Libretto: Manon Lescaut

von Giacomo Puccini


Personen:
MANON LESCAUT (Sopran)
LESCAUT, ihr Bruder, Sergeant der Königlichen Garde (Bariton)
CHEVALIER RENATO DES GRIEUX, Student (Tenor)
GERONTE DE RAVOIR, königlicher Steuerpächter (Bass)
EDMOND, Student (Tenor)
Der WIRT (Bass)
Der MUSIKER (Mezzosopran)
Der BALLETTMEISTER (Tenor)
Ein LAMPENANZÜNDER (Tenor)
SERGEANT der Bogenschützen (Bass)
Ein SEEKAPITÄN (Bass)
Ein PERÜCKENMACHER (stumme Rolle)

CHOR
Mädchen, Bürger, Männer und Frauen aus dem Volk, Studenten, Musiker,
Alte Herren, Abbés, Hofleute, Schützen, Seeleute



ERSTER AUFZUG

Ein weiter Platz bei der Pariser Post zu Amiens. Rechts eine Allee, links ein Wirtshaus mit einer Vorhalle, unter welcher Tische und Stühle für die Ankommenden stehn. Eine äussere Treppe führt in den ersten Stock des Gasthauses. Studenten, Bürger, Volk, Frauen und Mädchen, Soldaten welche den Platz spazierend und plaudernd hin und her überschreiten und zu der Allee gehn und von dort kommen. Andere bilden Gruppen, sich unterhaltend, wieder andere sitzen an den Tischen und trinken und spielen. Edmond mit andern Studenten; später Des Grieux

EDMOND
halb komisch, halb sentimental
Sei gegrüsst Abend!
Mach mild das Licht vergehn -
Zünd' leis die Sterne an
Lass' sanft den Zephyr wehn!
Poeten seid gegrüsst
Gegrüsst sei hohe Liebe ...

STUDENTEN
Edmond lachend unterbrechend
Ha, ha, ha, - Ha, ha, ha, ha!
Betrunkene auch und Diebe ...
Verzeihe wenn wir recht brutal
Gestört dein Madrigal!

EDMOND
nach dem Spazierwege schauend
Ich bin Euch dankbar ...
Seht das fröhliche Gedränge
Im grünen Baumesschatten;
graziös, ungezwungen
Frisch, lachend geh'n die Schönen
Mit Schätzen oder mit Gatten ...

STUDENTEN
Fürwahr, es tummelt froh sich.

EDMOND
Ein Madrigal soll klingen
Verlockend, keck und rosig.
Seht wie sie nun müssig schwatzen
Die eben noch ihr Handwerk trieben ...

STUDENTEN
Leicht lernt sich Müssiggeh'n und Lieben.

EDMOND
Mein Madrigal sei launig
Und dreist. Ich zage nie ...
Getaucht sei meine Muse
Ganz in Galanterie!
zierlich zu einigen Mädchen
Unser Panier ist die frohe Jugend
Und die Hoffnung unser Ideal!
Froh lebt in uns an unsre Kraft der Glaube,
Macht unüberwindlich uns zumal!

STUDENTEN
wiederholend
Das Panier ist unsre Jugend
Und die Hoffnung hell und klar!
Seh't uns selig trunken lachen;
Eu'r Herz schenkt, reicht die Lippen dar! ...

MÄDCHEN
vom Hintergrund näher kommend
Wehet vom Himmel herab
Der Abendwind süsse Düfte,
Eilen heimwärts die Schwalben
Pfeilschnell durch die Lüfte, -
Dann tagt die Stunde der Phantasie
Dann ringet mit der Fröhlichkeit
Die Melancholie ...!

STUDENTEN
Reicht die Herzen, reicht den Mund
Zum Jugend - frohen Bund.
Des Grieux tritt auf
Seh't - Des Grieux.

Des Grieux ist wie die Studenten gekleidet

EDMOND
hält Des Grieux, welcher grüsst und vorbeigehen will, auf
Mit uns gemeinsam, Freund
Sei heiter, überwinde
Den eitlen Groll um jenes Abenteuer.
Des Grieux, zum Bleiben genötigt, zeigt sich - ohne verdriesslich zu sein - wenig geneigt, auf Scherze einzugehen
Keine Antwort? Warum?
Quält Dich wohl gar, weil eine Schöne
Dich verschmäht, - glücklose Liebe?

DES GRIEUX
unterbrechend, achselzuckend
Liebe? Nicht als Tragödie noch als Komödie
Kannt' ich jemals diese Triebe! ...

Edmond und einige der Studenten halten Des Grieux im Gespräche fest. Andere begleiten die promenierenden jungen Mädchen, denen sie den Hof machen

EINIGE STUDENTEN
zu Des Grieux
Kostbar! Deine heimlichen Siege
Möchtest Du uns verhehlen!

DES GRIEUX
Zu viel der Ehre ist das, Ihr Freunde.

EDMOND UND DIE STUDENTEN
Beim Zeus, du bist verstimmt, gesteh' es nur ...
Vielleicht durch eine spröde Nippfigur?

DES GRIEUX
Nein, nein Ihr irrt Euch ...
Doch wenn's Euch Vergnügen macht -
Das Opfer sei sogleich gebracht ...
Eine Gruppe Mädchen fixirend - entschlossen
Frisch vorwärts - allsogleich!
Galant zu den Mädchen tretend
Unter all Euch schönen Kindern
Blond und braune, ist eine wohl
Die mich mag leiden,
Mit ros'gem Mündchen,
Auf ein Stündchen ...
Sag' bist du es, die ich lieben soll?
Sprich es kecklich aus mein Kind
Damit ich mein Schicksal bald erfahre;
Zeige mir geschwind
Deine glüh'nden Wangen
Dein heisses Verlangen ...

STUDENTEN
lachend
Ha, ha, ha - Vortrefflich!

Die Mädchen, merkend dass Des Grieux nur Spass macht, gehen achselzuckend von ihm fort

EDMOND
Nun seht, Kameraden,
Grieux kann nichts Verliebtes sagen!
Wem brächt solch eine Werbung Schaden?

Mädchen, Studenten und Bürger

STUDENTEN
vortretend
Lasst uns den Abend feiern!

STUDENTEN
Vortrefflich, dabei fehlt kein Zecher ...

BÜRGER, STUDENTEN, FRAUEN UND MÄDCHEN
Hell ertönt und begeistert
Musik aus der Becher Klang
Lasst den Abend uns feiern,
Froh mit Tanz und Gesang!

Stosst an, preist laut die Freude. -
Verglomm der Sonne Schein
So darf uns das nicht grämen:
Es lebt ihr Gold im Wein!

Lieder, Wein und lust'ge Reigen
Feuern an zur Lebenslust
Hüllet sich die Nacht in Schweigen
Klopft das Herz laut in der Brust ...

Schimmernd taucht dann auf am Himmel
Wie ein Gedicht, der Sterne Heer
Alles siegt und stürmt zur Freude
Badet in dem Wonnemeer ...

Bald liegt so weit,
Ach die Jugendzeit!
Leucht' uns mächtig,
Licht der Lust!

Man hört hinter der Szene ein Posthorn. Alle blicken rechts nach hinten, wo eben der Postwagen auffährt und unter dem Portal des Gasthauses anhält. Aus dem Wagen steigt behende Lescaut, dann Geronte, der galant Manon beim Absteigen hilft; dann steigen noch andere Passagiere herab

MÄDCHEN UND BÜRGER
Sie steigen aus, schaut zu!
Elegante Leute wohl?

EDMOND UND DIE STUDENTEN
bewundernd Manon betrachtend
Wer böt' nicht dieser zarten Schönen
Die man bei Gott bewundern muss
Von Herzen einen Willkommgruss!

LESCAUT
He, Wirtschaft!
zu Geronte, verbindlich
Ihr seid ein Muster jeder Tugend ...
schreiend
He, Wirtschaft!

DER WIRT
herbeilaufend, von Kellnern gefolgt
Da bin ich schon.

DES GRIEUX
Manon betrachtend
Götter, wie sie schön ist!

GERONTE
zum Wirt
Diese Nacht, Herr Wirt, beschützt uns Euer Dach.
zu Lescaut
Entschuldigt!
zum Wirt
Und jetzt seid wohl besorgt
Mein Herr, um meine Koffer ...

DER WIRT
Gewiss, sogleich!
Er gibt dem Personal Befehle; die Diener begeben sich zum Wagen und bewirken das Abladen. Zu Geronte und Lescaut
Ich bitte, wollt mir folgen Ihr Herrn ...

Er steigt die Aussentreppe zum ersten Stock hinan, gefolgt von Geronte und Lescaut, der Manon ein Zeichen macht ihn zu erwarten. Manon lässt sich auf einer Bank nächst dem Promenadenweg nieder; Die Post fährt durch das Portal in das Gasthaus. Die Menge zerstreut sich; Einige der Studenten sitzen an den Tischen und trinken und spielen. Edmond etwas beiseit, beobachtet Manon und Des Grieux. Des Grieux, der von Manon kein Auge wandte, tritt jetzt zu ihr

DES GRIEUX
zu Manon
Mein Gnädiges Fräulein, darf ich eine Bitte wagen:
Lasst Euren süssen Mund
Mir Euren Namen sagen!

MANON
einfach, sanft und bescheiden
Man ruft mich Manon Lescaut.

DES GRIEUX
Wollt verzeihen meine Kühnheit
Doch ein tiefes Gefühl
Zieht mich unhaltsam zu Euch.
Seit Euer Auge ich sah
Strahlt mir ein Himmelreich,
Bin ich verwandelt im Herzen; -
Drum verzeiht, wenn ich nimmer kann scherzen ...
Sprecht - wann reist Ihr weiter?

MANON
schmerzlich
Bei Tagesanbruch morgen
Mein wartet das Kloster ...

DES GRIEUX
mit Wärme
Um zu begraben dies märchenschöne Antlitz
In seiner Blüte! ...
O holde Donna!
tritt nahe zu ihr
Welch' Schicksal, ach, verfolgt Euch?

Edmond nähert sich vorsichtig den Studenten in der Wirtschaft und zeigt ihnen schadenfroh Des Grieux, der in das Gespräch mit Manon versunken ist

MANON
schlicht
Ach, mein Schicksal ist einfach;
Es heisst: der Wille des Vaters!

DES GRIEUX
für sich
Wie ist sie zum Entzücken!
zu Manon, mit Leidenschaft
Nein, nein, in keinem Kloster
Vertrauert Euer Leben.
Euer Stern wird neu erstrahlen
Euch neue Hoffnung geben!

MANON
traurig
Mein Stern ach, wird erlöschen.

DES GRIEUX
Zur Nacht kehrt heimlich wieder!
Ihr sollt nicht unterliegen
Wir wollen uns verschwören
Eu'r Schicksal zu besiegen ...

MANON
Ach so viel Mitleid, ertönt mir
Aus Euren edeln Worten!
Ich denke Eurer - nennt mir Euren Namen.

DES GRIEUX
Bin Renato Des Grieux.

LESCAUT
von hinten
Manon!

MANON
rasch
Nun muss ich gehen.
zum Gasthaus gewendet
Ich komme!
zu Des Grieux
Hört Ihr, der Bruder hat gerufen ...

