Libretto: L'incoronazione di Poppea

von Claudio Monteverdi


Die Krönung der Poppäa


Personen:
FORTUNA (Sopran)
VIRTUS (Sopran)
AMOR (Sopran)
POPPÄA (Sopan)
NERO (Tenor)
OCTAVIA (Mezzosopran)
OTHO (Alt)
SENECA (Bass)
DRUSILLA (Sopran)
AMME (Alt)
ARNALTA (Tenor)
LUCANO (Tenor)
LITTORE (Bariton)
LIBERTO (Tenor)
PAGE (Sopran)
DAMIGELLA (Sopran)
PETRONIO (Bariotn)
PALLAS ATHENE (Sopran)
MERKUR (Bariton)
Erster SOLDAT (Tenor)
Zweiter SOLDAT (Bariton)

CHOR
Diener des Seneca - Konsuln und Tribunen

PROLOG
in der Götterwelt
Fortuna, Virtus, Amor

Sinfonia

FORTUNA
Verbirg, Virtus, dein Antlitz,
denn seit langem schon bist du verarmt,
Göttin ohne Gläubige,
Gottheit ohne Tempel,
ohne Anbeter oder Altäre;
verstossen, unmodern,
gehasst, ungeduldet
und immer verspottet, so scheint mir;
einst Königin, jetzt Bettelweib, gezwungen,
dich selbst zu kleiden und zu nähren
durch Verkauf deiner Titel und Rechte.
Jeder deiner Anhänger,
der sich von mir entfernt,
ist wie ein gemaltes Feuer,
das weder wärmt noch leuchtet;
eine begrabene Farbe
durch Mangel an Licht.
Kein Verehrer der Tugend kann
auf grossen Reichtum oder Ruhm
hoffen ohne den Schutz Fortunas.

VIRTUS
Versinke, du Unheilvolle,
böses Trugbild der Menschheit,
von Törichten zur Gottheit erhöht!
Ich bin der einzig wahre Pfad,
der den Menschen zum höchsten Ziel hinanführt;
ich bin der starke Nordwind,
nur ich verleihe dem menschlichen Geist
die Gabe, den Olymp zu erklimmen.
Ohne jegliche Schmeichelei kann man sagen,
dass mein reines, unbestechliches Wesen
Gott gleich ist.
Dies trifft auf dich nicht zu, Fortuna.

AMOR
Wofür haltet ihr euch, Göttinnen,
dass ihr die Herrschaft und die Regierung
der ganzen Welt nur unter euch aufteilt
und Amor ausschliesst,
dessen Göttlichkeit euch beide weit übertrifft?
Ich lehre die Tugenden,
ich bezwinge die Schicksale.
Meine kindliche Gestalt
ist älter als die Zeit
und alle anderen Götter.
Die Ewigkeit ist meine Zwillingsschwester.
Verehrt mich,
betet mich an
und nennt mich euren Herrscher.

FORTUNA, VIRTUS
Kein menschliches oder himmlisches Herz
wage es, sich Amor zu widersetzen.

AMOR
Noch heute schlage ich euch beide in einem
einzigen Wettstreit, und ihr werdet zugeben
müssen, dass ich den Lauf der Welt bestimme.

ERSTER AKT

ERSTE SZENE
Rom, vor Poppäas Palast. Morgendämmerung. Otho; zwei Soldaten von Neros Garde, die auf dem Forum schlafen

Ritornell

OTHO
Hierher kehre ich zurück wie die Linie zum Ausgangspunkt,
das Feuer zur Sonne, der Bach zum Meer.
Und obwohl kein Licht zu sehen ist,
so weiss ich doch, dass hier meine Sonne scheint.
Hierher kehre ich zurück wie die Linie zum Ausgangspunkt,

Teures, geliebtes Haus,
Herberge meines Lebens, meiner Geliebten,
ich bin gekommen, damit mein Herz dir huldigt.

Öffne ein Fenster, Poppäa!
Dein liebes Gesicht, das mein Schicksal bestimmt,
soll vor der Dämmerung den Tag verkünden.

Erhebe dich und verjage
mit dem Blick deiner seligen Augen
die Dunkelheit und die Schatten des Himmels.

räume süsser Phantasie, traget im Fluge
auf beschwingten Flügeln
meine Seufzer meiner Geliebten zu.

Doch ich Unglücklicher, was sehe ich?
Phantome oder nächtliche Gespenster,
sind dies nicht Neros Diener? Ach!
Den gefühllosen Winden
klage ich also mein Leid?
Zwinge gar die Steine, mich zu beweinen?
Und bete diese Marmorsäulen an?
Unter Tränen liebäugle ich mit einem Balkon,
während Nero in Poppäas Armen schläft.

Er hat diese Männer mitgebracht,
um sich vor Verrat zu schützen.
Oh, falsche Sicherheit der Herrscher:
Seine Leibwache schläft tief und fest.

Ach, treulose Poppäa!
Sind dies die Versprechen und Schwüre,
die mein Herz entflammten?
Das soll Treue sein, o Gott?
Ich bin doch Otho,
der Mann, der um dich warb,
der dich begehrte,
der dir diente,
jener Otho, der dich anbetete und,
um dein Herz zu erweichen,
seine heissen Gebete mit Tränen benetzte
und dir Herz und Seele in seinen Schwüren hingab.

Endlich versprachst du,
dass ich die Erfüllung meiner Sehnsucht
in deinen Armen finden solle.
Vertrauensvoll säte ich den Samen der Hoffnung,
doch die Wetter verschworen sich gegen mich ...


ZWEITE SZENE
Otho; die beiden Soldaten erwachend

ERSTER SOLDAT
Wer spricht da? Wer spricht da?

OTHO
.. und rächten sich mit Verwüstung ...

ZWEITER SOLDAT
Wer spricht da?

OTHO ...
an meiner Ernte!

ERSTER SOLDAT
Wer ist da? Wer ist da?

ZWEITER SOLDAT
Kamerad! Kamerad!

ERSTER SOLDAT
Ach je, ist es noch immer nicht Tag?

ZWEITER SOLDAT
Kamerad! Was ist los?
Du scheinst im Schlaf zu sprechen!

ERSTER SOLDAT
Nun dämmern doch die ersten Strahlen.

ZWEITER SOLDAT
Los, wach auf!

ERSTER SOLDAT
Ich hab' die ganze Nacht nicht geschlafen.

ZWEITER SOLDAT
Komm schon, komm, wach auf,
wir sollen hier Wache halten!

ERSTER SOLDAT
Verdammt seien Amor, Poppäa, Nero
und Rom mit seiner gesamten Miliz!
Nicht einen Tag, nicht einmal eine Stunde
kann ich in Ruhe faulenzen.

ZWEITER SOLDAT
Unsere Kaiserin
verzehrt sich in Tränen,
und Nero verachtet sie wegen Poppäa.
In Armenien ist Aufstand,
ihn kümmert's nicht.
Pannonien macht mobil, er lacht nur darüber.
Soviel ich sehe,
geht es mit dem Imperium immer weiter bergab.

ERSTER SOLDAT
Nicht genug! Unser Kaiser beraubt uns alle,
um die Taschen von Wenigen zu füllen.
Die Unschuldigen leiden, und den Gaunern geht's gut.

ZWEITER SOLDAT
Er hört nur auf Seneca, diesen Pedanten.

ERSTER SOLDAT
Diesen alten Aasgeier?

ZWEITER SOLDAT
Diesen schlauen Fuchs?

ERSTER SOLDAT
Diesen hinterhältigen Schmeichler,
der sein Vermögen aufbaut,
indem er seine Freunde betrügt?

ZWEITER SOLDAT
Diesen entarteten Architekten,
der seine Häuser auf den Gräbern anderer baut.

ERSTER SOLDAT
Sage niemandem weiter, was wir hier reden.
Wenn du dich jemandem anvertraust, sei schlau.
Auch ein Auge misstraut dem anderen,
obwohl wir zum Sehen beide brauchen ...

BEIDE SOLDATEN ...
Lasst uns von unseren Augen lernen,
nicht wie Dummköpfe zu handeln.

ERSTER SOLDAT
Schon wird es hell, es ist bald Tag.

BEIDE SOLDATEN
Psst, Nero ist hier.


DRITTE SZENE
Poppäa, Nero

POPPÄA
Mein Gebieter, ach, geh noch nicht!
Lass meine Arme
noch einmal deinen Hals umfangen,
so, wie deine Schönheit
mein Herz umschliesst.

NERO
Poppäa, lass mich gehen.

POPPÄA
Geh nicht, Herr, ach, geh noch nicht!
Der Tag hat kaum begonnen, und du,
Verkörperung meiner Sonne,
mein fühlbares Licht,
Quell meiner Liebe,
du willst mich in solcher Eile verlassen?
Mich, sprich nicht von Abschied,
denn schon vom Klang dieses bitteren Wortes
schwinden mir die Sinne, vergehe ich.

NERO
Deine noble Herkunft gestattet nicht,
dass Rom von unserer Liebe erfährt,
bis Octavia ...

