Libretto: La Sonnambula

von Vincenzo Bellini


Die Schlafwandlerin



Personen:
GRAF RUDOLF (Bass)
TERESA, eine Müllerin (Sopran)
AMINA, eine von Teresa angenommene Waise (Sopran)
ELVINO, ein reicher Gutsbesitzer (Tenor)
LISA, die Wirtin (Alt)
ALEXIS, ihr Liebhaber (Bass)
EIN NOTAR (stumme Rolle)

Landleute

ERSTER AKT

ERSTE SZENE

Im Hintergrund die Mühle Teresas; ein Bach treibt das Mühlenrad an.
Links eine Schenke.
Von weitem hört man eine Kapelle und Stimmen der Dorfbewohner, die kommen, um das Verlöbnis Aminas zu feiern.


CHOR der BAUERN
Hoch! Es lebe Amina!
La, la la…
Es lebe Amina!
Sie lebe hoch!

Lisa tritt aus der Schenke

Kavatine

LISA
Alles freut sich, alles feiert …
nur für mich gibt es kein Glück
und das Schlimmste ist
dass ich mich auch noch verstellen muss.
O Schönheit, mein Verderben,
die mir meinen Geliebten raubte,
während ich leide und vergehe,
muss ich dich liebkosen.

Die festlich gekleideten Dorfleute und Alessio kommen mit ihren Instrumenten und Blumenkörben von den Hügeln herab.


Stretta der Einleitung - Chor

CHOR
E lebe Amina!

ALESSIO
Lisa!

LISA
beiseite
Oh! dieser Quälgeist!

ALESSIO
Du meidest mich!

LISA
Ich meide jedermann!

ALESSIO
Ach, nicht immer, du Schelmin! …

LISA
Oh, dieser Quälgeist!

ALESSIO
… Ach, du Schelmin, nicht immer
sollst du mir so entgehen.
Auch für dich, oh schöne Lisa,
wird der Tag der Hochzeit kommen.

CHOR
Hoch! Hoch!
La, Ia, la...

ALESSIO
Es lebe Amina!

LISA
beiseite
Auch er! Wie ärgerlich!

CHOR
La la la la …

ALESSIO, CHOR
Ja, sie lebe hoch!

LISA
beiseite
Ach, wie ärgerlich!

ALESSIO
Stellt euch hier auf.

LISA
beiseite
Ach, ich vergehe vor Wut.


CHOR
Das Lied, das wir einstudiert haben,
von hier aus können wir es singen.

LISA
beiseite
Die Hoffnung ist mir genommen,
die Rivalin hat gesiegt.

CHOR
Keine Rose gibt es in der Schweiz
so frisch und hold wie Amina:
sie ist der Morgenstern,
ganz Licht und Liebe.
Doch ist sie so keusch und bescheiden,
wie anmutig und schön:
sie ist ein unschuldiges Täubchen,,
ein Wahrzeichen der Reinheit.
Sie lebe hoch!


LISA
beiseite
Ach! Einst dachte ich
diese frohen Lieder würden mir gelten:
grausame Liebe; ich kann es nicht ertragen,
dass sie ihr gewidmet sind.

ALESSIO
sich Lisa nähernd
Lisa, diese fröhlichen Gesänge
könnten auch für uns ertönen,
wenn du nur endlich
mein Bitten erhören würdest!

CHOR
Sie lebe hoch!
Sie ist ein unschuldiges Täubchen,,
ein Wahrzeichen der Reinheit.
Ah!

Du bist der glücklichste aller Männer,
mehr noch als ein Fürst und Herrscher,
schöner Jüngling, weil du würdig bist,
ihr die Hand zum Bunde zu reichen.
Welch einen Schatz hat dir die Liebe geschenkt,
von einer Schönheit und Tugend,
wie sie alles Gold auf der Welt,
ja, nicht einmal ein König erwerben könnte.
Sie lebe hoch!

Amina kommt aus der Mühle, begleitet von Teresa

AMINA
Liebe Gefährtinnen, und ihr, teure Freunde,
die ihr an meinem Glück solch Anteil nehmt,
oh, wie süssdrigen die Lieder,
die euch die Liebe eingibt, in mein Herz!

CHOR
Lebe glücklich! Das wünschen wir dir alle,
liebe Amina.

AMINA
Zu dir, teure, geliebte Mutter,
die mich Waisenkind für diesen Freudentag
grossgezogen hat,
zu dir sollen diese Freudentränen sprechen,
die dem Herzen entfliessen,
und nicht dem Auge,
und diese Umarmung
zu den anderen
Gefährtinnen, teure Freunde …
o Mutter, o welch ein Glück!

Oh wie heiter ist mir heute
der neue Tag aufgegangen!
Wie ist alles rings um mich erblüht,
wie so schön und lieblich!
Freundlicher lachte niemals die Natur;
die Liebe meines Angebeteten
verleiht ihr Glanz.

CHOR
Solange du lebst
o glückliche Amina
schmücke der Himmel
deine Tage.

Amina umarmt Teresa, ergreift ihre Hand und führt sie ans Herz

AMINA
Leg deine Hand auf meinen Busen,
und fühle wie er wogt:
das ist mein Herz, das kann imstande sein
seine Freude zu zähmen.

CHOR
Über dein glückliches Los
schlägt der Mutter Herz hoch auf,
die himmlische Vorsehung
kann ihm keine grössere Freude bereiten.

ALESSIO
Oh Amina, ich freue mich
mehr als alle anderen mit dir!
Ich habe das Fest bereitet,
das Lied erdacht, und die Sänger
aus den Nachbardörfern versammelt.

