Libretto: Lucia di Lammermoor

von Gaetano Donizetti


Personen:
LORD ENRICO ASHTON (Bariton)
LUCIA , dessen Schwester (Sopran)
SIR EDGARDO DI RAVENSWOOD (Tenor)
LORD ARTURO BUCKLAW (Tenor)
RAIMONDO BIDEBENT, Erzieher und Vertrauter Lucias (Bass)
ALISA, Lucias Kammerzofe (Mezzosopran)
NORMANNO, Hauptmann der Truppen von Ravenswood (Tenor)

Ritter und Edeldamen. Jäger. Soldaten. Verbündete Ashtons.
Bewohner von Lammermoor und Ravenswood. Pagen. Diener.



ERSTER AKT

Orchestervorspiel

ERSTES BILD
Wald in der Nähe des Schlosses Ravenswood in Schottland. Es ist Tag.

ERSTER AUFTRITT
Normanno. Jagdgefolge

Nr. 1 - Solo und Chor

NORMANNO
Auf, durchstreifet die nahen Gefilde!

JÄGER
Ja, wir handeln, wie du es geboten.

NORMANNO
Der Ruinen verödete Pfade!

JÄGER
Ja, wir handeln, wie du es geboten.

NORMANNO
Fall' des strengen Geheimnisses Schleier,
So verlangt's die Ehre, die Pflicht -

JÄGER
Fall' des strengen Geheimnisses Schleier!

NORMANNO
Die Ehre, die Pflicht!

JÄGER
So heischt es die Pflicht! -
Leuchte Wahrheit in tödlichem Feuer
Wie des Blitzes verderbendes Licht!

NORMANNO und JÄGER
Fall' des strengen Geheimnisses Schleier,
So verlangt's die Ehre, die Pflicht.

JÄGER
entfernen sich


ZWEITER AUFTRITT
Ashton. Raimondo. Normanno

Nr. 2 - Szene, Kavatine und Chor

NORMANNO
nähert sich Ashton
Voll Unruh' bist du!?

ASHTON
Wohl hab ich Ursach! Du weisst es,
Dass sich verdunkeln meines Lebens Sterne,
Indes Edgardo, Todfeind unsres Geschlechtes,
Hebt übermütig seine stolze Stirne
Aus seiner Trümmerburg mit frechem Hohne!
Nur eine Hand war's, die mich schützen konnte
Vor meinem nahen Sturz! Doch nein!
Lucia stösst sie zurück mit eitlem Weigern!
Nein, Schwester war sie mir nie!

RAIMONDO
Bedenk, die Ärmste, die trostlos in bitterem Grame
Am frischen Grabe der teuren Mutter trauert,
Denkt die an Hymen? Oh, vergib dein Herzen,
Das der Liebe entsagt, durchwühlt von Schmerzen.

NORMANNO
Der Lieb' entsagt? Lucia glüht vor Liebe!

ASHTON
Ha, was sagst du?!

RAIMONDO
O schweig doch!

NORMANNO
So hört nur! Einst wandelte sie dort im Schatten
Des dunklen Hains, der ihrer Mutter
Grab umschattet, als unter wildem Brüllen
Auf sie ein Stier hervorbricht.
Doch durch die Lüfte fährt wie Donnerschlag
Ein Schwertstreich, zu Tod getroffen
Sinkt hin der Wilde.

ASHTON
Und wer hat ihn erschlagen?

NORMANNO
Der, dessen Namen ich nie nennen wollte.

ASHTON
Nun, und Lucia?

NORMANNO
Sie liebt!

ASHTON
Sah sie ihn wieder?

NORMANNO
Ja, täglich.

ASHTON
Und wo denn?

NORMANNO
In jenem Haine.

ASHTON
Ich bebe!
Doch sprich! Kennst den Verführer du?

NORMANNO
Nur Argwohn kann ich äussern.

ASHTON
Ha, rede!

NORMANNO
Es ist dein Todfeind -

RAIMONDO
O Gott!

NORMANNO
Den du verbanntest.

ASHTON
Edgardo? Was muss ich hören!

NORMANNO
Ja, Edgardo!

Kavatine

ASHTON
Lodernd erflammt ein wilder Grimm,
Den du mir weckst im Herzen!
Wie Feuer wühlt schon mit Zornesglut
Argwohn in meinem Herzen!
Ein wilder Schauder fasst mich an,
Und Hass füllt mir die Brust.
So ist von Schuld beladen
Die Schwester, meine Schwester!

NORMANNO
Um dich nicht entehrt zu sehen,
Verriet ich, was ich sah.

RAIMONDO
für sich
O Himmel, hör mein Flehen;
Steh du der Unschuld bei!

ASHTON
in höchster Wut
Ach, wär', ehe ihre Schuld am Tag,
Sie aus der Welt gegangen!
Hätt' sie ein Blitz
Dahingestreckt!

RAIMONDO und NORMANNO
Gott!

ASHTON
Hätt'sie ein Blitz dahingestreckt,
Es wär'geringre Pein!

NORMANNO
Wie reut mein Wort mich nun!

RAIMONDO
für sich
Steh du der Unschuld bei!


DRITTER AUFTRITT
Die Vorigen. Die Jäger

JÄGER
Dein Verdacht hat sich bestätigt.

NORMANNO
Was saht ihr?

ASHTON
Berichtet!

RAIMONDO
O Unheil!

JÄGER
In das Gras dahingelagert,
Von dem langen Jagen müde,
Ruhten wir in jenem Haine
Wo das Grabmal sich befindet
Als ein Mann in wilder Eile
Totenbleich zu Ross sich nähert.
Als er bis zu uns gekommen,
Ward er scharf ins Aug'genommen;
Doch auf seines Pferdes Rücken
Floh er pfeilschnell unsern Blicken.
Dennoch nannt ' ein Jagdgenosse
Uns des Unbekannten Namen.

ASHTON
So redet!

JÄGER
Edgardo!

ASHTON
Er ist' s! - O Rache, o Rache! Ja, ich schwöre
Blutig halte ich Gericht!

RAIMONDO
Ach, nein, das glaube nicht! Nein, nein!

ASHTON
Ja, blutig halte ich Gericht!

RAIMONDO
O so höre, höre! ja, höre!

ASHTON
Ich höre nicht! -
Ganz vergebens ist dein Mühen,
Mich um Mitleid anzuflehen!
Willst du mir von Rache sprechen,
Dann, nur dann versteh ich dich!
Ruchlos Paar, bald stürzt zur Sühne
Dein erträumtes Glück zusammen,
Und der Liebe heisse Flammen
Lösch in eurem Blute ich!

NORMANNO und JÄGER
Glaubt mir, bis zum nächsten Morgen
Hat ihn das Geschick ereilt!

RAIMONDO
Ach, der schrecken und die Sorge -

JÄGER
Ja, räche dich!
Glaubt mir, bis zum nächsten Morgen
Hat ihn das Geschick ereilt!

RAIMONDO
Nahen diesem Hause sich.

JÄGER
Ja, räche dich l

RAIMONDO
Welche Sorge, Angst und Pein,
Ja, nahen diesem Hause sich.

JÄGER
Glaubt mir, bis zum nächsten Morgen
Hat ihn das Geschick ereilt!

ASHTON
Doch Stille! - Doch Stille! - Ah!
Ha, vergebens ist dein Mühen -

RAIMONDO
Weh!

ASHTON
Mich um Mitleid anzuflehen!

RAIMONDO
Nein, das glaube nicht!

ASHTON
Willst du mir von Rache sprechen,
Dann, nur dann versteh ich dich!

RAIMONDO
Weh!

ASHTON
Ha, Verwegne! Längst ist euer Leben
Meinem Grimme schon verfallen,
Und des alten Hasses Flammen
Lösch in eurem Blute ich!

RAIMONDO
Ein Sturm von Furcht und Sorge bricht herein -

ASHTON
Lösch in eurem Blute ich!
Ja, des alten Hasses Flammen
Lösch in eurem Blute ich!

RAIMONDO
Nahet diesem Hause sich!