POPPÄA
Bis was, bis was ...

NERO
... bis Octavia verbannt ist ...

POPPÄA
... Verbannt? Verbannt? ...

NERO
bis Octavia durch meinen Bann
aus dem Weg geräumt ist.

POPPÄA
Geh, mein Liebster, geh!

Ritornell

NERO
Ein Seufzer aus der Tiefe
meines Herzens bringt dir einen Kuss
und auch ein Lebewohl, meine Geliebte.
Wir werden uns bald wiedersehen, meine Göttin.

Ritornell

POPPÄA
Mein Herr, du siehst mich immer,
oder besser, du siehst mich nie,
denn wenn du mich wahrhaftig
in deinem Herzen eingeschlossen hast,
können deine Augen mich nicht sehen.

NERO
Bezaubernde Augen,
ich bitte euch, bleibt ewig erhalten!
Bleib ewig, meine Poppäa,
Herz, Schönheit und Licht meines Lebens!

POPPÄA
Ach, sprich nicht von Abschied,
denn schon vom Klang dieses bitteren Wortes
schwinden mir die Sinne, vergehe ich.

NERO
Verzage nicht, denn du bist immer bei mir,
mein Augenlicht, Göttin meines Herzens.

POPPÄA
Kommst du wieder?

NERO
Selbst wenn ich fortgehe,
bleibe ich bei dir.

POPPÄA
Kommst du wieder?

NERO
Nichts kann mein Herz jemals
von solch strahlenden Augen trennen.

POPPÄA
Kommst du wieder?

NERO
Ich kann mich von dir ebensowenig trennen,
wie man einen Punkt zerlegen kann.

POPPÄA
Kommst du wieder?

NERO
Ich komme wieder!

POPPÄA
Wann?

NERO
Sehr bald!

POPPÄA
Sehr bald? Du versprichst es?

NERO
Ich schwöre es!

POPPÄA
Und hältst du deinen Schwur?

NERO
Wenn ich nicht zu dir komme, so kommst du zu mir.

POPPÄA
Und hältst du deinen Schwur?

NERO
Wenn ich nicht zu dir komme, so kommst du zu mir.

POPPÄA
Leb wohl!

NERO
Leb wohl!

POPPÄA
Nero, Nero, leb wohl!

NERO
Poppäa, Poppäa, leb wohl!

POPPÄA
Leb wohl, Nero, leb wohl!

NERO
Leb wohl, Poppäa, meine Geliebte!


VIERTE SZENE
Poppäa, Arnalta

Ritornell

POPPÄA
Hoffnung, du betörst
weiterhin mein Herz.
Hoffnung, du schmeichelst
weiterhin meinem Geist,
inzwischen jedoch umhüllst du mich
mit dem Traumbild des königlichen Mantels.
Nein, nein, ich fürchte keinen Rückschlag:
Amor und Fortuna kämpfen für mich.

Ritornell

ARNALTA
Oh mein Kind, möge der Himmel wollen
dass diese Umarmungen nicht eines Tages
deinen Untergang bedeuten.

POPPÄA
Nein, nein, ich fürchte keinen Rückschlag.

ARNALTA
Die Kaiserin Octavia ist hinter
Neros Liebschaft gekommen,
und ich fürchte,
dass jeder Tag, ja jeder Moment
dein letzter Tag und Moment sein könnten.

POPPÄA
Amor und Fortuna kämpfen für mich.

ARNALTA
Verhältnisse mit Hoheiten sind gefährlich.
Liebe und Hass bedeuten ihnen nichts;
ihre Gefühle sind von reinem Eigennutz geleitet.

Neros Liebe für dich ist nichts als eine Laune.
Wenn er dich verlässt, darfst du dich nicht beklagen,
sondern musst das kleinere Übel wählen und schweigen.

POPPÄA
Nein, nein, ich fürchte keinen Rückschlag.

ARNALTA
Grosse Männer ehren dich, solange sie bei dir sind.
Haben sie jedoch genug Wirbel veranstaltet,
lassen sie Rauch statt Ruhm als Lohn zurück.

Deine Ehre ist verloren, wenn du zugibst, dass Nero dich liebt.
Mit ehrgeizigen Lastern erreichst du nichts!
Mir sind die Sünden lieber, die etwas einbringen.

Ihn kannst du nicht wie deinesgleichen behandeln,
und falls eine Heirat dein Ziel ist,
läufst du in dein eigenes Verderben.

POPPÄA
Nein, nein, ich fürchte keinen Rückschlag.

ARNALTA
Denk daran, Poppäa,
wo das Gras am grünsten und saftigsten ist,
liegt die Schlange auf der Lauer.
Die Wechselfälle des Schicksals sind verhängnisvoll.
Die Ruhe kommt vor dem Sturm.

POPPÄA
Ich fürchte keinen Rückschlag, nein.
Ich vertraue auf Amor und Fortuna.

ARNALTA
Du bist wahnsinnig zu glauben,
deine Sicherheit und dein Glück seien behütet
von einem blinden Knaben und einer kahlen Frau.
Du bist wahnsinnig zu glauben ...


FÜNFTE SZENE
Die kaiserlichen Gemächer
Octavia, die Amme

OCTAVIA
Verschmähte Königin,
erbärmliche Gattin des römischen Kaisers!
Was soll ich nur tun? Was denken? Wo bin ich?
O unseliges Geschlecht der Frauen!
Frei geboren
von Natur und Gottes Wille,
werden wir in der Ehe wie Sklaven gekettet.

Wenn wir einen Knaben empfangen,
o unseliges Geschlecht der Frauen,
so bilden wir die Glieder unseres eigenen Tyrannen!
Wir nähren den grausamen Henker,
der uns zerfleischt und tötet,
und unser unwürdiges Schicksal zwingt uns,
unseren eigenen Tod zu gebären!

Nero, schändlicher Nero,
mein Gatte, o Gott, mein Gatte,
den ich mit meinen Klagen
fortwährend schmähe und verfluche,
wo bist du, ach, wo bist du?

Du ruhst glücklich
in Poppäas Armen und geniesst dabei
den endlosen Strom meiner Tränen,
der dir, wie ein Wasserfall von Spiegeln,
in deinem Genuss
meine Verzweiflung wiedergibt.

Schicksalsmacht irn Himmel,
Jupiter, erhöre mich!
Bestrafst du Nero nicht
mit Blitzschlag,
so erkläre ich dich für unfähig
und beschuldige dich der Ungerechtigkeit!
Oh! Ich bin zu weit gegangen. Verzeih mir.
Ich werde meine Qual unterdrücken
und in Schweigen begraben.

AMME
Octavia! Octavia!

OCTAVIA
Himmel, o Himmel, verschone mich mit deinem Zorn,
züchtige mich nicht für meine Fehler!

AMME
Octavia, einzige Herrscherin
über alle Völker der Erde ...

OCTAVIA
Äusserlich verging ich mich; mein Inneres ist fromm;
mein Herz war unschuldig, meine Zunge sündigte.

AMME
...Hör auf die Worte deiner treuen Amme,
höre was sie sagt.
Wenn Neros Verstand
von Poppäas Betörung vernebelt ist,
finde jemanden, der deiner wert ist
und dem deine Umarmungen willkommen sind.
Wenn es Nero so freut, dich zu beleidigen,
räche dich mit deinem eigenen Vergnügen.

Und wenn bittere Schuldgefühle
dein Gewissen plagen sollten,
denke über meine Worte nach,
und deine Trauer verwandelt sich in Freude.

OCTAVIA
Amme, niemals zuvor habe ich von dir
solch verwerfliche Worte gehört.

AMME
Ach, denke über meine Worte nach,
und deine Trauer verwandelt sich in Freude.
Es ist eine Schande, Beleidigungen hinzunehmen,
und eine Ehre, sich zu rächen.

Ausserdem haben die kleinen Sünden
der Königinnen diesen Vorteil:
Erzählt sie ein Dummkopf, so glaubt sie keiner,
entdeckt sie ein kluger Mann, so schweigt er;
eine Sünde, die keiner erzählt oder glaubt,
bleibt ein sicher gehütetes Geheimnis,
wie das Gespräch des Tauben mit dem Stummen.

OCTAVIA
Nein, liebe Amme,
wenn eine Frau durch einen untreuen Gatten
zugrunde gerichtet wird,
ist sie betrogen, ja, aber nicht ehrlos.

Ein Gatte, andererseits,
ist bereits entehrt,
wenn sein Ehebett missbraucht wird.

AMME
Mein Kind, meine Herrin,
du verstehst
das wichtigste Prinzip der Rache nicht.
Die Beleidigung des Gesichts
durch eine einzige Ohrfeige
muss mit Schwert und Tod gerächt werden.
Verletzt jemand deine Gefühle,
so verletze seine Ehre;
obwohl du, ehrlich gesagt,
dadurch noch nicht genug gerächt bist.
Nero hat dich tief getroffen,
und du dagegen kannst nur seinem Ruf schaden.
Denke über meine Worte nach,
und deine Trauer wird sich in Freude verwandeln.