DES GRIEUX
flehend
O, kehrt wieder!

MANON
Ach, ich kann nicht ...
Lasst mich ziehen!

DES GRIEUX
O ich bitte, - ich beschwör' Euch ...

MANON
bewegt
Nun, Ihr siegtet: Wenn die Nacht
Herabsank, kehre ich zurück ...

Sie unterbricht sich, Lescaut erblickend, der auf dem Balkon des Gasthauses erscheint um die Schwester zu holen; Beide treten in das Haus

DES GRIEUX
ist Manon unablässig mit den Blicken gefolgt
Wo lebte wohl ein Wesen
An Reizen gleichend ihr?
Beim Worte ach, "ich liebe"
Wacht auf ein neues Leben tief in mir.
sehr einfach
"Man ruft mich Manon Lescaut."
Der Name strömt aus ein Meer von Düften.
Den Geist mir hold berauschend
Und tausend Seufzer fiebern in den Lüften!

Süsses Flüstern vom Glücke ...
Ach ende, ende nimmer -!
Lass mich träumen die Zukunft
In Blüthenschmuck und rosigem Schimmer;
beseelt
"Man ruft mich Manon Lescaut!"
Verhalle nicht süsses Wort;
Verbleib, tön' fort, o Wunderklang ...
Ein Leben lang ...

Er beharrt in Ekstase

Edmond und die Studenten welche Des Grieux beobachtet haben, schleichen jetzt nach und nach heran. Sie umringen Des Grieux

STUDENTEN
Es hat dein Schicksal sich froh gewendet
Cupido's würdig, einem Engel gleich
Ist diese Schöne, die voll von Reizen
Auf Strahlen schwebt zum Himmelreich.

Es hat dein Schicksal
Sich froh gewendet
sentimental nachahmend
Die Liebe stieg vom Himmel herab
Und hat die Seufzer alle geendet,
Das Leid gebettet in's Grab ...

Des Grieux geht unwillig schnell ab

EDMOND UND DIE STUDENTEN
lachend
Ha, ha, flieh nur!
Verliebt ist er zum Sterben!

Sie gehen wieder zum Wirtshaus zurück, sich mit einigen der Mädchen galant neckend und sie zum Mitgehen einladend

Studenten und Mädchen

STUDENTEN
O kommt schöne Mädchen
Wir weissagen Gutes;
Viel fröhliche Stunden -
Seid guten Mutes.

DIE MÄDCHEN
Wer wählt eine Blonde?
Nein, braun mag man leiden.
Die Göttin der Liebe
Soll den Streit entscheiden!

Einige setzen sich zum Spiel an die Tische und trinken mit

DIE STUDENTEN
Kahl ist die Göttin fürwahr
Doch Euch macht begehrlich das kostbare Haar
Verlockend anzuschauen!
Nicht wäget Gewinn und Verlust,
O Mädchen, lebt weise der Lust!
Ob weinend, ob lachend
Man duldet sein Loos.
Wir werden genarrt und betrogen.
- Zum Troste ist eines
Erleichternd verblieben;
Es locken die Stimmen zu ewigem Lieben.
Auf! Folget dem seligen Ruf! -

DIE MÄDCHEN
Für Stunden nur schwört Ihr Treu
Möchtet bei Seufzen und Küssen
Achtend nicht unser treues Herz
Im Taumel kurz nur geniessen.

Wir feiern die Siege gern
Und schmücken Besiegten das Herz
Im zitternden Lebensgenuss.
Süss tauschend, ach Kuss um Kuss
Vergessen wir Schande und Schmerz.

EDMOND
zu einem der Mädchen, dem er sich nähert, und mit der er galant zur Promenade geht
Leb wohl mein Stern
Du liebliche Blüte
Reizende Schwester
Der Aphrodite
Zu Dir kehrt stets mein Seufzen neu,
Für einen Tag - bleibst du auch treu!

Grüsst das Mädchen sich verabschiedend, erblickt Geronte und Lescaut, tritt zurück und belauscht deren Gespräch.
Geronte und Lescaut steigen plaudernd die Treppe herab


GERONTE
im Vorbeispazieren zu Lescaut
Also nimmt Eure Schwester im Ernst den Schleier.

LESCAUT
So hat's die Familie beschlossen - leider.

GERONTE
Ihr, wie mich dünkt - seid anderer Meinung.

LESCAUT
Sicher - sicher!
Seht, ich urteile klarer als meine Umgebung
So klug sie sich dünket mit ihrem Entschlusse.
Denn ich kenne das Leben schon zu vielfach -
Paris dünkt mich die hohe Schule!
Doch als der Schwester Mentor gleichsam,
Füg' ich mich den Dingen wie ein guter Soldat.
Nur bedünkt mich; Falsch ist's zu entsagen
Der Welt. Für nicht genossne Freuden
Wird uns nie ein Ersatz. -
Gern wüsst ich, Herr, wer Ihr seid?

GERONTE
Geronte von Ravoir.

LESCAUT
Es scheint - Ihr reist zum Vergnügen?

GERONTE
Nein, im Amte.
Die Pachtung - wisset, der Steuern
Ward mir vertrauet durch Königliche Gnade
Davon ward' ich reich ...

LESCAUT
(Der Geldsack, Der ...)

GERONTE
Mir scheinet werter Herr
Eure Schwester ist nicht heiter ...

LESCAUT
Mit achtzehn Jahren in's Kloster!
Ohne Trost - ohne Hoffen!

GERONTE
Verstehe ...! Ja die Ärmste
Man muss sie trösten, erheitern ...
Darf zu Tisch ich Euch heut' Abend bitten?

LESCAUT
Besten Dank! Sehr viel Ehre!
Er gibt ein Zeichen nach dem Gasthause hin, ihm etwas zu bringen
Erlaubt dass ich bis dahin ...

GERONTE
Der zuerst mit Lescaut unbefangen sprach, ändert sein Wesen und versinkt in Gedanken
Verzeihung! Im Moment bin ich wieder bei Euch!
Eine Kleinigkeit ist noch im Gasthaus zu ordnen.

Lescaut verbeugt sich, Geronte geht nach hinten ab. Es fängt an zu dunkeln; aus dem Hause bringt man Lampen und Lichter, die auf die Tische zu den Spielenden gesetzt werden

STUDENTEN UND BÜRGER
eifrig spielend
Die Drei! Ein Bube! Ein Ass hier!

Lescaut angelockt durch die Rufe tritt näher und sieht zu

LESCAUT
Das Spiel hol' doch der Teufel!
mit fiebernder Spannung
Die Karten, ach! Ob ich mein Glück versuchte?
Einige tüchtige Stiche ...

DIE BÜRGER
Schnell! Setzet! Gebet! Ein Ass ist's!

LESCAUT
sieht einem der Spieler über die Schulter in die Karten, beobachtet und sagt dann mit tadelndem Ausdruck
Das Ass sticht? Nein Ihr Herrn, der Bube!
Das ist wohl ein Irrtum!

DIE STUDENTEN
zu Lescaut, ihn bekomplimentierend
Der Bube - Ihr seid ein Meister!

LESCAUT
mit übertriebener Bescheidenheit
Ihr scherzt wohl! Ein Dilettant nur ...

Folgt der Einladung und setzt sich mit zum Spiel

GERONTE
der wieder vorkommt, beobachtet Lescaut; Er ruft, diesen beschäftigt sehend, den Wirt zu sich in den Schatten des Torwegs
Freund hört mich
Der Wirt läuft eifrig herzu
Lasst rasch mich zahlen, ganz ohne Aufseh'n
den Wirt seitwärts führend
Dann aber sorgt dass ein Wagen
Mit windschnellen Pferden bereit steht,
Nach einer Stunde ...

DER WIRT
Wird besorgt Herr ...

Edmond der bei dem Hin - und Hergehen Gerontes Verdacht schöpfte, nähert sich um ihn zu überwachen

GERONTE
wiederholend
Hinter dem Hause, nach einer Stunde. Verstanden?
Ein Mann steigt ein mit einem Mädchen.
Dann fort mit Windeseile, schnell
Gegen Paris hin! Ferner bedenkt:
Eu'r Schweigen bringt Euch Gold.

DER WIRT
listig
Das ist mein Abgott ...!

GERONTE
gibt dem Wirt eine Börse
Gut so! Betet's an!
Doch streng gehorchet ... Sagt mir jetzt noch:
zum Portal zeigend
Hat das Gasthaus nur diesen Ausgang?

DER WIRT
Nein, noch einen ...

GERONTE
Zeigt zu diesem mir den Weg.

Gehen hinten nach links ab

STUDENTEN
zu Lescaut
Nehmt Teil, willkommen beim Spiele!

LESCAUT
kalt und geringschätzig
Ich halte ...

Lescauts Spiel feuert die Studenten an; Edmond läuft zum Hintergrund, nach Geronte ausschauend

EDMOND
hervortretend
Würdiger Alter, du bist ein gepuderter Pluto ja!
Doch Proserpina hat vielleicht Tugend genug zu widerstehn!

Des Grieux tritt in Gedanken versunken ein

EDMOND
klopft Des Grieux auf die Schulter
Herr, man spielt Euch einen Possen ...

DES GRIEUX
erstaunt
Was wär' das?

EDMOND
spöttisch angehaucht
Wie eine Blume, die gestern süss duftete
Und heut ihrem Stengel entsinkt
So welkt die Freude hin, die Euch das
Liebliche Fräulein heute noch bot: Man raubt sie!
Es bläst sein Horn der Postillon
Dein zartes Mädchen
Rollt, keck entführt, davon ...

DES GRIEUX
erschrocken
Wär's möglich?

EDMOND
Ich seh Euch beben.
Bei Gott: ein Alter stiehlt sie ...

DES GRIEUX
Gut - ich werde hier warten ...

EDMOND
Wir sind gerüstet ...

DES GRIEUX
Rettet mich!

EDMOND
Euch beisteh'n? Die Entführung verhindern?
Lasst seh'n! Wohlan. - Vielleicht gelingt es so!
Mit Spiel und Wein ködern wir den Sergeanten dort ...

DES GRIEUX
Und der Alte?

EDMOND
Der Alte, nun ...
Den übernehme ich.

Er nähert sich den Spielern, spricht Mehreren in's Ohr, dann geht er durch des Portal nach hinten zur linken ab. Man unterbricht das Spiel, Lescaut trinkt mit den Studenten weiter. Manon erscheint auf der Treppe oben, schaut sich mit Angst um, steigt, Des Grieux erblickend, herab und tritt näher

MANON
mit Einfachheit
Nun seht Ihr! Ich hab getreulich
Was ich versprach, gehalten.
Ihr batet heiss mich, nochmals hier Euch zu erscheinen
Ich tat's - nun mag das Schicksal walten.
Doch jetzt ist's besser dass wir scheiden,
Ich muss dem Flehen widerstehn
Lasst ruhig mich, Herr, mein Schicksal leiden!

DES GRIEUX
Wie Eure Worte in's Herz mir schneiden.
In Euren jungen Jahren,
Was habt Ihr herbes denn erfahren?
Euer Grübeln und Wägen
Steht allem Geniessen schroff entgegen.
Lasst sie beiseit,
Ach, diese Traurigkeit! ...