JÄGER
Er flieht deinem Grimme nicht,
Er flieht deiner Rache nicht!

ASHTON
stürmt ab

RAIMONDO, NORMANNO und die JÄGER
folgen


ZWEITES BILD
Park bei dem Schlosse Ravenswood. Nacht und Mondschein.

VIERTER AUFTRITT
Lucia. Alisa

Nr. 3 - Orchestervorspiel, Rezitativ und Kavatine

Rezitativ

LUCIA
Wo mag er weilen?

ALISA
zu ihrer Linken
Verwegne ! Wie kannst du's wagen,
Ihn zu empfangen? Hier, in des Bruders Nähe
Wär's allzukühn!

LUCIA
Recht hast du! Edgardo wisse,
Dass ihn umdrohen unheimliche Gefahren!
Sie späht suchend umher

ALISA
Was ist dir widerfahren? Sag, wohin blickst du?

LUCIA
Jene Quelle! Ach, nie
Kann ohne Bangen ich sie sehen! Ach ja, du weisst es,
Ein Ravenswood, getrieben
Von wilder Eifersucht, hat dort die Gattin
Grausarn ermordet, die Tote dann gestürzt
In die Wogen, und hier liegt sie nun begraben.
Ach, mir erschien ihr Schatten.

ALISA
Was sagst du?

LUCIA
So höre!

Kavatine

LUCIA
Im tiefen Schweigen lag die Nacht,
Umhüllte Berge und Haine,
Und traurig rieselte der Bach
Bei mattem Mondenscheine!
Da tönt ein leiser Klageton
Bang durch das Dunkel hin,
Und siehe, aus des Baches Wellen stieg
Ein bleiches Schattenbild, weh!
Sie bedeckt mit den Händen ihr Gesicht
Als wenn es spräche, sah ich nun
Die Lippen es bewegen;
Als ob es winkte, so schien es mir
Die Totenhand zu regen.
So stand es einen Augenblick,
Dann schwand es schnell dahin;
Die Quelle, erst wie Silber rein,
Floss nun, als sei sie Blut.

ALISA
Wehe, was für schlimme Träume!
Ahnungsvoll sind die Gesichte.
Ach, Lucia, Lucia, o entsage
Einer solchen Unglücksliebe!

LUCIA
Ich? Was sagst du?
Dem wunden Herzen
Lindert Liebe nur die Schmerzen,
Ja, die Liebe tilgt das Leid. -
Ja, seiner Stimme Zauberklang
Drang in des Herzens Tiefen,
Und seine Worte riefen
Zu Lust und Freude mich.
Er gab mir seinen Treueschwur,
Nicht konnt' ich länger widerstehn;
Mit ihm, da fühl ich Freude,
Da öffnet der Himmel sich mir.

ALISA
Ach w ürde dir nicht die Freude
In Angst und Leid verkehrt!
Lucia, ach, entsage!

LUCIA
Ah! - Wenn er entflammt vom Hochgefühl
Der reinsten, wärmsten Liebe,
Aus seines Herzens Tiefe
Mir ew'ge Treue schwört,
Dann schwindet all mein Kummer hin,
Tränen, sie werden zur Freude!
Ich weiss, dass ihm zur Seite
Der Himmel mir dann gehört!

ALISA
Leicht wird noch die Freude
In Gefahr und Leid verkehrt!

Nr. 4 - Rezitativ und Duett

Rezitativ

ALISA
sieht nach links
Edgardo, ich hör ihn. Bei der nahen Pforte
Werd auf der Hut ich sein!
Sie verschwindet im Schlosse


FÜNFTER AUFTRITT
Lucia, Edgardo

EDGARDO
Lucia, verzeihe,
Wenn ich zu solcher Stunde
Dich zu sehen heut wünschte.
Doch mich bewegen gewichtige Gründe.
Schon der nächste Morgen führt mich auf fremden Boden.
Meinem Heimatlande fern werd ich sein!

LUCIA
Was hör ich!

EDGARDO
Nach Frankreichs Freundesküste
Richt ich die Segel, dort kann ich unterhandelnd
Der Schotten Schicksal wenden.

LUCIA
Und ich Verlassne bleib voll Trauer zurück!

Duett

EDGARDO
Eh' ich dich verlasse,
Seh'mich dein Bruder; ich will versöhnt erst reichen
Ihm meine Rechte, und deine Hand zum Pfande
Des Friedensbundes heische ich.

LUCIA
Was hör ich?
Tu's nicht, es bleibe tief im Dunkel verborgen
Noch unser Bund der Herzen.

EDGARDO
Verstehe! Meines Stammes
Geschworner schlimmster Feind
Begnügt sich nicht mit dem, was er getan.
Er nahm mir alles, den Vater, meine Habe!
Was weiter? Was will er noch?
Was soll, was kann ich noch geben?
Soll ich alles verlieren? Will er mein Leben?
Ja, er hasst mich!

LUCIA
Ach, nein!

EDGARDO
Er hasst mich!

LUCIA
Dämpfe, dämpfe deinen Zorn!

EDGARDO
Flammen glühen, wie sie bekämpfen?
Höre!

LUCIA
Oh, Edgardo!

EDGARDO
Höre, erbebe!
An der Stätte, wo den Vater,
Meinen Vater ich verloren,
Ihn zu rächen einst an den Deinen,
Hab ich einen Eid geschworen.

LUCIA
aufschreiend
Ah!

EDGARDO
Doch dich sah ich, und schnell verflogen
War der Hass, den ich empfunden.
Doch der Eid besteht noch weiter,
Noch kann er vollzogen sein!

LUCIA
O schweige , jedes Wort kann dich verraten.

EDGARDO
Ach, Lucia!

LUCIA
Jedes Wort kann dich hier verraten.
Siehst du nicht, wie viel ich leide!
Soll die Angst mich gar noch töten?

EDGARDO
Nein, nein!

LUCIA
O verbanne des Hasses wildes Dräuen,
Dich entflamme nur die Liebe!
Jener Eid den du geschworen,
Niemals darfst du ihn vollziehn!
Ja, dich entflamme allein die Liebe,
Nur ihr soll dein Herz erglühn!

EDGARDO
Doch der Eid besteht noch weiter,
Ja, noch kann ich ihn vollziehn!
Er kann noch vollzogen sein!

LUCIA
Sie nur mag dich durchglühn!

EDGARDO
Noch kann er vollzogen sein -

LUCIA
Liebe, Liebe allein!
Sie fällt ihm zu Füssen

EDGARDO
sie emporzichend
Schwör in dieser hehren Stunde,
Schwör als Braut mir ewig Treue!
Gott ist Zeuge diesem Bunde,
Zeugen sind des Himmels Sterne!

LUCIA
hebt die Hand zum Schwur und umarmt ihn

EDGARDO
Dein Geschick ist nun das meine!
Er steckt einen Ring an ihren Finger
Bin dein Gatte!

LUCIA
gibt ihm den ihren
Und ich die Deine!

BEIDE
in Umarmung
Unsrer Herzen reine Treue
Brechen kann sie nur der Tod:
Nimmer sehre uns die Reue,
Unsre Liebe schirmt ein Gott!

EDGARDO
macht sich von ihr los
Doch es wird nun Zeit zum Scheiden.

LUCIA
Oh, wie quälen mich die Worte!
Ja, mein Herz wird dich begleiten:

EDGARDO
Und mein Herz bleibt hier zurück,
Ja, bei dir bleibt's hier zurück!

LUCIA
Ach, mein Edgardo, mein Geliebter!

EDGARDO
Trennen müssen wir uns nun.

LUCIA
Ach, ein Wort nur aus der Ferne
Lass als Kunde zu mir eilen,
Ach, und wär's nur eine Zeile,
Sie wird Hoffnung mir verleihn.

EDGARDO
Deiner werd ich stets gedenken,
Wo ich immer weilen mag.

LUCIA
Ach! Den Lüften will ich klagen
Der Sehnsucht heisses Flehen,
Sie sollen es dir sagen
In stillem Abendwehen;
Dir sagen, wie ein treues Herz
Im Grame fast vergeht.
Weih dann eine Träne mir,
Die dich so innig liebt!