OCTAVIA
Wenn es weder Ehre noch Gott gäbe,
würde ich mich selbst zur Gottheit ernennen
und meine Übeltäter von eigener Hand strafen.
Aber weit entfernt, sündigen zu wollen,
schwankt mein Herz zwischen Unschuld und Klagen


SECHSTE SZENE
Seneca, Octavia, Page

SENECA
(Seht diese untröstliche Dame,
zur Herrscherin erhöht,
muss sie die Sklaverei dulden.) O glorreiche
Kaiserin der Welt,
grösser und von höherem Rang
als selbst deine bedeutenden Vorfahren,
nutzlose Tränen
sind deiner kaiserlichen Augen nicht wert.
Danke Fortuna,
deren Schläge
deine Würde nur steigern können.
Ein unberührter Wetzstein
sprüht keine Funken.

Der Zauber von Gesicht und Körper,
die durch ihre Ausstrahlung und Feinheit
unsere Bewunderung hervorrufen,
wird uns im kurzen Lauf der Zeit genommen.
Aber beständige Tugend, die
den Sternen, dem Schicksal und dem Zufall trotzt,
verblasst niemals.

OCTAVIA
Du versprichst mir
Balsam von Gift,
Stolz von der Qual.
Verzeih mir, Seneca, aber dies alles ist
eitle Einbildung,
nichts als Täuschung
und als Heilmittel für Traurigkeit nutzlos.

PAGE
Gnädige Frau, mit Verlaub,
ich könnte platzen über
diesen spitzfindigen Philosophen und Gotteslästerer!
Ich empfinde nichts als Verachtung
für diesen Miniaturkünstler mit seinen schönen Reden
Ich kann mich nicht beherrschen,
wenn er andere mit schönen Worten umgarnt.
Er zaubert sich Ideen im Kopf zusammen
und verkauft sie als Geheimnisse. Alles Hirngespinste!

Hoheit, Hoheit, selbst wenn er ..., sogar,
wenn er niest oder gähnt,
gibt er vor, moralische Prinzipien zu lehren,
und er lässt sich so sehr auf Spitzfindigkeiten ein,
dass er fast meine Stiefel zum Lachen bringt!
Schlaue Philosophie! Wo sie sich durchsetzt,
steht die Wahrheit im Gegensatz zur Lehre.

Dieser Pedant zieht seinen Vorteil
immer aus dem Unwissen anderer,
und für ihn als listigen Haarspalter
ist Jupiter kein Gott, sondern Kollege.
Ausserdem verwirrt er alles so sehr,
dass er am Ende selbst ganz durcheinander ist!

OCTAVIA
Nero will mich verstossen,
damit er Poppäa heiraten kann.
Viel Glück,
wenn solche Gemeinheit Glück bringt.
zu Seneca
Bitte für mich bei Volk und Senat,
denn ich bringe nun meine Gebete im Tempel dar.

PAGE
zu Seneca
Wenn du unserer Königin nicht hilfst,
glaube mir,
dann stecke ich deinen Bart
und deine Bibliothek in Brand,
verlass dich darauf!


SIEBENTE SZENE
Seneca allein

SENECA
Königlicher und kaiserlicher Purpur,
mit spitzen Dornen und Stacheln verwoben,
werden zum quälenden Büsserhemd
für unglückliche Herrscher.
Die Häupter herrlicher Königreiche
werden von nichts als Qualen gekrönt.
An den grossen Höfen sind nur Prunk
und Pracht zu sehen, während
das Leid nie ans Tageslicht tritt.


ACHTE SZENE
Pallas Athene, Seneca

PALLAS ATHENE
Seneca, ich sehe Schicksalszeichen im Himmel,
die dir mit grossem Unheil drohen.
Sollte dein Tod bevorstehen, wird Merkur
dir eine deutliche Warnung senden.

SENECA
Lass den Tod kommen: Standhaft und stark
werde ich Schrecken und Angst überwinden.
Am Ende dunkler Tage
ist der Tod der Anbruch des ewigen Lichts.


NEUNTE SZENE
Nero, Seneca

NERO
Ich habe mich also entschlossen,
Meister Seneca,
Octavia als Gattin
zu verstossen
und Poppäa zu heiraten.

SENECA
Mein Gebieter, selbst in den schönsten Plänen
verbirgt sich häufig ein Grund zur Reue.
Die Leidenschaft ist eine schlechte Ratgeberin,
sie hasst die Gesetze und verachtet die Vernunft.

NERO
Vernunft gebietet ein strenges Mass für den
Untergebenen, aber nicht für den, der Befehle gibt.

SENECA
Im Gegenteil, unvernünftige Befehle
untergraben den Gehorsam.

NERO
Keine Belehrungen! Ich werde tun, was ich will.

SENECA
Verärgere nicht Volk und Senat.

NERO
Senat und Volk sind mir egal.

SENECA
Denk an dich selbst und deinen guten Namen.

NERO
Verleumdern reisse ich die Zunge heraus.

SENECA
Je stummer du sie machst, desto mehr reden sie.

NERO
Octavia ist frigide und unfruchtbar.

SENECA
Wer keine Gründe hat, sucht nach Ausflüchten.

NERO
Wer die Mittel hat, kann Gründe vortäuschen.

SENECA
Aber kein gutes Ende nach ungerechter Tat.

NERO
Das Recht ist immer auf der Seite der Macht.

SENECA
Der unfähige Herrscher hat beschränkte Macht.

NERO
Gewalt ist das Gesetz im Frieden ...

SENECA
Gewalt erzeugt Hass ...

NERO
... wie das Schwert im Krieg,...

SENECA
..und gibt böses Blut.

NERO
..und Vernunft ist nicht vonnöten.

SENECA
Die Vernunft regiert die Menschen und die Götter.

NERO
Ich verliere meine Geduld mit dir. Was du auch sagst,
und ungeachtet des Volkes, des Senats
und Octavias, des Himmels und der Hölle,
gleichgültig, ob recht oder unrecht:
Poppäa soll heute meine Frau werden.

SENECA
Das schlechteste Argument muss siegen,
sobald die Macht mit der Vernunft kämpft.


ZEHNTE SZENE
Poppäa, Nero. Otho steht abseits

Sinfonia

POPPÄA
Wie süss, mein Herr, wie köstlich
schmeckten dir die Küsse
meiner Lippen letzte Nacht?

NERO
Je fester sie zubissen, desto lieber waren sie mir.

POPPÄA
Und die Äpfel meines Busens?

NERO
Deine Brüste verdienen einen süsseren Namen.

POPPÄA
Und meine leidenschaftlichen Umarmungen?

NERO
Angebetete, könnte ich dich doch immer
an mein Herz drücken, in meine Arme schliessen!
Poppäa, ich kann kaum atmen.
Ich betrachte deine Lippen
und erinnere mich dabei
an die feurige Leidenschaft,
die meine Küsse in dir erweckten.
Mein Schicksal regiert nicht mehr der Himmel,
sondern das herrliche Rot deiner Lippen.

POPPÄA
Mein Herr, deine Worte sind so süss,
dass ich sie mir innerlich
ständig wiederhole,
und diese stille Wiederholung
lässt mein liebend Herz schmelzen.
Ich höre sie als Worte
und geniesse sie als Küsse.
Deine liebevollen Worte
Erregen meine Sinne so wunderbar,
sie liebkosen nicht nur meine Ohren,
sie durchdringen meine Brust, küssen mein Herz.

NERO
Die Kaiserkrone, Ursprung meiner Macht
aber das Schicksal von Volk und Reich,
will ich mit dir teilen
und erst zufrieden sein,
wenn du den Titel der Kaiserin trägst.

Aber was rede ich, o Poppäa!
Rom ist zu klein für dein Verdienst,
Italien zu begrenzt für deinen Ruhm,
und für ein Gesicht von solcher Schönheit
ist der Titel einer »Gattin Neros« zu dürftig.
Deine lieblichen Augen haben einen Nachteil:
Sie übertreffen alle irdischen Exemplare und,
zu bescheiden, mit den göttlichen zu wetteifern,
können sie keine grössere Huldigung erfahren
als Schweigen und Bewunderung.

POPPÄA
Höchste Hoffnung erfüllt mein Herz,
weil du es so verlangst,
und mein guter Ruf kann wieder leben;
aber es gibt zu viele Hindernisse auf dem Weg
zur Erfüllung deiner königlichen Versprechen.
Dein Lehrer Seneca,
dieser kluge Stoiker,
dieser listige Philosoph,
der ständig das Volk davon überzeugen will,
dass eigentlich er das Zepter in der Hand hält.

NERO
Dieser altersschwache Verrückte,
so weit geht er?

POPPÄA
So weit geht er!