MANON
Und doch war ich einst so fröhlich,
So vergnügt! Die stille Hütte
Hallte wieder vom lustigsten Lachen; -
Mit jungen Mädchen im Reigen
Sang ich die frohsten Lieder ...
traurig
Sonnige Kinderzeit
Wie liegst du weit! ...

DES GRIEUX
In deinen Himmelsaugen leuchtet mächtig
Die Sehnsucht nach der Liebe stillen Freuden ...
Und Liebe ist es, die jetzt aus mir spricht.
Gebt dem süssesten Zauber Euch hin,
Reicht die rosigen Lippen mir dar
Und das Herz; denn ich lieb Euch wahr.
Nach Euch in Flammen steht mein ganzer Sinn!

MANON
Bin nur ein armes Mädchen lieber Herr
Nicht die Schönheit leuchtet mir vom Angesicht
Die Trauer meines Schicksals drückt mich schwer ...

DES GRIEUX
Die Glut der Liebe wird schmelzen Euern Schmerz
Und Eure Schönheit berauschen ewig dieses Herz.
Senk zu mir deinen leuchtenden Blick
Ah, mein höchster Seufzer bist du
Meine Sonne, mein Stern, mein Glück!

MANON
Spricht die Wahrheit dein trunkener Blick?
Ah! so erfüll' sich der Traum ...!
Meine Sonne, mein Stern, mein Glück!

LESCAUT
sich mühsam aufrichtend und halb berauscht auf den Tisch pochend
Was, keinen Wein mehr?
Pfui, verwünscht! wenn der Krug leer!

Beim Ertönen der Stimme Lescauts ziehen sich Des Grieux und Manon schleunig nach rechts zurück; Manon zögert dort und möchte ängstlich umkehren; aber Des Grieux hält sie fest und zieht sie an sich. Die Studenten zwingen Lescaut wieder zum Niedersetzen und schenken ihm Wein ein

DES GRIEUX
zu Manon
O lasst Euch warnen ...
Euch bedrohen Schimpf und Schande
Man will Euch rauben!
Jener verruchte Alte, der gleichzeitig mit Euch ankam
Hegt den Anschlag Euch zu entführen.

MANON
Was sagt Ihr?

DES GRIEUX
Die Wahrheit!

EDMOND
kommt schnell gelaufen zu Manon und Des Grieux
Der Streich gelingt; der Wagen steht bereit schon ...
Welch' königlicher Spass!
Schnell, auf die Reise!

MANON
überrascht
Ich? Entfliehen?

DES GRIEUX
O kommt doch! wir reisen! Erlaubt
Dass statt des Andern, ich Euch entführe ...

MANON
zu Des Grieux
Ach nein! Das wäre Raub ja!

DES GRIEUX
Nicht doch - der Liebe folgt Ihr!

MANON
will sich los machen
Ach - nein!

DES GRIEUX
dringender
Ich fleh' Euch!

EDMOND
Hurtig! auf die Reise ...

DES GRIEUX
mit Leidenschaft
Lass uns fliehen, o Teure!

MANON
Nein, nie, nie!

DES GRIEUX
Lasst Euch erweichen, kommt entflieht.

MANON
Ach nein, nein.

EDMOND
Hohe Zeit ist's: Schnell fort!

DES GRIEUX
immer dringlicher
Manon, seht, es fleht die Liebe!
Kommt, mein Arm führt Euch zum höchsten Glück:

MANON
entschlossen
Gut, - es sei!
Ich folge Euch ...

EDMOND
Närrisches Pärchen.!.

Wirft Des Grieux seinen Studenten -Mantel um, in den Des Grieux das Gesicht birgt, dann fliehen alle drei hinter das Gasthaus. Von der Eingangshalle kommt Geronte, geht direkt zu dem Tische wo Lescaut trinkt und klopft ihm auf die Schulter

GERONTE
Mein Sergeant, wie steht es mit dem Essen?

LESCAUT
sich mühsam aufrichtend
Ja, zur Abendtafel, zu Tische!

GERONTE
für sich
(Mir ganz recht, er ist betrunken!)
Man hört von Ferne die Geschirrklingeln der forteilenden Pferde. Erstaunt
Wer reist denn jetzt ab?
Zu dieser Stunde? Befremdlich!

Edmond kommt lachend und hastig wieder hinter dem Gasthause hervor, nähert sich den Kameraden, die vereinigt aus der Halle treten. Ohne etwas zu merken schreitet Geronte rasch dem Hintergrund zu nach links sehend; wo der Wagen gestanden

EDMOND
zu den Kameraden
Welch' prächtige Szene; Sie reisten ab!

LESCAUT
aus der Halle tretend, rennt auf das Geschrei hin, schwankend einige Stufen der Treppe hinauf und ruft laut
He, Manon! Manon!

EDMOND UND DIE STUDENTEN
zu Lescaut, lachend
Ist nicht mehr da! ha, ha!
Den Betrunkenen gehöret der Abend ...

Immer mehr Menschen laufen herbei

GERONTE
wütend zurückkehrend von hinten
Infam ist's - Eine Schandtat ...

LESCAUT
aufgerüttelt von dem Lärm, steigt wieder die Treppe herab
Was nun?

GERONTE
zu Lescaut
Frevelnd entführt hat man Eure Schwester!
In meinem Wagen!

LESCAUT
den Degen ziehend
Bei Gott: Blutig gerächt sei dieser Verrat.
Bin des Königs Soldat ...!

GERONTE
Man betrog mich, Abscheulich!

Geronte und Lescaut wollen den Ausgang erzwingen um den Wagen zu verfolgen, aber alles sperrt ihnen den Weg. Noch mehr Menschen kommen herbei. Die Verwirrung und der Lärm erreichen den Gipfel. Edmond, Lescaut, Geronte, Der Wirt, Studenten, Frauen, Mädchen, Bürger und Volk. Durcheinander

EDMOND
zu Lescaut
Halt grad' dich, tapfrer Degen!
Sei kühn, doch nicht verwegen ...
zu Geronte
Gott Amor vereitelt oft gern
Die Pläne so würdiger Herrn!

LESCAUT
Ich werde ihn finden, ich schwör es ...

GERONTE
Den Durchgang gebt frei - ich befehl es!

DER WIRT
aus dem Gasthause herbei eilend
Welch furchtbares Lärmen, welch' Toben!

STUDENTEN
zu Lescaut
Halt grad dich Soldat, schau nach Oben!

FRAUEN UND MÄDCHEN
wiederholen
Welch furchtbares Lärmen.

EDMOND
zu Lescaut
Was werdet Ihr tun?

LESCAUT
Ich werde ihn suchen
Und nimmer ruhn ...

GERONTE
So schmählich mich zu verraten!

DER WIRT
für sich
Der Alte büsst seine Taten!

GERONTE
Jetzt schweiget, die Ruh' nehmt endlich in Acht!

CHOR
Betrunkenen und Narren gehört diese Nacht.

GERONTE
Seid stille! und zügelt das tolle Lachen
Ihr werdet mich wahrlich taub noch machen!

BÜRGER UND VOLK
S' sind Tolle! Lasst ab mit Schreien!
Bindet sie - sperrt sie ein.
Sie stellen wahrlich die Stadt auf den Kopf.
Steh grad Soldat, du trunkener Tropf.

STUDENTEN UND FRAUEN
Der Alte ist rasend und schäumt vor Wut
Schafft schleunig Frieden, sonst fliesst noch Blut.

EDMOND UND STUDENTEN
Auf, auf! Gehen wir endlich zu Tische
Lasst kreisen die schäumenden Becher ... -
Preist hoch die Lust, aus voller Brust,
Das ist die Weise der Zecher ...

BÜRGER, DER WIRT UND DIE FRAUEN
Toll ist das Geschrei, des Lärm brutal,
Die Babylonische Irrung
Sergeant, steht grad, die Trunknen steckt ein.
Sonst endet nicht die Verwirrung.

GERONTE UND LESCAUT.
Jetzt fort, haltet Ruh'
Den Weg gebt frei -!
Blutig gerächt wird die Büberei.

LESCAUT
immer wankend
Respekt, ich bin Leibsoldat ...
Und diene dem König und dem Staat.

STUDENTEN
Zu Tische! Wir wollen fröhlich sein
Ein Hoch den Frauen, ein Hoch dem Wein!

Alle umringen Geronte und Lescaut. Unter allgeimeinem schallenden Gelächter drängt und schiebt man sie gegen das Gasthaus. Der Vorhang fällt rasch

ZWEITER AUFZUG

Zu Paris. Ein Eleganter Salon im Hause Gerontes. Im Hintergrund grosse Türen. Rechts verhüllen reiche Vorhänge den Eingang zu einem Alkoven. Links nach dem Fenster ein luxuriöser Toilettentisch. Sofa, Sessel, Tisch in reichem Geschmack. Der Vorhang geht auf. Manon sitzt vor der Toilette, bedeckt mit einem kleidsamen weissen Pudermantel. Der Friseur ist eifrig um sie beschäftigt. Zwei Knaben stehen hinten, um jeden seiner Befehle sofort auszuführen

MANON
sich im Spiegel betrachtend
Du trotzig Haar was soll dein Sträuben?
zum Friseur
Schnell mit dem Eisen, brennet!
ungeduldig
Rasch doch!

Der Friseur springt hastig hinüber und brennt die Locke mit dem Eisen

MANON
immer zu dem Friseur, der jeden Befehl sofort ausführt
Hier ... ist die Flüchtige:
Ein wenig trennt die Brauen! ...
Reicht mir Bleiweiss ...!
befriedigt
Die Blicke schiessen scharf wie Pfeile ...
Hierher die Narzisse!

LESCAUT
durch die hintere Tür eintretend
Ich grüsse dich, kleine Schwester!

MANON
immer zum Friseur
Die Schminke und Pomade! ...

LESCAUT
Bist diesen Morgen, so scheint es, übler Laune.

MANON
Übler Laune? Wie so?

LESCAUT
Nicht? Um so besser! Geronte ging schon?
maliziös lächelnd
Welche Hast, zu verlassen dein Gemach ...

MANON
zum Friseur
Nun Schönheitspflaster ...

Der Friseur bringt die Schachtel; Manon stöbert darin herum und ist unschlüssig

LESCAUT
Rat erteilend
Dies wirkt keck! Ausgefeimt ist das;
Nicht? Dies ist galant!

MANON
unentschlossen
Ich weiss nicht recht ...
entschieden
So sei's! Hier diese zwei:
Am Aug' den Dolch der Kälte,
Am Mund das Schmachten nach Küssen!

