Libretto: Luisa Miller

von Giuseppe Verdi


Ouvertüre

ERSTER AKT: Liebe

ERSTES BILD
Liebliches Dorf. Auf der einen Seite das bescheidene Haus von Miller, auf der anderen die ländliche kleine Kirche, in der Ferne, zwischen Bäumen sichtbar, die Türme des Schlosses von Walter.
Ein sehr klarer, frühlingshafter Sonnenaufgang am Horizont: die Bewohner des Dorfes kommen zusammen, um Luises Geburtstag zu feiern.


LAURA, BAUERN
Erwache, Luise, Königin der Herzen;
schon wirft die Sonne ihre Strahlen auf die Berge:
Zusammen mit dem Licht eines so fröhlichen Tages
führt uns zu dir eine enge Freundschaft:
Lieblich ist die Morgendämmerung im April,
aber nicht so anmutig wie dein Gesicht:
Rein und sanft ist die Brise,
doch weniger sanft, weniger rein als du.

MILLER
Da kommt meine Tochter.

LUISE
Liebe Freundinnen!
BAUERN
Möge dir der Himmel wohlgesonnen sein.

LAURA
Bald werden wir gemeinsam
in der Kirche darum bitten.

MILLER
Eure Zuneigung
zwingt mich zu Tränen der Rührung.
Heilig ist dem Vater der Tag, der jetzt anbricht:
Denn dieser schenkte mir Luise!

LUISE
bei sich
Er kommt noch nicht!
Von ihm getrennt, kann ich mich nicht freuen.

MILLER
Meine Tochter, die Liebe kaum erweckt in dir,
lässt schon solche Flammen lodern!
Oh, möge so eine grosse Liebe nicht
dem neuen Herrn gelten, diesem Karl,
der bei Hofe allen gänzlich unbekannt ist.
Ich bin besorgt.

LUISE
Habe keine Angst;
Kein Mensch hat einen so edlen Geist,
eine solche Seele reich an Tugend wie er.
Er liebt mich. Ich liebe ihn.
Ich sah ihn, und mein Herz
spürte das erste Pochen der Liebe;
Er sah mich, und sein treues Herz
schlug für mich.
Auf dieser Erde erkannten sich unsere Seelen, die sich trafen,
Gott hat sie im Himmel geschaffen,
dass sie einander lieben!

LAURA. BAUERN
indem alle, zuerst die Frauen, dann die Männer ihr Blumensträusse schenken
Luise, nimm dieses einfache Pfand
unserer Freundschaft an.

LUISE
Dankbar bin ich euch von Herzen,
liebste Freundinnen!
Sie sieht plötzlich einen jungen Jäger, der zusammen mit den anderen ihr seine Blumen schenkt.
Ach!

RUDOLF
Meine Liebste!

MILLER
aufgeregt bei sich
Er ist's!

RUDOLF
Guter Vater!

LUISE
Umarme ihn,
er liebt dich wie ein Sohn.
RUDOLF
grüsst die Bauern
Freunde …
zu Luise
Bist du glücklich?

LUISE
Ich bin voll Freude!

LAURA. BAUERN
Die Liebe macht euch vollkommen glücklich.

LUISE, RUDOLF
Vollkommen glücklich? Es ist wahr.
In deiner Nähe lebt mein Herz
nur für die Freude.

LUISE
Ich liebe dich mit einer Liebe,
die man nicht beschreiben kann!
Nicht einmal die Kälte des Todes
kann so eine glühende Liebe auslöschen;
Gott hat unsere Herzen
durch ein ewiges Band vereint:
wenn wir einst von der Erde scheiden,
im Himmel werden wir uns lieben!

RUDOLF
Ich liebe dich mit einer Liebe usw.

MILLER
bei sich
Ich weiss nicht, welche warnende Stimme
aus meinem Herzen spricht ...
Ich Armer, wenn sie das Opfer
eines Verführers wird!
Guter Gott, lass nicht geschehen,
dass solch Schicksal sie erleidet.
Solch grausamer Schmerz
würde das Grab mir öffnen.

LAURA, BAUERN
Eine einzige Seele, eilt einziger Wunsch
belebt die Herzen der beiden!
Nie gab es so eine Liebe
so heiss und so treu!

Man hört das Läuten der Kirchenglocken.

ALLE
Hört! Die Glocken läuten;
Gehen wir, der Himmel lädt uns ein.

Alle gehen singend von der Bühne und treten langsam in die Kirche ein; nur Miller bleibt zurück.

Wurm tritt ein.


WURM
Bleib hier und höre!

MILLER
Wurm!

WURM
Ich hörte alles!
Eifersucht brennt in meiner Brust!
Ich liebe deine Tochter.
Vor einem Jahr
bat ich dich um ihre Hand.
Du sagtest nicht nein,
und jetzt, wo das Gluck
mir günstig lächelt,
jetzt, wo der neue Herr
mehr als der alte
sein Wohlwollen mir schenkt,
jetzt wagst du,
dein Versprechen nicht zu halten!

MILLER
Hör auf!
Ich versprach dir meine väterliche Zustimmung,
wenn meine Tochter dich lieben würde.

WURM
Hättest du sie nicht vielleicht
zu der Hochzeit zwingen können?
Hast du denn keine Macht über sie?

MILLER
Wie sprichst du?
Heilig ist die Wahl des Gemahls,
sie soll vollkommen frei sein:
Das Band, das nur der Tod zu lösen vermag,
darf nicht durch Zwang zustande kommen:
Ich bin kein Tyrann, ich bin Vater.
Den Herzen der Kinder kann man nicht befehlen.
Auf Erden gleicht der Vater einem Gott
durch seine Güte, nicht durch seine Strenge.

WURM
Alter, schwacher Mann,
deine Liebe wird dich noch
sehr teuer zu stehen kommen!

MILLER
Erkläre dich!
WURM
Unter falschem Namen
zeigte sieh euch
der geliebte junge Mann.

MILLER
Ist es wahr? Du kennst ihn?

WURM
Du sollst es wissen:
Er ist der Sohn des stolzen Walter.

MILLER
Himmel! Sagst du der Sohn?

WURM
Deines Herren. Leb wohl.