NERO
zu einer Gruppe von Offizieren
Ihr da! Einer von euch
geht sofort zu Seneca und sagt ihm,
dass er noch heute abend sterben muss.
Meine Macht darf nur von mir ausgehen,
nicht von Ideen und Hirngespinsten anderer!
Ich würde doch meine eigenen
Geisteskräfte verleugnen, wenn ich glaubte,
sie seien so sklavisch und unwürdig,
den Einflüssen anderer zu unterliegen.
Poppäa, sei guten Mutes:
Amor wird dir heute seine Macht beweisen.


ELFTE SZENE
Otho, Poppäa. Arnalta steht abseits

Ritornell

OTHO
Andere dürfen den Wein trinken,
mir bleibt nur der leere Krug.
Für Nero stehen alle Türen offen,
doch Otho muss draussen bleiben.
Er sitzt am Tisch und speist nach seiner Lust,
und ich verhungere im Elend.

POPPÄA
Wenn ein Mensch zum Unglück bestimmt ist,
hat er es sich selbst, nicht anderen zuzuschreiben.
Ich bin nicht die Ursache deines Unglücks,
Otho, und bin es nie gewesen.
Das Schicksal würfelt und zeigt die Punkte:
Das Ergebnis, gut oder schlecht, hängt von ihm ab.

OTHO
Ich hatte gehofft, dass der steinerne Block,
der dein Herz, schöne Poppäa, einschliesst,
vom gütigen Amor
aufgrund meiner Leiden erweicht sei.
Doch der harte Fels deiner weissen Brust
wird nun zum Grab meiner toten Hoffnungen.

POPPÄA
Oh, hör auf mit deinen Vorwürfen
und ertrage deinen Kummer in Frieden.
Hör auf, mich zu bereden,
denn Poppäa unterliegt dem kaiserlichen Willen.
Beherrsche deine Leidenschaft, zügle deinen Zorn.
Ich verlasse dich, um an die Macht zu kommen.

OTHO
So bleibt also dein Ehrgeiz
das mächtigste aller Laster?

POPPÄA
Nach meiner Ansicht sind
deine Launen reine Dummheit.

OTHO
Ist dies der Dank für all meine Liebe?

POPPÄA
Nicht doch, bezähme dich!

OTHO
Ist dies der Dank für all meine Liebe?

POPPÄA
Schluss jetz! Genug!

OTHO
Ist dies der Dank für all meine Liebe?

POPPÄA
Genug! Ich gehöre Nero

OTHO
Ach, wer einem
schönen Gesicht vertraut,
baut Luftschlösser, baut auf Sand,
versucht, den Wind einzufangen,
und Rauch oder Wellen festzunageln.


ZWÖLFTE SZENE
Arnalta (immer noch beiseite), Otho

ARNALTA
(Unglücklicher Jüngling!
Der Ärmste dauert mich.
Poppäa ist verrückt,
dass sie kein Erbarmen mit ihm hat.
Als ich noch jung war,
wollte ich keine Liebhaber,
die sich in Tränen auflösten;
aus Mitleid habe ich stets alle getröstet.)

OTHO
Otho, komm zur Besinnung!
Das schwache Geschlecht besitzt
ausser seiner äusseren Hülle
nichts Menschliches.
Mein Herz, komm zur Besinnung!
Diese Frau will herrschen, und wenn sie Erfolg hat,
ist mein Leben verwirkt.
Otho, komm zur Besinnung!
Aus Furcht,
Nero könnte Kenntnis erhalten
von meiner früheren Liebe zu ihr,
wird sie gegen mich intrigieren, ihre Macht nutzen,
einen Unschuldigen der Majestätsbeleidigung
und des Hochverrats bezichtigen.
Verleumdung, Lieblingswerkzeug der Mächtigen,
fordert unschuldige Leben und manch guten Ruf

Ich werde sie
mit Schwert oder Gift vernichten.
Ich werde die Schlange nimmer am Busen nähren.
Ist dies nun das unvermeidliche Resultat
deiner Liebe, verräterische Poppäa?


DREIZEHNTE SZENE
Drusilla, Otho

DRUSILLA
Denkst und sprichst du
von nichts anderem als von Poppäa?

OTHO
Aus meinem Herzen verbannt
und von meinen Lippen dem Wind übergeben
ist der Name dieser Frau,
deren Treulosigkeit meine Liebe betrogen hat.

DRUSILLA
Manchmal ist Amor
gerecht in seinem Urteil.
Du hattest mit mir kein Mitleid, Otho,
jetzt geniessen andere deinen Kummer.

OTHO
Dir, schönes Mädchen,
will ich nun
ganz und gar gehören.
Ich verzichte auf alle anderen
und bin von nun an ganz dein, Drusilla.
Vergib mir, o Gott, vergib
mir meine bisherige Unfreundlichkeit.

DRUSILLA
Hast du denn schon
deine frühere Liebe vergessen?
Ist es wahr, Otho,
dass dein Herz mir gehört?

OTHO
Es ist wahr, Drusilla, ja, ja, es ist wahr.

DRUSILLA
Belügst du mich auch nicht?

OTHO
Nein, nein, Drusilla, nein.

DRUSILLA
Otho, Otho! Ich bin mir nicht sicher.

OTHO
Mein Gewissen lässt mich nicht lügen.

DRUSILLA
Liebst du mich?

OTHO
Ich begehre dich.

DRUSILLA
Liebst du mich, liebst du mich?

OTHO
Ich begehre dich, ich begehre dich.

DRUSILLA
Von einem Moment zum anderen?

OTHO
Amors Feuer kann sich jederzeit entzünden.

DRUSILLA
Diese unerwartete Zärtlichkeit
beglückt mein Herz, doch ich verstehe es nicht.
Liebst du mich wirklich?

OTHO
Ich begehre dich, ich begehre dich.
Deine Schönheit versichert dir meine Liebe.
Ein neues Bild ist in mein Herz geprägt -
dein Wunderbild. Vertrau nur auf dich selbst.

DRUSILLA
Voller Freude gehe ich. Otho sei glücklich.
Ich werde die Kaiserin aufsuchen.

OTHO
Sie beruhigt die Stürme meines Herzens.
Otho soll für immer Drusilla gehören.
Doch gegen meinen Willen, unheilvoller Amor,
ist Drusilla auf meinen Lippen, Poppäa mir im Herzen.

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE
Der Garten von Senecas Villa ausserhalb Roms. Seneca, Merkur (soeben vom Himmel herabgekommen)

SENECA
Geliebte Einsamkeit,
geistiger Zufluchtsort,
Einsiedelei der Gedanken,
Paradies des Geistes,
der danach strebt,
über das Himmlische
in seiner niedrig irdischen Form nachzudenken,
zu dir flüchtet mein froher Geist,
und weit vom Hof,
dessen Hochmut und Stolz
meine Geduld überfordern,
hier zwischen Bäumen und Blumen
sitze ich, vom Frieden umhüllt.

MERKUR
Treuer Freund des Himmels,
diese abgeschlossene Einsamkeit
ist der richtige Ort für meinen Besuch.

SENECA
Seit wann denn
verdiene ich den Besuch von Göttern?

MERKUR
Erhabene Tugend, die du im Überfluss besitzt,
macht Menschen göttergleich,
und deshalb verdienst du
Botschaften des Himmels
Pallas Athene schickt mich,
um dir das unmittelbare Ende
deiner vergänglichen Existenz
und deinen Übertritt ins ewige Leben zu künden.

SENECA
O ich Glücklicher! Habe ich
bis jetzt das Leben
eines Menschen geführt,
so verheisst der Tod
ein göttliches Leben.
Gütiger Geist, du verkündest meinen Tod?
Jetzt sind meine Schriften bestätigt,
meine Studien bewiesen.
Es ist ein Segen, das Leben zu lassen,
wenn göttlicher Mund den Tod verkündet.

MERKUR
Bereite dich also freudig
auf die himmlische Reise,
den erhabenen Übergang vor.
Ich werde dir den Weg
zu sternbeglänzten Höhen weisen.
Seneca, ich lenke meinen Flug hinauf.


ZWEITE SZENE
Liberto, Seneca

LIBERTO
(Der Befehl eines Tyrannen
schaltet jede Vernunft aus
und ist immer mit Gewalt und Tod verbunden.
Ich muss ihn weiterleiten, und, obwohl
nur ein unschuldiger Vermittler,
fühle ich mich beteiligt an dem Bösen,
das ich übermitteln muss.)
Seneca, zu meinem Bedauern treffe ich dich an,
wenn ich auch nach dir gesucht habe.
Bitte, betrachte mich nicht mit Missfallen,
wenn ich mich als Unglücksbote erweise.

SENECA
Mein Freund, ich wappne mich
schon seit geraumer Zeit
gegen die Schläge des Schicksals.
Die Verhältnisse unseres Jahrhunderts
sind mir nicht fremd;
wenn du mir die Todesbotschaft überbringst,
entschuldige dich nicht:
Lachend empfange ich solch edle Gabe.

LIBERTO
Nero ...

SENECA
Genug,genug!

LIBERTO
... schickt mich zu dir.

SENECA
Genug, ich verstehe und werde sofort gehorchen.

