Libretto: Norma

von Vincenzo Bellini


Personen:
POLLIONE, römischer Prokonsul in Gallien (Tenor)
OROVESO, Oberhaupt der Druiden (Bass)
NORMA, Oberpriesterin der Druiden, Orovesos Tochter, Seherin (Sopran)
ADALGISA, Novizin (Sopran)
CLOTILDE, Vertraute Normas (Mezzosopran)
FLAVIO, Freund Polliones (Tenor)
ZWEI KINDER Normas und Polliones (stumme Rollen)

CHOR
Druiden, Barden, Priesterinnen, Gallische Krieger



ERSTER AKT

Ouverture

Nr. 1 - Introduktion und Chor

Der Vorhang hebt sich nach dem zwanzigsten Takte.
Der heilige Hain des heidnischen Gottes Irmin.
Rechts unter einer grossen, mit Misteln bewachsenen Eiche auf Stufen die Säule des Gottes und der Druidenstein, der als Altar dient; an der Eiche aufgehängt das Schwert des Brennus neben einem Schild. Links hinten ein Felsenablauf.
Es ist Nacht; der Mond ist von Wolken bedeckt.



ERSTER AUFTRITT
Achtzehn gallische Anführer und Krieger. Weissgekleidete Druidenpriester. Vier Tempelwächter. Zwei Knaben. Dann Oroveso, das Oberhaupt der Druiden.
Achtzehn gallische Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet, weissgekleidete Druidenpriester, zwei Tempelwächter mit grossen Lanzen und umgehängten Hörnern, zwei Knaben mit Fackeln kommen von rechts hinter dem Druidenstein.
Oroveso kommt als der letzte von rechts hinten und tritt zum Druidenstein.
Zwei Tempelwächter mit Lanzen und Hörnern folgen ihm und nehmen neben den beiden anderen Tempelwächtern Aufstellung. Alle verbeugen sich vor dem Druidenstein rechts.


OROVESO
Steig' auf den Hügel, Druidenschar,
Späh' durch die dunkeln Zweige,
Ob hell bestrahlend den Altar
Das neue Licht sich zeige!

Die Priester verneigen sich

OROVESO
Wenn es dem Ost entstiegen,
Erschallen die Gesänge
Der frohbewegten Menge,
Und dreimal tön' das heil'ge Erz,
Kündend das Heil dem Land.

CHOR
Norma bricht die geweihte Frucht
Im heil'gen Hain!

OROVESO
Ja, Norma darf's allein!
Allein!

CHOR
Allein, allein!
Möge der Gott der Schlachten
Auf ihrer Stirne thronen,
Dass, die nach Rache schmachten,
Töten die Legionen,
Welche im blinden Rachedurst
Roma hierher gesandt, ja!

OROVESO
Ja, es soll in wilder Flucht,
Römer, dein Heer erzittern!
Bald soll des Galliers schwere Wucht
Den Adlersitz zersplittern!
Schrecklich sei unsre Stimme,
Ähnlich des Donners Grimme!

OROVESO UND CHOR
Bebe, du stolze Cäsarstadt,
Er naht, dein Rächer naht!

CHOR
Schrecklich sei unsre
Stimme, ähnlich des Donners Grimme!

OROVESO
Ähnlich des Donners Grimme!

CHOR
Bebe, du stolze
Cäsarstadt, er nahet, der Rächer naht!

OROVESO
Bebe, du Stadt! er naht, der Rächer naht!

Er verneigt sich gegen den Druidenstein und entfernt sich nach links über den Felsenablauf.
Die vier Tempelwächter und die beiden Knaben folgen ihm.
Die Priester und die Krieger gehen ebenso ab hinter dem Felsenablauf.


OROVESO UND CHOR
entfernt
Mond, wenn dein milder Strahl erglänzt,
Tritt Norma zum Altar!
Ihre Stimmen verhallen.
O Luna, erscheine!

Der römische Prokonsul Pollione kommt, in seinen Mantel gehüllt, rasch und vorsichtig spähend, von rechts vorn.
sein Begleiter Flavius mit Mantel und Schwert, folgt ihm.



ZWEITER AUFTRITT
Flavius, Pollione zu seiner Linken. Dann Stimmen der Priester

Nr. 2 - Rezitativ und Kavatine

POLLIONE
horchend
Die Stimmen verhallen,
Frei finden wir die Pfade aus des Waldes Dunkel.

FLAVIUS
tritt mahnend zu ihm
Tod lauscht in diesem Walde,
Weissagte Norma.

POLLIONE
O nenn' den Namen nicht,
Er macht mich schaudern!

FLAVIUS
erstaunt
Wie deut' ich das?
Die Traute, die Mutter deiner Söhne?