MILLER
Und doch …

WURM
Du hast begriffen.
geht ab

MILLER
Er hat mein Herz gebrochen!
Ach! Begründet war die böse Ahnung!
Zorn und Schmerz erfüllen mein Herz!
Das heiligste aller Güter,
Die Ehre, will ich ohne Flecken bewahren.
Himmel, du schenktest mir eine Tochter,
ich bin darüber glücklich,
bewahre dem Vater die Tochter,
bewahre dem Vater dein Geschenk.

Geht ab.

ZWEITES BILD
Saal in Walters Schloss
Walter erscheint, gefolgt von Wurm.


WALTER
Was erzählst du?
Hat er den Verstand verloren?

WURM
Herr, Ihr kennt diesen Hitzkopf.

WALTER
Die Herzogin wird bald hier sein!
Sag ihm, ich will ihn sprechen.
Wurm zieht sich mit den Dienern zurück.
Ach, alles ist mir günstig,
nur du, mein Sohn, nur du wagst es!
Du weisst nicht, wieviel mich dein Glück kostet!
Oh! Möge er es nie erfahren.
Ich gäbe mein Blut, mein Leben,
um ihn glücklich und mächtig zu sehen!
Und meinen Wünschen, meinen Befehlen
würde sich dieses undankbare Herz widersetzen?
Die väterliche Liebe ist für diese Seele
kein Quell der Freude, nein, ist sie nicht.
Der zornige Gott hat sie
zu grausamem Leiden, zu höllischer Pein gemacht.

Rudolf tritt ein

RUDOLF
Vater …
WALTER
Umarme mich.
Ich bringe dir gute Kunde.
Friederike wird bald deine Braut sein.

RUDOLF
bei sich
O Himmel!

WALTER
Aufgewachsen unter dem selben Dach,
wer könnte besser als du ihr Herz schätzen?
Als ich deine Hand ihr bot,
offenbarte sie mir trunken vor Freude,
dass sie für dich in heimlicher Glut brannte,
bevor der väterliche Befehl sie mit dem Herzog vermählte.

RUDOLF
bei sich
Oh, ich bin verloren.

WALTER
Nachdem der alte Krieger gefallen ist,
bleibt ihr der Name und das Erbe,
ihr reicht die freundschaftliche Hand
die königliche Dame,
die auf Deutschlands Thron regiert.
Der Weg zum Hof ist dir geöffnet!

RUDOLF
Ich hege keinen Ehrgeiz in meinem Herzen,
wie du weisst.

WALTER
Möge mein Blick nicht
in dein zauderndes Herz fallen.
RUDOLF
Ich will es dir offenbaren …

WALTER
Schweig … Die Herzogin ist da!

RUDOLF
O Vater!

WALTER
Lasst uns ihr entgegengehen,
denn du musst um ihre Hand anhalten.

RUDOLF
Was glaubst du, was hoffst du?

WALTER
Gehorche … Mein Wille ist Gesetz.

Die Herzogin tritt ein, gefolgt von Hofdamen, Pagen, Dienern und der Leibwache.

GEFOLGE DER HERZOGIN
Wie das Lächeln eines wohlwollenden Schicksals,
kommt Ihr, Hochgeborene, durch diese Tür.
Eure Schönheit ist ohne Hochmut,
und wie Eure Grösse ohne Prunk ist,
so ist der schamhafte einsame Stern
geschaffen, um zu leuchten.

FRIEDERIKE
Meine Verwandten, meine Freunde!
WALTER
Edle Dame!
Schöne Nichte, mein Rudolf erbittet
die Ehre, dich zu sprechen.
Ich werde mich inzwischen
um die angekündigte Jagd kümmern.
leise zu Rudolf
Hast du mich verstanden?

Alle gehen ab, ausser Friederike und Rudolf.

RUDOLF
bei sich
Ich muss mich ihrem edlen Herzen völlig anvertrauen.
zu Friederike
Herzogin …

FRIEDERIKE
Du nennst mich Herzogin!
Ich bin Friederike.
Für dich hab ich nie aufgehört, es zu sein.
Wenn mein Schicksal sich änderte, ich änderte mich nicht.
Von den Seelen, die in leerem Glanz erstrahlen,
flog die Sehnsucht zur Heimat,
dorthin, wo die erste Hoffnung, der erste Seufzer
meinem jungfräulichen Herzen entsprang.

RUDOLF
Die unschuldige Freude der ersten Jahre
teiltest du mit mir, teilte ich mit dir.
Die heimlichen Leiden der glühendsten Jahre
muss ich dir offenbaren, zu deinen Füssen kniend.

FRIEDERIKE
Steh auf, Rudolf,
du scheinst verwirrt.
RUDOLF
Ich kann es nicht leugnen, ich bin es leider.

FRIEDERIKE
Ach, so sprich doch.

RUDOLF
Ein erbarmungsloser Vater zwingt mich,
um Verzeihung zu bitten
wegen eines nicht begangenen Fehlers …

FRIEDERIKE
Was höre ich!

RUDOLF
So eine schöne, so eine edle Gemahlin
hat der Himmel mir nicht bestimmt …

FRIEDERIKE
Oh, erkläre!

RUDOLF
Das Schicksal verbindet mich mit einer anderen …

FRIEDERIKE
Mit einer anderen!

RUDOLF
Erbarmen!

FRIEDERIKE
Mit einer anderen!
RUDOLF
Erbarmen!
Die schrecklichen Worte,
verzeih' sie meinen Lippen!
Sollte ich dich zum Altar führen
und vor Gott lügen?
Ehe ich dir ein Herz darbiete,
das in Liebe zu einer anderen glüht,
wird meine Rechte es durchbohren
und dir zu Füssen legen.

FRIEDERIKE
Bewaffne, wenn du willst deine Hand,
durchbohre mit dem Schwert meine Brust,
du Grausamer, Törichter,
wirst mich sterbend dir vergeben hören!
Aber von einem eifersüchtigen Herzen
erwarte kein Verständnis,
verschmähte Liebe ist Zorn,
der nicht verzeihen kann

Gehen ab.


DRITTES BILD
Im Hause Millers
Man hört von den umliegenden Bergen und Tälern Geschrei und Jagdlärm.


JÄGER
Lasst die Hunde los,
gebt den Pferden die Sporen,
fröhlich, lustig ist die Jagd.
LUISE
sich dem Fenster nähernd
Ich kann ihn nicht entdecken …
er wollte doch von der Jagd gleich hierher kommen.