LIBERTO
Wie hast du es erraten, bevor ich ein Wort sagte?

SENECA
Deine Redeweise und der Mensch,
der dich schickt, sind zwei
bedrohliche und böse Anzeichen.
Ich habe mein Schicksal
sogleich erraten.
Nero schickt dich,
mir meinen Tod zu befehlen.

LIBERTO
Herr, du hast es erraten.
Stirb glücklich!
So, wie die Tagesläufe
vom Licht der Sonne
bestimmt werden,
so beruhen die Schriften anderer Männer
auf der Erleuchtung durch deine Werke.
Stirb glücklich!

SENECA
Geh jetzt,
solltest du Nero vor dem Abend sehen,
o sag ihm, ich sei bereits tot und begraben.


DRITTE SZENE
Seneca und seine Vertrauten

SENECA
Freunde, nun ist's an der Zeit
zu üben, was stets ich
als hohe Tugend gepriesen.
Die Todesangst dauert nur kurz:
Wie ein Pilger verlässt ein Seufzer die Brust,
in der er jahrelang -
gleichsam als Gast in einer Herberge - weilte,
und schwingt sich auf zum Olymp,
dem wahren Hort des Glücks.

SENECAS FREUNDE
Oh nein, Seneca, stirb nicht!
Ich meinerseits möchte nicht sterben,
nein, ich will nicht sterben.

Ritornell

Das Leben ist viel zu süss,
der Himmel viel zu blau;
alles Bittere und Giftige
ist nur ein leichtes Hindernis.

Wenn ich mich dem leichten Schlaf hingebe,
so erwache ich am Morgen;
ein Grab von schönstem Marmor jedoch
behält für immer, was es empfängt!

Ich meinerseits möchte nicht sterben,
nein, ich will nicht sterben.
O nein, Seneca, stirb nicht!

SENECA
Bezwingt euer Schluchzen,
lasst die Tränen
eurer Augen zurückfliessen
zur Quelle eurer Seele, meine Freunde.
Lasst diese Flut
eure Herzen reinigen
vom Schmutz tausend fragwürdiger Zweifel.
Im Sterben verlangt es Seneca
nach anderen Tributen
als dem Seufzer der Trauer.
Geht alle, bereitet mein Bad,
denn da der Lebenslauf
einem fliessenden Fluss gleicht,
soll der warme Strom
meines unschuldigen Blutes
meinen Weg in den Tod mit Purpur bedecken.


VIERTE SZENE
Rom, Der Page und eine Kammerzofe

Ritornell

PAGE
Ein unbekanntes Gefühl
erregt und entzückt mich.
Sag mir, was es ist,
liebstes Mädchen!
Tun könnt' ich ... sagen könnt' ich,
doch ich weiss nicht, was ich will.

In deiner Nähe schlägt mein Herz schneller,
wenn du gehst, komme ich mir vor wie ein Narr.
Nach deinen himmlisch weissen Brüsten
sehn' ich mich nur und denk' an nichts anderes.
Tun könnt' ich ... sagen könnt' ich,
doch ich weiss nicht, was ich will.

ZOFE
Odu geschickter kleiner Schelm,
es ist die Liebe, die mit dir spielt.

Ich bin sicher, wenn du dich verliebst,
verlierst du gleich den Kopf.
Amor amüsiert sich mit Kindern,
aber ihr beide seid Schurken.

PAGE
So beginnt die Liebe also?
So süss ist sie?
Für deine Gunst gäbe ich
die süssesten Früchte dieser Erde.
Sollte sich diese Köstlichkeit
in Galle verwandeln,
sag, mein Liebling,
würdest du sie mir versüssen?

ZOFE
O ja, ich würde sie dir versüssen,
wenn du es möchtest.

PAGE
Und wie würdest du es machen?

ZOFE
Wie? Das weisst du nicht?

PAGE
Nein, meine Liebe, ich weiss es wirklich nicht,
sag mir, wie man es macht,
lass es mich genau wissen,
wie ich mir das Leben selbst versüssen kann,
wenn mein Stolz die Oberhand gewinnen sollte
über meinen Ernst und meinen Anstand.
Im Moment scheine
ich mich zufriedenzugeben,
wenn du mir nur sagst, dass du mich liebst.
Sag es mir also, meine Liebe,
wenn du mich lebend möchtest, sag nicht nein.

ZOFE
Ich liebe dich, teurer Page,
und ich werde dich immer im Herzen tragen.

PAGE
Wenn du mich lebend möchtest, sag nicht nein.
Ich möchte, meine Hoffnung, nicht in deinem Herzen,
sondern weiter oben sein.
Ich weiss nicht, ob mein Wunsch klug oder dumm ist,
aber ich möchte die hübschen, süssen Grübchen
mitten auf deinen Wangen
an meinem Herzen bergen.

ZOFE
Und wenn ich dich dann beisse?
Du würdest den ganzen Tag jammern.

PAGE
Beiss nur, so viel du kannst; beiss mich,
ich werde nicht jammern;
so süsse Bisse
geniesse ich gern,
denn wenn mich deine roten Lippen küssen,
beissen mich auch deine Perlenzähne.
Beiss nur, soviel du kannst; beiss mich.


FÜNFTE SZENE
Nero, Lukan

NERO
Nun, da Seneca tot ist,
Lukan, lass uns
mit Liebesliedern
jenes Antlitz preisen,
das Amor in mein Herz geprägt hat.

LUKAN
Lass uns singen, mein Herr, lass uns singen ...

NERO, LUKAN
Wir wollen
von dem lächelnden Antlitz singen,
das zu Heldentaten und Liebe anregt.

Lass uns
von dem glücklichen Antlitz singen,
in dem sich das Ideal der Liebe verkörpert,
als ob, einem Wunder gleich,
eine Passionsblume auf Schnee erblüht.

Lass uns singen von diesem Mund,
dem Indien und Arabien
ihre Perlen schenkten, dem sie ihre Düfte gaben.

Ein Mund, ein Mund ...

LUKAN
... Ein Mund, der beim Sprechen und Lachen
mit unsichtbaren Waffen Wunden schlägt
und gleichzeitig der Seele Freude bringt.
Ein Mund, der mich mit dem Nektar der Götter
betrunken macht, wenn er mir verführerisch
seine rosige Weichheit anbietet

NERO
O Schicksal! O Schicksal!

LUKAN
Mein Gebieter, du gibst dich
dem köstlichen Taumel der Liebe hin,
und aus deinen Augen
fliessen Tränen der Zärtlichkeit
und der Hingabe.

NERO
Meine Göttin,
ich möchte dich rühmen,
doch deine brennende Sonne lässt meine Worte
zu kleinen, züngelnden Flämmchen werden.

Ritornell

Deine kostbaren Lippen
sind verliebte Rubine;
mein beständiges Herz
ist dauerhaft wie ein Diamant:
Aus wertvollen Edelsteinen hat Amor
deine Schönheit und mein Herz geschaffen.

Deine göttlichen Wangen
sind wie Rosen ohne Dornen.
Meine Treue überstrahlt noch das Weiss
der Lilien und Ligusterblüten.
So teilt sich Amor seinen Frühling
zwischen deinem schönen Antlitz und meinem Herzen.
Und ich bin der Glücklichste unter allen Liebenden.

LUKAN
O glückliche Poppäa,
Herr, in deinen Lobgesängen;
o glücklicher Nero
in den Umarmungen von Poppäa.
Für Nero ...

NERO, LUKAN
Singen wir Liebeslieder für Poppäa,
singen wir Ruhmeslieder für Nero. -

NERO
Möge der Himmel einen Wasserfall von Liebe ...

LUKAN
und unaufhörliche Überschwemmungen ...

NERO,LUKAN
von Glück über die liebenden Geliebten ausgiessen.


SECHSTE SZENE
Octavia beklagt ihr Schicksal und verwünscht Poppäa


SIEBENTE SZENE
Otho zürnt sich selbst wegen seiner bösen Gedanken gegen Poppäa, und er gesteht sich ein, dass seine verzweifelte Liebe ihn nicht loslässt.


ACHTE SZENE
Octavia, Otho

OCTAVIA
Du wurdest von meinen Vorfahren
in den Adelsstand erhoben
und wenn du dich der dir erwiesenen Gunst
erinnerst, hilf mir jetzt.

OTHO
Die Wünsche deiner Majestät
sind Befehle des Schicksals.
Ich bin zu jedem Gehorsam bereit,
o meine Königin, selbst wenn ich mich
dabei für dich ruiniere.

OCTAVIA
Ich verlange, dass du deine Pflicht
mir gegenüber mit dem Schwert beweist.
Ich fordere Poppäas Blut.
Ich verlange, dass du sie tötest!

OTHO
Töten? Wen?

OCTAVIA
Poppäa!

OTHO
Töten? Wen?

OCTAVIA
Poppäa!

OTHO
Poppäa? Poppäa töten?

OCTAVIA
ja, Poppäa. Warum verweigerst du jetzt,
was du eben noch versprachst?