AMINA
Ich danke dir für deine Güte,
lieber Alessio,
und hoffe, es dir bald vergelten zu können,
wenn du Lisa heiratest,
falls sie, wie man sagt, geneigt ist,
dich glücklich zu machen.

ALESSIO
Hast du es gehört, Lisa?

LISA
Nein, so bald wird das nicht sein.

ALESSIO
Du bist wirklich grausam.

TERESA
zu Lisa
Aber warum denn?

LISA
Weisst du es nicht?
Ich meide die Liebe;
meine Freiheit ist es mir wert.

AMINA
Ach, du weisst nicht, welches Glück
eine zarte Liebe verheisst,

LISA
Wie oft fängt die Liebe süss an
und endet bitter.

TERESA
Sehr doch welche Heuchelei!

CHOR
Da kommt der Notar.


AMINA
Der Notar?
Und Elvino ist noch immer nicht hier?

NOTAR
eintretend
Ich bin ihm nur wenige Schritte voraus; ich
sah ihn von ferne auf der Anhöhe im Walde.

CHOR
Da ist er ja!

AMINA
eilt dem eintretenden Elvino entgegen
Liebster Elvino!
Endlich bist du hier!

ELVINO
Verzeih, Geliebte, die kleine Verspätung.
An diesem feierlichen Tage ging ich,
um zu einem Engel zu beten,
dass unser Kind gesegnet sei:
ich kniete am Grab
meiner toten Mutter
und sprach: "Segne meine Braut!
Sie ist so tugendsam wie du;
sie möge deinen Sohn beglücken,
wie du meinen Vater beglückt hast."
Ach! meine Liebe, ich hoffe,
die Mutter hat mich gehört.

AMINA
Oh günstiges Wahrzeichen!

CHOR
Möge es in Erfüllung gehen!

ELVINO
Freunde, ihr alle sollt bei der Verlobung
anwesend sein.

Der Notar schickt sich an, den Vertrag zu schreiben.


NOTAR
Elvino, was bringst dudeiner Braut?

ELVINO
Mein Gut, mein Haus, meinen Namen,
alles, was ich besitze,

NOTAR
Und Amina?


AMINA
Ich habe nur mein Herz.

ELVINO
Ah! Das Herz ist über alles wert!

Sie unterzeichnen, dann, während die Mutter und alle anderen Zeugen unterschreiben, gibt Elvino Amina den Ring.

Nimm ihn: ich gebe dir den Ring,
den einst zum Altar die gute,
teure Seele brachte,
die unsere Liebe segnet.
Heilig sei dir dies Geschenk
wie es auch ihr heilig war;
dein und mein Gelübde soll es
treu und ewiglich hüten.

CHOR
Besiegelt ist es schon im Himmel
wie in euren Herzen.

ELVINO
Nun sind wir verlobt.

AMINA
Verlobt! Oh liebes Wort!

ELVINO
überreicht Amina einen Veilchenstrauss
Liebste, birg an deinem Busen
dieses Sträusschen …

AMINA
Reines, unschuldiges Blümchen!

ELVINO
mögen sie dich an mich erinnern…

AMINA
Ach, dessen bedarf mein Herz nicht …

AMINA, ELVINO
Liebste(r)! Von dem Tage an,
da Gott unsere Herzen vereinte,
schlägt mein Herz in deiner Brust,
und das deine ist bei mir.

AMINA
Oh, ich finde keine Worte,
dir zu sagen, wie ich dich anbete!
Denn meine Stimme, o mein Geliebter
wird meinen Gedanken nicht gerecht,
ach nein.

ELVINO
In diesem Augenblick spricht alles
zu mir von der Liebe, die in dir brennt:
ich lese es in deinen Augen,
in deiner holden Anmut!
In deinem Antlitz erblickt meine Seele die deine,
sie eilt ihr zu, und ist hingerissen
von Entzücken und Freude.

CHOR
Oh, so lasst es in euren Augen
von Herz zu Herzen
stets verkünden:
und mögen sie auch immer
die gleichen Gedanken hegen.

AMINA
Ach, Geliebter!

ELVINO
Liebst du mich?

AMINA
Ich finde keine Worte!

ELVINO
Liebst du mich wirklich?

AMINA
Ach, meine Stimme …

ELVINO
Meine teure Gute!

AMINA
… wird meinen Gedanken nicht gerecht
Ach, ich finde keine Worte...

ELVINO
In diesem Augenblick…

AMINA, ELVINO
Ach ja!

ELVINO
Morgen, sobald der Tag anbricht
wollen wir vor den Altar treten,
und unsere Vermählung
soll vor Gott gesegnet werden.
horcht auf
Welch ein Lärm!

CHOR
Pferde!

AMINA
Ein Fremder.

Rodolfo tritt auf, von zwei Reitern begleitet


RODOLFO
Wie mühsam und lang
schien mir doch diese Reise!
nähert sich
Sind wir noch weit vom Schloss?

LISA
Drei Meilen, und das schafft ihr nicht
ehe es dunkel ist,
zu steil ist der Weg.
Ich rate euch, bis morgen hier zu bleiben.

RODOLFO
Das täte ich gerne.
Gibt es eine Herberge im Dorf?

LISA
Hier i©t die meine.

RODOLFO
sieht den Gasthof prüfend an
Diese?

CHOR
Ja, diese!

RODOLFO
Ah, Ich kenne sie!

LISA
Ihr, mein Herr?

ALLE
ausser Rodolfo, zu sich
Wer mag das sein?

RODOLFO
Die Mühle …, der Brunnen..., der Wald
und nahebei das Bauernhaus!
beiseite
Dich seh ich wieder, lieblicher Ort,
an welchem ich in meinen Jugendtagen
frohe, friedliche und sorglose
Tage verbracht habe!
Geliebter Ort, ich habe dich gefunden,
doch jene Tage finde ich nie wieder!

