Libretto: L'Orfeo

von Claudio Monteverdi


Personen:
DIE MUSIK (Sopran)
ORPHEUS (Tenor oder Bariton)
EURYDIKE (Sopran)
BOTIN (Mezzosopran)
DIE HOFFNUNG (Mezzosopran)
CHARON (Bass)
PROSERPINA (Sopran)
PLUTO (Bass)
APOLLO (Tenor oder Bariton)
Eine NYMPHE (Sopran)
ECHO ( Sopran)
ERSTER HIRTE (Alt)
ZWEITER HIRTE (Tenor)
DRITTER HIRTE (Tenor)
VIERTER HIRTE (Bass)
ERSTER GEIST der Unterwelt (Tenor)
ZWEITER GEIST der Unterwelt (Tenor)
DRITTER GEIST der Unterwelt (Bass)

CHOR
Nymphen; Hirten; Geister der Unterwelt



PROLOG

Toccata

Ritornell

DIE MUSIK
Vom Quell des Permessos komm ich zu euch hernieder,
ruhmreiche Helden von königlichem Blut.
Von euch erzählt die Sage grosse Taten, doch
kann sie nie genug berichten, da es zu viele sind.

Ich bin die Musik', die mit lieblichen Tönen
dem verwirrten Herzen Ruhe. schenkt.
Bald zu edlem Zorn, bald zur Liebe vermag ich
selbst eiserstarrte Sinne zu entfachen.

Singend zum Klang der goldenen Zither
entzücke ich zuweilen das Ohr des Sterblichen
und erwecke in der Seele die Freude an den
klangvollen Harmonien der Himmelsleier.

Nun will ich euch von Orpheus berichten,
der mit seinem Gesang die Tiere zähmte
der durch sein Bitten sogar die Hölle bezwang,
und unsterblichen Ruhm auf dem Pindos und dem Helikon errang.

Wenn ich nun meine Lieder singe, mal heiter, mal traurig,
soll der Vogel im Baum unbewegt lauschen,
soll keine Weile an die Ufer schlagen
und jedes Lüftchen still verweilen.

ERSTER AUFZUG

ERSTER HIRTE
An diesem frohen und glücklichen Tag,
der dem Liebesleid unseres Halbgottes ein Ende setzt,
lasst uns singen, ihr Hirten,
in den lieblichsten Weisen,
die einem Orpheus zur Ehre gereichen.
Heute rührte Mitleid
die sonst so stolze Seele
der schönen Eurydike.
Heute erfüllte sich das Glück
des Orpheus an ihrem Busen, nach dem er sich
in diesen Wäldern lange klagend sehnte.

An diesem frohen und glücklichen Tag also,
der dem Liebesleid unseres Halbgottes etc.

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Komm, Hymenäus, ach komm doch!
Dein Antlitz, glühend
wie die aufgehende Sonne,
soll diesen Liebenden heitere Tage bringen
und die Schrecken und Schatten
von Sorge und Leid fernhalten.

EINE NYMPHE
Musen, Ruhm des Parnass, Geliebte des Himmels,
lieblicher Trost eines betrübten Herzens,
der Klang eurer Zithern
zerreisse den düsteren Schleier jeder Wolke;
während wir heute für unseren Orpheus
die Gnade des Hymenäus erflehen,
mögen sich unsere wohlgestimmten Saiten
mit eurem Gesang verbinden.

Tanz

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Verlasst die Berge,
verlasst die Quellen,
ihr liebreichen, fröhlichen Nymphen,
und hebt auf diesen Wiesen
eure zierlichen Füsse
zu gewohntem Tanz.

Hier soll die Sonne bewundern
eure Reigen,
die viel lieblicher sind als jene,
mit denen die Sterne
bei dunkler Nacht
am Himmel den Mond umtanzen.

Ritornell

Verlasst die Berge, etc.

Dann aber sollt ihr
mit schönen Blumen
die Locken dieser Liebenden umkränzen,
die nach den Qualen
ihrer Sehnsucht
endlich ihr Glück geniessen.