EDGARDO
Es wird dir mein Gedenken
Der Südwind überbringen,
Du hörst im Meer, das wogt und schäumt,
Den Ruf nach dir erklingen.
Wenn du bedenkst, dass Einsamkeit
Mein Los, nur Gram und Schmerz,
So drück, und seist du noch so weit,
(Mit Bezug auf seinen Ring)
Dies Pfand hier an dein Herz!

BEIDE
Dies Pfand dann an dein Herz!

LUCIA
Ja, es wird in meinen Leiden
Noch der einz'ge Trost mir sein!

EDGARDO
Teure! - Ja, Lucia, ja!

BEIDE
Es wird dir mein Gedenken
Der Südwind überbringen,
Du hörst im Meer, das wogt und schäumt,
Den Ruf zu dir erklingen.

LUCIA
Wenn du bedenkst, dass Einsamkeit
Mein Los, nur Gram und Schmerz -

EDGARDO
wie vorher
So drück, und seist du noch so weit,
Dies Pfand dann an dein Herz!

LUCIA
ebenso
So drück, und seist du noch so weit,
Dies Pfand dann an dein Herz!

EDGARDO
schmerzlich
Ich scheide!

LUCIA
ebenso
Leb wohl denn!

EDGARDO
mit grosser Bedeutung
Erinnre dich,
Uns bindet ein Eid!

LUCIA
Edgardo! Edgardo!

EDGARDO
Leb wohl denn!
Er geht ab

LUCIA
sinkt zusammen

ZWEITER AKT

ERSTES BILD
Gernach im Schlosse Ravenswood, gegen Abend

ERSTER AUFTRITT
Lord Ashton. Normanno

Nr. 5 - Rezitativ und Duett

Rezitativ

NORMANNO
kommt mit einem Schreiben
Lucia wird bald bei dir sein.

ASHTON
Voll Unruh' harrt ich ihrer!
Den frohen Hochzeitstag zu feiern,
Sind schon versammelt im Schloss die hohen Gäste,
Zweige des edlen Stammes. Bald wird Arthur selbst
Erscheinen, und wenn sie's wagte,
Sich dann noch zu weigern -

NORMANNO
Fürchte nichts, das lange Fernsein schon
Deines Feindes,
Die Briefe, die wir unterschlugen,
Und die gefälschte Nachricht,
Dass er von neuer Liebe gefesselt,
Wird sicher in Lucias Herzen löschen
Die blinde Liebe.

ASHTON
Bald wird sie kommen! Das gefälschte Schreiben
Reiche mir, begib dich auf dem nächsten Wege
Zum stolzen Königssitze von Schottland,
Und unter Jubelgesängen
Geleite Arthur her.

NORMANNO
überreicht das Schreiben und geht ab


ZWEITER AUFTRITT
Ashton. Lucia

ASHTON
So komm doch, o Lucia!
Dich glaubt'ich heitrer an diesem Tag zu sehen,
Zu dieser Stunde, wo Hymens goldne Fackel
Für dich aufleuchten soll! -
Du sinnest und schweigest!

Duett

LUCIA
Sieh, die Blässe meiner Wangen
Und die Spuren vergossner Tränen
Werden schweigend dir verkünden
Meinen Kummer, meine Leiden.
Möge Gott dir einst dann vergeben
Dein unmenschlich hartes Herz,
Dein hartes Herz und meinen Schmerz!

ASHTON
Deine Liebe, so vermessen,
Machte mich einst wohl zum Tyrannen,
Doch dies alles sei vergessen,
Ja, dein Bruder, er ist dein Freund.
Ich kann meinen Zorn verbannen,
Bann die schnöde Liebe auch du.
Wähle Arthur -

LUCIA
Niemals! Niemals!

ASHTON
Warum?

LUCIA
Einem andern schwur ich ew'ge Treu'.

ASHTON
zornig
Nein, unmöglich!

LUCIA
O Bruder!

ASHTON
Ha, Verräterin!

LUCIA
Ich schwur ew'ge Treue,
Ein andrer besitzt dies Herz!

ASHTON
sich mässigend
Gut denn!
Dieses Schreiben mag verraten,
Welchen Elenden du liebest!
Lies denn!
Er reicht es ihr

LUCIA
liest zitternd
Weh!
Sie lässt das Schreiben fallen
Weh, mir zerspringt das Herz!

ASHTON
Ach, was ist ihr?
Er eilt ihr zu Hilfe und geleitet sie zu einem Stuhl

LUCIA
Weh mir Armen!
Ich erliege diesem Schmerz!
In Jammer und Tränen
Floh hin mir das Leben,
In Kummer und Ängsten
Schlich träg mir die Zeit!
Der Tod sei willkommen,
Der bald mich befreit!
Er hat einer andern
Sein Dasein geweiht!

ASHTON
Wie konntest du's wagen,
In eitlem Vertrauen
Auf törichte Schwüre
Dein Hoffen zu bauen?
Sieh, dies ist der Lohn,
Den Liebe erlangt,
Er hat einer andern
Sein Herz zugewandt!
Du trautest ohn'Argwohn
Den trugvollen Worten,
Versetztest die Deinen
In Bangen und Sorgen,
Der zürnende Himmel,
Schon rächte er sich!
Sein Herz voller Tücke
Verleugnete dich!

LUCIA
Weh mir! Ich fühle mein Ende,
Zerbrochen bin ich!
Sein Herz voller Tücke
Verleugnete mich!

Sie wendet sich zum Gehen. - Ferne festliche Musik

LUCIA
horchend
Was hör ich?

ASHTON
Von Jubeltönen
Hallt schon der Palast.

LUCIA
Weswegen?

ASHTON
Dein Bräutigam nahet!

LUCIA
Wie schauerlich fasst mich
Ein innerlich Grauen.

ASHTON
Das Brautbett wartet deiner schon.

LUCIA
Das Grab, ja, das Grab nur, es harrt schon meiner!

ASHTON
O welche bange Stunde.

LUCIA
Dunkle Nacht umhüllt mich!

ASHTON
Höre! Tot ist der König,
Unweigerlich besteigt
Den Thron jetzt Maria.
Im Staub liegt die Partei,
Der ich in Treue angehörte.

LUCIA
Ach, ich bebe!

ASHTON
Arthur allein kann mich
Nur noch retten, ja, er nur!

LUCIA
Und ich - ich sollte?

ASHTON
Die Hand ihm reichen!

LUCIA
O Bruder!

ASHTON
Er kann mich retten!

LUCIA
Mich bindet ein Eid!

ASHTON
Du musst mich retten!

LUCIA
Doch-

ASHTON
Du musst es!
Er will gehen

LUCIA
O Gott! O Gott!

ASHTON
kehrt zurück,fasst brutal ihre Hand
Könntest du mich jetzt betrügen,
Dann hat alles nun ein Ende.
Ehre raubst du mir und Leben,
Gibst dem Henkerbeil mich hin!
Ja, du wirst im Traum mich sehen
Drohend dir als Geist erscheinen,
Und das Beil mit meinem Blute
Schwebe stets vor deinem Sinn!

LUCIA
Du, der alle Tränen zählet,
Der du liesest in meinem Herzen,
Wenn ich nicht in diesen Schmerzen
Ganz von dir verlassen bin:
O so nimm mir, Herr der Güte,
Dieses Leben, das zur Qual mir,
Im Geschick, das mich vernichtet,
Ist der Tod für mich Gewinn!

ASHTON
Es harrt schon dein der Bräutigam!

LUCIA
Ach, im Grabe!

ASHTON
Du musst mich retten!

LUCIA
Dunkle Nacht umschattet mich!

ASHTON
Kannst du länger widerstreben,
Mein Geschick ist dann entschieden!
Ehre raubst du mir und Leben,
Führst mich selbst dem Henker zu!

LUCIA
Kann mein Schicksal sich nicht wenden,
O so lass mein Leben enden!

ASHTON
Ja, im Traum wirst mit Grauen -

LUCIA
Ew'ger Gott, ach, hab Erbarmen,
Send als Retter mir den Tod!
Sende mir den Tod!