JÄGER
Lasst uns den Wald umzingeln,
das Wild aus dem Versteck treiben,
die Beute ist uns sicher,
sie kann nicht mehr entkommen.

Miller tritt ein und lass sich auf einen Stuhl fallen.

LUISE
Oh, mein Vater! Was geschah? Du scheinst erregt!

MILLER
Meine Furcht war nicht unbegründet ‑
du bist betrogen!

JÄGER
Sie kann nicht mehr entkommen usw.

LUISE
Ich? Wie? Erzähle …

MILLER
Herkunft und Name verfälschte er.

LUISE
Karl? Ist es wahr?

MILLER
Als Sohn des Grafen Walter,
wie der Vater befiehlt,
steht er kurz vor einer herrlichen Hochzeit.
LUISE
Böse Lüge ist es. Das kann nicht sein …

MILLER
Vom Schloss komme ich,
die Braut ist dort schon angekommen.

LUISE
Schweig! Willst du deine Tochter umbringen?

MILLER
Unter meinem Dach war also ein Verführer?
Voller Zorn im Zimmer umhergehend, bleibt er vor seiner alten Uniform stehen, die an der Wand hängt.
Bei diesem ehrenvollen Kleid,
das meine Brust einst schmückte,
schwöre ich Rache!

LUISE
Vater!

RUDOLF
noch auf der Schwelle stehend, von wo er den letzten Teil des Gespräches mitgehört hat
Luise, fürchte dich nicht.
Die Versprechen meiner Lippen waren keine Lügen,
der Schleier ist wohl gefallen.
Aber auch unter einem anderen Namen,
das Herz bleibt das gleiche.

MILLER
Was meinst du?
LUISE
O weh!

Rudolf lässt Luise vor Miller knien, selber niederkniend nimmt er ihre rechte Hand in die seine.

RUDOLF
Ich hin dein Bräutigam!
Ich rufe den Vater und Gott
als Zeugen meines Schwures.

MILLER
Oh, Törichter!
Wer kann uns vor dem Zorn des Grafen retten?

LUISE
Ich erstarre!

RUDOLF
Nur dem Himmel und mir
ist ein fürchterliches Geheimnis offenbar!
Ein Geheimnis, das, wenn ich es lüfte,
den Grafen vor mir knien lassen würde.
Jemand kommt ...
Er ist es! Mein Vater!

Walter tritt ein.

LUISE
Oh, ich bin verloren!

MILLER
Er? Er selbst?

RUDOLF
Du, Herr, in diesem Haus!
Was führt dich her?
WALTER
Was?
Hat der Schrecken, der euch packt,
den Anlass nicht schon offenkundig gemacht?
Ich komme, bewaffnet mit meinem Recht,
eine verbotene Liebelei zu beenden.

MILLER, LUISE
Was!

RUDOLF
So ein ruchloses Wort
soll nie von deinen Lippen kommen.
Reinste Liebe lässt unsere Herzen erglühen,
kein Mensch darf sie beschimpfen.

WALTER
Reine Liebe nennst du
die Liebe einer käuflichen Verführerin?

LUISE, RUDOLF, MILLER
Ach!

Rudolf zieht das Schwert aus der Scheide

RUDOLF
Das Leben schenktest du mir!
Erinnere dich dessen ...
jetzt bezahle ich das Geschenk!

MILLER
Mich hast du schwer beleidigt!
Ich war Soldat! Zittere!
LUISE
O Gott!

MILLER
In meinen Adern kocht das Blut.

WALTER
Du wagst es?

MILLER
Ein Vater, in seiner Ehre gekränkt, wagt alles!

WALTER
Tor, jetzt wirst du deine Kühnheit bereuen!
He!

Eine Schar Soldaten, gefolgt von vielen Bauern, eilt herbei.

SOLDATEN
Herr?

LUISE
Gerechter Himmel!

LAURA, BAUERN
Was geschah?

RUDOLF
Du könntest, Vater ... ?

LAURA, BAUERN
Es ist sein Sohn!

WALTER
Geh zurück, Törichter!
RUDOLF
Hör mich zuerst …

WALTER
Ich will nichts hören. Legt beide in Ketten.

LAURA, BAUERN
Ach!

MILLER
Unmensch!

LUISE
fällt vor Walter nieder
Vor deinen Füssen …

MILLER
sie wieder aufrichtend
Vor ihm niederknien! Nein!
Unter den Sterblichen ist die Unschuld
noch nicht so geknechtet,
dass man sie auf Knien
vor einem Hochmütigen sehen soll.
Vor dem Gott, der die Bösen straft,
knie nieder,
nicht vor einem, der zwar menschliche Züge,
aber das Herz einer Bestie hat.

RUDOLF
Zornesfeuer ist mein Weinen.
Weiche, weiche meiner Liebe.
WALTER
Du sollst dich beugen und nicht ich,
du blinder, undankbarer Sohn.

RUDOLF
Zerstöre nicht das Band,
das Gott zwischen uns knüpfte.

WALTER
Mein Befehl, mein Wille
sind unumstösslich wie das Schicksal.

LUISE
O Herr, wurde ich nicht auch
als dein Ebenbild geschaffen?
Warum werde ich getreten,
wie Dreck, von diesem Menschen?
Warum? warum?
O Herr, rette mich, o hilf mir,
rette mich vor dem Bedränger.
Eher sollst du dein Geschenk,
mein Leben, zurücknehmen!

MILLER
Vor dem Gott usw.

RUDOLF
Weiche, weiche meiner Liebe.
O Vater, weiche!
Ein schwarzer Schleier trübt meinen Blick.
In meinem Herzen tobt die Hölle.
Noch bin ich Sohn,
noch hab ich einen Vater.
WALTER
Du sollst dich beugen und nicht ich,
du undankbarer Sohn.
Zwischen sein Herz und das des Vaters
stellt ihr eine unwürdige Liebe.
Weder Himmel noch Hölle vermögen
euch vor meinem Zorn zu retten.

LAURA, EINIGE BAUERN
Ihre Tränen lassen uns weinen,
ihre Tränen zerbrechen das Herz.

SOLDATEN
Alle schulden ihm Gehorsam!
Er ist der Vater, er ist der Herr!