Ritornell

DRITTER HIRTE
Holder Sänger, der du mit deinen Klagen
diese Felder zum Weinen brachtest,
warum lässt du jetzt nicht beim Klang deiner
Zauberharfe diese Täler und Hügel mit dir jubeln?
Sing` uns als Beweis deiner Liebe
ein frohes Lied, das aus dem Herzen kommt.

ORPHEUS
Rose des Himmels, Leben der Erde und würdige
Schöpfung dessen, der das Universum lenkt,
Sonne, die du alles umschliesst und alles erblickst,
wenn du zwischen den Gestirnen deine Kreise ziehst
sag mir, ob du je einen fröhlicheren
und glücklicheren Liebenden gesehen hast?
Glücklich war der Tag, an dem ich dich,
meine Geliebte, zum erstenmal erblickte;
doch glücklicher war die Stunde,
da ich um dich seufzte,
denn nach meinen Seufzern sehntest du dich;
am glücklichsten aber war der Augenblick,
da du mir deine weisse Hand
als Pfand wahrer Treue reichtest.
Hätte ich so viele Herzen,
wie der ewige Himmel Augen hat und wie diese
lieblichen Hügel Blätter im grünen Mai haben,
so würden sie alle voll sein und überfliessen
von dem Glück, das mich heute erfüllt.

EURYDIKE
Ich kann nicht sagen, Orpheus,
wie gross mein Gluck ist wenn du dich freust,
denn mein Herz weilt nicht mehr bei mir,
da du es mit deiner Liebe an dich gefesselt hast;
frag es, wenn du zu wissen verlangst,
wie glücklich es schlägt und wie es dich liebt.

Tanz

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Verlasst die Berge,
verlasst die Quellen,
liebreichen, fröhlichen Nymphen,
und hebt auf diesen Wiesen
eure zierlichen Füsse
zu gewohntem Tanz.

Hier soll die Sonne bewundern
eure Reigen,
die viel lieblicher sind als jene,
mit denen die Sterne
bei dunkler Nacht
am Himmel den Mond umtanzen.

Komm, Hymenäus, ach komm doch!
Dein Antlitz, glühend
wie die aufgehende Sonne,
soll diesen Liebenden heitere Tage bringen
und die Schrecken und Schatten
von Sorge und Leid fernhalten.

ZWEITER HIRTE
Wenn auch unsere Freude vom Himmel kommt,
wie alles andere, was uns hier begegnet,
so ziemt es sich, dass wir ehrfürchtig
Weihrauch entzünden und Opfer bringen.
Drum lenke jeder seine Schritte zum Tempel,
um zu dem zu beten, der die Welt in seiner Rechten trägt,
damit uns dieses Glück lange erhalten bleibe.

Ritornell

ERSTER und ZWEITER HIRTE
Keiner soll sich der Verzweiflung überlassen
oder sich dem Schmerz ergeben, auch wenn er
uns oft bedrängt und am Leben verzweifeln lässt.

Ritornell

NYMPHE, DRITTER und VIERTER HIRTE
Denn, nachdem dunkle Wolken und schwerer
Sturm die Welt erschreckten, lässt die Sonne
ihre leuchtenden Strahlen noch heller erglänzen.

Ritornell

DRITTER und ERSTER HIRTE
Nach dem harten Frost des kalten Winters
schmückt der Frühling die Felder mit Blumen.

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Seht Orpheus dort, für den einst
Seufzer und Tränen Speise und Trank bedeuteten.
Heute ist er glücklich,
und es gibt nichts mehr, wonach er sich sehnt.

ZWEITER AUFZUG

Sinfonia

ORPHEUS
Seht, ich kehre zu euch zurück,
geliebte Wälder und Hügel,
die von der Sonne bestrahlt werden,
welche allein meine Nächte in Tage verwandelt.

Ritornell

ERSTER HIRTE
Sieh, Orpheus, wie uns
der Schatten jener Buchen lockt,
während Phöbus seine glühenden Strahlen
vom Himmel herabschleudert.

Ritornell

ZWEITER HIRTE
Wir wollen an jenen grünen Ufern lagern,
und ein jeder soll auf seine Weise
zum Murmeln der Wellen
seine Stimme erheben.