POLLIONE
Dem Freundesherzen darf ich kühn
Vertrauen, was mich tief betrübet.
Einst liebt' ich Norma,
Doch bald zerrissen der Liebe Bande,
Die Triebe, die mich an sie gefesselt;
Den Abgrund seh' ich zu meinen Füssen,
Und muss hinab mich stürzen.

FLAVIUS
dringlich
Liebst eine andere du?

Er wendet sich beobachtend nach hinten

POLLIONE
mahnend sich umsehend
O rede leise! Ja, ich liebe eine andere!
Adalgisa!
Du sollst sie sehen,
Des Lenzes schönste Blüte,
Die verborgen hier prangt.
Im Dienst des Tempels, des blutbefleckten Götzen,
Gleicht ihre Anmut
Einem Strahle der Sonne aus finstern Wolken.

FLAVIUS
betroffen
Ach, armer Freund!
Und schenkt sie dir Gegenliebe?

POLLIONE
Wohl darf ich hoffen.

FLAVIUS
warnend
Wird Norma die Schmach nicht blutig rächen?

POLLIONE
Entsetzen im Blicke, Medeen ähnlich
Glaubt' ich sie zu erblicken.
Ein Traumbild -

FLAVIUS
Erzähle!

POLLIONE
Ha! die Erinnrung macht mich beben!

Kavatine

POLLIONE
Mit Adalgisa Hand in Hand
Träumt' ich mich am Traualtare;
Sie trug ein weisses Brautgewand,
Blumen im Lockenhaare.
Hell brannten Hymens Fackeln schon,
Laut tönt' ein Lied der Minne Lohn,
Da schwanden meine Sinne,
Und mich durchströmte ein Hochgefühl. -
Plötzlich taucht auf ein Schattenbild,
Schreitet langsam zum Tempel nieder;
Und ein Druidenmantel hüllt ein
Die halberstarrten Glieder.
Schnell brannte Hymens Fackel aus,
Schweigend entflohen alle;
Die frohgeschmückte Halle
Glich einem Leichenhaus!
Im Hintergrunde beginnt der Mondschein, vorn bleibt es dunkel
Und ach, verschwunden war die Braut,
Samt den geliebten Söhnen;
Fernher erklang ihr Schmerzenslaut
Und meiner Kinder Stöhnen.
Da steigt aus dumpfer Gruft herauf
Ein Weib, den Stahl gerötet:
"Norma hat sie getötet,
So straft sie den Verrat!" -

Das heilige Erz ertönt links entfernt. Der Mond wird allmählich sichtbar.

FLAVIUS
Hörst du? - Ihrem Amte vorzustehn,
Nahet Norma dem heil'gen Haine!

CHOR DER PRIESTER
links entfernt
Luna erscheint am Horizont.
Fliehet, ihr Ungeweihten!
Flieht, Ungeweihte!

FLAVIUS
drängend
Eile!

POLLIONE
bestimmt
Ich bleibe!

FLAVIUS
mahnend
Hör', o hör' mich!

POLLIONE
empört
Schändliche!

FLAVIUS
wie vorher
Entflieh'!

POLLIONE
nach links drohend
Fürchtet meinen Zorn!

FLAVIUS
gesteigert
Fliehe nur schnell,
Gefahr bringt der Verzug!

POLLIONE
ebenso
Stürzen will ich den Götzendienst,
Entlarven den Betrug!

FLAVIUS
wie vorher
O eile nur schnell!

CHOR DER PRIESTER
links entfernt
Fliehet, ihr Ungeweihten!

FLAVIUS
Gefahr brächte der Verzug!

POLLIONE
mit Festigkeit
Was mich kräftigt und beseelt,
Scheuet nicht der Menschen Stärke;
Was in der Gefahr mich stählt,
Liebe ist es, die Grosses stets gebar.
Ihre Hand mir zu erringen,
Will ich kühn die Waffen schwingen,
In ihr Heiligtum zu dringen
Und zerstören den Altar.

FLAVIUS
mit fortgesetzt mahnendem Drängen
Eile!
Fliehe!

POLLIONE
Stürzen will ich den Götzendienst!

FLAVIUS
Gefahr bringt der Verzug!
Fliehe nur schnell!

POLLIONE
Zerstören den Altar!

CHOR DER PRIESTER
links entfernt
Luna erscheint am Horizont,
Fliehet, ihr Ungeweihten! Ungeweihte!

POLLIONE
Was mich kräftigt und beseelt,
Scheuet nicht der Menschen Stärke;
Was in der Gefahr mich stählt,
Liebe ist es, die Grosses stets gebar.
Ihre Hand mir zu erringen,
Will ich meine Waffen schwingen,
In ihr Heiligtum zu dringen
Und zerstören den Altar!
Ich will zerstören nun den Altar!