WALTER
Führt meine Befehle aus!

RUDOLF
stellt sich mit blankem Schwert vor Luise
Durch dieses Schwert verbluten wird,
wer es wagt, sich zu nähern.

WALTER
Verrückter!
stösst Luise in die Schar der Soldaten
Erhebe das Schwert nur gegen mich!

RUDOLF
Ich bebe!
Wird meine Braut in Ketten gelegt,
ich schwöre, ich folge ihr in den Kerker.
WALTER
Also, folge ihr.

RUDOLF
Ach, bevor diese Feiglinge sie als Beute nehmen,
durchbohr ich ihr das Herz.

wirft sich zwischen die Soldaten und legt die Schwertspitze auf Luises Brust

WALTER
Töte sie nur. Was zögerst du'?

RUDOLF
Was für ein Zorn!
Ach, ich versuchte alles,
es bleibt mir nur eine teuflische Tat,
weil du so grausam und unerbittlich
deinem Söhne gegenüber bleibst.
Zittere! Durch meinen Mund
wird den Menschen kundgetan,
wie du es anstelltest, Graf von Walter zu werden!

WALTER
Allmächtiger! Rudolf …
Hör mir zu ... Halt ein … Lasst sie! Sie ist frei!

LUISE, MILLER, LAURA. BAUERN
Ist es wahr?
Der Himmel hatte Mitleid!



ZWEITER AKT: Kabale

ERSTES BILD
Im Hause Millers


BAUERN
aufgeregt herbeilaufend
Ach! Luise, wo bist du?

LUISE
aus ihrem Zimmer kommend
Wer ruft mich?
Ihr bringt bestimmt traurige Kunde.

LAURA
Leider!

BAUERN
Du musst es hören.

LUISE
Sprecht.

LAURA, BAUERN
Als wir von den Feldern zum Dorf zurückkehrten,
auf steilem, felsigem Pfad,
kam vom tiefen Tal
ein Getöse immer näher,
es waren Schritte und Waffenklirren
und dazwischen eine angstvolle Stimme.
Vom Felsenrand bot sich
ein erbarmungswürdigerAnblick:
Grausame Schergen, die einen Greis in Ketten zogen!

LUISE
Ach, mein Vater!

LAURA, BAUERN
Fasse Mut.
Es gibt einen Gerechten, Allmächtigen,
der seine schützende Hand
über die Armen hält.

LUISE
Vater, ach mein Vater!

will hinausgehen

LAURA
Wohin gehst du?

LUISE
Zum Schloss.

Wurm tritt ein.

LAURA, BAUERN
Wurm!

WURM
zu Luise
Hör mich an.
zu den Bauern
Verschwindet!

LUISE
bei sich
Ich zittere vor Furcht!
LAURA, BAUERN
Es gibt einen Gerechten, Allmächtigen,
der seine schützende Hand
über die Armen hält.

WURM
Dein Vater …

LUISE
Rede …

WURM
Schmachtet im Kerker.

LUISE
Worin besteht sein Verbrechen?

WURM
Er, als Untergebener des Grafen, wagte,
ihn zu beleidigen und zu bedrohen!
Schwer war das Verbrechen,
hart wird die Strafe sein.

LUISE
Ich habe Angst, weiteres zu fragen!

WURM
Was nützt das Schweigen?
Ober seinem weissen Haupt schwebt drohend das Beil!

LUISE
Ach, schweige!

WURM
Und doch, du kannst ihn retten.
LUISE
Ich? Wie?

WURM
Zu dir schickt mich der gedemütigte Graf.
Er befiehlt dir, einen Brief zu schreiben,
als Lohn wird das Leben deines Vaters geschont.

LUISE
Einen Brief?

WURM
Luise einen Tisch mit Schreibgerät weisend
Schreib!
"Wurm, niemals liebte ich Rudolf …"
Luise schreibt
"…sein Stand war mir bekannt,
ich wollte ihn nur in meinen Netzen fangen …"

LUISE
Und ich soll … ?

WURM
Du musst deinen Vater retten.
Luise schreibt weiter
"Ehrgeiz trieb mich ... ich vergass alles ... verzeih mir.
Ich kehre zu meiner ersten Liebe zurück,
Um den Zorn von Rudolf zu vermeiden
komme, wenn es Nacht ist,
wir werden zusammen fliehen!"

LUISE
Was!
WURM
Schreib.

LUISE
Meine Hand soll
die eigene Schmach besiegeln?
Du hoffst vergebens.
Bestrafe mich. Allmächtiger,
wenn ich dich beleidigt habe, und ich will zufrieden sein,
aber überlass mich nicht
dem Zorn der Erbarmungslosen.
Um den unschuldigen Vater
vor dem Tod zu retten,
verlangen sie ‑ und ich erschaudere -
dass die Tochter ihre Ehre verliert …

WURM
Hier will man dich zu nichts zwingen.
Du bist frei. Ich gehe nun.

LUISE
Du Grausamer! Und der arme Alte?

WURM
Du hast es gehört. Er wird sterben.

LUISE
Er wird frei sein!
gibt den Brief Wurm
Der Brief ist unterschrieben.

WURM
Schwöre beim Haupte deines Vaters,
Luise, dass du aus freien Stücken den Brief schriebst!
LUISE
Ich schwöre.

WURM
Noch etwas musst du tun

LUISE
Ich höre,

WURM
Du musst ins Schloss gehen.
und dort vor einer edlen Dame
muss du dich … verliebt zeigen … in Wurm.

LUISE
In dich?

WURM
Bitter ist die Probe.

LUISE
Nein.

WURM
Tut mir leid.

LUISE
Und dann?

WURM
Dann …

LUISE
Mein Vater?

WURM
Ist gerettet.
LUISE
Erbarmen.
In Stücke, in Stücke. o Ruchloser,
hast du mein Herz zerrissen!
Beeile dich zumindest, mir meinen
unglücklichen Vater zurückzugeben.
Schon überfällt mich
der grausame Schatten des Todes.
Möge wenigstens die Hand des Vaters
mir die Augen schliessen!

WURM
Nur Mut:
Die Zeit heilt alle Wunden.
Ich hege noch Hoffnung.
deine Hand in meiner zu halten.

