,
Musetta lebt in Freuden
und mein armes Herz ruft nach ihr,
es ruft sie und schmachtet nach ihr, mein armes Herz.

RODOLFO
Wie spät ist es?

MARCELLO
Essenszeit von gestern.

RODOLFO
Und Schaunard noch nicht zurück?

Schaunard tritt auf mit vier Brotlaiben in den Händen: Colline folgt ihm, ein Päckchen tragend.

SCHAUNARD
Hier sind wir!

RODOLFO
Nun und?

MARCELLO
Nun und?
während Schaunard die Brotlaibe auf den Tisch legt; verächtlich
Brot?

COLLINE
öffnet das Päckchen und zieht einen Hering heraus
Ein Gericht würdig des Demosthenes: ein Hering.

SCHAUNARD
Gesalzen.

COLLINE
Es ist angerichtet!
sie setzen sich alle um den Tisch und geben vor, eine prächtige Mahlzeit einzunehmen

MARCELLO
Das ist das Schlaraffenfest
am Tage vor der Fastenzeit.

SCHAUNARD
legt Collines Hut auf den Tisch und stellt eine Flasche Wasser hinein
Hier der Champagner, geben wir ihn aufs Eis.

RODOLFO
bietet Marcello Brot an
Baron, wählen Sie
Forelle oder Lachs?

MARCELLO
bietet Schaunard Brot an
Herzog, etwas
Papageienzunge?

SCHAUNARD
Danke, das ist zu schwer,
Ich gehe heute abend zu einem Ball.

RODOLFO
zu Colline, der sich eben erhoben ha
Schon satt?

COLLINE
Ich habe Eile.
Der König erwartet mich.

MARCELLO
Ist's ein Komplott?

RODOLFO
Ein Geheimnis?

SCHAUNARD
Ein Geheimnis?

MARCELLO
Ein Geheimnis?

COLLINE
Der König macht mich zum Minister.

SCHAUNARD
Sehr gut!

MARCELLO
Sehr gut!

RODOLFO
Sehr gut!

COLLINE
Jedoch … ich treffe … Guizot!

SCHAUNARD
zu Marcello
Reich mir den Becher.

MARCELLO
gibt ihm das einzige vorhandene Glas
Ja! Trink du, ich schmause!

SCHAUNARD
hebt das Glas
Es sei mir gewährt
mit gnädiger Erlaubnis…

RODOLFO, COLLINE
Genug!

MARCELLO
Schwachkopf!

COLLINE
Was für Mist!

MARCELLO
Schieb ab!

COLLINE
nimmt Schaunard das Glas weg
Mir den Becher!

SCHAUNARD
Der Geist der Romanze inspiriert mich unwiderstehlich!

RODOLFO
Nein!

MARCELLO
Nein!

COLLINE
Nein!

SCHAUNARD
gibt ihnen nach
Wie wär es mit etwas Tanzen?

RODOLFO, MARCELLO, COLLINE
Ja! ja!

SCHAUNARD
Ein Tanz mit Gesangsbegleitung!

COLLINE
während sie die Stühle und den Tisch auf die Seite schieben
Räumt den Saa!
Gavotte!

MARCELLO
Menuett!

RODOLFO
Pavanella!

SCHAUNARD
Fandango!

COLLINE
Ich schlage vor: Quadrille!

RODOLFO
Reicht den Damen die Hand.

COLLINE
Ich führe.

SCHAUNARD
Lallera, Iallera, lallera, la!

RODOLFO
verbeugt sich tief vor Marcello
Mein holdes Fräulein …

MARCELLO
Respektieren Sie meine Unschuld,
ich bitte.
Rodolfo und Marcello tanzen die Quadrille, während Colline die Figuren ausruft

SCHAUNARD
Lallera, Iallera, Iallera . la!

COLLINE
Balancez!

MARCELLO
Lallera ...
lallera, lallera, la!

SCHAUNARD
Erst kommt das "Rond".

COLLINE
Nein! Du Esel!

SCHAUNARD
Die Manieren eines Lakaien!

COLLINE
wenn ich rnich nicht täusche,
fordern Sie mich heraus!
Ziehen Sie den Degen!
Colline läuft zum Kamin und ergreift die Feuerzange, während Schaunard die Kohlenschaufel nimmt

SCHAUNARD
Ich bin bereit. Versuch's.
Dein Blut will ich trinken.

COLLINE
Einer von uns wird hier aufgeschlitzt.

SCHAUNARD
Bereitet eine Bahre.

COLLINE
Bereitet einen Friedhof.
Schaunard und Colline fechten

RODOLFO
Während sie im
Zweikampf streiten,
springen wir und tanzen
ein Rigaudon.