CHOR
unter sich
Das Dorf kennt er gut:
wann mag er hier gewesen sein?

RODOLFO
Doch wenn ich nicht irre,
so feiert ihr heute ein Fest.

CHOR
Hier wird Hochzeit gehalten.

RODOLFO
Und die Braut? Ist sie es?
nickt zu Lisa

CHOR
auf Amina deutend
Diese ist es!

RODOLFO
Sie ist reizend, ganz entzückend …
Lass mich dich ansehen. Oh, welch süsses Gesicht!
Du ahnst nicht, wie diese schönen Augen
mir ans Herz greifen,
an welche berückende Schönheit
sie mich erinnern.
Sie stand wie du,
in der Blüte ihrer Jugend.

LISA
beiseite
Sie allein nur wird bewundert!

ELVINO
beiseite
Seine Worte schmeicheln ihr!

RODOLFO
beiseite
Sie stand … in der Blüte … ihrer Jugend
Ach! Lass mich dich ansehen!

CHOR
Wie höflich und galant
sind die Leute aus der Stadt!


RODOLFO
Ach, welch ein Antlitz!
Du ahnst nicht …

ELVINO
Ist Euch diese Gegend hier bekannt, mein Herr?

RODOLFO
Von meiner frühen Jugend an
hielt ich mich beim Schlossherrn auf.

TERESA
Ach, der gute Herr!
Er ist schon vier Jahre tot!

RODOLFO
Wie schmerzt mich das!
Er liebte mich wie seinen eigenen Sohn.

TERESA
Er hatte einen Sohn, doch der verschwand
eines Tages aus dem Schloss und gab
dem sorgenden Vater nie wieder Nachricht.

RODOLFO
Seinen Angehörigen kann ich sichere Auskunft
geben: Er lebt!

LISA
Und wann kehrt er in seine Heimat zurück?

CHOR
Alle wünschen es sich.

RODOLFO
Eines Tages werdet ihr ihn sehen.

man hört den Klang der Hirtenschalmei, der die Herde nach Hause ruft

TERESA
Die Sonne geht schon unter:
wir müssen uns zur Heimkehr bereiten.

CHOR
Zur Heimkehr?

Teresa winkt alle näher zu sich

TERESA
Ihr wisst, dass die Stunde sich naht,
in der das schreckliche Gespenst erscheint.

CHOR
Das ist wahr!

RODOLFO
Was für ein Gespenst?

ALLE
Es ist ein Geheimnis, ein Schreckensobjekt!

RODOLFO
Unsinn!

CHOR
Was sagt ihr? Wenn ihr wüsstet, Herr …

RODOLFO
So erzählt!

CHOR
Hört uns an:


Wenn es Finster und schon Nacht ist
und die schwachen Strahlen des Mondes leuchten,
erscheint auf dem Berg
unter düstrem, fernen Donner ein Gespenst,
und steigt ins Tal herab.
Gehüllt in ein weisses Bettlaken,
und wirrem Haar und brennendem Auge,
wie ein dichter Nebel, den der Wind bewegt,
kommt es näher, wird grösser und riesengross.


RODOLFO
Was ihr beschreibt, ist ein Gespinst
eures blinden Aberglaubens.

AMINA, TERESA
Ach! Es ist kein Wahn,
und keine Angst:
jeder sah es, es ist wahr!

ELVINO
Es ist wahr!

CHOR
Wohin es geht, mit langsamen Schritten
herrscht unheimliche Stille;
kein Atem regt sich und kein Blatt;
der Bach ist starr wie Eis.
Selbst die Hunde verkriechen sich,
blicken zu Boden und bellen nicht.
Nur aus dem tiefen Tal dringt manchmal
das schauerliche Geschrei der Eule.

AMINA, LISA, TERESA, ELVINO
Es ist wahr!

RODOLFO
Leichtgläubigkeit

CHOR
Selbst die Hunde ...

RODOLFO
Ich will es sehen,
früher oder später,
muss entdecken, was es tut!

AMINA, LISA, TERESA, ELVINO
Der Himmel bewahre Euch davor,
es zu suchen! Es wäre zu viel gewagt!

RODOLFO
Genug davon!
Jeder bleibe bei seiner Meinung!
Es kommt die Zeit, da das Dorf von
solchen Erscheinungen befreit sein wird.

TERESA
Der Himmel mög' es geben!
Das wünschen wir uns alle, o Herr!

RODOLFO
Doch nun will ich mich von meiner Reise ausruhen,
wenn es die schöne Gastwirtin mir erlaubt.

ALLE
Gute Ruhe, Herr. Gesegnete Nacht!

RODOLFO
zu Amina
Leb wohl, holdes Mädchen;
bis auf morgen!
Möge dich dein Gatte lieben
wie ich dich lieben könnte.

ELVINO
Niemand liebt sie so sehr
wie ich!


RODOLFO
We glücklich du bist, wenn ihr Herz dein ist!

Rodolfo mit Lisa und die anderen, ausser Amina und Elvino, gehen fort.

AMINA
Elvino! Du lässt mich ohne ein zärtliches Wort?

ELVINO
Das hast du schon vom Fremdling bekommen.

AMINA
Es ist wahr: er schien sehr bewegt,
als er mich verliess.
Seine Züge geben ein gutes Herz zu erkennen -

ELVINO
Ein liebendes Herz.

AMINA
Sprichst du irr Ernst, oder scherzt du?
Zweifelst du etwa?...