ZWEITES BILD
Zimmer in Walters Schloss


WALTER
Er ist wahnsinnig, in der Morgenstunde des Lebens
ist die Vernunft oft von blinder Liebe vernebelt.
Der Vater muss den mangelnden Verstand
des Sohnes ausgleichen!
Mein Werk soll vollendet werden,
nichts soll meine Meinung ändern.
Mitleid wäre hier Grausamkeit.
Wurm tritt ein.
Nun?

WURM
Ich spann das Netz.

WALTER
Und sag, Luise?

WURM
Wie ich voraussah.
Sie fügte sich, von naivem Schrecken gepackt,
den Drohungen.
Auf heimlichem Weg wird sie hierher gelangen.

WALTER
Und der Brief?

WURM
Eine bestochene Hand
soll Rudolf den Brief überbringen.
Der Sieg ist uns sicher!
Und doch, ich begreife nicht,
welche Macht Euch beim ersten Angriff zurückhielt.
WALTER
Unerwartete Gefahr war es!
Mein Sohn bedrohte mich!
Der undankbare Sohn!
Ich habe die grosse Erbschaft meines Vetters
nur um seinetwillen begehrt!
Leider habe ich, um sie zu erlangen,
mich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht.

WURM
Rechtzeitig weihte ich Euch
in die geheimen Pläne meines Herrn ein!
Mir, dem er sich immer anvertraute,
offenbarte er die Wahl einer Braut.

WALTER
In mir entstanden schlimme Ahnungen!

WURM
Diese Ehe hätte Nachkommen hervorbringen können!

WALTER
Mich zu beruhigen, schlugst du eine schreckliche Abhilfe vor!

WURM
Der Graf wollte in der Nacht den finsteren Wald durchqueren.
Wir lauerten ihm auf und …

WALTER
Halt ein …
Mir stehen die Haare zu Berge!
Das Blut gefriert mir in den Adern!
WURM
Es ist die Wahrheit. Was nützt es,
über Dinge zu sprechen,
die in ewiger Nacht schon begraben liegen.

WALTER
Begraben?

WURM
Alle glaubten, der alte Herr
sei von Wegelagerern gelötet worden, wie wir verbreiteten.

WALTER
Nicht alle!
Als der Schuss fiel, eilte mein Sohn herbei …
Seine Stimme war noch nicht verstummt!

WURM
Was hör ich da!
Ach! Ist es möglich, dass …?

WALTER
In diesem schrecklichen Augenblick
nannte der Graf …

WURM
Wen?

WALTER
Die Namen der Mörder!

WURM
Ich bin verloren!
WALTER
Nur du?
Der Satan hat unsere Schicksale verflochten!
Entweder wirst du mit mir gerettet, ich schwöre es,
oder ich werde mit dir am Galgen sterben.

WURM
bei sich
In die Zukunft blicke ich nicht mehr so sicher,
auf dem Henkersblock könnte sie für mich zu Ende sein!

Friederike tritt ein.

WALTER
Die Herzogin kommt!

FRIEDERIKE
Graf!

Wurm zieht sich auf ein Zeichen von Walter zurück.

WALTER
Ich bestätige das Gesagte:
In Rudolfs Brust tobt,
wie der Fieberwahn eines Kranken,
eine Liebe, die ausgemerzt werden muss.

FRIEDERIKE
Ausgemerzt?

WALTER
Ja. sogar sehr bald.

FRIEDERIKE
Mir wird bange!

WALTER
Grundlos ist die Furcht,
Rudolf besass nie Luises Herz.
Es gehörte einem anderen.

FRIEDERIKE
Ist es wirklich wahr? Wer kann das bezeugen?

WALTER
Sie selbst.
FRIEDERIKE
Sie!

WALTER
Sie wurde hierher geführt, wie du es verlangtest.

FRIEDERIKE
Schon!

WALTER
Wolltest du es nicht?
Walter öffnet eine Geheimtür, aus der Luise, von Wurm begleitet, heraustritt.
Du darfst dich der Herzogin vorstellen,
Luise, verstehst du?

FRIEDERIKE
Tritt näher!

WURM
leise zu Luise
Bedenke die Gefahr, in der dein Vater schwebt!

LUISE
bei sich
O Schrecken!

FRIEDERIKE
bei sich
Süsser Anblick! Das Antlitz, die Augen,
alles atmet Unschuld!

LUISE
bei sich
Sie wird das bekommen,
was der Himmel mir versprach!
FRIEDERIKE
Es scheint, dir fehlt der Mut,
in die Augen mir zu blicken.

WALTER
Sie Ist ein einfaches Mädchen …

WURM
… jetzt vor einer grossen Dame stehend!

LUISE
bei sich
Die beiden sind voll Hinterlist!

FRIEDERIKE
Luise, höre. Ein Wort von dir
kann mein Unglück oder Glück bedeuten.
Lüge mich nicht an.
Aber du siehst nicht wie eine Lügnerin aus.

LUISE
bei sich
Wer hat je mehr als ich gelitten?

FRIEDERIKE
Liebst du ihn?

LUISE
bei sich
Grausames Schicksal.
FRIEDERIKE
Liebst du ihn?

LUISE
Ich liebe ihn.

FRIEDERIKE
Und wen? Wen?

LUISE
Wurm!
bei sich
Der Unwürdige!

FRIEDERIKE
Und Rudolf?

LUISE
Er kam zu uns als Unbekannter.
Zu welchem Zwecke, weiss ich nicht.

FRIEDERIKE
Und er bekam nie Liebesschwüre
von dir, Luise?

LUISE
bei sich
Welche Augenblicke!

FRIEDERIKE
Antworte!

LUISE
Nein, niemals.
FRIEDERIKE
bei sich
In meinem Herzen lebt die Hoffnung wieder auf!

LUISE
bei sich
Sie triumphiert!

FRIEDERIKE
Mir scheint,
dass du erbleichst.
Was ist? Betrüg mich nicht!
Betrüg dich selber nicht!

LUISE
bei sich
O Himmel!

WALTER
bei sich
Wagt sie es?

FRIEDERIKE
Sprich.

WURM
bei sich
Ich erstarre.

FRIEDERIKE
Ich lüfte das Geheimnis,
falls du in deinem Herzen eins verbirgst.

LUISE
Ich …
FRIEDERIKE
Sprich.

WALTER
Ja, wenn du deinen Vater liebst.