ASHTON
Jenes blut'ge Beil du schauen,
Das des Bruders Haupt bedroht!
Das mich bedroht!

Er stösst ihre Hand von sich und stürmt hinaus


DRITTER AUFTRITT
Raimondo. Lucia

Nr. 6 - Szene und Arie

LUCIA
Du bist's!

RAIMONDO
schmerzlich
Von deiner Hoffnung
Schwand nun der letzte Strahl dahin!
Begründet schien mir dein Argwohn,
Dass deine Briefe an den Geliebten,
Die nach Frankreich du sandtest,
Vom Bruder aufgefangen,
Nie ihr Ziel erreichten.
Drum gab ich selber dein letztes Schreiben
In eines sichern Boten Hand.
ergebens! Noch keine Antwort!
Edgards Schweigen bestätigt,
Dass er dich hintergangen.

LUCIA
Ach, und ich sollte -

RAIMONDO
Ergib dich dem Schicksal!

LUCIA
Und meine Schwüre?

RAIMONDO
Wie du dich täuschst! Jene Eheschwüre,
Ohne Segen des Priesters von euch gegeben,
Sind nichtig, vor der Welt nicht gültig.

LUCIA
Ach, freilich, ich will es versuchen,
Doch gegen mein Gefühl sind diese Lehren.

RAIMONDO
Folg meinen Gründen.

LUCIA
O unglückselige Liebe!

RAIMONDO
Oh - lass dich durch mich bewegen,
Flieh Gefahren, die dir drohen,
Deiner sel'gen Mutter Segen
Wird dir dieses Opfer lohnen.
Deines Bruders Glück und Leben
Hängt von dir allein nur ab,
Und du musst den Frieden geben
Deiner Mutter dort im Grab.
Mit tiefem Ernst.)
Bedenk, bedenke:
Deines Bruders Glück und Leben
Hängt von dir allein nur ab.

LUCIA
Schweige, schweige!

RAIMONDO
O bedenke- -

LUCIA
Ah, ah, schweige!

RAIMONDO
Die Mutter -

LUCIA
Ah!

RAIMONDO
Und der Bruder!

LUCIA
Ah, schweige! ja, du siegtest!
Ich bin nicht so hart von Herzen!

RAIMONDO
Sei gesegnet, ja,
So verschwinden alle Sorgen. Sei gesegnet!
Als Opfer für der Deinen Wohl
Gib, Lucia, dich mit Freuden;
Es wird ob solchem Opfer
Freude im Himmel sein!
Ist Menschenhilfe nicht imstand,
Zu heilen deine Leiden,
Ein Gott, ja, ein Gott wird ganz gewiss
Dein Tröster alsdann sein!

LUCIA
Führe mich, du leite mich!
Ich bin so schwach von Willen.
Leidvoll wird meiner warten
Ein Leben voller Pein!
Ja, leite mich, ja ja!

RAIMONDO
Ja, Tochter! - Komm zu dir!
Verscheuche alles Bangen.
O Tochter, lass dir raten! - Ja!
Als Opfer für der Deinen
Wohl Gib dich, Lucia, mit Freuden;
Es wird ob solchem Opfer
Freude im Himmel sein!

LUCIA
Im Himmel sein, ja!

RAIMONDO
Gib dich, Lucia, mit Freuden;
Es wird ob solchem Opfer
Freude im Himmel sein!

LUCIA
Ja!

RAIMONDO
Ist Menschenhilfe nicht imstand,
Zu heilen deine Leiden,
Ein Gott, ja, ein Gott wird ganz gewiss
Dein Tröster alsdann sein!

LUCIA
O Himmel! - Was fang ich an?
Du treulos! - Edgard, du treulos!

RAIMONDO
Ist Menschenhilfe nicht imstand,
Zu heilen deine Leiden,
Ein Gott, ja, ein Gott wird ganz gewiss
Dein Tröster alsdann sein!

LUCIA
Leite mich, du siegtest! - Weh!


ZWEITES BILD
Saal im Schlosse Ravenswood, zum Empfang Lord Bucklaws festlich geschmückt und erleuchtet. Es ist Abend.

VIERTER AUFTRITT
Lord Heinrich Ashton. Lord Arturo Bucklaw, Normanno.
Ritter und Edeldamen als Familienglieder und Gäste.
Soldaten. Pagen. Diener. Bewohner von Lammermoor


Nr. 7 - Finale
Chor und Kavatine


GÄSTE und VOLK
Für dich, o hochwillkommner Gast,
Laut tönen Burg und Säle,
Durch dich belebt nach langem Harm
Hoffnung neu unsre Seele!
Freundschaft ist's, die dich leitet,
iebe erfüllt dir das Herz
Wie Stern' bei düsterm Himmel,
Wie Lächeln unter Schmerz!

BUCKLAW
Verschwunden nur auf kurze Zeit
War euer Stern im Dunkeln;
Durch mich soll er nun wiederum
In voller Schönheit funkeln.
Reich mir die Hand zum Pfande,
Komm, Enrico, an mein Herz!
Denn unsre Freundschaftsbande
Beenden alle Not.

ASHTON
reicht Bucklaw die Hand

GÄSTE und VOLK
Für dich, o hochwillkommner Gast,
Laut tönen Burg und Säle,
Durch dich belebt nach langem Harm
Hoffnung neu unsre Seele!
Freundschaft sei's, die dich leite,
Liebe, sie erfülle dein Herz -

BUCKLAW
Denn unsre Freundschaftsbande
Beenden alle Not.

GÄSTE und VOLK
Wie Sterne bei düsterm Himmel,
Wie Lächeln unter Schmerz!

Szene

BUCKLAW
Wo bleibt Lucia?

ASHTON
Bald werden wir
Sie bei uns sehn. - Wenn gar
Voll Trauer sie erschiene,
O dies befremde, verwirre dich nicht.
Der Mutter Tod betrübte
Tief ihre Kindesliebe.

BUCKLAW
Ich weiss es, ja, ja, ich weiss es.

ASHTON
Zu lange währt die Trauer,
Doch war's ja die Mutter.

BUCKLAW
Doch eine Frage:
Edgardo - Edgardo, hiess es, wollt's wagen,
Mit Frechheit ohnegleichen
In Liebe ihr zu nahen -
Der Verwegene!

ASHTON
Das tat er - er wagt' es - jedoch, Lucia -

BUCKLAW
Genug!


FÜNFTER AUFTRITT
Die Vorigen. Lucia im Brautgewand. Alisa. Raimondo

GÄSTE
Sieh da, Lucia naht!

ASHTON
leise zu Bucklaw
Weint noch um ihre Mutter!
Er tritt Lucia entgegen und führt sie vor
Hier dein Verlobter!

LUCIA
scheint zurücktreten zu wollen

ASHTON
leise zu ihr
Unsel'ge, willst du mein Verderben?
Er geht zum Tisch, zeigt den Ehevertrag und legt ihn bereit

BUCKLAW
Nimm, Teure, meine Schwüre an
Der reinsten, wärmsten Liebe -

LUCIA
wankt

ASHTON
unterbrechend, leise zu Lucia
Unsel'ge!
Indem er zwischen Lucia und Bucklaw tritt, laut zu ihm
Vollziehn wir nun die Hochzeit!

LUCIA
O Himmel!

ASHTON
zu Bucklaw
Tritt näher!

BUCKLAW
tritt an den Tisch und unterschreibt den Ehevertrag
O welches Glück!
Er geht an seinen früheren Platz zurück

ALISA und RAIMONDO
führen Lucia zum Tisch

RAIMONDO
für sich
Tröste, o Gott, die Arme!

LUCIA
für sich
Ich gehe dem Tod entgegen!

ASHTON
leise, drohend zu Lucia herantretend
Zögre nicht! Unterschreibe!

LUCIA
So sei es denn!

ASHTON
wie vorher, gesteigert
Unterschreibe!

LUCIA
unterschreibt in grösster Verwirrung den Ehevertrag
Es ist geschehen, ich Arme!