Der Friseur legt die beiden Pflästerchen auf, dann nimmt er stolz Manon den Pudermantel ab, die nun reich gekleidet, frisiert und geschmückt dasteht. Er legt den Mantel zusammen, verbeugt sich elegant und geht mit seinen Gehilfen ab

LESCAUT
Manon betrachtend
Ah, welch prächtige Erscheinung!
bewundernd
Wie bist du schön und glänzend!
Entzückt bin ich darob!
Es ist mein Stolz: ich rettete Dich
Von des Studenten armer Liebe!
Als damals von Amiens mit Des Grieux du flohest,
Sank nicht mein Mut, noch ward mein Hoffen trübe.
Da ahnt' ich dein Geschick, ...
Sah den Glanz, der jetzt in diesen Sälen
Schimmernd, dich umgibt.
Wie fand ich dich damals ...!
In einer engen Hütte
Warst du bei ihm geborgen;
Nicht an Küssen fehlt' es
Noch an schweren Sorgen ...
S'war ja ein braver Junge der Des Grieux.
Jedoch ein Steuerpächter war er nicht, Parbleu;
Drum schien's natürlich mir
Dass einst du, des Mangels müde,
Annahmst die goldne Pracht hier,
Und floh'st der Armut Friede.

MANON
Doch sag' mir ...
unterbricht sich

LESCAUT
Sprich, was willst du?

MANON
Gar nichts!

LESCAUT
Gar nichts? Fürwahr?

MANON
Ich wollte dich nur fragen ...

LESCAUT
Ich geb' Bescheid!

MANON
plötzlich sich umwendend lebhaft
Du gibst Bescheid?

LESCAUT
Verstehe ...! Deine Augen verraten einen Wunsch:
Wenn Geronte dein Sinnen wüsste! ...

MANON
rasch
Ganz recht geraten! ...

LESCAUT
Möchtest Nachricht von ihm?

MANON
traurig
Ach ja! ... Hab' ihn verlassen
Ganz ohne Gruss und Kuss!
sich in dem hocheleganten Alkoven umsehend
Ach, in den kalten Spitzen herrscht
Trotz der Pracht, nur ödes Schweigen;
Oh, mich schauert's, ich erfriere
Will kein Herz sich zu mir neigen! ...
Einst kannt' ich andere Wonnen. -
Von sel'ger Liebe stammelte sein Mund
Die heissen Lippen suchten seine Küsse ...
Jetzt fühl ich mich zum Tode wund ...

Du meine stille Hütte,
Dich seh' im Geist ich wieder
Weiss schimmernd, traulich; zart
Umblüht von blauem Flieder ...
Ew'ge Friedensträume
Durchzogen still die Räume.

LESCAUT
Manon unruhig betrachtend
Nun wohl ... ich will gesteh'n ...
Des Grieux, (genau wie Geronte)
Ist eng befreundet mir
Er hört nicht auf zu quälen:
Des Grieux nachahmend
"Ist Manon hier?
Ist sie geflohn? Mit wem?
Wohin? Nach Nord? Nach Süd?"
Stets täuscht' ich ihn!
Nunmehr ist er gefasster ...

MANON
überrascht
Wie, er vergass mich?

LESCAUT
Nein nein! Er hegt den Wahn dass er mit Golde
Fänd' einen Pfad, der hin zu dir ihn führt.
geheimnisvoll
Im Spiel will er sein Vermögen, fiebernd, mehren
Er denkt die Karte siegt, die er berührt! ...
Ich alter Spieler weiss (unter uns) so ziemlich:
Die allgemeine Kasse wird in seine bald fliessen;
Von mir wohl unterrichtet
Wird er Alle noch rupfen ...
Doch in der atemlosen Pein des Kampfes
In Qualen Tag und Nacht
Ruht dann erst sein Wahnsinn,
Wenn er Dein gedacht ...
Bei jedem Spielschluss, wie im Traume
Fragt er nach Manon ...
Seufzt, ringt die Hände
Schaut aus nach dir, fragt mich wo du seist ...
Dann spielt er fort und er gewinnt am Ende.

MANON
für sich, schmerzlich
Kämpfst, leidest für mich,
Die verlassen dich hat so ehrlos!
Die so viel Schmerzen dir bereitet ...
Kehr' wieder! Gib die Vergangenheit zurück.
Selige Stunden, kehrt wieder,
Wo mich küsste sein Mund ...
In seinen Armen
An seinem Odem
Trink ich für ewig mich gesund.
O sieh' wie ich schön bin
Ah - Geliebter, nimm auf's neu mich hin!
Versinkt in Nachdenken; plötzlich fallen ihre Blicke auf den Spiegel; ihr Ausdruck wechselt; sie bewundert ihre eigne Schönheit; dann fragt sie leichthin Lescaut
Ist's wahr, dass dieser Anzug zum Bewundern mir steht?

LESCAUT
sie anstaunend
Wie angegossen!

MANON
Und das Haar!

LESCAUT
Ausgezeichnet!

MANON
Die Büste?

LESCAUT
Prächtig.

Einige gepuderte Musikanten treten ein und verbeugen sich vor Manon. Dann gruppieren sie sich mit ihren Notenblättern auf eine Seite

LESCAUT
leise zu Manon
Welch sonderbares Volk!
Wie es scheint, Charlatane?

MANON
gelangweilt
Nein, Künstler! Denn Geronte macht gern Madrigale.

Setzt sich gelangweilt auf's Sofa

Madrigal

EINE STIMME
Auf des Berges Höhen wandelst du, o Chloë
Blumen sind deine Lippen
Deine Augen Brunnen.

CHOR
O weh! O weh!
Zu Füssen liegt Philen.

DIE STIMME
Golden weht dein Haar im Winde
Wie ein Wunder anzuschaun ...
Es gleicht die entblösste Brust,
Lilien, frisch vom Morgenthauen.

Chloë, Du bist Manon,
Und in Philen wandelt sich Geronte.

Philen bläst die Schalmei
Und seine Melodei
Flehet sanft! Habe Mitleid!
Das Echo flüstert: "Mitleid!"
Klag' nur, Philen: "Chloë habe kein Herz."
Doch, gerecht sei, Philen ...
Horch! können Chloës Lieder zärtlicher sein?
Sie werden fürwahr flüstern "Nein."

MANON
gelangweilt, gibt eine Börse an Lescaut
Zahl' ihren Lohn!

LESCAUT
steckt die Börse ein
Nicht doch! Die Kunst beleidigen?
Mit Würde zu den Musikern
Seid mir entlassen im Namen wahren Ruhmes! -

Die Musiker verbeugen sich und gehen durch die Mitte ab. Durch die andere Türe sieht man einige Freunde des Geronte, ältere Herrn, Geistliche, alle mit eleganten Manieren. Geronte empfängt sie

Menuett

MANON
zeigt dem Lescaut einige der Gäste
Ja, Madrigale! Tanzkunst!
Und dann - Musik! Nichts fehlt ...
Die Quartettspieler treten ein, und stimmen links im Hintergrund wo sie sich versammeln
S' sind Alles schöne Sachen ...
gähnend
Doch, mich langweilt's ...!

Manon erhebt sich und geht nach hinten, Geronte entgegen, welcher, plaudernd mit dem Balletmeister und Manon, nach vorn kommt um die Menuett für die Lektion zu stellen

LESCAUT
für sich
Ein junges Weib, das so blasiert ist
Könnt' fast man ernstlich fürchten ...
mit Entschlossenheit
Schnell jetzt zu Des Grieux!
Der Freund muss meinem Plan sich fügen ...

geht unbemerkt ab

Ein Diener führt die Gäste Gerontes ein, theils ältere zierlich geputzte Herrn, die feierlich ceremoniös mit tiefen Verbeugungen sich Manon nähern; einige küssen ihr die Hand, andere bringen ihr Blumen etc. Geronte, strahlend, steht dicht bei Manon. Ein würdiger Marchese überreicht Manon einen Schmuck. Auch mehrere elegante Abbé's treten - Manon huldigend und ihr die Hand küssend - ein, alle voll Galanterie

DER TANZMEISTER
nähert sich Manon und reicht ihr die Hand
Ich bitte gnädiges Fräulein,
Manon beginnt die Menuett, Geronte lädt die Freunde zum Sitzen ein
Die Brust mehr erhoben ...
Recht so, sehr gut; nun darf ich Euch loben.
Mit Eurem ganzen Selbstbewusstsein
Schreitet vorwärts ... Setzet ein!
Inständig bitt' ich: im Takt bleibt! ...

GERONTE
begeistert
Anbetenswürdige Tänzerin!

MANON
mit falscher Bescheidenheit
Noch etwas linkisch ...

DER TANZMEISTER
Ich warn' Euch: hört solch Schmeicheln
Nur mit Ungunst;
Ein sehr ernstes Ding ist die Tanzkunst! ...

HERREN UND ABBES
zu Geronte
Lernt weise schweigen, Freund
Macht genau es darin wie wir, -
In der Stille nur huldigt;
Seid von Manon entzückt Ihr.

CHOR
Ernst ist die Tanzkunst ...

TANZMEISTER
Jetzt dreht Euch - Gut so -
Zur Rechten - Nun Verbeugt Euch.
Gebt Achtung ... Die Lorgnette ...

Manon lorgnettiert tanzend ihre Bewunderer

GERONTE
Wie sie tanzt - hochvollkommen!

HERREN UND ABBES
Manon verliebt anstarrend
Welche Glut in ihren Blicken
Welch Verheissen, welche Schönheit!
Wie die Sterne glänzend strahlen
Leuchten ihre Augen

MANON
mit Koketterie ihre Bewunderer herausfordernd, den Tanz unterbrechend
Goldenes Lob rauscht durch die Lüfte,
Rings um mich hör ich sie flüstern ...
Alle spenden Lobeshymnen
Sind nach meiner Schönheit lüstern.
Ah! ..........

HERREN UND ABBES
Ach, den Honig süsser Küsse
Möcht' ich von den Lippen saugen.
Manon ist des Lichtes Gottheit
Die Königin der Nächte ...

GERONTE
Welche Schönheit!
Worte können sie nicht schildern,
Ah, sie gleicht den Götterbildern!
Glühend ist mein Herz entzündet,
Das, ihr ferne, Ruh' nicht findet ...

Der Tanzmeister macht Zeichen der Ungeduld

MANON
Mein guter Meister liebt nicht viele Worte!
Wenn Ihr so schmeichelt, dann werd' ich nie,
Die vollkommene Göttin, die Ihr in mir seht,
Vermöge Eurer glühenden Phantasie.
Darum - Mass im Lob, werte Herrn! ...

DER TANZMEISTER
mit Ungeduld
Jetzt fehlt ein Herr ...

GERONTE
eilt herbei
Schon da ...

Figur des Begrüssens

DIE HERREN UND ABBES
Chor
Trefflich - Welch ein Paar ist's!
Lang soll der Frohsinn den Verliebten blühen.
Seht - Gott Merkur und Venus!
O, dass das Glück Euch in Reichtum und Liebe
Ewig verbunden bliebe!

MANON
rezitierend, mit der grössten Koketterie zu Geronte sich wendend
Höre die Stunde, Tyrso, locken
Die leis' verschwiegen, beut uns Wonne:
Deine treue Schäferin
Seufzet stets zu dir nur hin
Am Himmel stirbt die Sonne.
Plötzlich nahst du, dem Blitze gleichend.
Machest hell was bang und trübe!
Heiter lachet nun die Welt
Die uns eng umfangen hält
Und dies Wunder - that die Liebe!