Tanzen um die beiden Duellanten, stampfend und schreiend. Plötzlich fliegt die Türe auf und Musetta tritt ein in höchster Erregung

MARCELLO
Musetta!

MUSETTA
Es ist Mimi…Mimi folgt mir
und es geht ihr sehr schlecht.

RODOLFO
Wo ist sie?

MUSETTA
Beim Stiegensteigen
konnte sie nicht mehr weiter

RODOLFO
stürzt zur Türe
Ah!

SCHAUNARD
zu Colline
Bringen wir das Bett hierher.

RODOLFO
hilft Mimi und führt sie zum Bett
Da. Zu trinken.

MIMI
Rodolfo!

RODOLFO
Still, ruh dich aus!

MIMI
O mein Rodolfo! Kann ich bei dir bleiben?

RODOLFO
Ah! meine Mimi, auf ewig! auf ewig!

MUSETTA
Ich hörte sagen, dass Mimi geflohen sei
von ihrem Vicomte, und dass es mit ihr zu Ende gehe
Wo mag sie sein?
Ich suche . . . da seh ich sie
auf der Strasse,
sich mühsam schleppend.
Sie sagt mir: Es geht nicht weiter ….
ich sterbe! Ich fühl es!
Sterben will ich bei ihm!
Vielleicht erwartet er mich ...

MARCELLO
Pst!

MIMI
Ich fühle mich viel besser.

MUSETTA
fährt fort
… kommst du mit mir, Musetta?

MIMI
Lasst mich ein wenig umherschaun.
Ach, wie gut ist es hier!
Ich bin wie neu geboren …
…hier fühle ich wieder das Leben.

RODOLFO
Geliebte Lippen ...

MIMI
Nein ...

MUSETTA
zu Marcello
Was habt ihr im Hause?

MIMI
… du lässt mich ...

RODOLFO
... ihr sprecht ...

MARCELLO
Zu Musetta
Nichts!

MIMI
… nie mehr von dir!

RODOLFO
…mir wieder!

COLLINE
Nichts!

MUSETTA
Kein Kaffee? Kein Wein?

MARCELLO
Nichts! O Elend!

SCHAUNARD
zu Colline, traurig
In einer halben Stunde ist sie tot!

MIMI
Mir ist so kalt!
Hätte ich doch einen Muff!
Werden sich meine Hände
denn niemals erwärmen?

RODOLFO
nimmt ihre Hände in die seinen
Hier in den meinen!
Mimi hustet
Still! Das Reden ermüdet dich!

MIMI
Ich hab ein wenig Husten.
Daran bin ich gewöhnt.
Guten Tag Marcello, Schaundard,
Colline, guten Tag.
Alle sind hier, alle,
und begrüssen mich.

RODOLFO
Sprich nicht, sprich nicht.

MIMI
Ich spreche leise. Besorg dich nicht.
zu Marcello
Marcello, hört auf mich,
Musetta ist eine gute Seele.

MARCELLO
Ich weiss, ich weiss.

MUSETTA
nimmt ihre Ohrgehänge ab und gibt sie Marcello
Hier, verkaufe sie und bring Arznei,
hol einen Doktor!

RODOLFO
zu Mimi
Ruhe dich aus.

MIMI
Du verlässt mich nicht?

RODOLFO
Nein! Nein!

MUSETTA
zu Marcello
Höre! Es ist vielleicht das
letzte Mal, dass die Ärmste
einen Wunsch ausspricht.
Ich kauf ihr den Muff.
Ich gehe mit dir.

MARCELLO
Wie gut du bist, Musetta.

sie gehen schnell ab

COLLINE
wendet sich an den Mantel, den er gerade abgenommen hat
Hör' du alter Mantel,
ich bleibe hier,
doch du musst zum Leihhaus.
Empfang meinen Dank.
Nie beugtest du den
schäbigen Rücken vor den Reichen
und Mächtigen.
In deinen Taschen verkehrten
wie in friedlichen Höhlen
Philosophen und Dichter.
Nun, die frohen Tage sind
vorüber; ich sage dir ade,
treuer Freund ade,
ade, ade.
Er faltet den Mantel und nimmt ihn über den Arm
Schaunard, jeder auf seine eigene Weise
verrichten wir beide einen Akt der Barmherzigkeit:
er deutet auf den Mantel
ich … so! Und du ...
zeigt auf Mimi und Rodolfo
lass die beiden allein!

SCHAUNARD
Du hast recht, Philosoph! Es ist wahr! Ich gehe!