ASHTON
befreit, für sich
Ha, endlich!
Er tritt zu Bucklaw

LUCIA
für sich
Zu Eis erstarrt mein Blut! Ich sinke!
Lärm ausserhalb

ALLE
Was geschieht? Wer nahet?


SECHSTER AUFTRITT
Die Vorigen. Edgardo auf der Estrade

EDGARDO
im stärksten Ausdruck
Edgardo!!

LUCIA
entsetzt
Edgardo! O Todesstreich!

ALLE ÜBRIGEN
ebenso
Edgardo! Edgardo hier!

Sextett mit Chor

EDGARDO
für sich
Wer vermag's, den Zorn zu hemmen,
Der mein Herz dahingerissen?
Nach Ashton hin
Wie ihn Schreck und Schmerz beklemmen,
Reue peinigt sein Gewissen!
Doch seh ich die Teure beben,
Zwischen Reu' und Furcht sie schweben,
So kann ich nicht widerstreben,
Immer liebt sie noch mein Herz!

ASHTON
für sich
Ob auch schon in wildem Grimme
Meine Hand dies Schwert gezogen,
In mir regt sich eine Stimme
Für die Arme, die belogen.
Meine Schwester, durch mein Streben
Schwebt sie zwischen Tod und Leben!
Mich ergreift mit innerm Beben
Der Gewissensbisse Qual!

LUCIA
sich erholend, aufstehend, zu Alisa
Ach, ich hoffte, dass mein Leben
Bald des Schreckens Beute würde;
Doch der Tod, taub meiner Bitte,
Löst mich nicht von dieser Bürde.
Ja, die Binde ist gefallen,
Seh betrogen mich von allen!
Hätt' ich Tränen nur, im Weinen
Aufzulösen meinen Schmerz!

EDGARDO
für sich
Wer vermag es, den Zorn zu hemmen?
Ha, wer? Wer?
Doch seh ich die Teure beben,
Zwischen Reu' und Furcht sie schweben,
Es schlägt voll Liebe immer noch mein Herz!

ASHTON
für sich
Meine Schwester, durch mein Streben,
Ja, sie ringt mit Tod und Leben;
Im Innern, weh, wühlet das Gewissen!

RAIMONDO
für sich
Worte kann ich keine finden,
Um zu schildern meinen Schrecken;
Finstre Unglückswolken scheinen
Heut den Himmel zu bedecken
So wie Rosen welkend beben,
Schwebt sie zwischen Tod und Leben.
Wer für sie nicht Mitleid fühlet,
Hat fürwahr ein steinern Herz!

ALISA
für sich.
So wie Rosen welkend beben,
Schwebt sie zwischen Tod und Leben.
Wer für sie nicht Mitleid fühlet,
Dem schlägt in der Brust kein Herz!

LUCIA
für sich
Hätt' ich Tränen nur, im Weinen
Aufzulösen meinen Schmerz!

ASHTON
für sich
Ach! Meine Schwester, durch mein Streben
Schwebt sie zwischen Tod und Leben!
Ach, wie mir im Innern wühlt
Der Gewissensbisse Qual!
O Reue, sie durchwühlt mein Herz!

BUCKLAW
für sich
Worte kann ich keine finden,
Um zu schildern meinen Schrecken!
Finstre Unglückswolken scheinen
Heut den Himmel zu bedecken.
Nach Lucia hin
Wer für sie nicht Mitleid fühlt,
Hat fürwahr ein steinern Herz!

EDGARDO
für sich
Ach, ich kann nicht widerstreben,
Immer liebt sie noch mein Herz!

RAIMONDO
für sich
Wer für sie nicht Mitleid fühlet,
Hat fürwahr ein steinern Herz!

CHOR
unter sich
So wie Rosen welkend beben,
Schwebt sie zwischen Tod und Leben!
Wer für sie nicht Mitleid fühlet,
Hat fürwahr ein steinern Herz!


Schlussszene

ASHTON, BUCKLAW
zu Edgardo
Eile fort aus diesen Hallen,
Sonst musst du durchs Schwert hier fallen!
Sie ziehen die Schwerter

RITTER
Eile fort aus diesen Hallen!

EDGARDO
Fallen werd ich, doch ich schwöre:
Ich fall sicher nicht allein!

ASHTON, BUCKLAW und NORMANNO
dringen auf Edgardo ein

RAIMONDO
mit Grösse zwischen Edgard und Ashton tretend
Gebet Gott, dem Höchsten, Ehre,
Stecket eure Schwerter ein!
Ich gebiet's in seinem Namen;
Sucht sein Beispiel nachzuahmen.
Friede! Friede! ja, seine Gnade
Will nicht Mörder; die Schrift sagt's klar:
Wer durchs Schwert den Nächsten schädigt,
Wird durchs Schwert gerichtet sein,
Friede! Friede!

Alle stecken die Schwerter ein

ASHTON
einige Schritte auf Edgardo zugehend und ihn verächtlich messend
O Verwegner - in diese Mauern
Sag, was führt dich?

EDGARDO
stolz
Mein Verhängnis! Meine Rechte!

ASHTON
Ha, Verwegnerl

EDGARDO
Ja, Lucia schwur zuvor schon Treue mir!

RAIMONDO
zwischen Lucia und Edgard tretend
Freund! Oh, entsage dieser Liebe!
Sie ist Braut schon!

EDGARDO
Braut schon? Nie!

RAIMONDO
nimmt den Ehevertrag und zeigt ihn Edgard
Sieh hier!

EDGARDO
nachdem er gelesen, mit einem wilden Blick auf Lucia
Sage - Ha! Du zitterst!
Deine Hand ist's!
Er zeigt auf die Unterschrift
So gib mir Antwort!
Deine Hand ist's! Nun, erkläre!

LUCIA
leise
Ja.

EDGARDO
Nimm hin denn dein Pfand, du untreues Herz!
Er nimmt ihren Ring von seinem Finger und gibt ihn ihr zurück

LUCIA
Ah!

EDGARDO
Gib das meine!

LUCIA
in grösster Angst
So hör!

EDGARDO
Das meine!

LUCIA
gesteigert
Edgardo! Edgardo!
In grösster Angst weiss sie kaum, was sie tut, zieht seinen Ring von ihrem Finger

EDGARDO
reisst ihn sogleich an sich
Untreu wardst du dem Himmel und mir!
O verflucht, ja, verflucht sei jene Stunde,
Als wir schwuren diesem Bunde!
Er wirft den Ring zu Boden und tritt ihn mit Füssen; zu Ashton.)
Stammverhasster, o Stammverruchter,
Fliehen sollt' ich vor dir?

LUCIA
entsetzt
Weh!

EDGARDO
Ha! Gottes Arm in seinem Fluche
Soll dich treffen!

BUCKLAW
Viel wagt er hier!

ASHTON
Er wagt es hier! - Fort denn! - Fort denn!

RAIMONDO
mahnend
Friede!

CHOR
Er wagt es hier!

RAIMONDO
Unglücksel'ger, entflieh den Gefahren,
Such dein Leben und dich zu bewahren.
Leb! Die Zeit, ja, sie heilt alle Wunden,
Auch für dich wird ja Hilfe noch sein.

ASHTON und RITTER
Fort! Entfliehe den tödlichen Streichen!
Noch vermagst du's, von hier zu entweichen,
Doch der Zorn, der im Herzen uns lodert,
Holet in kurzem, Verruchter, dich ein!

LUCIA
in die Knie sinkend
Schütz ihn, Gott, in so schrecklicher Stunde!
Hör die Bitte aus bebendem Munde
Einer Armen, versunken in Leiden,
Die auf Erden nicht glücklich kann sein!
Hör dies Flehen vor meinem Verscheiden,
Du kannst helfen, ja, du nur allein! O Gott!
Sie steht auf

EDGARDO
sein Schwert von sich werfend und seine Brust seinen Gegnern darbietend
Stosst mich nieder, das Hochfest beginne
Durch ein Opfer betrogener Minne;
Wenn mein Blut diesen Boden besudelt,
O wie wird dies die Grausame freun!
Und mein Leichnam, von Wunden starrend,
Wird ihr Stufe zum Traualtar sein.