Ritornell

ERSTER und ZWEITER HIRTE
Auf dieser lieblichen Wiese
versammeln sich die Waldgötter
oftmals und verweilen
in fröhlicher Runde.

Ritornell

Hier hörte man zuweilen Pan,
den Gott der Hirten,
wenn er sich sehnsuchtsvoll
an sein Liebesleid erinnerte.

Ritornell

Hier sah man die holden Waldnymphen,
die blumengeschmückte Schar,
mit ihren schneeweissen Fingern
Rosen pflücken.

Ritornell

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Nun, Orpheus, erfülle du
diese Auen, über denen
süsse Düfte wehen,
mit dem Klang deiner Leier.

Ritornell

ORPHEUS
Schattenreiche Wälder, erinnert ihr euch noch
an meine langen, harten Qualen,
und wie die Steine von Mitleid erfüllt
auf meine Klagen Antwort gaben?

Sagt, schien ich nicht damals
betrübter zu sein als jeder andere?
Nun hat mein Schicksal sich gewendet
und meine Klagen in Jubel verwandelt.

Einst lebte ich traurig und voll Schmerzen,
doch jetzt bin ich fröhlich, und der Kummer,
den ich so viele Jahre ertragen musste,
macht mir mein jetziges Glück noch wertvoller.

Nur deinetwegen, schöne Eurydike,
preise ich meine Qualen:
Denn nach dem Leid wird man glücklicher
und nach den Schmerzen fröhlicher.

ERSTER HIRTE
Sich, Orpheus, um dich herum
lächelt der Wald und lächelt die Wiese;
spiel nur weiter mit dem goldenen Plektron
und versüsse die Luft an diesem glücklichen Tag.

BOTIN
Weh, grausames Verhängnis! Weh, hartes, erbarmungsloses Schicksal!
Weh, schmähliche Sterne! Weh, niederträchtiger Himmel!

ERSTER HIRTE
Welch Schmerzgeschrei zerstört den heiteren Tag?

BOTIN
Weh mir, muss ich denn Orpheus, noch während
er mit seiner Musik den Himmel erfreut,
mit meiner Nachricht das Herz brechen?

DRITTER HIRTE
Das ist die holde Sylvia,
die liebliche Gefährtin
der schönen Eurydike; oh, wie schmerzvoll
sie dreinblickt! Was ist geschehen? Weh, mächtige
Götter, wendet euren gütigen Blick nicht von uns!

BOTIN
Hirten, lasst das Singen, denn all unsre
Fröhlichkeit ist in Schmerz verwandelt worden.

ORPHEUS
Woher kommst du? Wohin gehst du?
Nymphe, was bringst du?

BOTIN
Zu dir komme ich, Orpheus;
ich bin die unglückselige Botin
eines unglücklichen und traurigen Schicksals.
Deine schöne Eurydike ...

ORPHEUS
Weh mir! Was höre ich?

BOTIN
... deine geliebte Braut ist tot.

ORPHEUS
Weh mir!

BOTIN
Auf einer blühenden Wiese
wanderte sie mit ihren anderen Gespielinnen
umher und pflückte Blumen,
um einen Kranz für ihr Haar zu flechten,
als eine tückische Schlange,
die im Gras verborgen war,
sie mit ihrem Giftzahn in den Fuss biss.
Und siehe, sogleich erblasste
ihr schönes Antlitz, und in ihren Augen erlosch
der Glanz, mit dem sie die Sonne beschämte.
Wir alle standen erschrocken und traurig
um sie herum und versuchten
mit frischem Wasser und mächtigen Gesängen
ihre entschlafenen Geister wieder zu wecken.
Doch es war vergebens, weh mir Armen,
sie öffnete noch einmal ihre brechenden Augen
und rief nach dir, Orpheus;
dann, nach einem schweren Seufzer,
starb sie in meinen Armen; und ich blieb zurück,
das Herz voll Trauer und Schrecken.

ERSTER HIRTE
Weh, grausames Verhängnis! Weh, hartes, erbarmungsloses Schicksal!
Weh, schmähliche Sterne! Weh, niederträchtiger Himmel!