Flavius zieht Pollione ab nach links vorn. Heller Mondschein fällt auf den Druidenstein (Altar) rechts.
Die vier Tempelwächter kommen im ersten Takt mit Hörnern auf den Felsenablauf links, bleiben oben stehen und blasen. Die zwei Knaben mit Fackeln folgen und nehmen rechts vorn Aufstellung. Priesterinnen mit Mantel, Schleier und Kranz kommen im fünften Takt von rechts hinter dem Druidenstein. Oroveso und die Priester kommen im neunten Takt von links hinter dem Felsenablauf. Zwei Barden mit Harfen folgen den Priestern.
Die gallischen Krieger folgen von ebendaher zuletzt.



DRITTER AUFTRITT
Oroveso. Priester. Priesterinnen. Tempelwächter. Barden. Krieger. Knaben

Alle verneigen sich nach rechts gegen die Säule Irmins. Ein Knabe geht hinauf zum Druidenstein, entzündet mit seiner Fackel die Opferflamme und kehrt auf seinen Platz zurück.

Nr. 3 - Chor

ALLE
Norma schreitet, des Eisenkrauts Blüte
Schlingt sich heilig durch wallende Locken;
In der Hand glänzt die goldene Sichel
Als des wechselnden Mondes Symbol.
Sie erscheint, und die Sterne der Römer,
Glänzend erst, sind in Wolken verhüllet;
Sie strecken die Arme nach der Säule Irmins aus.
Irmin herrscht im Raume des Äthers,
Gleich Kometen, bedrohend die Welt.

Die vier Tempelwächter blasen. Norma kommt von rechts hinter dem Druidenstein; ihre Haare sind gelöst, ihr Haupt umgiebt ein Kranz von Eisenkraut, in der Hand trägt sie eine goldene Sichel. Acht Dienerinnen folgen ihr; zwei Dienerinnen tragen je ein Bündel von Mistelzweigen; vier Dienerinnen tragen leere flache Körbchen.


VIERTER AUFTRITT
Die Vorigen. Norma. Dienerinnen.
Norma tritt hinauf vor den Druidenstein, legt die Sichel darauf und erhebt die Blicke wie begeistert zum Himmel.
Die acht Dienerinnen nehmen vor den Stufen des Druidensteins Aufstellung.
Hellster Mondschein überflutet Norma.
Allgemeine Stille.


Nr. 4 - Szene und Kavatine

NORMA
Wer lässt hier Aufruhrstimmen,
Wer Kriegesruf ertönen?
Wollt ihr die Götter zwingen,
Eurem Willen zu folgen?
Wer wagt vermessen, gleich der Prophetin,
Der Zukunft Nacht zu lichten?
Wollt ihr der Götter Plan vorschnell vernichten?
Nicht Menschenkräfte können
Die Wirren dieses Landes schlichten.

OROVESO
Wie lange noch soll lasten feindliches Joch
Auf Galliens Gefilden?
Die Tempel sind entheiligt,
Das Land die Beute von Roms
Gefräss'gen Adlern.
Nicht länger darf es rosten,
Das Schwert des grossen Brennus!

CHOR
mit energischer Bewegung
Lass es rasch uns erheben!

NORMA
Dass es zersplittre? - Zersplittre!
Ja, wenn tollkühn ihr versuchet,
Allzufrüh es zu zeigen!

Die Männer ziehen sich betroffen einen Schritt zurück.

NORMA
Es sind die Tage eurer blutigen Rache
Noch nicht erschienen;
Der Römer Wurfgeschosse
Sind dem gallischen Beile
Noch viel zu mächtig.

OROVESO UND CHOR
ruhig und gemessen
Was kündet dir die Gottheit? Rede! weissage!

Höchste Aufmerksamkeit

NORMA
In den geheimen Blättern hab' ich gelesen:
Dem Untergang verfallen ist jene stolze Roma,
Und Blutesbäche färben die mächtige Stadt!
Doch nicht durch Gallier,
Rom fällt durch eigne Schwäche,
Fällt durch Laster und Verrat!
Bedeutend
Harret der Stunde, sie ist nicht fern,
Die Schmach und Elend rächet!
Friede gebiet' ich, während die Mistel ich breche!