MIMI
Sind sie gegangen? Ich gab nur vor
zu schlafen, um allein mit dir zu bleiben.
Ich habe so viele Dinge, die ich dir sagen will…
vielmehr nur eines, das ist so gross wie das Meer,
wie das Meer so tief und unendlich.
Du bist meine Liebe und mein ganzes Leben.

RODOLFO
Ah Mimi, meine schöne Mimi!

MIMI
Bin ich noch schön?

RODOLFO
Schön wie die Morgenröte.

MIMI
Du verwendest den unrechten Vergleich.
Du solltest sagen: schön wie der Sonnenuntergang.
Man nennt mich Mirni ...
ich weiss nicht ... warum ...

RODOLFO
Ins Nest kehrt das zwitschernde Schwälbchen zurück.
zeigt Mimi das Häubchen, das er aufgehoben hat

MIMI
Mein Häubchen, ah!
Erinnerst du dich als ich
zum ersten Mal hier eintrat?

RODOLFO
Ob ich mich erinnere!

MIMI
Das Licht war ausgegangen ...

RODOLFO
Du warst so erregt,
weil du den Schlüssel verlorst.

MIMI
Und du machtest dich daran, ihn tastend zu suchen!

RODOLFO
Und suchte, suchte!

MIMI
Ja, mein junger Herr, nun
kann ich es Ihnen endlich sagen:
Gleich hatten Sie ihn gefunden.

RODOLFO
Ja, ich half dem Schicksal etwas nach.

MIMI
Es war dunkel, und du sahst
mich nicht erröten.
"Wie eiskalt ist dies Händchen,
wenn Sie mir es lassen, will ich's wärmen!"
Es war dunkel, und du nahmst
meine Hand …

RODOLFO
als sie zurückfällt, von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt
O Gott! Mimi!

SCHAUNARD
kehrt zurück
Was ist los?

MIMI
Nichts. Es ist alles in Ordnung.

RODOLFO
Sei ruhig, um Himmelswillen!

MIMI
Ja, ja, verzeih. Ich bin schon brav.

Musetta undl Marcello kommen zurück, sie trägt einen Muff, er ein Fläschchen

MUSETTA
Schläft sie?

RODOLFO
Sie ruht.

MARCELLO
Ich sah den Doktor.
Er kommt; ich hiess ihn eilen.
Hier die Arznei.

MIMI
Wer ist da?

MUSETTA
Ich, Musetta.

MIMI
während Musetta ihr den Muff gibt
O, wie schön er ist
und weich! Nie wieder werden
mir die Hände frieren.
Diese Wärme belebt sie.
zu Rodolfo
Hast du ihn mir geschenkt?

MUSETTA
sehr schnell
Ja.

MIMI
Du! Verschwender! Dank. Aber das kostet viel.
als Rodolfo die Fassung veliert
Weinst Du? Es geht mir besser. So weinen, warum?
Hier, Liebster immer bei dir!
verliert die Besinnung
Die Hände sind warm … und … schlafen …

RODOLFO
zu Marcello
Was sagte der Arzt?

MARCELLO
Er kommt.

MUSETTA
murmelt ein Gebet, während sie einen Trank auf dem Spiritusbrenner aufwärmt
Gebenedeite Jungfrau,
zeige Deine Barmherzigkeit
dieser Ärmsten,
dass sie nicht sterben muss ...
unterbricht ihr Gebet, um Marcello ein Zeichen zu machen, dass er die Lampe mit einem Buch abschirmen soll
Hier brauchen wir einen Schutz,
die Flamme flackert.
So ...
beginnt wieder zu beten
… und lass sie wieder genesen.
Heilige Jungfrau, ich bin
Deiner Gnade unwürdig, doch
Mimi ist ein Engel vorn Himmel.

RODOLFO
Zu Musetta
Ich hoffe immer noch. Glauben Sie, es ist ernst?

MUSETTA
Ich glaub es nicht.

SCHAUNARD
der Mimi beobachtet hat
Marcello, sie ist tot.

COLLINE
kommt zurück und legt Geld auf den Tisch
Musetta, für Sie.

Rodolfo bemerkt, dass die Sonne auf Mimi scheint, ergreift Musettas Umhang und versucht ihn vor das Fenster zu breiten

COLLINE
kommt ihm zu Hilfe
Wie geht es?

RODOLFO
Du siehst, sie ist ruhig.
bemerkt die Bestürzung in den Mienen von Marcello und Schaunard
Was wollt ihr sagen?
Was ist das für ein Kommen und Gehen,
warum seht ihr mich so an?

MARCELLO
geht auf ihn zu
Sei gefasst!

RODOLFO
stürzt ans Bett
Mimi … Mimi