ELVINO
Du verstellst dich umsonst!
Er drückte deine Hand, er liebkoste dich -

AMINA
Nun -

ELVINO
Du schienst nicht abgeneigt,
und bei jedem seiner Worte
trafen sich deine Augen mit den seinen.

AMINA
Undankbarer!
Wie kannst du mir das sagen?!
Für niemanden habe ich Augen und Herz
als für dich.
Habe ich dir nicht Treue geschworen?
Trage ich nicht deinen Ring? ....

ELVINO
Gewiss -

AMINA
… Liebe ich dich nicht von ganzem Herzen?
Bist du nicht mein ganzes Glück?

ELVINO
Gewiss, doch -

AMINA
Sprich weiter .., bist du etwa eifersüchtig?

ELVINO
Ach! Ja, ich bin's -

AMINA
Auf wen?

ELVINO
Auf alle.


AMINA
O, wie ungerecht du bist!

ELVINO
Verzeih mir!
Ich bin eifersüchtip auf das wehende Lüftchen,
das mit deinem, Haar, deinem Schleier spielt;
selbst auf die Sonne, die dich vom Himmel herab betrachtet,
und auf das Bächlein, das dein Gesicht dir spiegelt!

AMINA
Mein Herz, ich liebe das Lüftchen,
weil ich ihm deinen Namen zuflüstere;
ich liebe die Sonne, weil sie uns beiden scheint,
ich liebe das Bächlein, denn es spendet dir Nass.

ELVINO
Ach! Verzeih mir den Verdacht bei unserer Liebe!

AMINA
Ach! Auf ewig musst du ihn lassen!

ELVINO
Ja, auf ewig!

AMINA
Versprichst du's mir?

ELVINO
Ich verspreche es!


AMINA
Nie wieder Zweifel?

ELVINO
Nie wieder Zweifel!

AMINA
Nie wieder Sorgen?

ELVINO
Nie wieder Sorgen!

AMINA
Ah!

ELVINO
Ah! Meine Liebste!

AMINA
Mein Liebster!

AMINA, ELVINO
Ach ja, mein(e) Liebste(r)
Für immer walte die Treue, die die Liebe
bestätigt, in deinem und meinem Herzen.
Und unser Leben möge immer
wie ein heiterer Morgen sein.

AMINA
Geliebter, leb wohl!

sie gehen auseinander

ELVINO
Geliebte, leb wohl!
sie kommen wieder zusammen
Denk an mich.

AMINA
Und du an mich.

AMINA, ELVINO
umarmen einander
Selbst im Schlaf soll dich mein Herz erblicken,
leb wohl!

sie gehen ab



ZWEITE SZENE


Ein Zimmer im Gasthaus.
Gegenüber ein Fenster; auf einer Seite eine Türe, auf der anderen eine Kammer.
Ein Sofa und ein Tisch.


RODOLFO
Wahrlich, ich bedaure meinen Aufenthalt hier nicht:
es ist schön hier, die Luft ist frisch,
die Männer höflich,
und vor allem die Damen so liebenswert!
Diese junge Braut ist wirklich reizend.
Und die Wirtin? …ist ein wenig spröde,
aber auch sie gefällt mir!
es klopft
Da kommt sie:
kommt herein, schöne Herrin des Hauses!

LISA
tritt ein
lch wollte mich selber erkundigen,
ob der Herr Graf mit dem Zimmer zufrieden ist.

RODOLFO
Der Herr Graf!
beiseite
Zum Teufel! Ich bin erkannt!

LISA
Verzeiht, doch der Schultheiss hat es bestätigt,
und das ganze Dorf kommt zusammen,
um Euch willkommen zu heissen.
Ich bin sehr glücklich, dass ich die erste sein darf,
Euch meine Reverenz zu erweisen.

RODOLFO
Von Schönen lasse ich mich lieber anders begrüssen!
Du bist schön, Lisa, wirklich schön!

LISA
Oh! Der Herr Graf belieben zu scherzen.

RODOLFO
Nein, ich scherze nicht:
wieviele Herzen haben diese schelmischen Äuglein
wohl schon betört?

LISA
Keines, denn bisher hatte ich noch keinen Liebsten.

RODOLFO
Du lügst, Schelmin,
ich weiss von einem -

LISA
Und das wäre?

RODOLFO
Was würdest du sagen, wenn es meines wäre,
o Liebchen?


LISA
Ich?.., was ich sagen würde?…
Mein Herr … ich würde es nicht glauben.
Für solche Ehre bin ich nicht schön genug …
mein einziges Verdienst ist ein aufrichtiges Herz.

RODOLFO
Und das ist viel!
Lärm unter dem Fenster
Was ist das für ein Lärm?

LISA
beiseite
Das kommt mir ungelegen!

RODOLFO
Woher kommt er?

LISA
Hier darf mich niemand sehen.


verschwindet in die Kammer und verliert in der Eile ein Taschentuch;
Rodolfo hebt es auf und wirft es auf das Sofa.

Das Fenster wird geöffnet. Amina erscheint in einem einfachen, weissen Gewand.
Sie wandelt im Schlaf. Langsam kommt sie in die Mitte des Zimmers.


Rezitativ und Duett
Amina und Rodolfo

RODOLFO
Was sehe ich? Sollte dies vielleicht
das nächtliche Gespenst sein?
Ach, ich täusche mich nicht...
Es ist das Bauernmädchen,
das mir eben so schön erschien.

AMINA
Elvino!… Elvino!…

RODOLFO
Sie schläft.

AMINA
Antwortest du nicht?

RODOLFO
Sie wandelt im Schlaf.

AMINA
mit scherzhaftem Lächeln
Solltest du noch immer
eifersüchtig auf den Fremden sein? Ach, rede!..
Bist du eifersüchtig?