Sie streckt ihre Arme gen Himmel aus.
Die zwei Barden nehmen ihre Harfen zur Hand und spielen. Die zwei Dienerinnen mit den Mistelbündeln gehen zu Norma hinauf und knieen vor sie hin. Die vier Dienerinnen mit den leeren Körbchen ebenso. Die letzten zwei Dienerinnen bleiben unten.
Norma nimmt die Sichel vom Druidenstein und erhebt sie segnend über die Mistelbündel.
Alle werfen sich auf die Kniee.
Der Mond leuchtet in seinem vollen Glanze.
Norma schneidet hierauf mit der Sichel die heilige Mistel von der Eiche und legt sie in die Körbchen der vier Dienerinnen; nach den fünfzehn Takten des Ritornells legt sie die Sichel auf den Druidenstein.
Die sechs Dienerinnen erheben sich, treten herunter und knieen unten wieder nieder.


NORMA
Keusche Göttin im silbernen Glanze,
Baue Segen auf die dir geweihte Pflanze!
Deines Anblicks lass uns erfreuen,
Wolkenfrei und schleierlos!

OROVESO UND CHOR
Keusche Göttin im Silberglanze,
Thaue Segen auf diese Pflanze!
Deines Anblicks lass uns freuen,
Wolkenfrei und schleierlos!

NORMA
Schleierlos, ja, schleierlos!
Lass nicht Zwietracht sich erneuen,
Träufle Balsam in die Wunden,
Bis den Frieden wir gefunden,
Der erkeimt aus deinem Schoss.

OROVESO UND CHOR
Bis wir jenen Frieden aufgefunden,
Der entkeimt aus deinem Schoss!

Die zwei Barden enden ihr Harfenspiel. Norma schreitet herab und nimmt die Mitte. Alle erheben sich.

NORMA
Nun trennt euch alle, kein Frevler wage
Diese Haine zu beschreiten;
Wenn die Götter schleudern ihre Racheblitze,
Um die Feinde zu zerstören,
Hört ihr vom Druidensitze
Meiner Stimme Donnerton!

Die Krieger erheben drohend die Waffen

OROVESO UND CHOR
feurig
Rufe! Nicht einer soll entrinnen!
O gebiete! Lass uns beginnen,
Und als erstes Racheopfer
Falle der Prokonsul Roms!

Norma tritt noch etwas weiter vor, steht ganz für sich. Die Dienerinnen mit den Körben voll Mistelzweigen gehen zu den einzelnen Gruppen und verteilen die Zweige.

NORMA
Er fällt! Ich kann ihn töten!
Für sich
Doch ihn töten? Mein Herz sagt nein! -
Entflohner, kehre wieder,
An meiner Brust erwarme,
Und diese mächt'gen Arme
Sind deines Lebens Pfand.
O kehre wieder mit heitern Blicken,
Nur du bist mein Entzücken,
Meine Seligkeit!

OROVESO UND CHOR
unter sich
Kommt langsam auch geschritten
Der süsse Tag der Rache,
Ist doch in allen Hütten
Die Kampfeslust entbrannt;
Bleibet doch auf Berg', in Hütten
Die Kampfeslust entbrannt!

NORMA
für sich
Ach! Entflohner, kehre wieder,
An meiner Brust erwarme,
Und diese mächt'gen Arme
Sind deines Lebens Pfand!
O kehre wieder mit heiteren Blicken,
Nur du bist mein Entzücken,
Meine Seligkeit!

OROVESO UND CHOR
Es bleibt auf Bergen und in Hütten
Doch die Kampfeslust entbrannt!

NORMA
für sich
O sieh' mein Sehnen,
Sieh' meine Thränen,
O schlinge wieder
Der Liebe Band!
Kehre wieder, sieh' meine Thränen!

OROVESO UND CHOR
Zur Rache!

NORMA
für sich
Sieh' die Thränen,
Sieh' mein Sehnen,
Schlinge wieder
Der Liebe Band!
Sieh' die Thränen,
O sieh' mein Sehnen,
Schlinge wieder
Der Liebe Band!

OROVESO UND CHOR
Auf den Bergen, in den Hütten
Bleibt die Kampfeslust entbrannt!

Die Knaben verlöschen das Feuer auf dem Druidenstein; einer nimmt die Sichel an sich.
Alle wenden sich zum Abgang nach rechts. Norma, die Priesterinnen, die acht Dienerinnen, die Krieger gehen ab nach rechts hinten. Oroveso, die Priester, die Barden, die Tempelwächter, die Knaben entfernen sich nach rechts vorn. Die Priesterin Adalgisa kommt von rechts hinter dem Druidenstein.



FÜNFTER AUFTRITT
Adalgisa allein

Nr. 5 - Szene und Duett

ADALGISA
wird lebhaft nach dem achten Takte sichtbar; dann hält sie inne und schreitet, nachdem sie sich umgesehen, träumerisch vor.