DIE HERREN UND ABBES
Manon umringend
Ach, ein Wunder seid Ihr selbst
Ihr seid selber ja die Liebe ...

MANON
Eure Lobeshymnen schmeicheln ...
Ihr beschämt mich.

GERONTE
Ach mir schwinden alle Sinne
Ich vergehe ...

MANON
Euer Beifall ist erfreulich ...

GERONTE
sich einmischend
Die Galanterie in Ehren - doch
Ihr Herrn es ward spät schon ...
Die Menge wogt bereits vor die Tore ...

DIE HERREN
Die Zeit verflog uns!

GERONTE
zum Chore, mit Beziehung
Ich weiss das aus Erfahrung.
zu Manon
Meines Lebens holder Lichtstrahl!
Mit uns zu geh'n war Euer Versprechen;
Wir gehn indessen schon voran.

MANON
Nur eines Augenblicks bedarf ich!
Das Warten auf mich sei Euch leicht
In der reich geschmückten Welt ...

DIE HERREN
mit Galanterie
Schwer ist's Euch zu entbehren.

GERONTE
Stellt unsrer Seele Harren
Nicht zu lange auf die Probe!

Alle gehen. Man verbeugt sich, die Herren küssen Manon die Hände. Auch der Tanzmeister und die Musiker gehen

GERONTE
indem auch er Manon die Hand küsst
Gleich send ich her die Sänfte
Mein Ideal zu bergen ...

Geht ab

MANON
läuft zum Tisch, nimmt einen Handspiegel, und betrachtet sich selbstgefällig
Ah, - ich bin doch die Schönste ...
Sie nimmt die Mantille; als sie jemand nahen hört, denkt sie es sei ein Diener
Ist die Sänfte gekommen?
Des Grieux erscheint in der Tür ganz blass. Manon stürzt ihm tief erregt entgegen
Du, Du! Geliebter!
Ach meine höchste Liebe! Götter!

DES GRIEUX
vorwurfsvoll
Manon - ach!

MANON
schuldbewusst
Nein, du liebst mich nimmermehr!
Und liebtest einst mich doch so sehr!
Wie musst'ich missen
Dein heisses Küssen! ...
Und eine Zeit nahte dann
Da fürchtet' ich deine Rache.
O sieh' mich nicht so finster an
Nie hat das dein schöner Augenstern
In früheren Zeiten getan.

DES GRIEUX
heftig
Ja du Verworfne,
Fürchte meine Rache!

MANON
Ach ich bin schuldig - ich weiss es!
Und ach, ich büsse -
Du liebst mich nimmer!
Nun schwand mir
Der Hoffnung Schimmer!
Wie liebtest du einst mich!
Nun ist's vorbei
Trotz tiefer Reu! ...

DES GRIEUX
bitter
Schweig' Verrät'rin
Du brachst mein Herz
Als du mich verlassen!
Nimmer weisst du, am Tag wo du flohst.
Welche Leiden sanken auf mich herab.

MANON
Doch, jetzt sollst du verzeih'n
Sieh' rings meinen Reichtum.

DES GRIEUX
Schweige!

MANON
Gleicht dies Haus nicht dem Feenschloss,
Mit Gold geschmücht, ächt königlich?
Und Alles für dich!

DES GRIEUX
Geh - lass mich!

MANON
Stets hab' ich geträumt
Von einer lichten Zukunft,
Dass Liebe dich zurückführt! ...
Ich verrieth dich einst
niederknieend
Jetzt zu Füssen dir,
Fleh' ich Mitleid ...
Ach nimm die Verräterin
Neu in Liebe hin ...
O, lass um Verzeihung mich fleh'n.
Verweigr' es nicht!
Bin ich denn weniger Manon heut'
Als damals? schwand meine Schönheit?

DES GRIEUX
O du Versucherin!
Der alte Zauber blendet mich
Ich erliege! ...

MANON
Des Grieux's Hand erfassend
Der Zauber ist's der Liebe
Folg' ihm - sei wieder mein.

DES GRIEUX
Wer vermöcht' noch zu kämpfen -
Ja - ich bin Dein!

MANON
hingerissen, erhebt sich, Des Grieux nimmt sie in seine Arme
Nimm an dein Herz mich
O komme, komm
Mit deinem Arm umschling' Manon
Sie liebt dich!
Presse an's Herz, die ganz allein
Nach dir sich gesehnt
Komm, o sei mein!

DES GRIEUX
Im Kampfe besiegt ...
O, du Versucherin!
Mein Herz unterliegt
Ich fühl' wie schwach ich bin!
Ich liebe dich ...

MANON
O komm! O komm!
Nach dir nur sehnt sich Manon.
Nach Dir allein!

DES GRIEUX
Welch Glück im Kampf der Liebe
Besiegt zu sein!

MANON
in höchster Leidenschaft
Komm, fest umschling dein Arm mich,
Manon fleht heiss, erbarm' dich!

DES GRIEUX
In deiner Augen Tiefe
Les' ich mein künftig Geschick
Was auch die Erde beut:
Dein Kuss nur giebt das Glück!

MANON
Ah, Manon ersehnt nur dich allein
Schnell, lass an Deinem Busen
Innig mich ruh'n und selig sein.
Trunkene Küsse drück auf meinen Mund,
Mache in Wonnen mich wieder gesund.
O kehre mir zurück
Du allein bist all mein Glück.

DES GRIEUX
Wie deine Küsse unermesslich sind
Sei deine Liebe ewig mein, o Kind!
Mein Herz ist neu berauscht ...

MANON
Sind meine Lippen ein Altar
So bringe, Liebster, nun Opfer dar!

DES GRIEUX
In deiner Arme Seligkeit
Vergess' ich meines Lebens Leid ...

Manon überlässt sich den Armen Des Grieux', der sie sanft auf ein Sofa niedersetzt

MANON
Wonnegetränkte Lippen!

DES GRIEUX
Stürb' ich so, Dir zu Füssen!

MANON
Welch ein liebliches Leiden ...

GRIEUX
Sich ewig heiss zu küssen.

GERONTE
wird plötzlich in der Türe des Hintergrundes sichtbar, starr vor Staunen. Manon schreit auf, Des Grieux los lassend. ironisch
Wahrlich - mein holder Engel
Das war's - warum so lange wir gewartet?
Ich kam zur Unzeit ...
Ein ungewollter Zufall!
Doch - wer irrt nicht hienieden?
zu Des Grieux
Ihr auch vergasst - glaub' ich -
Dass, zum Beispiel, Ihr weilt
In einem fremden Hause.

DES GRIEUX
sich wiederfindend
Herr - hört mich!

MANON
Schweig nur!

GERONTE
zu Des Grieux
Dank den Göttern
Dass heute gerade ein Festtag.
zu Manon
Euch zog ich in's Haus hier
Weil ich Euch wahrhaft liebte
Wovon ich zahllos Proben Euch gegeben.

Manon sieht Geronte boshaft an, geht zum Tisch von dem sie einen Handspiegel nimmt den sie ihm später vor das Gesicht hält

MANON
das Lachen verbeissend
Ach, Liebe? Wass wisst Ihr
Von ihr mein Guter?
Den Spiegel vorhaltend
Hieher: Betrachtet Euch!
Stets wenn ich irrte, sag' ich's treu!
Und nun, seht auf uns Beide!

GERONTE
verblüfft
Ich bin verbunden Euch, liebliches Fräulein
Und kenne meine Pflichten:
Jetzt hier zu scheiden gilt's!
ironisch zu Des Grieux
O Ihr glücklicher Erbe!
geziert zu Manon
O, leicht beschwingte Schönheit!
drohend
Wir sehen uns wieder - und bald schon!

Ab

MANON
lachend
Frei bin ich! frei wie der Vogel dort oben.
hinter Des Grieux herrufend
Habt Dank mein Herr - ich muss Euch loben!
lachend
Ach, dass so es bliebe
zu Des Grieux gehend
Dich fand ich wieder
Du meine Liebe! ...

DES GRIEUX
trübe, befangen
Hör' nun! Wir müssen eilen:
Nur einen Augenblick
Gewähr' uns des tief verwünschten Alten
Dach noch Schutz - Dann fort von hier!

MANON
fast unwillkürlich
Wie schade - All die herrlichen Schätze
Und der üppige Reichtum!
seufzend
O weh, bleibt hier zurück ...

DES GRIEUX
mit grosser Erregung
Manon! schändlich!
Dich verrät dieses schlimme Bedauern!
Immer dieselbe, leichthin in Allem
Vor dem Vorbestimmten schaudernd,
Masslos heiss im Wünschen ...
Gütig, voll Grossmut
Wie deine Liebe bist Du, ohne Schranken,
Stets voll von neuen Begierden
Wirr in deinen Gedanken.
plötzlich auf einmal niedergeschlagen
Versengt - ach, von den Strahlen des Lebens!
Ich? Dein Sklave bin ich,
Und dein Opfer! tief gesunken.
Abwärts ging meine Laufbahn
Hab' aus dem Schlamm des Daseins getrunken
Hab' mich als Held verkauft
An ein wüstes Spielhaus
Meine Schande bringt, Ärmste, mich dir nah ...
tief niedergeschlagen
In dem Dunkel der Zukunft
Was wird noch werden aus mir?

Er setzt sich, den Kopf zwischen die Hände pressend

MANON
zärtlich zu Des Grieux
Sinn' andere Bilder - noch einmal wird es besser
Mir, ach, verzeihe, will treu und gut dir bleiben
Ich schwör' es - ich schwör es ...

Lescaut tritt rasch, schwer atmend ein. Manon und Des Grieux erstaunt, gehen ihm entgegen

DES GRIEUX
Lescaut!

MANON
Bist du's?

Lescaut wirft sich keuchend, nach Atem ringend, in einen Sessel

DES GRIEUX UND MANON
Was gibt es denn? Sprich!

Lescaut deutet mit Händen und Mienen an, dass etwas Schreckliches vorgefallen sei

MANON UND DES GRIEUX
erbleichend
O Gott, wir zittern
Was ist gescheh'n?

LESCAUT
beklommen
Erst ... lasst ... mich ... atmen -
Dann spreche ich.

MANON UND DES GRIEUX
Du machst uns beben
Was ist geschehen? Sprich!

LESCAUT
Man zeigte Euch an!

MANON UND DES GRIEUX
Wer? Der Alte?

LESCAUT
Ja!

MANON
O weh - der Schlag - Mein Gott -

LESCAUT
Die Wache naht mit Militär ...
Den Kopf heisst's nun bewahren;
Die Treppe schnell hinab - auf eilt!..
Von einem Grenadier im Quartier
Habe ich Alles erfahren ...
Auf die Treppe, hurtig!
Macht den Beinen Flügel.
Rings sind die Häscher nah
Ein Pfiff - und sie sind da ...

DES GRIEUX
wütend
Schlau verraten hat uns der verfluchte Alte.

MANON
Was wird aus mir!
immer unruhiger
Auf, auf - davon!

LESCAUT
Auf und davon!

MANON
Ich komme schon!

DES GRIEUX
Nichts übereilt!

LESCAUT
Ach Ihr vergesst: Ihr müsst sie verlieren
Wisst, Herr dass man sie fort will führen.
Hart steht ihr Los auf dem Spiel,
Das Exil!!