ZWEITER HIRTE
Nach dieser unseligen Botschaft
gleicht der Unglückliche einem stummen Stein,
denn bei soviel Schmerz kann er nicht klagen.

ERSTER HIRTE
Ach, der hätte wohl das Herz eines Tigers oder Bären,
der bei deinem Unglück nicht Trauer empfände,
du unglücklicher Liebhaber, der du alles Glück verlorst.

ORPHEUS
Du bist tot, mein Leben, und ich atme noch?
Du bist von mir gegangen, um niemals
zurückzukehren, und ich muss bleiben?
Nein! Ich werde durch die Macht meiner Lieder
in die tiefsten Abgründe gelangen,
und wenn ich das Herz des Königs der Unterwelt bezwungen habe,
werde ich dich zum Licht der Sterne führen.
Wenn aber ein grausames Schicksal mir dies versagt,
werde ich bei dir im Reich der Toten bleiben.
Leb wohl, Erde! Lebt wohl Himmel und Sonne! Lebt wohl!

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Weh, grausames Verhängnis! Weh, hartes, erbarmungsloses Schicksal!
Weh, schmähliche Sterne! Weh, niederträchtiger Himmel!
Kein Sterblicher traue
dem vergänglichen, zerbrechlichen Glück,
denn schnell entflieht es, und oftmals
ist bei grosser Höhe der Abgrund nah.

BOTIN
Ich aber, die ich mit meinen Worten
den Dolch brachte,
der die liebende Seele des Orpheus traf,
ich bin den Hirten und Nymphen verhasst,
und hasse mich selbst; wo kann ich mich verbergen?
Als unglücklicher Nachtvogel werde ich
für immer der Sonne entfliehen und in einer
einsamen Höhle ein Leben in Schmerz führen.

Sinfonia

ERSTER und ZWEITER HIRTE
Wer tröstet uns Unglückliche?
Ja, wer vermag unsere Augen
in eine unerschöpfliche Quelle zu verwandeln,
damit wir an diesem trauervollen Tag
genügend weinen können, einem Tag,
der so fröhlich begann und jetzt unendlich traurig geworden ist?
Heute hat ein grausamer Sturm
die beiden hellsten Lichter
unserer Wälder ausgelöscht,
Eurydike und Orpheus;
die eine wurde von einer Schlange gebissen,
der andre wurde vom Schmerz gebrochen, weh uns!

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Weh, grausames Verhängnis! Weh, hartes, erbarmungsloses Schicksal!
Weh, schmähliche Sterne! Weh, niederträchtiger Himmel!

ERSTER und ZWEITER HIRTE
Doch wo, ach wo sind jetzt
die schönen, erstarrten Glieder
der unglücklichen Nymphe?
Wo hat sich die schöne Seele,
die uns heute in der Blüte ihrer Tage verlassen hat,
eine ihr würdige Wohnung gesucht?
Auf ihr Hirten, lasst uns gehen
und voll Trauer nach ihr suchen
und mit bitteren Tränen
wenigstens ihrem leblosen Körper
die gebührende Ehre erweisen.

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Weh, grausames Verhängnis! Weh, hartes, erbarmungsloses Schicksal!
Weh, schmähliche Sterne! Weh, niederträchtiger Himmel!

Ritornell

DRITTER AUFZUG

Sinfonia

ORPHEUS
Von dir geleitet, Göttin Hoffnung,
die du das einzige Gut
des trauernden Sterblichen bist, bin ich nunmehr
in jene traurigen und düsteren Reiche gelangt,
die noch kein Sonnenstrahl jemals erreichte.
Du, meine Begleiterin und Führerin
auf diesem fremden und unbekannten Weg,
lenktest meine schwachen und zitternden Schritte,
so dass ich heute wieder Hoffnung habe,
jene glücklichen Lichter wiederzusehen,
die für meine Augen einzig den Tag bedeuten.