Einsam sind diese Haine, fort die Druiden! -
Sie kommt weiter vor und presst die Hände aufs Herz
Ungesehen fliessen nun meine Thränen,
Hier, wo ich zum erstenmale
Den Helden Roms, wehe mir! erblickte,
Der vergessen mich machte
Des Tempels, der Götter!
Wär' der Traum doch vorbei!
Fruchtloses Hoffen! Ein unerklärlich
Sehnen bringt mich ihm nahe;
In seinem Anblick schwelgt mein krankes Auge;
Ich höre seine Stimme in Zephyrs Flüstern
Und im Säuseln der Blätter.
Sie eilt nach rechts zu dem Druidenstein und wirft sich auf die Knie
O beschütze mich, du Starker!
O beschütze mich, beschütze mich,
Du Starker, beschütze mich,
Es wanket, es wanket mein Glaube!
Du Starker, sei gnädig mir!
Mein Glaube, ach, mein Glaube wankt!

Sie erhebt sich langsam.
Der römische Prokonsul Pollione kommt mit seinem Begleiter Flavius von links hinten.



SECHSTER AUFTRITT
Adalgisa rechts vorn. Pollione links hinten, Flavius an seiner Seite

POLLIONE
leise zu Flavius
Da ist sie! Fort!
Ich will nichts weiter hören!

Flavius geht ab nach links hinten


SIEBENTER AUFTRITT
Adalgisa. Pollone

POLLIONE
kommt nach vorn, bemerkt ihn, erschrocken
Du! Du hier?

POLLIONE
Was seh' ich? Du hast geweint?

ADALGISA
O sei barmherzig und lass mich beten!

POLLIONE
Du flehst zu Göttern, die grausam,
Tyrannisch, stets abhold
Deinen Wünschen und den meinen.
Ach, Adalgisa, der Gott,
Zu dem wir rufen, ist Amor.

ADALGISA
Weh' mir, o schweige, nicht darf ich weilen.
Sie entfernt sich von ihm

POLLIONE
Willst du mich fliehen?
Welch Ort wäre so geheim,
Den ich nicht fände?

ADALGISA
Der Tempel, des Gottes Altar,
Dem ich Treue geschworen.

POLLIONE
Dem Gotte! und unsrer Liebe?

ADALGISA
Muss ich entsagen! -

POLLIONE
sehr leidenschaftlich
Geh' und opfre den falschen Göttern,
Opfre ihnen denn und bring' mein Blut zur Sühne!

Er umschlingt Adalgisa. Adalgisa sucht sich ihm zu entziehen

POLLIONE
Opfernd magst du, magst du's vergiessen,
Nimmer kann ich dich verlassen,
Nein, nein, dich nie verlassen! -

Adalgisa hat sich losgemacht und weist mit der Rechten nach rechts auf die Säule des Gottes Irmin, mit der Linken auf sich: "sie habe sich den Göttern geweiht!"

POLLIONE
Nur dein Mund schwur den Altären,
Doch dein Herz, es schwur zu mir;
Mir nur sollst du angehören,
Niemals mehr entsag' ich dir.

ADALGISA
Ach, du weisst nicht, wie sehr ich leide,
Wie mein Herz dich warm verteidigt!
Dem Altare, den ich beleidigt,
Naht ich mich mit Kindesfreude.

Sie streckt hilfesuchend beide Arme nach der Säule des Gottes aus: "Vergebliches Flehen, ich bin schuldbeladen"

Heiter blickte einst mein Auge
Zu des Himmels Blau empor;
Nun ist mir sein Glanz entschwunden,
Da ich meine Ruh' verlor.

POLLIONE
Mildre Sitten, schönre Sonne
Bietet Rom, wohin wir eilen.

ADALGISA
aufs höchste erschrocken
Fort du? Fort du?

POLLIONE
Zu neuen Thaten!

ADALGISA
Fort du? Und ich?

POLLIONE
Du folgst dem Gatten!
Amor ist der Gott der Götter,
weiche seiner sanften Macht!

ADALGISA
Unsre Priester, unsre Seher -

POLLIONE
Sie schreien Wehe!
Und versinken dann in Nacht!

ADALGISA
Ach, wer rettet? -

POLLIONE
Von der Liebe bist du bewacht.

ADALGISA
Nein, ich darf nicht,
Wachsam lauert der Verdacht.

POLLIONE
Du könntest fliehen und mich verlassen?
Und mich verlassen? Adalgisa! Adalgisa!
Komm nach Rom, dem Schmuck der Städte,
Wo der Freude Nektarschale
Froh uns winkt zum Göttermahle
Und die Sorge sinkt in Lethe!
Säume nicht, die Feinde wachen,
Folge deines Herzens Ruf!
Glücklich sein und glücklich machen,
Welch ein herrlicher Beruf!