RODOLFO
Soll ich sie wecken?

AMINA
betrübt
Undankbarer! Komm zu mir...
Du weisst, ich liebe nur dich allein…

RODOLFO
Ich will sie wecken.

AMINA
zärtlich
Nimm…
Ich reiche dir die Hand… küsse sie
zum Zeichen des Friedens.

Amina wird wieder heiterer

RODOLFO
Nein, ch wecke sie nicht... Niemand
soll mich in einem solchen Augenb!ick stören.

LISA
Aminal! … O Verräterin

RODOLFO
eilt auf Amina zu, bleibt dann stehen
O Himmel!.. Was tu ich?

AMINA
träumt von der Trauuung
O wie fröhlich ist das Volk,
das uns zur Kirche geleitet!

RODOLFO
Noch im Traum ist diese Seele
in ihrem Glück versunken

AMINA
Die heiligen Fackeln brennen.

RODOLFO
Sie wähnt sich am Altar!

AMINA
O Mutter, hilf mir,
meine Füsse tragen mich nicht mehr!

RODOLFO
Nein, gute Seele,
ich will dich nicht betrügen.

AMINA
O Mutter, etc.

RODOLFO
Nein, nein, ich will dich nicht, etc.

Amina träumt, der Pfarrer nehme ihr den Eheschwur ab. Sie hebt die rechte Hand.

AMINA
Himmel, ich schwöre meinem Gatten
ewige Treue und Liebe!

RODOLFO
Unschuldige, reine Lilie,
bewahre deine Reinheit!

AMINA
Elvino!… Endlich bist du m!ein

RODOLFO
Ich will fliehen.

AMINA
Elvino! … Ich gehöre dir.

RODOLFO
Ach, wenn ich länger bleibe,
verlässt mich meine Tugend.

AMINA
Umarme mich.
O unbeschreibliches Glück!
Elvino!… Umarme mich.
Endlich bist du mein.

Rodolfo hört Leute sich nähern; er verschwindet.

Chor

ALESSIO und CHOR
hinter der Szene
Seht. Die Tür steht offen.
Treten wir geräuschlos ein.
Alles ist still: Er schläft gewiss.
Wollen wir ihn wecken oder nicht?
Warum nicht? Es braucht Mut.
Entweder wir zeigen uns oder wir verschwinden.
Die Huldigung des Dorfes
wird ihn nicht verdriessen.
Sie kommen näher
Treten wir ein. Seht, seht,
er hat sich dort zum Schlafen gelegt.
Gehen wir hin.
Sie erblicken Amina und weichen zurück.
Acht, bleibt stehen:
Er ist es nicht, nein, er ist es nicht.
Nach der Kleidung, nach der Gestalt
ist es eine Frau… eine Frau, ja.
Das Lachen unterdrückend
Ein sonderbares Abenteuer.
Eine Frau!
Wie kam sie herein? Was tut sie hier?

Quintett

ELVINO
hinter der Szene
Das ist eine Lüge.

CHOR
Jemand kommt.

LISA
auf Amina deutend
Sieh und traue deinen Augen.

ELVINO
Himmel! Amina!

TEREAS und CHOR
Amina! Sie!

AMINA
erwachend
Wo bin ich?… Wer seid ihr?
Elvino erblickend
Ach, mein Liebsterl

ELVINO
Hinweg! Verräterin!…

AMINA
Ich! …

ELVINO
Verschwinde.

AMINA
Oh, ich Unglückliche!
Was habe ich getan?

ELVINO
Du fragst noch?…

ALESSIO und CHOR
Du siehst wohl, wo du bist.

AMINA
Hier!... Warum?... Wer brachte mich hierher?…

ELVINO
mit seinem ganzen Zorn
Dein trügerisches Herz.

AMINA
Mutter! O Mutter!

Teresa schlägt die Hände vors Gesicht

LISA und CHOR
Ach, du bist überführt!...

ELVINO
Hinweg! Eidbrüchige!…

AMINA
O ich Unglückliche! Was hab ich nur getan?
O mein Schmerz!
Nie liess ich mir einen Gedanken,
ein Wort zu Schulden kommen.
Ach, wenn du mir nicht vertraust,
vergiltst du mir meine Liebe schlecht.

ELVINO
Wolle Gott, dass du nie den Schmerz
fühlen musst, den ich empfinde!
Ach, diese Tränen meines Herzens
sollen dir zeigen, ob ich dich liebte.

AMINA
Ach, glaub mir, ach, ich bin nicht schuldig, etc.

TERESA
Ach, hört sie an!
Die Strenge geht nun zu weit.

ALESSIO und CHOR
Dein schändlicher Verrat
ist klar und offensichtlich.
Welchem Herzen kann man noch trauen,
wenn dieses gelogen hat?

Stretta des Finale I

ELVINO
Keine Hochzeit mehr.

ALESSIO und CHOR
Keine Hochzeit mehr.

ELVINO
Undankbare, ich verlasse dich...

AMINA
O grausamer Augenblick!
Ach, hört mich an, ich bin nicht schuldig.

ELVINO
Verschwinde aus meinen Augen,
deine Stimme macht mich schaudern.

AMINA
Gott, Freund der Unschuld,
enthülle du die Wahrheit.

AMINA und ELVINO
Dies ist nicht, undankbares Herz,
dies ist nicht der Dank,
den ich für so viel Liebe erhoffte,
den ich für so viel Treue erwartete...
Ach, du nahmst mir in einem Augenblick
alle Hoffnung auf Glück…
Nur schmerzvolle Erinnerung,
nur du wirst mir bleiben.