OTHO
Ich habe das versprochen?
(Etikette und Zungenfertigkeit,
unterwürfige Komplimente, glatte Floskeln,
zu welch tödlicher Strafe habt ihr mich verurteilt!)

OCTAVIA
Was führst du für Selbstgespräche?

OTHO
Ich erwäge die sichersten und besten Mittel
für dieses ausserordentliche Unternehmen.
(Lieber Himmel, gute Götter,
befreit mich in dieser Not
von meinem Leben!)

OCTAVIA
Was murmelst du da?

OTHO
Ich bitte Fortuna,
dass sie mir die Fähigkeit gibt, dir zu dienen.

OCTAVIA
Je schneller die Tat vollbracht ist,
desto besser.
Also beeil dich.

OTHO
(Muss ich so bald schon sterben?)

OCTAVIA
Wie häufig
du Selbstgespräche führst! Mit hoheitlichem
Missfallen erkläre ich,
dass es dich deinen Kopfkostet,
wenn du die Sache nicht schnellstens erledigst.

OTHO
Aber wenn Nero davon erfährt?

OCTAVIA
Zieh dich um:
Verkleide dich als Frau,
bediene dich aller nötigen Mittel der Täuschung
und bereite die Tat mit List vor.

OTHO
Gib mir Zeit,
meine Gefühle mit Bosheit zu sättigen
und mein Herz zu entmenschlichen.

OCTAVIA
Spute dich.

OTHO
Gib mir Zeit,
die Brutalität zu erlernen!
(Meine freundliche Natur kann sich nicht
in so kurzer Zeit auf das Wesen
eines erbarmungslosen Schlächters einstellen.)

OCTAVIA
Wenn du mir nicht gehorchst,
werde ich dich vor Nero
der Gewalttätigkeit
mir gegenüber beschuldigen
und dafür sorgen, dass du noch heute
Folterung und Tod ausgesetzt wirst.

OTHO
Ich gehe, o Kaiserin, und folge deinem Befehl.
(Lieber Himmel, lieber Himmel, gute Götter,
befreit mich in dieser Not
von meinem Leben!)


NEUNTE SZENE
Drusilla, Page, Amme

DRUSILLA
O frohes Herz,
jubiliere!
Der dunkle Wolkenhimmel hat sich erhellt.
Otho wird mir heute
seine Liebesschwüre bestätigen.
O frohes Herz,
jubiliere,
jubiliere, o frohes Herz!

PAGE
Amme, was würdest du dafür geben, für einen Tag
wieder jung und glücklich wie Drusilla zu sein?

AMME
Alles Gold dieser Welt!
Der Neid auf die Gesundheit anderer,
Selbstverachtung,
Lustlosigkeit,
Schwacher Verstand -
das sind die vier Bestandteile
oder besser: die vier Elemente
des traurigen Alters,
das, weisshaarig und mit zitternden Knochen,
einen wandelnden Friedhof darstellt.

DRUSILLA
Hör auf zu klagen, du bist noch ziemlich frisch.
Der Tag geht noch nicht zur Neige,
auch wenn das sanfte Morgenrot lange verloschen ist.

Ritornell

AMME
Im Leben einer Frau
beginnt der Abend vor Mittag.
Ihre Schönheit verblasst
im Laufe des Nachmittags.
Die Zeit verleiht der harten und bitteren
Frucht zwar ihre Süsse, aber schon nach wenigen
Stunden verwest die reife Frucht.

Glaubt mir nur,
wenn ich euch jungen Mädchen
am Morgen eures Lebens sage:
Der Frühling ist die Zeit der Liebe,
vergeudet nicht
den fruchtbaren April und Mai,
denn der Juli ist zu heiss zum Reisen.

PAGE
Komm, wir gehen zu Octavia,
verehrte Grossmutter!

AMME
Ich geb' dir eine Ohrfeige ...

PAGE
Ehrwürdige Alte ...

AMME
Verlogener kleiner Schuft ...

PAGE
Süsses Liebchen des guten Charon!

AMME
Ich meine es ernst,
du frecher kleiner Wicht,
ich meine es ernst!

PAGE
Ach, was dich angeht, so ist Mitternacht
längst vorbei, von Mittag ganz zu schweigen!


ZEHNTE SZENE
Otho, Drusilla

OTHO
(Ich weiss nicht, was ich tun soll:
Mein Herz schlägt in die eine,
meine Füsse streben in die andere Richtung.
Die Luft, die meine Brust mit jedem Atemzug
durchdringt, stösst auf ein so völlig gebrochenes
Herz, dass sie sich sofort in Tränen auflöst.
Während ich leide,
schluchzt die Luft aus Mitleid in meiner Brust.)

DRUSILLA
Wohin gehst du, Herr?

OTHO
Drusilla, Drusilla!

DRUSILLA
Wohin gehst du, mein Herr?

OTHO
Nur dich hab' ich gesucht.

DRUSILLA
Hier bin ich, zu deinen Diensten.

OTHO
Ich muss dir eine ernste Sache anvertrauen.
Versprichst du,
mir zu helfen und zu schweigen?

DRUSILLA
Alles, was ich besitze, Leben oder Reichtum,
gehört bereits dir,
wenn es dir dienen kann.
Vertrau mir dein Geheimnis an,
und ich schwöre auf Ehre und Gewissen,
Stillschweigen zu wahren.

OTHO
Sei nie wieder eifersüchtig, nein,
sei nie wieder eifersüchtig auf Poppäa!

DRUSILLA
Nein, nein!

OTHO
auf Poppäa.

DRUSILLA
O frohes Herz,
jubiliere! ...

OTHO
Hör zu, hör zu! ...

DRUSILLA
Jubiliere in meiner Brust, jubiliere.

OTHO
Hör zu, hör zu!
Ich muss sofort, auf fürchterlichen Befehl,
ihr mit meinem Schwert die Brust durchbohren.
Bei der Ausführung dieser schrecklichen Tat
benötige ich deine Kleider zu meinem Schutz.

DRUSILLA
Ich gebe dir meine Kleider und mein Leben.

OTHO
Bleibe ich unerkannt, werden wir gemeinsam
für immer die Glückseligkeit der Liebe geniessen.
Falls ich zur Strafe mit dem Leben bezahlen muss,
dann soll eine Träne deines Mitleids
meine Grabrede sein, o Drusilla.
Muss ich mich durch die Flucht
vor dem unendlichen Zorn des Herrschers retten,
dann hilf mir in meinem Unglück.

DRUSILLA
Ich gebe dir gern
meine Kleider und mein Leben;
aber nimm dich in acht, lass Vorsicht walten.
Du weisst sehr wohl,
dass ich dir mit Leib und Gut
zur Seite stehe, wo auch immer du bist.
In Drusilla findest du
eine edle Geliebte,
der keine Frau des Altertums gleichkommt.
Komm, lass uns beginnen.
O glückliches Herz,
jubiliere!
Komm, mit mir, ich werde mich ausziehen
und dich mit eigenen Händen verkleiden.
Aber ich will den genauen Grund
für dieses schreckliche Unternehmen wissen.

OTHO
Gehen wir jetzt,
und mit Staunen wirst du alles erfahren.


ELFTE SZENE
Poppäas Garten. Poppäa, Arnalta und Zofen

POPPÄA
jetzt, nachdem Seneca tot ist,
flehe ich dich an, Amor,
erfülle meine Hoffnung
und mache mich zur Braut meines Königs!

ARNALTA
Du plapperst immer noch
von dieser Heirat!

POPPÄA
Liebe Arnalta, ich denke an nichts anderes.

ARNALTA
Keine Regung schafft mehr Unrast
als der Ehrgeiz;
hältst du Krone und Zepter fest in der Hand,
vergiss mich nicht, behalte mich an deiner Seite.
Vertraue niemals den Höflingen,
denn nur zwei Dinge
liegen nicht in Jupiters Macht:
Er kann den Tod nicht in den Himmel
und die Redlichkeit nicht an den Hof bringen.

POPPÄA
Sorge dich nicht,
du sollst immer bei mir bleiben,
und kein anderer Mensch
soll jemals mein Vertrauter sein.

Amor, ich flehe dich an:
Erfülle meine Hoffnung
und mache mich zur Braut ...

Meine Augen werden schwer, dieser Friede
wiegt mich in den Schlaf.
Bereite mir ein Bett, Arnalta,
hier im Garten;
ich schlafe gern unter freiem Himmel.

ARNALTA
Ihr habt es gehört, Mädchen, beeilt euch!

POPPÄA
Sollte ich länger
als gewöhnlich schlafen,
dann komm und wecke mich,
und lass niemand in den Garten,
ausser Drusilla oder anderen Freunden.

ARNALTA
Leg dich hin, Poppäa,
Poppäa, mein Herz, ruh dich aus.
Du bist gut bewacht.

Möge allmähliches Vergessen
deine zärtlichen Gefühle
in den Schlaf wiegen, mein Kind.