RAIMONDO
Unglücksel'ger, o entfliehe!
Leb! Die Zeit, sie heilt die Wunden,
Auch für dich wird einst Hilfe noch sein!

ALISA
Unglücksel'ger, entflieh den Gefahren!
O such dein Leben, dein Leben zu wahren!
Ah, geh, geh, geh, fliehe, fliehe!
Ja, auch für dich wird einst Hilfe noch sein!

ASHTON
Fort hier! - Geh! - Entfliehe! - Geh, geh!
Der Schandfleck, der Rache erfordert,
Wird mit Blute gewaschen sonst sein!

BUCKLAW
Wird mit Blut einst gewaschen noch sein!
Geh! - Geh! - Geh! - Geh fort denn, fliehe!
Er wird mit Blute gewaschen einst sein!

NORMANNO und RITTER
Fort hier! - Geh!
Wird mit Blute einst gewaschen noch sein!
Geh! - Geh! - Fort denn, fliehe!
Er wird mit Blute gewaschen einst sein!

LUCIA
Schütz ihn, Himmel, in so schrecklicher Stunde,
O hör die Bitte aus bebendem Munde!
Schütz ihn, Hinimel, schütz ihn, schütz ihn!
Hör dies Flehen vor meinem Verscheiden,
Du kannst helfen allein, ja, du allein! O Gott!

EDGARDO
Nein, nein, so tötet mich!
Wenn mein Blut diesen Boden besudelt,
O wie wird es sie freun!
Stosst mich nieder, ja, mein Leichnam
Wird ihr Stufe zum Brautaltar sein!
Ja und mein Leichnam, von Wunden starrend,
Wird am Altar ihr Stufe dann sein!

RAIMONDO
Ach, lebe, es heilet ja die Zeit alle Wunden,
Auch für dich wird ja einst Hilfe noch sein!
Unglücksel'ger, entflieh den Gefahren,
Such dein Leben für sie zu wahren!
Leb, die Zeit, ja, sie heilt alle Wunden,
Ja, auch für dich wird einst Hilfe noch sein!
O ja, wie oft schon nach traurigen Stunden
Stellt sich Glück und Zufriedenheit ein!
Fliehe, ja, auch für dich wird einst Hilfe noch sein!

ALISA
Unglücksel'ger, entflieh den Gefahren,
Such dein Leben, dein Leben zu wahren!
Lebe, es heilet die Zeit alle Wunden,
Auch für dich wird ja Hilfe noch sein!
O ja, o ja! Himmel, Himmel, fliehe!
Auch für dich wird einst Hilfe noch sein!
O wie so oft schon nach traurigen Stunden
Stellt sich Glück und Zufriedenheit ein!
Fliehe, ja, auch für dich wird einst Hilfe noch sein!

ASHTON
Fort denn, fliehe! - Geh, entfliehe!
Der Schandfleck wird blutig gewaschen einst sein,
Er wird noch mit Blute gewaschen einst sein!
Ja, fort denn, fliehe den tödlichen Streichen,
Noch vermagst du es, von hier zu entweichen!
Doch der Zorn, der im Herzen uns lodert,
Holet, Verruchter, in kurzem dich ein!
Ja, ja, der Schandfleck, der Rache erfordert,
Wird mit Blute gewaschen einst sein!
Fort denn, fliehe, er wird mit Blute gewaschen einst sein!

BUCKLAW
Fort denn, fliehe - vor den tödlichen Streichen,
Noch vermagst du es, von hier zu entweichen
Doch der Zorn, der im Herzen uns lodert,
Holet, Verruchter, in kurzem dich ein!
Ja, ja, der Schandfleck, der Rache erfordert,
Wird mit Blute gewaschen einst sein!
Fort denn, fliehe, er wird mit Blute gewaschen einst sein!

EDELDAMEN, PAGEN
Unglücksel'ger, entflieh den Gefahren,
Such dein Leben für sie zu bewahren!
O lebe, es heilet ja die Zeit einst die Wunden!
Ach, ja! Ach, ja! - Fliehe! - Fliehe, fliehe!
Ja, auch für dich wird einst Hilfe noch sein!
O ja, wie oft schon nach traurigen Stunden
Stellt sich Glück und Zufriedenheit ein!

NORMANNO und RITTER
Fort denn, fliehe - flieh den tödlichen Streichen,
Noch vermagst du es, von hier zu entweichen!
Doch der Zorn, der im Herzen uns lodert,
Holt, Verruchter, in kurzem dich ein!
Ja, ja, der Schandfleck, der Rache erfordert,
Wird mit Blute gewaschen einst sein!
Fort denn, fliehe, er wird mit Blute gewaschen einst sein!

DRITTER AKT

Orchestervorspiel

ERSTES BILD
Saal in dem allein noch im Besitze Edgards von Ravenswood verbliebenen Turrne von Wolferag. Es ist in der Nacht. Blitz und Donner, Sausen des Windes, Rauschen des Regens.

ERSTER AUFTRITT
Edgardo von Ravenswood allein

Nr. 8 - Rezitativ

EDGARDO
Furchtbar ist dieser Abend,
Wie gleicht er meiner Lage!
Starker Blitz und Donnerschlag
Ja ' brüll, o Donner!
Kreuzt euch, ihr Blitze, fürchterlich,
Vernichtet sei jedes Werk der Schöpfung,
Das Weltall sinke!
Wenn ich nicht irre, hör ich Hufschlag nahen -
Ja, 's ist ein Ross - jetzt hält es!
Wer ist's, der trotz dem Wetter,
Wo Elemente rasen,
Sich meiner Burg mag nahen?


ZWEITER AUFTRITT
Ashton. Edgardo

ASHTON
den Mantel abwerfend
Ich bin's!

EDGARDO
Welche Kühnheit!

Nr. 9 - Duett

EDGARDO
erstarrt
Ashton!

ASHTON
Ja!

EDGARDO
Wie kannst du's wagen,
Dich zu zeigen in meinem Hause!

ASHTON
Ja, ich tat's dir zum Verderben!

EDGARDO
Verruchter!

ASHTON
Büssen sollst du deinen Frevel!

EDGARDO
Hier, wo noch der Rache harrend,
Meines Vaters Geist verweilet,
Droht dir Tod von allen Seiten,
Wo dein Fuss auch immer schreitet.
Diese Schwelle überschreitend,
Zittern solltest du fürwahr,
Wie wer nah am Abgrund gleitend
Schaudernd bebt vor der Gefahr!

ASHTON
mit wilder Freude
Wisse, alles ist zu Ende.
Ja, Lucia ist vermählet!

EDGARDO
für sich
Wie die Eifersucht er schüret
Und durch Spott mein Herz verhöhnet -

ASHTON
Ja, vermählet schon!

EDGARDO
für sich
Mein Herz noch höhnet!
laut
Und dann? - Was noch?

ASHTON
So höre! Laut ertönen alle Säle
Von der frohen Hochzeitsfeier;
Stärker doch in meiner Seele
Brannt' der Rache lodernd Feuer.
Hierher wie vom Sturm getragen,
Reisst mich ihre wilde Glut,
Und der Elemente Wüten
Mischte sich mit meiner Wut!

EDGARDO
für sich
Wie durch Spott mein Herz er höhnet -

ASHTON
Und der Elemente Wüten
Mischte sich mit meiner Wut.

EDGARDO
mit Ungeduld
Wohlan, was willst du?

ASHTON
So höre mich!
Rächend die Schmach der Meinen
Ist schon der Sühne Schwert gezückt,
Richtend ich dir erscheine,
Sühnend die Schmach der Meinen!
Dich töte kein andrer, o nein,
Du fällst durch mich, durch mich allein!

EDGARDO
Ja, meinem Vater schwur ich es,
Das Herz dir zu zerspalten.

ASHTON
Du!?

EDGARDO
Ja!

ASHTON
Du!

EDGARDO
mit Unwillen
Wann - denn?

ASHTON
Der nächste Morgen sei
Der Rache vorbehalten.

EDGARDO
Wo? Sprich!