DIE HOFFNUNG
Dort ist der dunkle Sumpf, dort ist der Fährmann,
der die nackten Seelen zum anderen Ufer bringt,
wo Pluto über das weite Schattenreich herrscht.
jenseits von diesem schwarzen Moor, jenseits des Flusses,
im Land der Tränen und Schmerzen,
hält ein grausames Schicksal dein Liebstes verborgen.
Nun können dir nur noch ein grosses Herz und schöner Gesang helfen.
Ich habe dich bis hierher geführt und darf nicht
weiter mit dir kommen, denn ein strenges Gesetz verbietet es;
ein Gesetz, gemeisselt mit Eisen in den harten Stein des Tores,
das zum Reich der Schrecken führt,
und dessen unbeugsame Weisung durch diese Worte verkündet wird:
»Lasst alle Hoffnung zurück, die ihr hier eintretet!«
Doch wenn du in deinem Herzen noch fest entschlossen bist,
den Fuss in die Stadt der Schmerzen zu setzen,
wende ich mich jetzt von dir und kehre
zu meinem vertrauten Aufenthaltsort zurück.

ORPHEUS
Wohin, ach wohin gehst du,
einziger süsser Trost meines Herzens?
Nachdem man nun das Ende meiner
langen Reise sehen kann,
warum gehst du nun und verlässt mich Armen
auf diesem gefahrvollen Weg?
Welches Gut bleibt mir noch,
wenn auch du entfliehst, süsseste Hoffnung?

CHARON
O du, Verwegner, der du vor dem Tod
zu diesen Ufern kommst, bleib stehen!
Es ist keinem Sterblichen erlaubt, dieses Wasser zu befahren,
und kein Lebender darf bei den Toten wohnen.
Willst du etwa als Feind meines Herrn
Cerberus von den Toren des Tartarus entfernen?
Oder willst du etwa seine geliebte Gattin rauben,
weil dein Herz von unzüchtiger Begierde erfüllt ist?
Gib dein törichtes Verlangen auf, denn mit meinem Boot
werde ich nie mehr einem menschlichen Wesen helfen,
da in meiner Seele noch immer die bittere Erinnerung
und der gerechte Zorn über alte Beleidigungen wach sind.

Sinfonia

ORPHEUS
Mächtiger Geist und furchtbare Gottheit,
ohne den die vom Leib befreiten Seelen
vergeblich hoffen, zum anderen Ufer zu gelangen,

ich lebe nicht, nein, nachdem das Leben meiner
geliebten Braut geraubt wurde, habe ich kein Herz mehr
und wie könnte ich ohne Herz leben?

Zu ihr führt mein Weg durch die finstere Luft,
nicht in die Hölle, denn überall, wo
so grosse Schönheit weilt, ist das Paradies.

Orpheus bin ich, der den Schritten Eurydikes
durch diese finstere Ebene folgte,
die noch niemals ein Sterblicher betrat.

O meiner Augen heitere Lichter,
ein Blick von euch kann mich dem Leben zurückgeben,
ach wer verweigert mir Trost in meinen Qualen?

Du allein, edler Gott, kannst mir Hilfe gewähren.
Du sollst dich nicht fürchten, denn ich habe nur
die süssen Saiten meiner goldenen Leier als Waffe,
die selbst die härteste Seele erweichen.

CHARON
Wohl schmeichelt mir ein wenig
und entzückt mein Herz,
untröstlicher Sänger,
dein Klagen und dein Gesang.
Doch fern, sehr fern soll dieser Brust
Mitleid sein, das meiner nicht würdig ist.

ORPHEUS
Weh, mir unglücklichem Liebhaber!
Ist mir nicht mehr erlaubt zu hoffen,
dass die Bewohner des Hades meine Bitten hören?
Muss ich als umherirrender Schatten
eines unglücklichen, unbegrabenen Leichnams
dem Himmel und der Hölle fernbleiben?
So will ein grausames Schicksal,
dass ich in diesem Todesschrecken
fern von dir, mein Herz, sein muss
und vergeblich deinen Namen rufe
und betend und weinend vergehe?
Gebt mir mein Glück zurück, Götter des Tartarus!

Sinfonia

Er schläft. Wenn auch meine Leier
kein Mitleid in seinem harten Herzen
wecken konnte, so konnten doch seine Augen
bei meinem Gesang dem Schlaf nicht widerstehen.
Auf nun, was zögere ich noch?
Die Zeit ist da, um ans andere Ufer zu gelangen,
denn niemand verwehrt es.
Mut muss eingesetzt werden, wo Bitten vergeblich war.
Die Gelegenheit ist wie eine hübsche Blume,
die im richtigen Augenblick gepflückt werden muss.