ADALGISA
Ja, das sind die süssen Laute,
Ja, das sind die Liebeszeichen.
Welche Gott Irmins Vertraute
Vom Altare selbst verscheuchen!
Nimmer kann ich widerstehen
Diesem innern Herzensdrang!
Götter, hört mein heisses Flehen,
Zürnet nicht, dass mein Herz ich nicht bezwang!

POLLIONE
drängend
So komme!

ADALGISA
zögernd
Lass mich hier.

POLLIONE
mit geöffneten Armen
Sieh' die Arme ausgebreitet!

ADALGISA
Ach, lass mich!

POLLIONE
Du könntest mich verlassen?

ADALGISA
Ach, Schande mich begleitet.

POLLIONE
Für mich nicht alles wagen?

ADALGISA
O höre meine Stimme!

POLLIONE
Adalgisa!

ADALGISA
Sieh', wie ich weine,
Sieh' den Kampf der Pflicht und Liebe!

POLLIONE
Adalgisa, gehorch dem Triebe!

ADALGISA
Harre - du -
Ach, vergebens, ich bin die deine!
Umarmung

POLLIONE
Morgen in der Frührot Stunde
Harr' ich dein!

ADALGISA
Zum ew'gen Bunde!

POLLIONE
Schwöre!

ADALGISA
Heilig!

POLLIONE
Geliebte Seele, ich darf hoffen?

ADALGISA
Ja, du darfst hoffen,
Treulos bin ich den Altären,
Treu werd' ich der Liebe sein!

POLLIONE
Mildre Götter wirst du ehren,
Und verachten den Betrug -

ADALGISA
Treu werd' ich, ja, treu
Der Liebe sein,
Ja, treu der Liebe sein!

POLLIONE
Verachten den Betrug und Schein,
Und treu der Liebe sein!

%Er verlässt sie nach inniger Umarmung und geht ab nach links hinten. Adalgisa wendet sich zum Abgang nach rechts hinten.


ACHTER AUFTRITT

Verwandlung

Nr. 6 - Duett

Der Vorhang hebt sich nach dem fünfundzwanzigsten Takte.
Normas Felsenwohnung mit einer Mittelöffnung, deren Vorhänge geschlossen sind; hinter den Vorhängen eine Lagerstätte mit einer Fensteröffnung darüber. Rechts eine Felsenöffnung als Eingang. Zur Rechten ein Steinaltar; mehr nach der Mitte hin auf Tierfellen ein Blocksitz. Links ein Herd; in seiner Nähe auf Tierfellen ein Ruhelager; an der linken Hinterwand ein Steintisch. Es ist Tag.
Klothilde, die beiden Kinder Normas an der Hand führend; Norma ohne Mantel und Schleier zu ihrer Linken.


NORMA
geht auf die Kinder zu und wendet sich bebend vor ihnen zurück; zu Klothilde
Geh' jetzt, ich will sie nicht mehr sehen!
Schauder ergreift mich,
Wenn ich sie will umarmen!

Sie setzt sich auf das Ruhelager links, mit dem Arm auf dem Lager ihren Kopf stützend.

KLOTHILDE
Woher der Zwiespalt in deiner Brust?
Es sind so gute Kinder!

NORMA
gepeinigt
Frag' nicht! - In diesem Herzen
Wechseln Gefühle. Bald herrscht die Liebe,
Bald hass' ich meine Kinder. Bald macht ihr Anblick mir Freude,
Bald wieder Kummer. Jetzt möcht' ich sie herzen,
Jetzt zornig strafen, bald mich und sie verwünschen,
Dass ich die Mutter.

KLOTHILDE
Und du bist Mutter!

NORMA
leidenschaftlich aufspringend
O wär' ich's nicht.

KLOTHILDE
rasch
Du sprichst in Rätseln!

NORMA
Du kannst mich nicht verstehen,
Du treue Seele.
Sehr wichtig
Vom Senat berufen
Ist Pollione

KLOTHILDE
Du wirst ihm folgen?

NORMA
betroffen, langsam und düster
Darüber schwieg sein Mund.
Mit steigender Aufregung
Ach! Wenn er fliehen könnte,
Und mich verliesse! Wenn er vergessen könnte
Mich und die Kinder!

KLOTHILDE
Und glaubst du? -

NORMA
mit einigen Schritten nach links
Gewissheit! Sie wäre minder grausam
Als böse Ahnung, als trüber Zweifel! -
Ich höre Tritte!
Zu Klothilde
Geh', verbirg sie!

Klothilde geht mit den Kindern ab durch die Mittelvorhänge. Die Vorhänge fallen hinter ihr wieder zu.
Adalgisa kommt mit dem Eintritt des Andante von rechts.



NEUNTER AUFTRITT
Adalgisa, Norma zu ihrer Linken

Adalgisa steht still

NORMA
Adalgisa!

ADALGISA
für sich
Herz, bleibe standhaft!