MANON
entsetzt
O Gott, der Tod wär's, mein Tod ...

Lescaut fährt fort zu drängen während Des Grieux im Zorn flucht und Manon ratlos auf der Szene hin und her rennt

LESCAUT
Hurtig beeilt Euch
Zögert nicht länger
Wenig Minuten
Und Ihr seid verloren!

MANON
Ja doch - ich eile!
zu Lescaut
Nur ein Weilchen!
Nimmt einen kostbaren Schmuck von der Toilette
Sieh diesen blitzenden Smaragd hier!

DES GRIEUX
für sich
Nimm Dich in Acht, alter Narr!
zu Manon
Auf - lass uns gehn ...

MANON
zu Des Grieux
Sogleich!

LESCAUT
Schon von dem Stadthaus
Nahen sie ...
Auf! beeilt Euch
Eh' die Wache Euch erwischt.

DES GRIEUX
Schnell - jetzt fort! Geschwind!

MANON
Nun ja doch!

DES GRIEUX
Wohlan.

LESCAUT
Sicher, vor Aerger wird
Der feige Alte sterben,
Kommt man und findet das Nest
Verlassen, und sucht
Die neue Adresse!
Jetzt fort!
Schnell Manon, auf den Weg!
Rasch fort - es drängt.

MANON
Ganz schnell, doch mir beistehn musst du.

DES GRIEUX
In was?

MANON
fortfahrend Preziosen zu nehmen
Wickle dies ein ...

DES GRIEUX
Nun aber komm!

LESCAUT
Schade fürwahr!
Die prächtige Truhe!
Jetzt durch den Garten
Lasst uns entweichen.
In seinem Schatten
Vorsichtig schleichen.
Aus ist das Bangen!
Sind wir erst unten -
Wer will uns fangen?

MANON
Leere noch schnell
Die reichen Kasetten!
Ach, diesen Reichtum
Den so ich liebte!
Muss ich nun lassen
Als schmerzlich Betrübte!

DES GRIEUX
Eile tut Not -
Manon, komm fort!
Folg dem Gebot!
Jetzt gilt es, Liebe,
Tapfer zu scheiden!
Zögern wir noch,
Fängt man uns doch.
Schande droht Dir und Leiden!

Lescaut läuft zum Fenster um zu lauschen

MANON
nimmt Schmuckgegenstände und versteckt sie in die Mantille
Es wäre Torheit zu lassen
Dieses Gold, dem ich, ach so hold!
Ich kann es noch fassen.

DES GRIEUX
Nur dein Herz, o Manon,
Rette ohne Reu ...
Ich mag dein glänzend Gold nicht
Denk nur an Lieb und Treu!

Geschrei von hinten

LESCAUT
Verfluchter Streich!
Sehet nur, seht,
Sie umzingeln das Haus schon.

MANON
aufschreiend
Ah - Des Grieux!
entsetzt
Hieher? Nach dort?
Zur Flucht! Zur Flucht!

DES GRIEUX
O Gott!
Hinweg - zur Flucht!
Nein, nein komm fort!
Schneller - schneller.
Entflieht

LESCAUT
Der Alte lärmet
Und feuert sie an
Sie marschieren dort.
Die Schützen verteilen sich.
Jetzt sind sie drin.
Auf der Treppe, hört!
Vorwärts, sie steigen
Herauf schon!
Sie fangen Euch!
Entflieht, entflieht!
Schnell.

Läuft zur Türe

MANON
Nur rasch, heraus,
O Gott!

DES GRIEUX
Sprich, ist hier nicht ein Ausgang?

MANON
hinzeigend
Ja dort, durch den Erker!
Schreie von Innen
Ah - ah!

Manon und Des Grieux, auf dem Höhepunkt der Verwirrung sind ratlos wohin sie fliehen sollen. Lescaut schliesst die Tür mit deren Schlüssel ab. - Er drängt Manon und Des Grieux in das Erkerzimmer und folgt ihnen auf dem Fusse. - Manon kommt sofort wieder vom Erkerzimmer heraus, - mit Lescaut und Des Grieux fliehend über die Szene laufend. Aus dem Vorhange des Erkerzimmers tritt ein Sergeant mit zwei Soldaten. Im selben Moment wird die hintere Türe eingeschlagen und in all seiner Aufgeblasenheit zeigt sich Geronte mit mehreren Soldaten

SERGEANT
Es rühr' sich Keiner!

Geronte lächelt Manon boshaft zu, welche im Schreck die Mantille mit dem Gold fallen lässt, das am Boden umherrollt

GERONTE
Ah, ah, ah!

Des Grieux zieht den Degen, um Manon beizusteh'n. Aber Lescaut entwaffnet ihn und hält ihn zurück von Geronte, auf den er eben stürzen wollte

LESCAUT
zu Des Grieux
Herr, wenn man Euch arretiert
Wer errettet dann Manon? ...

Auf ein Zeichen Gerontes verhaftet der Sergeant Manon, die von zwei Soldaten abgeführt wird

DES GRIEUX
verzweifelt, möchte Manon nachstürzen, wird aber von Lescaut zurückgehalten
Manon, ach!
O meine Manon! ...

Der Vorhang fällt sehr schnell

Orchester-Intermezzo

Malt Des Grieux' Stimmung. Die Gefangenschaft. Die Reise nach Havre

....."Hier weilt die Geliebte. Meine Leidenschaft ist so stark, dass ich mich als das unglücklichste Geschöpf der Erde fühle. Was habe ich nicht versucht in Paris, um Manon's Befreiung zu erlangen! Gefleht habe ich die Machthaber, an allen Thüren angeklopft und gebeten. Selbst zur Gewalt griff ich. Alles umsonst. Sie retten konnte ich nicht, so blieb mir nur ein Weg - ihr zu folgen. Und ich folge ihr - wohin sie auch geht, ich folge ihr; Und wäre es das Ende der Welt ... ich folge ihr ....."

Aus "Manon Lescaut " von Abbé Prévost

DRITTER AUFZUG

In Le Havre. Platz am Hafen. Im Hintergrund der Ausblick auf das Meer und die Schiffe. Links die Ecke einer Kaserne. Im Parterre ein Fenster, das mit dicken Eisenstäben vergittert ist. Das Tor, welches auf den Platz geht, ist geschlossen. Eine Wache patrouilliert davor. Im Hafen hinten sieht man die Hälfte eines Kriegsschiffes. Rechts ein Haus und ein Stück Trottoir. In der Ecke ein matt erhellter Leuchtturm. Es ist die letzte Stunde der Nacht. Der Morgen beginnt zu dämmern. Des Grieux und Lescaut, beide von verschiedenen Seiten an der Kaserne

DES GRIEUX
Stets diese grausame Angst ...

LESCAUT
Nur noch etwas Geduld ...
auf die patrouillierende Schildwache weisend
Die Wache dort wird bald der Schütze haben
Der mit im Spiel ist ... also nur Geduld!

DES GRIEUX
Mich foltert dieses Warten!
auf das vergitterte Fenster zeigend
Dort weilet meine Seele
Mein ganzes Leben ...

LESCAUT
Schon weiss es Manon
Sie wartet auf mein Zeichen
Und blickt forschend her.
Inzwischen wag' ich mit
Den Freunden meinen Schlag ...
Zur lichten Freiheit führe ich Manon.

DES GRIEUX
in tiefer Bewegung
Es ist mein Schicksal dass ich schleppe,
Mich Tag und Nacht auf meinem düstern Pfad ...
Breit' ich die Arme sehnend aus nach Glück
Ist's ein Phantom -:
Mich schaudert wenn es naht!
Paris und Havre ... welche Schreckensstunden!
Nur Qualen hab' im Leben ich empfunden! ...

LESCAUT
nähert sich Des Grieux und zeigt auf die Szene. Aus der Kaserne tritt ein Piquet, geführt von einem Sergeanten, zur Ablösung der Wache
Jetzt hab' Acht!

DES GRIEUX
Ich seh'! ...

LESCAUT
die Soldaten aufmerksam betrachtend
Das ist mein Mann wohl?
einen bezeichnend
Er ist es ...

Das Piquet mit dem Sergeanten tritt in die Kaserne zurück

LESCAUT
hastig zu Des Grieux
In tiefem Schlaf liegt Havre ...
Die Zeit ist günstig!

Er nähert sich der Kaserne, wechselt schnell ein Zeichen mit der Patrouille, die sich langsam entfernt, und klopft dann vorsichtig an das Eisengitter. Des Grieux sieht zitternd, ohne sich zu rühren, zu. Die Scheiben des Fenster öffnen sich leise. Manon erscheint. Des Grieux stürzt zu ihr hin

DES GRIEUX
mit unterdrückter Stimme
Manon!

MANON
in höchster Hingebung
Des Grieux!

Sie streckt die Hände durch das Eisengitter, welche Des Grieux mit Inbrust küsst

LESCAUT
für sich
Zum Teufel mit Amerika -
Manon reist nun nicht hin!

MANON
mit voller Leidenschaft
Du liebst mich - du liebst mich ...
Du hältst zu mir trotz aller Schande ...

DES GRIEUX
Ich dich verlassen, o süsses Leben? niemals.

MANON
Unfassbar ist Dein Lieben!

DES GRIEUX
Wenn ich dir folgte auf dem Schreckenswege
Tat ich's weil fest
Im Herzen wurzelte der Glaube.

MANON
sanft hingehaucht
Die Liebe! ...

DES GRIEUX
liebkost Manon
In Kurzem bist du mein.

MANON
traurig
O Gott - die Deine! ...
wie im Verzückung
In Kurzem ... Dein! -

DES GRIEUX
erschrocken, unterbrechend
Schweige - schweige!

DER LEUCHTTURMWÄRTER
kommt von rechts hinten, überschreitet singend die Szene und löscht das Licht im Leuchtturm
"Zur Antwort gab Käthe dem König:
Man soll nicht scherzen
Mit Mädchenherzen.
Nur für die Eh' schuf mich so reizend der Herr.'
Lachend schenkt der König ihr Schmuck und Gold,
Und einen Mann der treu sie lieben sollt' ...!"

Er entfernt sich nach rechts über das Trottoir

DES GRIEUX
der Morgen graut
Es dämmert ... Nun Manon hör'!
Am Tor des Hofes harre streng zur Zeit ...
Dort findest du Lescaut mit Andern, fluchtbereit ...
Gelingt's - bist du gerettet ...

DER LEUCHTTURMWÄRTER
hinter der Szene
"Zur Antwort gab Käthe dem König etc ..."

MANON
Zitternd erbeb' ich für dich!
Und ahne doch kaum, um was?
Ah ... vor meinem Geist erhebt sich ein Bild
Ich sehe dich blutend und sterbensblass ...

Vom Hintergrund naht eine Ronde, passiert den Platz von links nach rechts und verschwindet auf dem Trottoir nach hinten

DES GRIEUX
flehend und mit tiefer Empfindung
Manon, sieh' verzweifelt mich flehn,
Die Angst schnürt mir die Kehle, ich bebe! -
Willst du meinen Tod? -
Ich beschwör' dich Manon - entflieh'.
zeigt über das Trottoir herüber
Mach' ein Ende der Not ...
Komm' ich beschwöre dich -
Lass' uns entflieh'n von hier! ...