Er besteigt die Barke und setzt zum Klang der Orgel singend über.

Während diese Augen noch bittere Tränen vergiessen,
gebt mir mein Glück zurück, Götter des Tartarus!

Sinfonia

CHOR der GEISTER
Nichts unternimmt der Mensch vergeblich,
noch kann die Natur ihn überlisten.
Er pflügte die lockere Erde
hügeliger Felder und streute den Samen seiner
Arbeit aus, worauf er goldene Ernte einbrachte.
Damit die Erinnerung
an seinen Ruhm weiterleben
und die Sage von ihm berichten konnte, löste sich seine Zunge;
er konnte das Meer mit zerbrechlichem Holz bezwingen
und verachtete den Zorn des Süd- und Nordwindes.

Sinfonia

VIERTER AUFZUG

PROSERPINA
Herr, dieser Unglückliche,
der über die weite Ebene des Todes
wandert und nach Euryd ' ke ruft,
und den du gerade so
lieblich klagen hörtest,
hat in meinem Herzen soviel Mitleid geweckt,
dass ich noch einmal zu dir komme und darum bitte,
dass sich deine Gottheit seinem Flehen beugt.
ja, wenn du jemals aus diesen Augen
die Süsse der Liebe genossen hast,
wenn dir diese klare Stirn gefiel,
die du deinen Himmel nennst, worauf du mir schworst,
dass du JupIter nicht um sein Schicksal beneidest,
so bitte ich dich um dieses Feuers willen,
mit dem Amor deine grosse Seele entflammte,
mach es möglich, dass Eurydike
zu jenen Tagen zurückkehren kann,
die sie mit Festen und Gesang verlebte,
und dass der arme Orpheus von seinen Tränen erlöst wird.

PLUTO
Wenn auch ein strenges, unabänderliches Schicksal
deinen Wünschen, geliebte Gattin, im Wege steht,
so soll doch einer solchen Schönheit und so
inständigem Bitten nichts verweigert werden.
Gegen den Willen des Schicksals soll Orpheus
seine geliebte Eurydike wiederfinden;
doch bevor sein Fuss nicht diese Abgründe
verlassen hat, darf er seinen verlangenden Blick nicht nach ihr wenden,
denn durch nur einen einzigen Blick
wird sie für immer verloren sein.
So habe ich es beschlossen. Nun verkündet
meinen Willen in meinem Reich, ihr Diener,
so dass Orpheus ihn erfährt
und auch Eurydike davon hört,
und keiner darf hoffen, ihn zu ändern.

ERSTER GEIST
O mächtiger Herrscher über die Bewohner des
Schattenreiches, dein Zeichen ist für uns Gesetz,
und nach inneren Gründen deines Willens
zu forschen ziemt sich nicht für uns.

ZWEITER GEIST
Wird es Orpheus gelingen, seine Gattin aus
diesen schrecklichen Höhlen zu führen? Wird er
seinen Verstand einsetzen und verhindern,
dass jugendliches Verlangen ihn besiegt und er das strenge Verbot vergisst?

PROSERPINA
Wie soll ich dir danken,
wo du ein so edles Geschenk
meinen Bitten gewährst, gütiger Herr?
Gesegnet sei der Tag, da ich dir zum erstenmal gefiel,
gesegnet sei der Raub und der süsse Betrug,
denn zu meinem Glück gewann
ich dich, auch wenn ich die Sonne verlor.

PLUTO
Deine süssen Liebesworte erneuern
die alte Wunde in meinem Herzen;
so soll deine Seele nie mehr
nach himmlischer Freude verlangen,
damit du nicht deswegen dein eheliches Bett verlässt.

CHOR der GEISTER
Heute siegen in der Hölle
Mitleid und Liebe.

ERSTER GEIST
Seht dort den holden Sänger,
der seine Gattin dem Himmel entgegenführt.