LISA, ALESSIO und CHOR
Keine Hochzeit, keine Ehe mehr:
Ihr gebühren Verachtung und Schmach.
Von uns allen für immer gehasst,
soll die Schuldige in Schande leben.

Alle gehen Amina drohend ab.

TERESA
Ach, wenn keiner dir hilft,
wenn keiner für dich Gnade erwirkt,
Unglückliche, wird das Mutterherz
dir nicht verschlossen bleiben.

Teresa entdeckt Lisas Taschentuch.

ZWEITER AKT

DRITTES BILD
Ein Wald

Einleitungschor

CHOR
Hier ist der Wald dichter und schattiger,
lasst uns an diesem Bächlein ruhen.
Weit noch, steil und steinig
ist der Weg zum Schloss.
Es bleibt uns noch genügend Zeit,
bevor der Herr sich aus dem Bett erhebt.
Lasst uns überlegen! Wenn wir dort sind,
was sagen wir, um sein Herz zu rühren?...
Exzellenz! …sagen wir mutig …
Herr Graf... die arme Amina
war eben noch der Stolz des Dorfes,
von jedem Nachbardorf begehrt,
war sie einst der Stolz jedes Dorfes.
Auf einmal wird sie schlafend
im Zimmer gefunden, das Euch beherbergte...
Verteidigt sie, wenn sie unschuldig ist,
helft ihr, wenn sie sündigte.
Ob solcher Worte, ob solcher Argumente...
zeigt er sich bewegt, überzeugt.
Wir bitten, insistieren ehrfurchtsvoll...
Er vertraut sich uns an, er verspricht, wir haben gewonnen …
Versuchen wir's! ... Nur Mut! Gehen wir...
Die Arme soll beschützt werden.



Szene und Arie

AMINA
Halt mich fest, gute Mutter. Du allein
bleibst, um mir beizustehen.

TERESA
Hab Mut. Der Graf
wird von deinen Tränen bewegt sein.
Gehen wir.

AMINA
Ach, nein.., ich kann nicht:
Der Mut verlässt mich und die Kraft. Siehst du?
Wir sind bei Elvinos Gutshof. Oh, wie oft
sassen wir zusammen im Schatten dieser Buchen,
beim Rauschen des Flusses! Im Wind, der weht,
klingen noch unsere Schwüre...
Er vergass sie, der Grausame! Er verlässt mich!


TERESA
Glaub mir, es kann nicht sein,
dass er dich nicht mehr liebt. Er ist wohl auch betrübt,
betrübt wie du … Sieh: Er kommt
einsam und nachdenklich

AMINA
Verbirg mich vor ihm …Ich wage nicht zu bleiben.

ELVINO
Alles ist zu Ende:
Es gibt keinen Trost mehr für mich.

AMINA
Sieh, Mutter... er ist traurig und betrübt...
Vielleicht.., ach, vielleicht liebt er mich noch.

ELVINO
Mein Herz hat sich für immer
der Freude und der Liebe verschlossen.

AMINA
nähert sich Elvino
Hör mich an, Elvino...

ELVINO
fährt auf
Du…, du wagst es?

AMINA
Bitte! … Beruhige dich…

ELVINO
Hinwegl Eidbrüchige!

AMINA
Glaub mir...
Ich habe keine Schuld.

ELVINO
Du nahmst mir alle Freude.

AMINA
Ich bin unschuldig. Ich schwöre es:
Ich habe keine Schuld.

ELVINO
Hinweg … Undankbare!
bitter
Weide deine Augen und labe deine Seele
an meinem masslosen Kummer:
Ich bin der Unglücklichste aller Menschen,
Grausame, und ich bin es wegen dir.


STIMMEN
Hoch lebe der Graf!

ELVINO
will weggehen
Der Graf!

AMINA
Ach, warte.

ELVINO
Nein, ich muss fort.

AMINA
Hab Erbarmen!

ELVINO
Hinweg! Lass mich

CHOR
Gute Nachrichten!
Der Graf sagt, sie sei ehrbar, ja,
sie sei unschuldig, er ist bereits auf dem Weg.

ELVINO
Er! O Zorn!

AMINA, TERESA und CHOR
Ach, besänftige deinen Zorn...

ELVINO
Mein Zorn hat keine Zügel mehr.

Er reisst ihr den Ring vom Finger.

AMINA
Ach, mein Ring... oh, Mutter!…


Teresa stützt Amina, die dem Tode nahe ist.


CHOR
zu Elvino
Sieh doch!... Ein solcher Schlag wird sie töten.
Grausamer!

ELVINO
Ach, warum kann ich dich nicht hassen,
Treulose, wie ich es wollte!
Ach, du bist bei weitem nicht
aus meinem Herzen getilgt.
Möge ein anderer dich so sehr lieben,
wie dieser Unglückliche dich liebte!
Einen anderen Wunsch, Verräterin,
befürchte nicht von meinem Schmerz.

CHOR
Ach, Grausamer, sieh den Grafen,
sprich mit dem Grafen, ehe du sie verlässt.
Er kann dir den Frieden
und ihr die Ehre wiedergeben.


Elvino geht verzweifelt ab. Teresa nimmt Amina mit sich fort.


VIERTES BILD

Das Dorf wie im ersten Akt

Szene und Arie


LISA
Lass mich: Du solltest endlich
verstanden haben, dass du mir lästig bist.

ALESSIO
Hoffe nicht, Elvino
nehme dich zur Frau. In Kürze wird er von Aminas
Aufrichtigkeit überzeugt sein, und dann...

LISA
Und dann
wirst du mir noch viel mehr leid tun.