MANON
Es sei denn! erwarte mich, Liebster,
Mit Leib und Seele gehör ich dir!

Des Grieux fasst die Hände Manon's und gefasster winkt er ihr im Abgehen stets grüssend. Manon wirft ihm Kusshände zu. Sie tritt vom Fenster zurück. Ein Schuss von rechts. Des Grieux stürzt über die Bühne und läuft zum Trottoir

STIMMEN
hinter der Szene
Zu den Waffen.
Zu den Waffen!

LESCAUT
kommt von dem Trottoir fliehend mit blossem DegenVerloren ist das Spiel ...
Retten wir Freund, unser Leben!

DES GRIEUX
Was gibt's? Wie kam das?

LESCAUT
Hört - hört, dort ihr Alarmgeschrei!
Der Streich misslang uns, es ist vorbei ...

STIMMEN VON AUSSEN
Zu den Waffen!

DES GRIEUX
unruhig
Komm' o Tod nun!
Entfliehn ohne sie? - nein niemals!
zieht den Degen

LESCAUT
verächtlich
Ihr seid ein Narr!

MANON
erscheint jetzt wieder am Gitterfenster, bewegt, mit tiefstem Gefühl für Des Grieux
Im Namen Gottes entfliehe
O Liebster - entfliehe!

DES GRIEUX
verlässt das Fenster und verschwindet mit Lescaut
Manon!

LESCAUT
zieht Des Grieux kopfschüttelnd und mürrisch fort
Ein schlecht' Geschäft! -

Von dem Schuss und den Alarmrufen angezogen, läuft von allen Seiten Volk herbei. Bürger, Frauen, Seeleute etc, die erregt einander fragen, was es gibt. Die Verwirrung ist allgemein

STIMMEN VON AUSSEN
treten in die Szene
Ah!
Was war's?
Welch Lärmen hier?
Was gab es da?
Was geschah?
Entführung und Aufstand?
Entfloh'n ist ein Mädchen!
Gab es Revolution!
So hört doch! Was gab's?
Wer ist gefloh'n.

DAS VOLK
Bässe
Die dunkle Nacht hat die Räuber beschützt.
In der Finsterniss entschlüpft' ein Mädchen.
Ward sie entführt, die Dirne?

Tenöre
Im Finstern kam sie schon weit
Beschützt von der Dunkelheit.
Man lärmt als gäb es Meuterei!

Soprane
Mehr als Eine war's ...
Es waren Viele dabei ...

Trommelwirbel. Das Tor der Kaserne öffnet sich, der Sergeant und ein Piquet Soldaten treten heraus, Gefangene eskortierend, unter denen einige Frauen in Ketten. Der Zug hält hart vor dem Tore. Der Sergeant allein tritt vor und fordert, dass man Platz mache

SERGEANT
Den Durchgang gebt frei jetzt!

Vom Kriegsschiff steigt der Kommandant. Ihm folgt ein Zug Marinesoldaten, die sich rechts aufstellen. Auf dem Schiff machen die Seeleute Front

DER KOMMANDANT
zum Serganten
Das Schiff ist klar zur Abfahrt.
Beeilt die Befehle! ...

BÜRGER UND VOLK
im Zurückweichen
Seid stille! Entfernt Euch!
Der düstre Appell fängt an!

Mit einem Blatte in der Hand beginnt der Sergeant die Gefangenen einzeln aufzurufen. Die Genannten, die er auf dem Blatt durchstreicht, überschreiten von links nach rechts, zu dem Piquet Seesoldaten sich begebend, einzeln die Bühne mit verschiedenem Ausdruck auf den Gesichtern

SERGEANT
"Rosetta!"

Sie schreitet dreist herausfordernd über die Bühne auf ihren Platz

JÜNGERE MÄNNER
Ei, welch' Antliz!

ANDERE
Die kennt die Liebe;
gehässig
Ah - hieher gehört sie!

SERGEANT
"Madelon!"

Geht gleichgültig vorbei, lachend

EINIGE BÜRGERFRAUEN
empört
Welch' albernes Lachen!

SERGEANT
"Manon!"

Langsam vorüber schreitend mit gesenktem Blick

EINIGE ALTE
Und die? Eine Gefall'ne!

FRAUEN
Die Ärmste ist leidend.

JUNGE MÄNNER
Wie blickt sie so schmerzvoll!

EINIGE BÜRGER
vorn links plaziert
Sie ist, in Wahrheit, schön
Wer ist sie?

LESCAUT
erscheint in der Menge, in einen Mantel gehüllt, lebhaft zu den Bürgern sprechend
Die hier? Ein Geheimnis!

BÜRGER
Im Ernst; - Eine Schönheit!
zu Lescaut
Verführt? Verraten?

LESCAUT
Entführt und entehrt
Hat dies liebliche Mädchen
Ein herzloser Bube ...

BÜRGER
Der Schurke!

ANDERE
Die Schmach!

BÜRGER
von Manon sprechend
Sie weckt Mitleid.

LESCAUT
zu den Bürgern
Entführt bei der Hochzeit
Gequält durch erzwungene Küsse!

BÜRGER
empört
Das alte Lied!

LESCAUT
Geopfert der Lust ...

BÜRGER
Schändlich ist das!

LESCAUT
Einen alten Herrn!

BÜRGER
Abscheu weckend!

LESCAUT
Und dann kalt verstossen ...

BÜRGER
Mitleid mit ihr!

LESCAUT
zeigt auf Des Grieux
Seht hin, jener bleiche junge Mann
An ihrer Seite,
Das war einst ihr Bräutigam,
Der jetzt sie tief beklagt.

BÜRGER
O Schmach!

SERGEANT
"Ninetta!"

Sieht stolz auf die Menge

BÜRGERINNEN UND WEIBER
Wie furchtlos!

SERGEANT
"Caton!"

Ruhig, imponierend

JUNGE LEUTE UND FRAUEN
Eine Göttin!

SERGEANT
"Regina!"

Geputzt, kokett

FRAUEN UND JUNGE MÄNNER
wiederholtes Lachen
Hieher geriet sie mit Recht!
Die Schöne möcht' ich haben ...

SERGEANT
"Claretta!"

Eine ganz muntere Blondine

FRAUEN UND MÄNNER
Ah, seht, - die Blonde!

SERGEANT
"Violetta!"

Brünette, frech

Des Grieux ist in der Menge ganz verborgen. Kaum schritt aber Manon vorüber, nähert er sich ihr vorsichtig. Manon erkennt ihn und unterdrückt einen Aufschrei der Angst. Verstohlen reichen beide sich die Hände

MANON
leidenschaftlich erregt
O Freund, wie weit bin bald ich von hier!
So will's das grausame Schicksal.
Ich muss auf ewig jetzt dich verlassen.
Dich mein Alles! Leb' wohl denn!

DES GRIEUX
mit tiefem Gefühl
O sieh wie den Qualen
Schmerzvoll ich erliege
Die mir der schwere Abschied bereitet! ...
Ein Abschied der mein Denken löst
In bittre Tränen ...

SERGEANT
"Nerina!"

Trägt noch reichen Kopfputz und Schönheitspflästerchen

ANDERE
lachen
Welch lustige Gessellschaft!
Von Reizen keine Spur mehr!
Seht diese! - Mit zierlichen Pflastern!

SERGEANT
"Elisa!"

phlegmatisch

ALLE
Welch' tolle Versammlung!
Lachen

SERGEANT.
"Ninon!"

Bedeckt verschämt das Gesicht mit den Händen

"Giorgetta!"

Macht lächelnd dem Serganten Zeichen

LESCAUT
In Ketten und Banden
Mit Schande beladen
So fand die entführte Geliebte er wieder.

BÜRGER
In Wahrheit, - sie weckt das tiefste Mitleid!

MANON
Kehre zurück zum
Väterlichen Hause!
Wahre in Treue mein Angedenken!
Nie siehst du Manon mehr! ...
Dass ich genug dich nimmer geliebt
Ist, was mir das Scheiden bitter trübt ...
Doch du verzeihst was ich tat!
Ein Abbild meiner Liebe
Ist dieser trostlose Abschied
Flehe deinen Vater an!
Seufzer erdrücken ihre Worte
Leb wohl - meine - Liebe!
verzweifelt schluchzend

DES GRIEUX
Ach meine Seele füllt
Ein Verlangen! Ungestillt bleibt's:
Der glühende Hass ist's
Von Gott und Menschen,
Der mich verzehrt! ...

SERGEANT
geht zu den Gefangenen
Eilt Euch! Front bildet!
Sie stellen sich in Reih und Glied
Marsch vorwärts ...
Manon mit Des Grieux noch im Gespräch stehend, fasst er sie brutal am Arm und schlendert sie zu den Anderen. zu Manon
Was willst du noch?
Ein Ende mach' ich der Szene ...

DES GRIEUX
kann sich nicht mehr halten; mit einem Ruck reisst er Manon aus den Händen des Sergeanten und schreit
Lasst los sie!

SERGEANT
zu Des Grieux
Fort!

DIE BÜRGER
von Lescaut aufgehetzt zu Des Grieux
Fasse Mut!

DES GRIEUX
wütend, drohend
Ah - wagt's sie zu berühren! ...
zieht Manon schnell an sich, sie mit dem eigenen Leib deckend, zu Manon
Schmieg fest an mich dich an ...!

BÜRGER
So recht! Bravo!

Sie laufen Des Grieux zu Hilfe und hindern den Serganten, sich Manon's zu bemächtigen

DER KOMMANDANT
plötzlich inmitten der Menge erscheinend, die scheu zurückweicht
Was gibt's?

DES GRIEUX
mit dem Mut der Verzweiflung drohend
Ah - kommt nimmer mir zu nahe ...
So lang ich lebe - soll Niemand sie entreissen mir!
Weh' mir ...
Ich bin toll wohl ...!
Den Kommandanten erblickend bricht er, von der Bewegung übermannt, in ein heftiges Schluchzen aus, während dessen die um Manon geschlungenen Arme sich lösen, zum Kommandanten:
O seht, Herr, wie ich fleh' und weine!
Lasst die Tränen Euch rühren
Die die Verzweiflung erpresst!
Wollt mit ihr mich von dannen führen.
mit zitternder Stimme
Nehmt mich auf's Schiff als Euren Diener,
Lasst mich ein Handwerk erlernen
Das alles macht mich glücklich, erbarmt Euch.
Nur wollet mich nicht von ihr entfernen!
Ich erbiet' mich mit Blut und Leben
Habt Mitleid, erbarmt Euch mein!
Erlöst die Angst meiner Seele ...
Ewig werd' ich Euch dankbar sein!