ORPHEUS
Welche Ehre ist deiner würdig,
meine allmächtige Leier?
Denn du hast im Reich des Tartarus
die steinernen Herzen bezwungen.

Du wirst deinen Platz unter den
schönsten Sternenbildern finden,
und zu deinem Klang werden die Sterne
ihren langsamen und schnellen Reigen tanzen.

Ich bin durch dich vollkommen glücklich,
denn ich werde das geliebte Antlitz wiedersehen,
und an dem weissen Busen meines Weibes
werde ich noch heute ruhen.

Doch während ich singe, ach, ich Armer, wer
versichert mir, dass sie mir folgt? Weh mir,
wer verbirgt vor mir das süsse Licht ihrer geliebten Augen?
Vielleicht sind die Götter des Hades
von Neid erfüllt und verweigern mir
das vollkommene Glück,
euch anzusehen,
ihr glücklichen, fröhlichen Augen,
die ihr durch einen Blick jeden selig machen könnt.
Was fürchtest du, mein Herz?
Was Pluto verbietet, befiehlt die Liebe.
Einem so mächtigen Gott,
der Menschen und Götter besiegt,
muss auch ich gehorchen.
Hinter dem Vorhang erhebt sich Lärm.
Aber was höre ich, ach, ich Armer!
Rüsten vielleicht die liebestollen Furien
gegen mich und versuchen voll Wut
mir mein Eigentum zu rauben? Und ich dulde es?
Orpheus wendet sich um.
O süsseste Augen, ich kann euch sehen,
ich kann ... doch weh mir, welch Dunkel umgibt euch?

DRITTER GEIST
Du hast das Gesetz gebrochen und bist der Gnade nicht würdig!

EURYDIKE
Weh mir; viel zu süss und viel zu bitter ist der Anblick;
so verlierst du mich aus übergrosser Liebe?
Und ich, Elende, darf
nicht mehr zurückkehren
zum Licht und zum Leben und verliere auch noch
dich, mein liebstes Gut, meinen Gatten!

ERSTER GEIST
Kehre zurück zu den Schatten des Todes,
unglückliche Eurydike;
hoffe nie mehr, die Sterne wiederzusehen,
denn die Hölle wird taub für deine Bitten sein.

ORPHEUS
Wohin entschwindest du, mein Leben? Sieh, ich will dir folgen;
doch wer verbietet es mir, weh mir? Ist es ein Traum oder Phantasiebild?
Welche geheimnisvolle Macht
zerrt mich gegen meinen Willen
fort von diesem Schreckensort und führt mich
dem verhassten Licht entgegen?

Sinfonia

CHOR der GEISTER
Die Tugend ist ein Strahl
von himmlischer Schonheit;
sie ist die Zierde der Seele und nur ihr eigen;
sie fürchtet die Zerstörung der Zeit nicht,
vielmehr machen die Jahre ihren Glanz
im Menschen heller.
Orpheus besiegte die Hölle und wurde
dann von seiner Leidenschaft besiegt.
Ewigen Ruhm aber verdient nur der,
der sich selbst besiegt.

Sinfonia

FÜNFTER AUFZUG

Ritornell

ORPHEUS
Dies sind die Felder Thrakiens, und dies ist der Ort,
an dem mein Herz vom Schmerz
der bitteren Nachricht getroffen wurde.
Da ich nun keine Hoffnung mehr habe,
durch Bitten, Weinen
und Seufzen mein verlorenes Glück
zurückzugewinnen,
was bleibt mir anderesl als mich an euch zu wenden,
liebliche Wälder, die ihr einst
der Trost meiner Qualen gewesen seid,
da der Himmel euch mit mir weinen liess,
als ich weinte?
Ihr habt Schmerzen gelitten, Berge, ihr habt
geweint, Steine, als unsere Sonne verschwand,
und ich werde nun für immer mit euch weinen
und mich für immer dem Schmerz und dem Weinen hingeben.

ECHO
Du hast geweint!

ORPHEUS
Freundliches, liebreiches Echo,
du bist selbst traurig
und willst mich in meinem Schmerz trösten,
obwohl meine Augen vom Weinen
in zwei Quellen verwandelt worden sind
und ich in meinem tiefen, grausamen Unglück
noch nicht genug geweint habe.