Schliesst euch, herzbetörende Augen:
wozu seid ihr im Wachen fähig, wenn ihr schon im Schlaf die Herzen raubt?

Poppäa, schlaf in Frieden; geliebter,
süsser Augapfel, schlaf jetzt, schlaf ein.


ZWÖLFTE SZENE
Amor steigt vom Himmel herab, während Poppäa schläft

AMOR
Sie schläft, die Unvorsichtige schläft.
Sie weiss nicht,
dass jeden Moment
ihr Mörder kommen wird.
So leben die Menschen im Dunkel,
und sie glauben, sie seien vor jeder Gefahr sicher,
sobald sie ihre Augen schliessen.

Oh, leichtsinnig schwacher
menschlicher Sinn!
Während du in schläfrige Vergesslichkeit sinkst,
bewachen die Götter deinen Schlaf

Ritornell

Schlafe, Poppäa,
irdische Göttin:
Vor aufbegehrendern Schwert schützt dich
Amor, der der Sonne und Sterne Lauf bestimmt.

Schon droht dir
dein Untergang,
doch sollst du keinen Schaden nehmen;
Amor ist zwar klein, doch allmächtig.


DREIZEHNTE SZENE
Otho verkleidet, Amor, Poppäa, Arnalta

OTHO
Hier bin ich, verwandelt,
von Otho in Drusilla.
Nein, nicht von Otho in Drusilla,
sondern von einem Mann in eine giftige Schlange,
wie sie die Welt nicht gesehen.

Doch was sehe ich, ich Unseliger?
Du schläfst, Geliebte?
Hast du die Augen für immer geschlossen?
Liebste, Schlaf hüllt dich ein,
dir diesen grässlichen
Anblick zu ersparen:
Von meiner Hand wird dir der Tod.
Ach, mein Vorsatz schwankt, mein Schritt zögert!
Mein Herz, das seinen Platz verlassen,
sucht in bebenden Eingeweiden
ein dunkles Versteck
oder trachtet voll Schluchzen,
aus meinem Körper zu fliehen,
um nicht tellzuhaben an diesem Frevel.

Doch warum zaudere ich? Was macht es mir aus?
Sie hasst, sie verachtet mich, und ich liebe sie noch?
Ich gab Octavia mein Wort; wenn ich es breche,
ereilt mich der Tod.
Ein frommer Mensch sollte den Hof meiden.
Wer nicht nur den eigenen Vorteil im Auge hat,
verdient Blindheit zur Strafe.
Die Tat wird geheim bleiben,
und Vergesslichkeit
wird mein beflecktes Gewissen reinigen.
Poppäa, ich töte dich; Liebe, Achtung, lebt wohl!


VIERZEHNTE SZENE
Otho, Amor, Poppäa, Arnalta

AMOR
Wahnsinniger! Schuft!
Feind meiner göttlichen Macht!
Wie kannst du es wagen?
Ich sollte dich zerschmettern,
aber du bist es nicht wert,
von Götterhand zu sterben!
Geh, unverletzt durch meine scharfen Pfeile,
ich will dem Henker nicht die Arbeit rauben.

POPPÄA
Drusilla! Warum kam sie
mit gezogenem Schwert in der Hand,
während ich allein im Garten schlief?

ARNALTA
Schnell, kommt her,
Diener, Zofen ...
folgt Drusilla, schnell, schnell,
fangt das Ungeheuer! Lasst sie nicht entkommen!

AMOR
Ich habe Poppäa beschützt,
damit sie Kaiserin wird!
Ich habe Poppäa beschützt!

Sinfonia

DRITTER AKT

ERSTE SZENE
Rom, Drusilla allein

DRUSILLA
Glückliche Drusilla! Was kann ich hoffen?
Der entscheidende Augenblick meines Lebens naht:
Meine Rivalin muss sterben,
und Otho wird endlich mir gehören!
Was kann ich hoffen?
Wenn meine Gewänder
ihm gute Dienste
bei seiner Verkleidung geleistet haben,
o Götter, mit Eurer Erlaubnis
werde ich sie anbeten!
O glückliche Drusilla, o was kann ich hoffen?


ZWEITE SZENE
Arnalta, Liktoren, Drusilla

ARNALTA
Hier ist das gemeine Weib;
um kein Misstrauen zu wecken,
hat sie sich umgezogen.

DRUSILLA
Welche Tat, welches Ver -

LIKTOR
Halt! Du wirst dafür sterben!

DRUSILLA
Welches Verbrechen bringt mir den Tod?

LIKTOR
Beteuerst du weiter deine Unschuld, Mörderin?
Du hattest vor,
Poppäa im Schlaf zu töten.

DRUSILLA
(Ach, liebster Freund! Ach, grausame Vorsehung!
Ach, meine unschuldigen Kleider!
Nur mir selbst, nicht andere kann ich beschudigen:
Ich war zu arglos und zu unvorsichtig.)


DRITTE SZENE
Arnalta, Nero, Drusilla, Liktoren

ARNALTA
Herr, hier ist die Verbrecherin;
sie versuchte
die Dame Poppäa zu erstechen!
Die Unschuldige schlief
in ihrem eigenen Garten,
als sie mit gezogenem Schwert dazukam.
Wäre eure treue Dienerin
nicht aufgewacht,
hätte das Schwert sein Opfer getroffen.

NERO
Wie konntest du dich unterstehen? Wer
steckt hinter dieser niederträchtigen Tat?

DRUSILLA
Ich bin unschuldig,
vor meinem Gewissen und vor Gott.

NERO
O nein, gesteh sogleich:
Hast du aus Hass gehandelt, einem Befehl gehorcht,
oder wurdest du für das Verbrechen bezahlt?

DRUSILLA
Ich bin unschuldig,
vor meinem Gewissen und vor Gott.

NERO
Peitsche, Folter und Feuer
werden ihr die Namen
von Anstifter und Komplizen ins Gedächtnis rufen.

DRUSILLA
(O weh! Bevor ich
unter grausamer Folter
mein Geheimnis preisgebe,
nehme ich selbst das Verbrechen
und das Todesurteil auf mich.
All ihr Freunde auf dieser Welt,
vergleicht euch mit mir,
ich zeige euch, was wahre Freundschaft ist.)

ARNALTA
Was murmelst du da, Welbsbild?

LIKTOR
Was faselst du, Mörderin?

NERO
Was redest du, Verräterin?

DRUSILLA
(Mein Geist muss sich
in bitterem Kampf
zwischen Liebe und Unschuld entscheiden.)

NERO
Bevor mein Zorn mich zwingt,
die Folterknechte zur Pflicht zu rufen,
verzichte auf diese Hartnäckigkeit
und gesteh deinen verräterischen Plan.

DRUSILLA
Herr, ich bekenne, dass ich
die unschuldige Poppäa ermorden wollte.
Allein mein Herz und meine Hand
waren die Komplizen.
Ein dunkler, alter Hass trieb mich zu der Tat.
Forscht nicht weiter, ich sage die Wahrheit.

NERO
Führt diese Frau
sofort zum Henker!
Sagt ihm, er soll sich
einen Tod ausdenken,
sehr langsam und schrecklich,
der das Sterben für die Verbrecherin
qualvoll und mühsam macht.

DRUSILLA
(Angebeteter, Geliebter,
liebe mich wenigstens nach meinem Tod.
Einmal nur lass deine Augen
aus der Tiefe deines Herzens
eine einzige Träne des Mitleids
oder gar der Liebe an meinem Grab vergiessen.
Ich gehe als wahre Freundin und treue Geliebte
zum grausamen Henker und bezahle
für dein Vergehen mit meinem Blut.)

NERO
Was zögert ihr, Offiziere?
Durch ein qualvolles Ende
soll sie heute
tausend Tode sterben.


VIERTE SZENE
Otho, Drusilla, Nero, Liktoren

OTHO
Nein, nein! Mich müsst ihr bestrafen,
ich hab' es verdient.

DRUSILLA
Ich, ich allein bin die Verbrecherin,
die den Tod der unschuldigen Poppäa plante.

OTHO
O Himmel, o Götter, ihr seid meine Zeugen,
sie ist unschuldig!

DRUSILLA
Mein Herz und meine Hände
waren meine einzigen Komplizen;
Alter, wohlgehüteter Hass war mein Motiv.
Forscht nicht weiter, ich spreche die Wahrheit!

OTHO
Sie ist unschuldig!
In Drusillas Gewänder gekleidet,
habe ich auf Befehl der Kaiserin Octavia
einen Anschlag auf Poppäas Leben verübt.
Mein Gebieter, töte mich von eigener Hand.

DRUSILLA
Ich bin die Verbrecherin,
die den Tod der unschuldigen Poppäa plante.

OTHO
Jupiter, Nemesis, Asträa,
schleudert eure Blitze aufmein Haupt herab,
zu Recht habe ich den schrecklichen Tod verdient,
der mich erwartet!

DRUSILLA
Ich habe ihn verdient!

OTHO
Ich habe ihn verdient!

DRUSILLA
Nein, ich!