NORMA
Tritt näher, du holdes Wesen!

Adalgisa bleibt stehen

NORMA
Komm näher! Du scheinst zu zittern?
Zu sprechen wünschest du mit mir,
Geheimes trägst du auf dem Herzen?

ADALGISA
So ist's. Doch du bist strenge,
Kennst nicht die Macht der Leidenschaft,
Der Schwäche bist du verschlossen.

Sie tritt näher und wirft sich vor Norma auf die Knie

Wo find' ich Stärke, mein Herz
Dir zu entschleiern?
Dir mich zu entdecken!

NORMA
Vertraue und rede, was betrübt dich?

ADALGISA
nach einem Augenblick des Bedenkens
Die Liebe -

Norma macht eine Bewegung

ADALGISA
O zürne nicht!
Lange hab' ich gestritten, sie zu besiegen,
All' meine Kraft verschwendet,
Eifrig gebetet - Ach, alles fruchtlos!
So wisse, was ich ihm zugeschworen:
Den Tempel meiden und den Altar,
Dem ich verlobt, verraten,
Mein Heimatland verlassen -

NORMA
Halt ein, Verirrte!
Sie legt ihre Hand auf Adalgisas Haupt
Im Morgenrot des Lebens
Ist dein Stern schon versunken?
Sie hebt Adalgisa auf und führt sie nach dem Ruhelager links
Erzähle mir alles!
Sie sitzt und hält Adalgisas Hände
Wie fasste dich die Glut?

ADALGISA
zu Normas Füssen knieend
Von einem Blicke, von einem Seufzer
Im geweihten Haine, dort am Altare,
Wo ich in Andacht flehte. Ich bebte,
Auf meiner Lippe starb das Wort des Gebetes.

Norma lässt allmählich Adalgisas Hände los und versinkt in träumerisches Erinnern

ADALGISA
Ich war versunken in nie geahnte Wonne,
Sah andre Himmel und andre Sonnen,
Er war mein alles, mein Himmel!

NORMA
für sich
O Rückerinnrung!
So war mein Los, so ward mein Aug' geblendet,
Als es auf seinem ruhte.

ADALGISA
Doch - du scheinst ja zerstreut?

NORMA
Rede! Ich höre.

ADALGISA
steht langsam auf
Hier stahl er mir den Frieden,
Hier sah ich ihn manche Stunde;
Wenn er von mir geschieden,
Brannte des Herzens Wunde.

NORMA
für sich
Ach, so erging es mir!

ADALGISA
Lass mich, rief er mit Flehen,
Dir in das Auge sehen -

NORMA
für sich
O Rückerinnrung!

ADALGISA
entfernt sich einige Schritte von Norma; mehr für sich
Lass mich aus deinen Augen -

NORMA
für sich
So hat auch er gesprochen!

ADALGISA
Wonne und Hoffnung saugen,
Gieb mir des Haares Locke,
Nicht versage der Liebe Kuss!

NORMA
für sich
O süsse Töne!
So haben sie auch einst
Dies unbewachte weiche Herz gebrochen!

ADALGISA
in seligem Erinnern wie für sich
Sanft, wie der Zephyr am Fliederstrauch,
Süss, wie die Töne der Harfe,
Klang seines Mundes Beredsamkeit -
Ich sah den Himmel offen.

NORMA
für sich
Ich fühlte gleichen Zauber!

ADALGISA
weinend, sich Norma wieder nähernd
Ach, da vergass ich die Pflichten -

NORMA
Du sollst nicht weinen.

ADALGISA
Wirst du mich gnädig richten?

NORMA
Ich bin nicht grausam.

ADALGISA
Nun kennst du mein Vergehen.

NORMA
Ich bin nicht grausam.

ADALGISA
Wirst du mein Herz verdammen?
Verzweifelnd vor Norma zusammenstürzend und deren Knie umfassend
Rette mich vor mir selber,
Rette mich, rette mich, wenn du kannst!

NORMA
O klage nicht, du Tiefbetrübte,
Noch ist zu lösen dein Gelübde.

ADALGISA
Ach! wiederhole des Trostes süsse Worte!

NORMA
steht auf und hebt Adalgisa empor an ihre Brust
Heil dir, o Heil!
Sie küsst sie
Empfange diesen Schwesterkuss,
Ich will der Welt dich retten,
Sich von Adalgisa loslösend
Denn dein Gelübde lös' ich auf,
Ich breche deine Ketten!
Dir lacht das Glück der Liebe,
Die höchste Erdenlust.

ADALGISA
O wiederhole noch einmal
Des Trostes süsse Worte;
Geendet ist nun meine Qual,
Mir strahlt der Hoffnung Sonne!
Du hast hinweg genommen
Die Leiden meiner Brust,
Ja - ja - ha, welch süsse Lust!