LUISE
bei sich
Mein Vater! O Grausame!

WURM
Los! Was zögerst du?

FRIEDERIKE
Nun also?

LUISE
auf Wurm weisend
Ihr werdet von Luise ewig hören,
dass ich nur für ihn
eine treue, grosse, glühende Liebe empfinde.
bei sich
Wie kann ich die Qualen
meiner eifersüchtigen Liebe verbergen?
O weh, mein gebrochenes Herz
hält's nicht mehr aus!
Wenn ich hier bleibe,
fall ich in Ohnmacht vor ihr nieder.

FRIEDERIKE
bei sich
Was ich sehe und höre,
versetzt mich in Freudentaumel.
Meine Seele hat noch nie
solch Glück verspürt.
Mein Herz, schlage nicht so wild,
sonst sterbe ich noch vor Glück.
WALTER, WURM
bei sich
Das lächelnde Gesicht
trägt die Farbe der Freude.
Fortuna zeigt sich uns
in ihrem Lächeln.
Ich will sie am Schopfe packen
und nicht entrinnen lassen.


DRITTES BILD
Hängende Gärten des Schlosses
Rudolf stürzt aus einem Nebenzimmer herein.
Er hat Luises Brief in Händen, ein Bauer folgt ihm.


RUDOLF
Was ist mit diesem Brief?

BAUER
Ich hab Euch alles erzählt.

RUDOLF
Ich muss es noch einmal hören.

BAUER
Luise bat mich heimlich und heftig,
diesen Brief Wurm zu überbringen.

RUDOLF
Um zu verhindern, dass ich ihn sehe …

BAUER
Ja, das wiederholte sie mehrmals.
Der vage Verdacht einer Intrige
und Hoffnung auf Belohnung brachten mich zu Euch.
RUDOLF
ihm einen Geldbeutel zuwerfend
Geh.
Der Bauer geht ab.
He!
Ein Diener erscheint.
Hol Wurm!
Der Diener geht ah.
Oh, wenn ich meinen Augen nicht trauen könnte!
Würden selbst der Himmel und die Erde,
die Sterblichen und die Engel mir bezeugen,
dass sie unschuldig ist, ich müsste antworten:
Ihr lügt alle.
zeigt auf den Brief
Dies ist ihre Schrift.
So viel Bosheit. Eine so schwarze Seele, so betrügerisch!
Mein Vater durchschaute sie gleich!
Die Schwüre, die Hoffnungen, die Freuden,
die Tränen, die Leiden?
Alles war Lüge. Verrat und Betrug!
Als sie am Abend mit mir
verliebten Blickes
in den friedvollen
Sternenhimmel sah,
und als meine Hand
den Druck ihrer Hände spürte,
ah! da betrog sie mich!
Als ich stumm, in Verzückung
an ihren Lippen hing
und sie mit engelsgleicher Stimme sagte:
ich liebe nur dich,
so dass für mich es war,
als oh der Himmel sich öffnete,
ah! da betrug sie mich!

Wurm tritt ein.
WURM
Ihr habt nach mir gerufen?

RUDOLF
Komm näher.
zeigt ihm den Brief
Lies.
Wurm liest.
Dies ist für uns beide die Todesstunde.

WURM
O je!

RUDOLF
ihm zwei Pistolen vorlegend
Wähl eine.

WURM
versucht, sich zu entfernen
Herr …

RUDOLF
Bleib stehen …
Zusammen mit mir
musst du sterben.

WURM
bei sich
Hölle, hilf mir!

Er schiesst in die Luft.
Von allen Seiten kommen Soldaten und Diener herbeigelaufen, zuletzt Walter.
Wurm mischt sich in die Menge und verschwindet.

DIENER
Was geschah? O Himmel!

RUDOLF
Feigling! Die Feigheit hat Flügel!

DIENER
Schrecklich vor Zorn leuchtet Euer Blick!

WALTER
Rudolf!

RUDOLF
Vater!

WALTER
O Gott, beruhige dich!

RUDOLF
zu des Vaters Füssen niederfallend
Ach, mein Vater!

WALTER
Steh auf, hör mir zu.
Ich hasse meine grausame Strenge.
Deine Tugend soll belohnt werden.
Ich gebe nach, heirate die Frau, die du liebst!

RUDOLF
Was höre ich? Du willst …

WALTER
Freue dich!

RUDOLF
Ach, ich werde irre!
WALTER
Welche Raserei!
Sohn! Bist du nicht glücklich?

RUDOLF
Glücklich?

WALTER
Ich hoffte …

RUDOLF
Bedaure mich!
Sie hat mich betrogen!

WALTER
Betrogen!

RUDOLF
Tod, eile herbei!

WALTER
Nein … Die Rache!

RUDOLF
Wie?

WALTER
Eine andere Vermählung
soll deine Verachtung für sie bezeugen.

RUDOLF
Was meinst du?

WALTER
Führe zum Altar die Herzogin.
RUDOLF
Ich? Ja, ich will es, ich muss es …
Was rede ich? Ach, ich bin verwirrt!

WALTER
Rudolf, zögere nicht.

RUDOLF
Ich weiss nicht, wo ich bin!

WALTER
Hör auf mich,
dein Vater betrügt dich nicht.

RUDOLF
Das Grab, den Sarg ersehne ich,
ich übergebe mich dem Schicksal.
Ich fürchte nicht, noch wünsche ich,
ich bin verzweifelt!
Mein Hoffen kann ich nicht einmal
an den Himmel richten,
denn ohne sie zu leben, selbst im Himmel,
die Hölle für mich war.

DIENER
Vertraut Euch der Weisheit
des Vaters an ...
Baut auf die Zukunft,
die Leiden sind nicht ewig.

DRITTER AKT: Das Gift

Millers Haus.
Luise schreibt an einem Tisch,
in einer Ecke des Zimmers sind Laura und andere Mädchen aus dem Dorf, die Luise traurig zuschauen


LAURA, BÄUERINNEN
Wie konnte der Schmerz,
an einem einzigen Tag,
auf dieser Stirn so fürchterliche
Spuren hinterlassen?
Sieht aus wie eine Lilie,
von einer grausamen Pflugschar zermalmt.
Ein Engel vom Himmel
auf die Erde gesandt.
Weh!