Wirft sich vor dem Kommandanten weinend in die Knie. Während der Sergeant die Gefangenen zum Schiffe führt, drängt er Manon mit diesen weiter. Sie bedeckt, langsam Schritt für Schritt weiter geschoben, das Gesicht mit den Händen, und schluchzt bitterlich. Die Menge verhält sich, von den Soldaten im Zaum gehalten, still, voll Mitleid

DER KOMMANDANT
tief bewegt, beugt sich herab zu Des Grieux, lächelt ihm gütig zu, und sagt dann mit dem barschen Wesen des Seemanns. Kanonenschuss.
Ihr wollt bevölkern Amerika?
Junger Mensch ... Ihr seid wohl unklug?
Des Grieux sieht mit schrecklicher Angst auf das Gesicht des Kommandanten
Doch sei's! Wohlan - Ihr wollt's.
wie gesprochen, Des Grieux auf die Schulter klopfend
Auf - Junge, doch beeilt Euch!

Des Grieux stösst einen Freudenschrei aus und küsst dem Kommandanten die Hand. Manon wendet sich um, versteht was vorging - und auch auf ihrem Gesicht strahlt die höchste Wonne. Von der Höhe der Einsteigbrücke streckt sie die Arme nach Des Grieux aus, der zu ihr läuft. Lescaut steht abseits, schüttelt den Kopf, und geht ab

Schnell fällt der Vorhang

VIERTER AUFZUG

In Amerika. Eine unermessliche Ebene an der fernsten Grenze von New Orleans. Der Boden ist gewellt und ganz öde und schrecklich unfruchtbar. Der Himmel grau bewölkt. Der Abend dämmert. Manon und Des Grieux nähern sich langsam vom Hintergrund her, ärmlich gekleidet, von leidendem Aussehn. Manon ist bleich abgezehrt und stützt sich ermattet auf Des Grieux, der sie mühsam aufrecht hält

DES GRIEUX
im Gehen
Stütze dich fest auf mich meine müde Geliebte.
Wir nähern uns dem Ende der staubbedeckten Strasse,
Die oftmals ich verwünschte ...

MANON
erschöpft, mit schwacher Stimme
Nur vorwärts, nur immer weiter!
Schon sinkt vom Himmel nächt'ge Dämm' rung.

DES GRIEUX
Auf mich stütz' fest dich ...

MANON
Fühlst du die kühle Luft der Eb'ne?
mit noch schwächerer Stimme
Der Tag ging sterben ...
Doch vorwärts! Nur vorwärts! - Ah ...
sinkt um

DES GRIEUX
in grösster Angst
Manon!

MANON
völlig erschöpft
Ich kann nicht mehr! O verzeih' mir! ...
Stark bist du - ich beneide dich ...
gesprochen, in Erregung
Ein Weib nur bin ich ... sinke und verzage!

DES GRIEUX
forschend
Du leidest?

MANON
rasch
Ganz unbeschreiblich!
Des Grieux, erschüttert von diesen Worten, zeigt in Blick und Gebärden seinen Schmerz. Manon bezwingt sich und fährt fort. langsam
Nein was sagt' ich?
Das sind zage und törichte Worte ...
Sei ruhig - Geliebter.
Ein Moment nur der Ruhe! -
Ein kurzes Weilen
Gönn' mir Geliebter ...
Drücke fest mich an dich - ganz fest ...
fällt in Ohnmacht

DES GRIEUX
höchst leidenschaflich
O Manon - hör' mich - Geliebte ...
O gib mir Antwort - Mein Alles!
Sieh' ich bin's, der hier knieend trauert,
Lass meine Klagen mischen sich mit Deinen;
Lass küssen mich dein schönes goldnes Haar
O Manon, sieh mich bitter weinen ...
Du sprichst nicht Manon?
Du schweigst!
verzweifelt
Beim ew'gen Himmel.
ihre Stirn anfassend
Grausam tobt das Fieber ...
Mich befällt Verzweiflung
Sehe sie hülflos ermatten ... -
Mein Geist ahnt angstvoll
Die schwarzen Todesschatten.
zu Manon
O antworte mir - Geliebte.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
Still bleibt's ...
aufschreiend
Manon, O Gott - kannst du nicht sprechen?

Manon kommt nach und nach zu sich; Des Grieux hebt sie von der Erde auf und setzt sie auf einen kleinen Hügel

MANON
Bist Du's der klagt hier?
Von dir kommt das Stöhnen?
Ich höre deine Seufzer - Meine Stirn
Benetzen deine Tränen!
Heiss fühl ich sie brennen
Die um mich du geweint
Ach ich bin glücklich
Wir sind noch vereint ...
fiebernd
Sei stark Geliebter!
Verlass' nicht Manon ...
flehend
Der Durst quält mich, ich verschmachte
O gib mir Wasser, o hilf mir.

DES GRIEUX
mit höchster Leidenschaft
Mein Herzblut gäb ich für dein Leben ...
Das Grieux blickt sich nach Wasser um, läuft spähend zum Hintergrund. Enttäuscht kommt er zurück. zu Manon
Verzweifelt!
Kein Wasser, - nirgends!
Nur dürre Fläche
Nicht ein Tropfen quillt wo!
Hartherz'ger Himmel!
O Gott für diese Kranke
Heb' ich flehend die Hände ... -
Betend: ihren Leiden sende Lind'rung!

MANON
Hör' einen Vorschlag, wie ich zu retten:
Sitzend bleib' ich zurück,
Du steigst höher empor
Erforschst die Ebne
Ob irgend Du,
In Bergen oder Hütten.
Findest Wasser!
Mit strahlender Miene
Bringst du Erquickung der kranken Geliebten.

Des Grieux macht es Manon auf dem Erdhügel nach Kräften bequem; er ist unentschlossen zu gehn; in ihm kämpfen verschiedene Gefühle. Er entfernt sich zögernd. Im Hintergrund angekommen, bleibt er nochmals stehn und überlegt. Er blickt voller Verzweiflung auf Manon und stürzt dann, plötzlich entschlossen, davon. Der Himmel verfinstert sich. Die Müdigkeit übermannt Manon. Sie ist verwirrt, furchtsam, ohne Kräfte

MANON
Allein! - von Allen aufgegeben
In weiter, weiter Ferne ...
Kein Mensch der mich hier hört ...
Rings nicht die kleinste Spur von Leben ...!
Ich eine einsame Frau!
In welche Wüste ward ich verschlagen
Grausame Leiden füllen meine Seele
Fruchtlos verhallen alle Klagen ...
Ich will nicht sterben - nein!
Noch komme nicht der Tod!
Doch fänd' ich hier mein Ende
Ich, ach, die preisgegebne Frau, -
Dann ständ am Ziel ich aller Leiden
Man wollt' mich wieder von ihm trennen,
Der meines Lebens Stütze!
Wie schien mir friedlich
Die neue Erde
Ich hoffte endlich
Dass mir Ruhe werde.
Ach, meine Schönheit verfluch' ich
Die neu mein Leben verwirrte ...
Man wollt' mich wieder von ihm trennen;
Und alles was ich jemals irrte
Taucht auf in meinen Träumen
Bedrohet grausam meines Herzens Frieden ...
leidenschaftlich die Szene durchschreitend und mit sich ringend ....
Mit Blut befleckt' sich Des Grieux.
Auf's Neue mussten wir fliehen ... -
Asyl des Friedens ist, ach, allein das Grab!
langsam, klagend
Nein, nein, - ich will nicht sterben -
Ich will nicht den Tod!
ausser sich
Ich will noch leben meiner Liebe
Bringe mir Hilfe o Freund!
Lass nicht verschmachten mich, bring Hilfe,
Nein, nein - nicht sterben, nicht sterben!
Bleib fern mir - o Tod!

Des Grieux tritt rasch auf - Manon stürzt in seine Arme

MANON
Schliess mich in deinen Arm
Noch einmal - Geliebter.
zwingt sich zum Lächeln als hoffe sie noch
Sag - bringst du günst'gen Bescheid für Manon?

DES GRIEUX
mit tiefer Traurigkeit und mutlos
Ach keine Quelle
Quoll bei der Hütte
Und nicht ein Tropfen
Fiel aus den Wolken.
Wie auch mein Auge spähend sich mühte!

MANON
Nun dann sterbe ich! - schon fühl' ich Finsternis
Sich senken auf die Augen ...

DES GRIEUX
Nur ein sengendes Fieber
Trübt die bangende Seele -
Schmieg' dich an mich, fasse Mut,
In's Herz strömt schon zurück dein Blut..

MANON
mit unendlicher Hingebung
Ich lieb' dich und muss sterben
Schon stockt das Wort in meinem Munde.
mit tiefer ErgriffenheitUnd doch, so gern spräch' ich zum Abschied.
Von meiner Lieb' Dir, in dieser Stunde ...
Dich liebt' ich unsäglich!
O Liebe, himmlischer Zauber,
Unaussprechliche Wonne,
Du mein höchstes Begehren
mit Glut
Ja ich liebe - die Brust voll Schmerzen.
Und sterbe den hehren Zauber im Herzen.

DES GRIEUX
betastet Manon's Gesicht, für sich entsetzt
Die Kälte des Todes!
klagend
Gott! nun schwand die letzte Hoffnung.

MANON
zärtlich, mit schmerzlichem Ausdruck
Du weinst! O mein Geliebter;
Nein, keine Tränen:
Da ist die Zeit zum Küssen
Das Leben flieht - o stille mein Sehnen ...

DES GRIEUX
Und ich, ach, lebe noch ...

MANON
Ein Fest sei die Stunde
Da von Himmelswonnen trunken
Wir, verachtend den Tod
Uns an das Herz gesunken!

DES GRIEUX
Und ich, ach lebe noch ... welche Schande!

MANON
Wie liebt' ich dich so heiss
Und muss nun sterbend lassen meine Liebe ...
Die Stunde flieht, o küsse mich ...
Und sieh wie gern ich bei dir bliebe ...

DES GRIEUX
hingerissen
O du mein geliebtes Leben
Entflamme mich zu ewigen Wonnen ...

MANON
fiebernd
Die Flamme ach erlischt -
Es löschen Sterne und Sonnen ...
Liebster, - o sprich doch -

DES GRIEUX
Manon!

MANON
Ich hör' kein Wort mehr ...
Weh mir - hieher
im höchsten Grade erregt
Noch näher komm - Dein Antlitz will ich sehn.
So recht - so recht - o küsse mich!
Und lasse selig mich vergeh'n ...
Bleib' mir ganz nahe - Ich kann dich fühlen ...
im Krampfe
Weh mir!

DES GRIEUX
verzweifelt
Stirbst du, dann bin auch ich verloren
Manon, ich folge dir!

MANON
gebieterisch mit letzten Kräften sich aufrichtend
Ich will's nicht! - Leb wohl denn
Nacht sinkt auf Manon ... Mich friert ...
mit höchster Zartheit, lächelnd
War deine Manon der Liebe wert?
Besinn' dich! Leugne es nicht ...
An meine glänzende Jugend denk'.
beängstigt
Ich seh ... nicht mehr ... das Licht ...!

DES GRIEUX
in grösster Angst
O Himmel!

MANON
mit verlöschender Stimme
Meine Schuld sühnt das irdische Gericht ...
fast tonlos, zuletzt gesprochen
Doch ach, Manon's Liebe ... - die ... stirbt ... nicht ...!

Der Tod tritt ein. Des Grieux vom Schmerze übermannt, schluchzt, und sinkt auf die Leiche Manon's nieder

Der Vorhang fällt schnell.