ALESSIO
Ach, Lisa, ich bitte dich... ändere deinen Entschluss,
behandle mich nicht so. Was willst du mit einem
Mann, der dich nur aus Kränkung heiratet?

LISA
Er ist mir lieber als ein Dummkopf, ich hab es dir gesagt.

ALESSIO
Nein, du wirst ihn nicht heiraten. Ich werde
das ganze Dorf aufwiegeln: Ich werde die Autorität
des Grafen anrufen, bevor ich es in Ruhe hinnehme,
auf diese Weise von dir verhöhnt zu werden.

CHOR
hinter der Szene
Lisa ist die Braut.

LISA und ALESSIO
Wie?...


CHOR
hinter der Szene
Die Braut ist Lisa.
auftretend
Wir kommen, uns mit dir zu freuen,
wir trösten uns mit deinem Glück,
Bald wird Elvino dir an Stelle Aminas
die Hand zur Hochzeit reichen.

LISA
Ich danke euch für die frohe Kunde,
ich sehe mit Freude, dass ihr mich liebt.
Die Erinnerung an eure Liebe
wird stets in meinem Herzen sein.

CHOR
Die gute Wahl ist allen lieb,
ein jeder lobt und preist dich um die Wette.
Ein jeder wünscht dir Wohlstand.

ALESSIO
(Ich bin wie vom Donner gerührt:
Ich finde keine Worte.)



Quartett

LISA
Ist es wirklich wahr, Elvino,
dass du mich endlich deiner Liebe würdig glaubst?

ELVINO
Ja, Lisa. Lass uns
das schöne Band von früher wieder knüpfen: Verzeih
einem von erlogener Tugend verführten Herzen,
es gelöst zu haben.

LISA
Ich verzeihe alles.
Nun, da du zu mir zurückkehrst,
denke ich nicht mehr an das, was war: Ich sehe nichts
als die heitere Zukunft, die mich endlich erwartet.

ELVINO
Komm: Du, meine Geliebte,
sollst meine Gefährtin sein. In der Kirche
wird bereits das heilige Fest vorbereitet.
Lass uns nicht säumen.

CHOR
Gehen wir.

RODOLFO
Elvino, warte.


LISA
(Der Graf!)

ALESSIO
(Er kommt zur rechten Zeit.)

RODOLFO
Wohin eilst du?

ELVINO
Zur Kirche.

RODOLFO
Höre erst.
Amina ist noch der Liebe,
der Achtung würdig: Ich will dir
für ihre Tugend und ihre Ehre bürgen

ELVINO
Ihr!! Herr! …
Herr Graf, ich kann mich nicht weigern,
meinen Augen zu trauen.

RODOLFO
Du täuschst dich, du irrst:
Ich bürge mit meiner Ehre.

ELVINO
Sah ich sie nicht schlafend
im Euch bestimmten Zimmer?

RODOLFO
Du sahst sie, es war Amina...
doch trat sie nicht wach ein.

LISA, ELVINO und CHOR
Wie denn? Auf welche Weise?

RODOLFO
Hört alle.

CHOR, LISA und ELVINO
Hören wir ein wenig.

RODOLFO
Es gibt Leute, die schlafend
umhergehen, als wären sie wach.
Sie sprechen und antworten,
wenn man sie fragt,
man nennt sie Schlafwandler,
weil sie schlafen und gehen.


LISA und CHOR
Ist das wahr? Kann das sein?

RODOLFO
Ein Mann wie ich lügt nicht.

ELVINO
Nein, das ist nicht wahr: Der Grund
für solche Ausflüchte liegt auf der Hand.

RODOLFO
Ruchloser! Wagtest du,
an meiner Ehrlichkeit zu zweifeln?

ELVINO
ohne auf Rodolfo zu achten
Komm, Lisa.

LISA
Gehen wir.

ELVINO und CHOR
Gehen wir.

CHOR
Solche Märchen glauben wir nicht.
Jemand, der schläft und umhergeht!
Nein, das gibt es nicht, das kann nicht sein.

TERESA
Leise, Freunde, schreit nicht.
Die erschöpfte Amina schläft endlich:
Sie braucht es, die Ärmste,
nach all den Tränen.

LISA, ELVINO und CHOR
Ja, seien wir still, ach, seien wir still,
seien wir still...

TERESA
Lisa! Elvino! ... Was sehe ich?
Wohin geht ihr in dieser Aufmachung?

LISA
Heiraten.

TERESA
Ihr! Grosser Gott!
Und die Braut... ist Lisa?...

ELVINO
Die Braut ist Lisa.


LISA
Ja, und ich verdiene es: Ich wurde nie
allein erwischt, bei Nacht,
noch fand man mich eingeschlossen
im Zimmer eines Herrn.

TERESA
Lügnerin! Bei dieser Anschuldigung
kann ich meinen Zorn nicht länger zügeln.
Dieses Tuch fand man
im Zimmer dieses Herrn.

ELVINO und CHOR
Wem es wohl gehört?... Wer hat es verloren?

TERESA
auf Lisa deutend
Das soll euch ihre Schamröte sagen.

Elvino lässt die Hand der beschämten Lisa los

ELVINO und CHOR
Lisa!

TERESA
Lisa. Der Herr Graf soll es
leugnen, wenn er kann.

LISA
(Ich wage nicht aufzublicken!)

RODOLFO, ALESSIO und CHOR
für sich
(Ich/er weiss nicht, was ich/er denken,
was ich/er sagen soll.)

ELVINO
für sich
Auch Lisa eine Lügnerin!
Schuldig desselben Vergehens!
Die Liebe ist erloschen auf der Welt,
es gibt keine Treue, keine Ehre mehr.