ASHTON
An dem Begräbnisort
Der Ravenswood.

EDGARDO
Ich komm! Ja, ich komm, ich komm!

ASHTON
Ja, dort zu ruhn bereite dich!

EDGARDO
Dort findest du deinen Tod!

ASHTON
Am nächsten Morgen!

EDGARDO
Am nächsten Morgen!

BEIDE
Ha! Auf, eile, o Sonne,
Erstrahle vorn Himmel,
Beschein' in blutigem Glanze
Das Waffengetümmel,
Die furchtbare Fehde
Des tödlichsten Hasses,
Der furchtbarsten Rache!
Auf, eile, o Sonne,
Bescheine die Fehde
Des tödlichsten Hasses,
Der grimmigsten Wut!

EDGARDO
Ich schwur es, dir's Herz zu zerspalten.

ASHTON
Bald werde ich gerochen sein!

EDGARDO
Bei den Gräbern der Ravenswood!

ASHTON
Bereit werd ich sein!

BEIDE
Ha! ja, grausam regieren
Dann unsere Seele,
Aufheulend nach Rache,
Die Geister der Hölle!
Der Sturm hat den höchsten Grad erreicht
Des Donners Gebrause,
Des Sturmes Gesause,
Es gleicht meines Zornes
Verzehrendem Wüten!
Auf, eile, o Sonne,
Bescheine die Fehde
Des tödlichsten Hasses,
Der grimmigsten Wut!
Bescheine die Fehde,
Die furchtbare Fehde
Des tödlichsten Hasses,
Der grimmigsten Wut!

ASHTON
stürmt hinaus


ZWEITES BILD
Saal im Schlosse Ravenswood, wie im zweiten Akte, zu Lucias Vermählung festlich geschmückt und erleuchtet.
Es ist Abend.


DRITTER AUFTRITT
Ritter und Edeldamen. Pagen. Diener. Bewohner von Ravenswood

Nr. 10 - Chor

CHOR
In frohem Jubelklang
Freut euch, ihr Brüder!
Laut tön' die Freude
In Schottland nun wieder;
Wiss' es der Feinde Schar,
Dass wir zufrieden,
Dass uns gewogen noch
Die Sterne sind. -
Dass uns die Furcht nunmehr
Nimmer belastet,
Freundschaft und Liebe
Bürgen für uns.
Wiss' es der Feinde Schar,
Dass wir zufrieden,
Dass uns gewogen noch
Die Sterne auch sind.


VIERTER AUFTRITT
Die Vorigen. Raimondo

Nr. 11 - Grosse Szene mit Chor

RAIMONDO
Lasst verstummen jeglichen Jubel!

EINIGE
Wie bist du so todesblass!

RAIMONDO
Schweiget! Schweiget!

CHOR
Gott, was bringst du?!

RAIMONDO
Arthur ist ermordet!

CHOR
Ha! Wir sind erstarrt vor Schreck!

RAIMONDO
Ach!
Er gibt ein Zeichen

ALLE
treten erwartungsvoll näher

RAIMONDO
Aus des Brautpaars geheimem Zimmer,
Wo sie sich zurückgezogen,
Hört ich deutlich banges Stöhnen
Wie ein Sterberöcheln dringen.
Eilends trat ich in Jene Kammer -
Ha, wer schildert mein Entsetzen.
Denn hier lag in seinem Blute
Tot Arthur, dahingemordet.
Und die Braut mit irrem Blicke,
Hielt sein Schwert noch blutbesudelt.
Lächelnd tat sie mir die Frage:
»Ha, wo ist mein Bräut'gam, sage!«
Und aus ihrem irren Blicke
Starrte ein verwirrter Sinn.
Unglückseliges Geschehen,
Ihr Verstand, er ist dahin!

CHOR
O schweres Unglück! Ach, welcher Schrecken!
Oh, dies Ereignis, nicht auszudenken.
O Nacht, mit deiner dichtesten Hülle,
Sink auf die Schreckenshochzeit herab!

RAIMONDO
Ach, komme niemals auf unsern Scheitel
Des Himmels Strafgericht herab.

CHOR
Ach, komme niemals auf unsern Scheitel
Des Himmels Strafgericht herab.

RAIMONDO
Lächelnd tat sie mir die Frage
Und hielt noch das Schwert in Händen.

CHOR
Und hielt noch das Schwert in Händen!

RAIMONDO und CHOR
Ach! komme niemals auf unsern Scheitel
Des Himmels Strafgericht herab!

Nr. 12 - Szene und Wahnsinnsarie

RAIMONDO
Seht, sie naht!


FÜNFTER AUFTRITT
Die Vorigen. Lucia, gefolgt von Alisa und Normanno

CHOR
entsetzt
Gerechter Himmel!
Ist sie vom Tod erstanden?

LUCIA
O süsse Töne!
Ich vernahm seine Stimme.
Ach, jene Stimme Drang mir in Herzenstiefen.
Edgardo, du hast mich wieder!
Entflohen bin ich deinen Feinden!
Ein Schauer rieselt kalt mir durchs Herz,
Durch alle Glieder.
Mein Fuss, er wankt! Hier bei der Quelle setz dich
Mir zur Seite. - O weh! Der blut'ge Schatten
Erhebt sich, um uns zu scheiden! O weh! O weh!
Edgardo, Edgardo, sieh, der Schatten will uns scheiden.
Hier am Altar, Edgardo, wird er uns meiden.
Siehst du die Rosen? Des Himmels Harmonien
Hörst du ertönen? - Ach, lieblich
Klingen die Hymnen, die Hochzeit für uns beginnt schon!
O welche Freude! Edgardo, Edgardo, o welche Freude!
O Wonne, die ich fühle,
Nicht zu beschreiben!
Schon glimmt der Weihrauch,
Schimmern die heiligen Kerzen;
Im Messgewande
Naht uns der Priester.
Reiche mir die Rechte!
O Tag der Freude!
Endlich bin dein ich,
Du bist der Meine,
Wir sind auf immer verbunden.

RAIMONDO und NORMANNO
In dieser Schicksalsstunde
Nimm, Herr, dich ihrer an!

LUCIA
Der Erde höchste Wonne
Sei mir mit dir beschieden!

CHOR
Nimm, Herr, dich ihrer an!

LUCIA
Ein Himmel sei hienieden
Für uns des Lebens Bahn!

RAIMONDO und NORMANNO
O Herr!

RAIMONDO
sieht nach hinten
Es nahet Ashton!


SECHSTER AUFTRITT
Die Vorigen. Ashton

ASHTON
Saget mir, wahr ist die Schreckenskunde?

RAIMONDO
Wahr, ja, nur zu wahr!

ASHTON
Ha! Falsche du!
Die Strafe folgt zur Stunde!

CHOR
beschwörend
Halt ein, Herr!

RAIMONDO
ebenso
O Himmel! Siehst du
Nicht, wie sie leidet?

LUCIA
im Wahnsinn zu Ashton
Was willst du? Was willst du? -
Ach, weh Armen mir!

ASHTON
Ha! Totenbleich!
O Himmel!

RAIMONDO
Wahnsinn hat sie ergriffen,
Ja, zittre, Mitleidloser!
Denn du hast ihn verschuldet!

LUCIA
zu Ashton
Blick mich nicht an so teuflisch,
Ich unterschrieb wohl, freilich!
Ha, übermannt von toller Wut,
Trat er den Ring mit Füssen!
Sein Fluch traf mich. Ach, alles dies
Lässt mich ein Bruder büssen.
Doch treu blieb ich dem Schwure,
Edgardo, ja, immer liebt' ich dich,
Ach, und liebe dich noch!

RAIMONDO und ASHTON
Ach, nimm, Herr, dich ihrer an!
Hilf, o Gott!

LUCIA
Geliebter Edgard, ja, ich schwöre,
Dich liebt'ich immer, dich lieb ich noch!
Ja, immer lieb ich dich, ja, ich liebe dich noch!
Wen kannst du nennen? Den Toten?
Ja, du nanntest - den Toten!