LAURA
Oh, teure Freundin, willst du dich
nicht stärken mit etwas Speise?

LUISE
Nein.

BÄUERINNEN
Hör auf die Freundin. Luise, hör.
LUISE
Respektiert meine
Abneigung.
bei sich
Keine irdische Nahrung führe ich zum Mund!
Ich koste schon die himmlischen Speisen!
zu den Freundinnen
Die Kirche, Freundinnen, weshalb leuchtet sie so?
Weshalb schweigt ihr?

BÄUERINNEN
Wir wissen es nicht.

LAURA
Der Graf beginnt die neue
Herrschaft mit kirchlicher Feierlichkeit.
Luise schreibt weiter.
Ach, die Unglückliche soll nicht erfahren,
welche Hochzeit da naht,
wer der Bräutigam ist!
Bei solch grausamer Kunde würde sie sterben!

LAURA, BÄUERINNEN
Sieht aus wie eine Lilie,
von einer grausamen Pflugschar zermalmt,
ein Engel von Himmel
auf die Erde gesandt.
Weh!

Miller tritt ein.

MILLER
Luise! Meine Tochter!
LAURA
Stören wir nicht
diese keusche Umarmung.
Nur Gott soll Zeuge sein
zwischen Vater und Tochter!

Sie zieht sich mit den Freundinnen zurück.

MILLER
Du bist blass und traurig.

LUISE
Nein, mein Vater, ich bin ruhig.

MILLER
Oh, wieviel hat dich
die Rettung des Vaters gekostet!
Ich habe alles von Wurm erfahren.

LUISE
Alles!

MILLER
Du hast auf deine Liebe verzichtet für mich.

LUISE
Es ist wahr.
bei sich
Nur auf Erden.

MILLER
bei sich
Diese Ruhe ist unheilvoll.
Mein Herz hegt eine Ahnung!
nimmt den Brief in die Hand
Was für ein Brief ist das?
LUISE
Vcrsprich, wenn du mich liebst, o Vater,
dass er den Empfänger erreicht.

Miller öffnet den Brief und liest.

MILLER
"Ein schrecklicher Verrat entzweite uns. o Rudolf!
Ein Schwur verbietet mir, mehr zusagen.
Es gibt einen Ort,
an dem weder Betrug noch Eide gelten!
Dort erwarte ich dich,
wenn es Mitternacht schlägt, komme …"
Ihm fällt der Brief aus der Hand.
Der Boden schwankt mir unter meinen Füssen!
Jener Ort …
Meine Sinne schwinden!
Jener Ort wäre?

LUISE
Das Grab.
Warum packt dich solch grosser Schrecken?

MILLER
Ach, mein Haupt ist wie vo Blitz getroffen!

LUISE
Das Grab ist ein Bett, mit Blumen ausgelegt,
in dem die sterbliche Hülle des Gerechten schläft:
Der Tod erscheint nur den zitternden Herzen der Schuldigen,
bekleidet in schaurigem Gewand.
Aber für zwei unschuldige, treue Seelen
hat der Tod seinen Schrecken verloren.
Für sie ist er ein Engel, der die Himmel öffnet,
in denen ewig die Liebe lächelt!
MILLER
Tochter? Ich bin entsetzt!
Tochter! … du könntest gegen dich selbst?
Für den Selbstmörder gibt es keine Vergebung!

LUISE
Ist Liebe denn eine Sünde?

MILLER
Hör auf, hör auf!
Siehe, ich habe das Gesicht voller Falten,
mein weisses Haar ist die Zierde meines Alters.
Die Liebe, die ein Vater gesät hat,
soll er in den reifen Jahren ernten.
Und du, Grausame, willst mir
eine Ernte aus Tränen und Schmerz bereiten?
Ins Grab, das du öffnen willst,
soll dein Vater als erster hinabsteigen!

LUISE
O wie schuldig bin ich!
Ach, beruhige dich, mein Vater!
Weine nicht … hör mich an!

MILLER
Luise …

LUISE
den Brief zerreissend
Ich zerreisse das Blatt, ich vernichte es.

MILLER
Willst du also?

LUISE
Für dich, guter Vater,
will ich am Leben bleiben
MILLER
Tochter!

LUISE
Sieh die Tochter, die reuevoll
zu deinen Füssen liegt.
Vater, ach mein Vater!

MILLER
Nein, meine Tochter, steh auf,
komm an mein Herz.

LUISE, MILLER
Ach, in dieser Umarmung
vergisst die Seele die erlittenen Oualen.

LUISE
Aber lass uns fliehen.
Hier umgibt mich grosse Gefahr.

MILLER
Dies ist ein guter Rat!

LUISE
Schlaf ein wenig.
Der Tag ist noch weit,
wenn die Morgenröte dämmert,
werden wir aufbrechen.

MILLER
Ja, meine Tochter.

MILLER, LUISE
Wir werden in Armut umherwandern,
dorthin, wo das Schicksal uns führt. Wir werden von Tut zu Tür gehen,
von den Leuten Brot erbetteln.
Mag sein, dass unsere Augen
manchmal voller Tränen sein werden,
aber die Tochter wird immer
bei ihrem Vater sein.
Gott wird Vater und Tochter segnen.
Wenn der Morgen graut, brechen wir auf?
Bei Morgengrauen werden wir aufbrechen.

Miller geht ab

Orgelklänge aus dem Innern der Kirche

LUISE
Ach, ein letztes Gebet
in diesem lieben Lande,
in dem ich glücklich lebte!
In dem er "Ich liebe dich" mir sagte?
Während sie ganz vertieft in schweigendem Gebet verharrt, ist ein Mann, in einen dunklen Mantel gehüllt, an der Schwelle stehengeblieben, ein Diener folgt ihm.
Wer weiss, an welchem Ort ich morgen beten werde?

RUDOLF
zum Diener
Geh zum Schloss zurück und sag meinem Vater,
dass alles für die Zeremonie bereit ist,
ich erwarte ihn hier.
Der Diener geht ab.
Bete!
Jetzt ist es Zeit zu beten!
Aus der Brusttasche zieht er eine Flasche und giesst eine Flüssigkeit in einen Becher. Luise steht auf und erschrickt, als sie Rudolf sieht. Rudolf zeigt ihr den Brief an Wurm. Hast du diesen Brief geschrieben?
Warst du es?
Also?