ECHO
Es ist genug!

ORPHEUS
Wenn ich die Augen des Argus hätte
und alle ein Meer von Tränen vergiessen würden,
würde es doch nicht dem Schmerz meines grossen Unglücks entsprechen.

ECHO
Wehe!

ORPHEUS
Wenn du mit mir in meinem Unglück Mitleid hast,
so danke ich dir für deine Güte.
Doch während ich mich selbst beklage,
ach, warum antwortest du mir
nur mit den letzten Worten?
Gib mir alle meine Klagen vollständig zurück.

Aber du, meine Seele, wenn jemals dein kühler
Schatten zu diesen lieblichen Hügeln zurückkehrt,
sollst du von mir einen letzten Lobpreis entgegennehmen,
denn dir weihe ich meine Leier und meinen Gesang,
wie ich dir schon auf dem Altar des Herzens
meinen entflammten Geist als Opfer darbrachte.

Du warst schön und klugl und der Himmel
wandte dir grosszügig seine ganze Gunst zu,
während er bei allen anderen seine Gaben sparsam verteilte.
In allen Sprachen gebührt dir jedes Lob,
denn in deinem schönen Körper wohnte eine noch viel schönere Seele,
die nicht stolz war, auch wenn sie mit viel Ehre bedacht wurde.

Alle anderen Frauen sind hochmütig und treulos
gegen ihre Bewunderer, sind erbarmungslos unbeständig,
ohne Verstand und jede edle Gesinnung,
weshalb ihr Tun mit Recht nicht gepriesen wird;
deswegen wird es niemals geschehen, dass Amor
wegen eines schlechten Weibes mein Herz
mit seinem goldenen Pfeil durchbohrt.

Sinfonia

Apollo steigt singend in einer Wolke hernieder

APOLLO
Warum, mein Sohn, willst du die Beute
von Zorn und Schmerz werden?
Es ist niemals der Rat
eines weisen Herzens gewesen,
der eigenen Leidenschaft zu dienen;
doch ich sehe, dass dir Schande
und Gefahr drohen,
deshalb komme ich vom Himmel, um dir Hilfe zu bringen.
Nun höre auf mich, und du wirst Ruhm und Leben erhalten.

ORPHEUS
Gütiger Vater, du erscheinst in höchster Not,
denn zu einem verzweifelten Ende
unter grössten Schmerzen
haben mich Zorn und Liebe getrieben.
Hier bin ich, bereit deinem Rat zu folgen,
himmlischer Vater, und zu tun, was du mir befiehlst.

APOLLO
Viel zu sehr freutest du dich
über dein heiteres Glück
nun weinst du zu sehr
über dein hartes, grausames Los.
Noch weisst du nicht,
dass hier unten Heiterkeit und Unglück nichts bedeuten.
Doch wenn du ewiges Leben geniessen willst,
steig mit mir zum Himmel empor, denn er steht dir offen.

ORPHEUS
So werde ich niemals mehr die
geliebten Augen meiner Eurydike wiedersehen?

APOLLO
In der Sonne und in den Sternen
wirst du ihr schönes Ebenbild entdecken.

ORPHEUS
Ich wäre der unwürdige Sohn
eines so grossen Vaters,
wenn ich deinen weisen Rat nicht befolgen würde.

APOLLO und ORPHEUS
steigen singend zum Himmel empor
Singend steigen wir zum Himmel empor,
wo die wahre Tugend den ihr gebührenden
Preis erhält: Freude und Frieden.

Ritornell

CHOR der NYMPHEN und HIRTEN
Fahr hin, Orpheus, vom Glück erfüllt,
um dort himmlische Ehren zu geniessen,
wo das Gute nie vergeht
und wo es keinen Schmerz gibt,
während wir dir fröhlich und andächtig
auf den Altären Weihrauch und Opfer darbringen.

So geht der hin, der dem Ruf
des ewigen Gottes nicht ausweicht;
so erlangt der die Gnade des Himmels,
der hier unten die Hölle erlebt hat.
Und wer unter Schmerzen säet,
erntet die Frucht mit allem Gewinn.

Moresca