ASHTON
macht eine Wendung, um zu gehen

LUCIA
Ach, fliehe nicht! O höre mich! Nein, fliehe nicht!
Flehend
O verzeih! - O verzeih! Verzeih!

CHOR
Unglücksel'ge! Ach, nimm, Herr, dich ihrer an!
O Nacht voll Schreck und Graun!

ASHTON
Lucia! Lucia! O Himmel! Ach, Lucia!

LUCIA
kniet nieder
Ach, nein! Fliehe nicht, o Edgardo!
Netze mit einer Träne
Noch meines Grabes Hügel,
Im Himmel, o Geliebter,
Will beten ich für dich!
Nur ganz mit dir verbunden,
Erfreut der Himmel mich!

RAIMONDO und ASHTON
Reue, zu späte Reue
Nagt tief im Herzen mir.

CHOR
So tödlich sie verwunden,
Ist grausam sicherlich!

LUCIA
Ah! Netze mit einer Träne
Noch meines Grabes Hügel,
Im Himmel, o Geliebter,
Will beten ich dann auch für dich!
Nur ganz mit dir dort verbunden,
Erfreut der Himmel mich!
Ach, dir zur Seite gern stürbe ich!

RAIMONDO und ASHTON
Ach, Reue, zu späte Reue
Zernagt im Innern nun mich!

CHOR
Ach, so tödlich sie verwunden,
Ist grausam sicherlich!


Nr. 13 - Szene

ASHTON
Geleite sie, Alisa!
zu Raimondo
Ehrwürd'ger Freund! -
O wachet, der Armen bleibt zur Seite!
Und ich für immer
Bin nun gerichtet!
Er eilt in der grössten Bestürzung davon. Die übrigen, ausser Raimondo und Normanno, folgen ihm


SIEBENTER AUFTRITT
Raimondo. Normanno

RAIMONDO
zu Normanno
Ja, dein Ziel - erreicht ist's!
Nun triumphiere!

NORMANNO
Was meinst du?

RAIMONDO
Tor, jener Flamme,
Die mit blindem Wüten
Dieses Haus nun ergriffen und ganz vernichtet,
Liehst du den ersten Funken!

NORMANNO
Wer konnte ahnen -

RAIMONDO
An dem vergossnen Blute,
Arger, trägst du nur
Die Schuld allein!
Laut schreit dies Blut nach Sühne!
Schon sprach des Höchsten Stimme
Dein Urteil aus. Geh!
Bebe vor seinem Grimme!


DRITTES BILD
Einsamer Platz, Begräbnisort der Ravenswood. Es ist Nacht. Mondschein

ACHTER AUFTRITT
Edgardo von Ravenswood allein


Nr. 14 - Rezitativ, Arie und Finale

Rezitativ

EDGARDO
Ihr Gräber meiner Ahnen!
Den letzten Sprössling
Des unglücklichen Stammes,
O nehmt ihn friedlich auf! Der Rachsucht Flamme
Ist schon verlodert, ja, des Feindes Klinge
Durchbohre meine Brust. Mir ist mein Leben
Nur eine Bürde, und die ganze Welt
Wie eine Wüste ohne dich, Lucia! -
Verklungen ist der Jubel auf dem Schlosse.
Ach, kurz nur war die Nacht zum frohen Feste.
O Undankbare!
Indes ich leide in der Verzweiflung Qualen,
Du unter heitern Scherzen
Lachst dem Gatten zur Seite!
Ich an des Grabes Rande - du voller Freude!

Arie

Dies Herz, das heiss und treu geliebt,
Bald wird es nicht mehr schlagen,
Und ohne Klage, still und stumm
Wird man's zu Grabe tragen!
Mein Tod wird wie mein Leben sein,
Kein Auge weint um mich.
Auch du, die einst mir alles war,
Wirst meiner kaum gedenken,
Doch solltest einst die Schritte du
Nach meinem Grabe lenken,
So denk, hier ruht ein treues Herz,
Es litt und brach für dich!


NEUNTER AUFTRITT
Edgardo. Ritter als heimkehrende Hochzeitsgäste

Finale

DIE RITTER
Ach, die Arme! O Schreckensnacht!
Ja, es ist um sie geschehen!
Schwerlich werden ihre Blicke
Noch den nächsten Morgen sehen!

EDGARDO
Gott! Was hör ich? Sprecht, o sprechet!

DIE RITTER
Ach, dieArme!

EDGARDO
Wem gilt eure wilde Klage?
Gebt mir Antwort, sagt es mir!

DIE RITTER
Ach, Lucia!

EDGARDO
Lucia? O Himmel!

DIE RITTER
Ach, dieArme!

EDGARDO
O so saget- -

DIE RITTER
Ja, die Arme liegt im Sterben-

EDGARDO
Ach!

DIE RITTER
Flieht aus dieser Welt des Leidens,
Liebe raubte ihr die Sinne;
Schon fühlt sie des Todes Bangen,
Nur nach dir steht ihr Verlangen.

EDGARDO
Ach, Lucia? Stirbt sie?

DIE RITTER
Ihrer Augen trübe Blicke
Werden nicht den Morgen sehen;
Liebe raubte ihre Sinne,
Nur nach dir steht ihr Verlangen.

EDGARDO
Ach, was sagt ihr? Sterben wird sie?
Nicht den Morgen wird sie sehen?

DIE RITTER
Liebe raubte ihr die Sinne,
Für dich, ja, ja, für dich!
Dumpfe Töne der Sterbeglocke

DIE RITTER
Die Sterbeglocke läutet,
Ruh in Frieden!

EDGARDO
Wie sie ins Herz mir dröhnet!
Ha, mein Schicksal ist entschieden!

DIE RITTER
O höre!

EDGARDO
Noch einmal will ich sie sehen!

DIE RITTER
Sammle deines Geistes Stärke!
O gib unserrn Rat Gehör!

EDGARDO
Sehn noch einmal und dann enden!


ZEHNTER AUFTRITT
Raimondo, Edgardo. Die Ritter zurückstehend

RAIMONDO
Armer! Wohin willst du eilen?
Ach, Lucia ist nicht mehr!

EDGARDO
Lucia!

RAIMONDO
Unglücksel'ger!

EDGARDO
Lucia ist nicht mehr?
Ist es Wahrheit?

RAIMONDO
Die Wahrheit!

EDGARDO
Lucia ist nicht mehr!

DIE RITTER
Unglücksel'ger! Unglücksel'ger! -

EDGARDO
Du, die schon in Himmelshöhen,
Reiner Geist auf lichten Schwingen!
Lass Verzeihung mich erringen!
Dein Getreuer folge dir!
Ach, wenn hier auf dieser Erde
Uns bedrohten nur Gefahren,
Wenn wir hier geschieden waren,
Eint ein Gott mich dort mit dir.
Holdes Bild der reinsten Liebe,
Bald vereint dich Gott mit mir!
Er zieht rasch seinen Dolch und durchbohrt sich
Sieh! Ich folge!

RAIMONDO
Unbesonnener! Ha, was tust du?

DIE RITTER
Ha, was tust du? Ha, was tust du?

EDGARDO
Lasst, o lasst mich! Sterben will ich!

DIE RITTER
Kehr uns zurück! Kehr uns zurück!

EDGARDO
Nein, nein, nein!
Er sinkt zu Boden

DIE RITTER
Weh!

RAIMONDO
Ha, was tatst du?

EDGARDO
Sieh, ich folge, reine Seele!
Sieh, dein Treuer, ja, er folgt dir!
Ach, wenn hier, auf dieser Erde,
Gefahr uns drohte, reine Seele,
Uns verbindet doch Gott nun auf immer!
O holde reine Seele!
Bald vereint mich Gott mit dir!
Holdes Bild der reinsten Liebe,
Bald vereint midi Gott mit dir.

RAIMONDO
Unglücksel'ger! Gott steh dir bei!
Mit zum Himmel gehobenen Händen
O Gott, vergib ihm sein Vergehen!

DIE RITTER
Weh, er stirbt, er stirbt!

RAIMONDO und RITTER
O welch schreckensvolles Ende!
Kniend
Gott! Vergib ihm sein Vergehen!