LUISE
Ja.

RUDOLF
Ein schreckliches Feuer brennt mir
in den Adern und der Kehle! Etwas zu trinken …
Er zeigt auf den Becher, Luise reicht ihm diesen. Rudolf trinkt.
Bitter ist dieser Trunk.

LUISE
Bitter?

RUDOLF
Trink!
Luise trinkt.
bei sich

Es ist vollbracht.

LUISE
Nein …

RUDOLF
Du musst fliehen.
Ein anderer Mann wartet darauf, dir zu folgen,
eine andere Frau wartet darauf, mir zum Altar zu folgen.

LUISE
Was sagt du da? Also … ?
RUDOLF
Vergeblich warten sie!
Er reisst seine Schärpe und seinen Degen herunter und wirft sie weg.
Leb wohl Schwert, bei dem ich schwor,
den Unschuldigen und Geknechteten zu helfen!

LUISE
Gerechter Himmel! Was tust du?

RUDOLF
Ich kann nicht mehr atmen, ich ersticke!

LUISE
Da trink noch etwas …
es wird dir gut tun …

will ihm nochmals den Becher reichen

RUDOLF
Ach, die Niederträchtige scheint zu wissen,
was sie mir da reicht!

LUISE
Rudolf, wie kannst du
solche bösen Worte für mich finden?

RUDOLF
Weg von mir dies schmeichelnde Gesicht,
diese Augen, in denen ein Strahlen leuchtet,
das noch schöner ist als das der Sterne.
Schöpfer des Universums,
warum hast du mit engelhaftem Aussehen
solch eine höllische Seele bekleidet?
LUISE
Und ich soll schweigen?

RUDOLF
Geh zurück … Weiche …
Fühle wenigstens in diesem tragischen Augenblick
Mitleid mit einem Unglücklichen.

LUISE
Weine, dein Schmerz
ist viel gerechter als dein Zorn.
Mögen diese Tränen
wie Balsam auf dein Herz fallen.

RUDOLF
Bei den Qualen,
die ich erleide,
verlässt mich Gott.
Diese Tränen sind nicht tröstend.
Sie sind Tropfen aus Eis,
die aus dem Gewölbe eines Grabes fallen.
Sie sind Tropfen lebendigen Blutes,
die das Herz beim Sterben vergiesst.

LUISE
Weine. Weine.
Wenn mein Gebet es vermag,
Gott zu erreichen,
werde ich erbitten,
dass deine Schmerzen gelindert werden.

RUDOLF
Gott verlässt mich.
Die Uhr des Schlosses schlägt.
Frau, für uns schlug eine schreckliche Stunde:
Die letzte!

LUISE
Rudolf!

RUDOLF
Die letzte Stunde soll dich nicht in Lüge finden.
Zittere! Hast du Wurm geliebt!

LUISE
O beruhige dich.

RUDOLF
Wehe, wenn du lügst! Wehe!
Bevor diese Lampe erlischt,
stehst du vor Gott!

LUISE
Was! Sprich … rede …

RUDOLF
Du trankst mit mir den Tod, Luise!
Wende dich zum Himmel!

LUISE
Hast du vom Tod gesprochen?
Ah, er befreit von jedem Schwur!
Ich sage die Wahrheit ... du sollst sie wissen.
Ich sterbe unschuldig!

RUDOLF
O Gott!

LUISE
Die Grausamen hatten
meinen Vater in Ketten geworfen,
und ich ...
RUDOLF
Sprich weiter.

LUISE
Ich Arme …
um ihn vorm Tode zu retten
höre … schrieb den Brief,
wie Wurm, das Ungeheuer,
von mir verlangte.
O Weh!

RUDOLF
O Gott!
Und ich gab dir das Gift!
Verdammt sei der Tag, an dem ich geboren wurde,
mein Blut, mein Vater!
Furchtbarer Gott,
du schufst mich in schrecklichem Zorn.

LUISE
In Gedenken an den Augenblick,
in dem ich dir gefiel,
beim Gedanken an den nahenden Tod,
hör auf, Gott zu lästern,
erspare uns diesen Schrecken …

Miller tritt ein.

MILLER
Was hör ich für ein Geschrei?
Wen seh ich? Himmel!

RUDOLF
Wen? Du Armer, du siehst
den Mörder deines Blutes.

MILLER
Was sagte er? Ich ersehaudere!

LUISE
Vater!
MILLER
Luise!

RUDOLF
Zu deinen Füssen will ich jenen töten …

LUISE
Halt, Rudolf …
Schon fühle ich den Tod nach mir greifen.

MILLER
Der Tod! Ach. sprecht!

RUDOLF
Es gibt keine Rettung. Sie trank ein Gift!

MILLER
Meine Tochter! Gift!

LUISE
Vater, für euch mein letztes Lebewohl,
segne mich, mein Vater.
Gib mir die Hand, Rudolf … ich schwinde …
ich seh dich nicht mehr … mein Auge ist verschleiert.
Ach, komm mit mir, verlass mich nicht,
möge uns der Himmel mitleidvoll aufnehmen …

RUDOLF
Oh, vergib mir meine Schuld,
und sie wird von Gott verziehen.
Ein gleiches Schicksal eint uns beide,
auch mich ergreift des Todes katte Hand.
Ja, mit dir komme ich, himmlischer Geist,
möge uns der Himmel mittleidvoll aufnehmen …
MILLER
O Tochter, Leben des Vaterherzens,
trennen wir uns also für immer.
Versprochener Zauber meines Alters,
du warst ein Traum, ein grausamer Traum.
Dieser heilige Engel gehört mir nicht mehr,
der eifersüchtige Himmel raubte ihn mir.

Die Bauern, Walter und Wurm treten ein.

BAUERN
Lautes Klagen in diesen Wänden!
Was geschah?

WALTER
Sie ist tot!

BAUERN
Gott, hab Erbarmen!

Rudolf sieht Wurm, der an der Schwelle stehengeblieben ist, nimmt schnell das Schwert auf und durchbohrt ihn.

RUDOLF
Der Tod soll deine Strafe sein, du Ruchloser.
zu Walter
Du, siehe jetzt deine Strafe!

Er fällt tot neben Luise nieder.

WALTER
Mein Sohn!

ALLE
O Himmel!