TERESA
für sich
Klar und deutlich steht die Schuld
auf ihrer Stirn geschrieben.
Sie leide: Wer anderen das Mitleid verwehrte,
der hat kein Mitleid verdient


LISA
für sich
Himmel! Von diesem Schlag getroffen,
finde ich keine Worte und bebe,
Wie wird meine Rivalin sich
an meiner ungeheuren Schmach erfreuen!

RODOLFO
Klar und deutlich steht die Schuld, etc.

ALESSIO und CHOR
Ich weiss nicht, was ich denken soll...



Szene und Schlussarie

ELVINO
Herr? … Was soll ich glauben?
Auch sie betrog mich!

RODOLFO
Was ich darüber denke,
will ich nicht sagen Ich wiederhole dir nur,
ich beteure dir nur, dass Amina unschuldig ist,
dass du in ihr die Tugend selbst beleidigst

ELVINO
Wer soll das beweisen?

RODOLFO
Wer? Schau: sie selbst.

Rodolfo dreht sich um und bemerkt Amina; sie schlafwandelt.

LISA, TERESA, ELVINO, ALESSIO und CHOR
entsetzt, mit ersticktem Aufschrei
Ah!
Alle mit gedämpfter Stimme, bis Amina erwacht.

RODOLFO
Still: Ein einziger Schritt,
ein einziger Schrei bringt sie um.

TERESA
O Tochter!

ELVINO
O Amina!

CHOR
Sie steigt herab...


LISA, TERESA, ELVINO, RODOLFO, ALESSIO und CHOR
Gütiger Gott,
lenke den irrenden Fuss!
Sie zittert …, wankt …
Erstickter Schrei des Entsetzens
Ach weh! …

Amina fängt sich auf.

RODOLFO
Mut... sie ist gerettet!

LISA, TERESA, ELVINO, ALESSIO und CHOR
Sie ist gerettet!...

Allgemeines Schweigen


AMINA
Oh!... Könnte ich ihn nur
ein einziges Ma! wiedersehen, bevor er eine andere
zum Traualtar führt!…

RODOLFO
zu Elvino
Hörst du?

TERESA
Sie denkt an dich,
sie spricht von dir

AMINA
Eitle Hoffnung! .. Ich höre
die heilige Glocke läuten.. Er geht zur Kirche...
Ach, ich habe ihn verloren … und doch …
habe ich keine Schuld.

ELVINO, RODOLFO, ALESSIO und CHOR
Zärtliches Herz!

AMINA
niederknieend
Grosser Gott,
schau nicht auf meine Tränen: Ich verzeihe ihm.
Er soll so glücklich sein,
wie ich unglücklich bin... Dies ist die letzte Bitte
eines sterbenden Herzens …
Ach, ja … dies ist die letzte Bitte, etc.

CHOR
Welche Worte! Welche Liebe!


AMINA
betrachtet ihre Hände, wie wenn sie Elvinos Ring suchte
Mein Ring … der Ring …
Er hat ihn mir genommen ...
Aber er kann mir nicht sein Bild rauben...
Es ist hier… hier im Herzen ... eingraviert.
Sie nimmt Elvinos Blumen aus dem Mieder
Und auch dich, Blume...
zartes Pfand ewiger Liebe...
auch dich hab ich nicht verloren...
Ich küsse dich... aber … du bist verwelkt.

Ach, ich glaubte nicht, dich
so bald schon verblüht zu sehen, o Blume.
Es erging dir wie der Liebe,
die nur einen Tag dauerte.


Sie weint über den Blumen.

ELVINO
Ich halte es nicht mehr aus.

AMINA
Es erging dir wie der Liebe...

ELVINO
Ich halte so viel Kummer nicht mehr aus.

AMINA
… die nur einen Tag dauerte.
Meine Tränen könnten dir
neue Lebenskraft geben...
Aber sie können nicht
die Liebe neu erwecken.
Ach, ich glaubte nicht, etc.

ELVINO
Nein, ich halt es nicht mehr aus.

AMINA
Ach, wenn er zu mir zurückkehrte!
Oh, kehre zurück, Elvino.

RODOLFO
zu Elvino
Hilf ihren Gedanken nach.

AMINA
Du kommst zu mir? O Freude!
Du gibst mir meinen Ring zurück?


RODOLFO
zu Elvino
Gib ihn ihr zurück.

Elvino steckt Amina den Ring an den Finger.


AMINA
Ich bin noch dein, du immer mein…
Umarme mich,
Rodolfo bedeutet Teresa, zu Annina zu gehen
liebste Mutter... ich bin so glücklich!

RODOLFO
Im Schosse ihrer Lieben
soll sie erwachen.

CHOR
Hoch lebe Amina!
Noch einmal hoch!

AMINA
erwachend
O Himmel!…
Wo bin ich?… Was sehe ich?...
Sie bedeckt ihre Augen
Ach, bitte,
weckt mich nicht auf!

ELVINO
Nein, du schläfst nicht...
Dein Bräutigam, dein Geliebter ist bei dir.

AMINA
O Freude! …O Freude! …Ich hab dich wieder, Elvino!

TERESA, ELVINO, RODOLFO, ALESSIO und CHOR
Geh zur Kirche,
Unschuldige, du bist uns teurer,
schöner durch dein Leid.
Komm zur Kirche und beginne
am Fusse des Altars dein Glück.

AMINA
Ach, keiner kann erahnen,
wie glücklich ich bin,
Ich glaube kaum meinen Sinnen.
Versichere mich, mein Geliebter.
Ach, umarme mich, für immer zusammen,
für immer in einer Hoffnung vereint,
wollen wir die Erde, auf der wir leben,
zu einem Himmel der Liebe machen.

ALLE
Komm zur Kirche, etc.