OTHO
Nein, ich!

DRUSILLA
Nein, ich!

OTHO
Ich , ich habe ihn verdient.
Mein Gebieter, töte mich mit eigener Hand;
aber wenn du nicht wünschst,
dass deine Hand meinem Tod diese Ehre gibt,
wenn du mir deine Gunst entziehst,
dann lass mich mit meinem Kummer leben.
Anstelle deiner Folter
liefert mein Gewissen die Peitsche;
anstatt mich den Löwen und Bären vorzuwerfen,
überlass mich meinem Schuldgefühl zur Beute,
das mich mit Haut und Haar verschlingen wird.

NERO
Lebe, verbannt in die fernste Wüste,
aller Titel und Reichtümer beraubt;
während du bettelnd und notleidend umherirrst,
soll dein Verbrechen dir Peitsche und Kerker sein.
Und du, edle Dame,
die so viel riskierte,
die zum Schutz dieses Mannes Lügen erzählte,
um sein Leben zu retten,
lebe zum Ruhm meiner Mildtätigkeit,
lebe im Glanz deines Muts,
und möge deine Treue dem weiblichen Geschlecht,
solange wir leben, ein unschätzbares Beispiel sein.

DRUSILLA
Mein Gebieter, ich bitte Euch,
lasst mich mit ihm
im Exil glücklich sein.

NERO
Wie du willst.

OTHO
Herr, dies ist nicht Strafe, sondern Belohnung.
Die Tugenden dieser Dame
werden Reichtum und Glanz meines Lebens sein.

DRUSILLA
Mit dir zu leben und zu sterben
ist alles, was ich will.
Alles, was das Glück mir gab,
gebe ich zurück, damit du erkennst,
wie treu ein Frauenherz sein kann.

LIKTOR
Schluss jetzt! Geht doch zum Teufel!

NERO
Ich habe beschlossen und verkünde
durch feierlichen Erlass
Octavias Ächtung;
ich verbanne sie ins ewige Exil
und aus Rom.
Man bringe sie zum nächstgelegenen Hafen
und sofort an Bord
eines gut kalfaterten Bootes
und überlasse sie der Gnade der Winde.
Meinem Zorn ist damit Genüge getan.
Führt meinen Befehl sofort aus!


FÜNFTE SZENE
Poppäa, Nero

POPPÄA
Herr, mein Leben ist heute
zu neuer Blüte erwacht.
Mögen dir meine Seufzer beteuern,
dass ich mich, wiedergeboren,
nach dir verzehre und für dich sterbe,
dich ewig anbete in Leben und Tod.

NERO
Nicht Drusilla
versuchte dich zu ermorden.

POPPÄA
Wer war der Schurke?

NERO
Unser Freund Otho.

POPPÄA
Aus eigenem Antrieb?

NERO
Es war Octavias Einfall.

POPPÄA
Dann hast du guten Grund,
sie zu verstossen.

NERO
Wie versprochen, wirst du heute meine Braut.

POPPÄA
Ich könnte mir keinen glücklicheren Tag wünschen.

NERO
Ich schwöre bei Jupiters Thron
und meiner Krone, dass du heute
Kaiserin von Rom werden sollst.
Darauf gebe ich dir mein königliches Wort.

POPPÄA
Dein Wort, dein Wort ...

NERO
Mein königliches Wort.

POPPÄA
Dein königliches Wort?

NERO
Darauf gebe ich dir mein königliches Wort.

POPPÄA
Idol meines Herzens, endlich ist die Stunde
gekommen, da ich geniessen kann, was mein ist.

NERO, POPPÄA
Verzögerungen und Hindernisse trennen uns nicht.
Mein Herz wellt nicht länger in meiner Brust:
Du hast es mir geraubt, ja, geraubt,
aus meiner Brust geraubt
mit dem klaren Azur deiner Augen.
Deinetwegen, Liebste, besitze ich kein Herz.
Ich werde dich in meinen liebenden Armen halten,
denn du hast mich erobert, ach!
Deine Glückseligkeit soll kein Ende nehmen.
Ich habe mich in dir verloren
und werde mich in dir wiederfinden,
um mich erneut zu verlieren, teures Herz,
denn ich will mich für immer in dir verlieren.


SECHSTE SZENE
Arnalta

ARNALTA
Poppäa wird heute
Kaiserin von Rom.
Ich, als ihre Amme,
werde in der Welt aufsteigen.
Nein, ich will mich nicht mehr
mit gemeinem Volk abgeben.

Diejenigen, die ungezwungen mit mir sprachen,
müssen ihre Töne jetzt ändern
und »Euer Gnaden« trillern.
Die, die mich auf der Strasse treffen, sagen jetzt:
»Wie jugendlich, noch immer eine Schönheit«,
wenngleich ich weiss, dass ich wie eine Frau
des Altertums aussehe, wie die legendäre Sibylle.
Aber alle schmeicheln mir, weil sie glauben,
dass sie Poppäas Gunst gewinnen,
wenn sie um mich werben.
Und ich tue so, als glaubte ich ihre Lügen,
und schlürfe das Lob vom Becher der Täuschung.
Als Sklavin geboren, sterbe ich als Adelige.
Der Tod wird mir nicht willkommen sein.
Wenn ich ein zweites Leben hätte,
würde ich adelig geboren und stürbe als Sklavin.
Die, die das vornehme Leben aufgeben müssen,
weinen, wenn die Zeit zum Sterben kommt.
Die Sklaven haben es besser,
denn sie heissen den Tod willkommen
als Erlösung von schwerer Plage.


SIEBENTE SZENE
Octavia allein

OCTAVIA
Ach! Lebt wohl, Rom, Vaterland, meine Freunde!
Schuldlos muss ich euch dennoch verlassen.
Vor mir liegt ein Exil voll bitterer Tränen,
verzweifelt bin ich dem tauben Meer ausgeliefert.
Die Winde, die zuweilen
meinen Atem aufnehmen,
sollen ihn im Namen meines Herzens
nach Rom tragen und seine Mauern küssen.

Ich werde einsam sein
und weinend umherirren
und die gefühllosen Steine das Mitleid lehren.
Setzt eure Ruder in Bewegung, treulose Männer,
und tragt mich weit fort vom geliebten Ufer!
Ach, frevelhafte Trauer,
du verbietest mir das Weinen
beim Verlassen des heimatlichen Ufers;
du erlaubst mir nicht eine Träne,
wenn ich meiner Familie und Rom Lebewohl sage.


LETZTE SZENE
Neros Palast

NERO
Besteige, o meine Geliebte,
besteige den höchsten Platz
der kaiserlichen Macht.

Sieh, hier kommen die Konsuln und Tribune
um dir ihre Aufwartung zu machen, Geliebte.
Allein durch deinen Anblick
fühlen sich das Volk
und der Senat bevorzugt.

Sinfonia

KONSULN UND TRIBUNE
O erlauchte Hoheit,
mit Roms uneingeschränkter Zustimmung
krönen wir dein Haupt.
Asien und Afrika verneigen sich vor dir,
Europa und das Meer,
das dieses glückliche Reich umgibt,
erkennen dich an und überreichen dir
die Kalserkrone der Welt.

Sinfonia

AMOR
Lasst uns herabsteigen,
geflügelte Gesellen.

CHOR DER AMORETTEN
Lasst uns zu dem
liebenden Brautpaar fliegen.

AMOR
Mögen uns die höchsten Götter helfen
und unserem Fluge Glanz verleihen.

CHOR DER AMORETTEN
Vom Himmelspol
sieht man lebhafte Flammen.

AMOR
Wenn die Konsuln und Tribunen
dich, Poppäa, gekrönt haben
über die Provinzen und Reiche,
so krönt Amor dich, glückliche Frau,
zur Kaiserin über alle Schönen.

Mutter, sei es zufrieden:
im Himmel bist du Poppäa,
und sie ist auf der Erde Venus.

VENUS
Ich freue mich, mein Sohn,
wenn es dich nur glücklich macht.
Man gebe Poppäa ruhig
den Titel der Göttin.

NERO, POPPÄA
Auf, auf, mögen Venus und Amor
von unserer Seele gelobt, von unseren Herzen gepriesen sein!

Niemand fliehe die goldene Fackel,
die zwar verbrennt, doch stets gefällt.

Auf, auf, mögen Venus und Amor
von unserer Seele gelobt, von unseren Herzen gepriesen sein!

AMOR
Lasst uns fröhlich singen,
im Himmel und auf Erden
soll die Freude überschäumen.
In allen Landen höre man
es widerschallen »Poppäa und Nero«.

POPPÄA, NERO
Ich betrachte dich,
ich besitze dich,
ich ergreife dich,
ich umschlinge dich.
Nie mehr Schmerz,
nie mehr Tod,
o mein Leben, mein Schatz.

Ich bin dein,
dein bin ich,
meine Sehnsucht, sag mir's, sag.
Du bist mein Idol,
du allein.
Fürwahr, meine Liebe,
mein Herz, mein Leben, fürwahr.