NORMA
Dir wird noch lachen das Glück der Liebe,
Die höchste Lust - ach!

ADALGISA
O wiederhol' des Trostes Wort,
Des Trostes Wort - ach!

NORMA
Empfange diesen Schwesterkuss,
Ich will der Welt dich retten.
Ja, dein Gelübde löse ich,
Ich sprenge deine Ketten.
Dir lacht das Glück der Liebe,
Die höchste Erdenlust,
Ja, ja, ja, höchste Lust!

ADALGISA
O lass die Worte,
Lass mich sie hören!
Du hast weggenommen
Den Stachel der Brust,
Ja, ja, ach, welche Lust!

BEIDE
Ach - ach, welche Lust!

NORMA
drängt Adalgisa nach der Mitte und umarmt sie stürmisch
Doch sprich, wie ist sein Name?
Mit einigen Schritten nach links
Ist er vom Kriegerstande?

ADALGISA
Gallien ist nicht sein Heimatland,
Er ist ein Römer!

NORMA
ahnend
Römer? Und heisst? Vollende! -

Pollione kommt von rechts


ZEHNTER AUFTRITT
Pollione rechts. Adalgisa in der Mitte, etwas zurückstehend. Norma links

ADALGISA
zeigt nach rechts
Hier kommt er.

NORMA
aufflammend
Dieser? Pollione!

ADALGISA.
Du zürnest?

NORMA
gesteigert
Pollione ist dein Geliebter?
Täuscht mein Gehör mich?

ADALGISA
Ach, nein!

POLLIONE
zu Adalgisa
Unheil hast du gestiftet!

ADALGISA
betroffen
Unheil?

NORMA
zu Pollione
Bebest du? Und für wen
Magst du jetzt erbeben?
Ausbrechend.
Du sollst nicht beben für jene dort,
Nein, nicht für jene,
Die nur dein Hauch vergiftet!

Adalgisa bebt erschrocken mehr nach hinten zurück

NORMA
Sie nicht; du gabst dein Heuchelwort,
Du nur warst der Verräter!
Erbebe nur für dich, erbebe nur für dich,
Für deine Kinder, zittre für mich,
Für dich, Verräter, erzittre nur für dich,
Erzittre für dich, für dich und mich!

ADALGISA
aufs höchste betroffen
Was hör' ich? Du? - Pollione? - Rede! -

POLLIONE
wendet sich schweigend ab

ADALGISA
Nein, schweige! O Himmel!

Sie presst, etwas in sich zusammensinkend, das Gesicht in die Hände. Norma tritt zu ihr. Pollione hat nur für Adalgisa Sinn und Auge.

Nr. 7 - Terzett

NORMA
Arme! geopfert ist dein Glück,
Ihm konntest du vertrauen!
Besser wär's, giftigen Schlangenblick,
Sie zeigt nach Pollione
Als seine Blicke zu schauen!
Ach, deine holden Augen
Gleichen zwei Thränenbächen.
Brennende Qualen foltern
Zwei treue Herzen,
Die der Verräter treulos brach!

ADALGISA
Ach, wann schliesst sich des Zweifels Thor?
Schrecklich sind deine Züge!
Wahrheit verlangt mein scheues Ohr
Doch dieses Herz verlangt die Lüge.

NORMA
zu Adalgisa
Arme, geopfert ist dein Glück.
Ja, besser wär's, gift'ger Schlangenblick,
Als diese Blicke, den Blick zu schauen.

ADALGISA
Ahnung erfüllt mein banges Herz!
Was wird die Zukunft spenden?
Nie wird mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach.

NORMA
zu Adalgisa
Lass deine Thränen strömen,
Brennende Qualen foltern
Zwei Herzen, die er treulos brach,
Die der Verräter treulos brach!

POLLIONE
Norma, in dieser Stunde nicht
Soll mich dein Zorn erreichen!
Er zeigt nach Adalgisa
Sieh' auf dies holde Angesicht,
Es stirbt dahin, sieh', es will erbleichen!
Nicht in der Jungfrau Gegenwart
Sollst du den Schleier lüften;
Mag denn der Himmel richten,
Wer von uns beiden mehr verbrach!
Sieh' dort die Arme,
Gebeugt von dem Harme,
Die ohne Schuld
Die rein, die nichts verbrach! -

NORMA
Ja, besser wär' es, Schlangenblick,
Nach Pollione zeigend
Als diesen Blick zu schauen! -
Du kannst es wagen! -
Lass den Thränen freien Lauf,
Beide sind, beide sind betrogen!
Beide hat er uns belogen,
Ja, uns belogen,
Da er seine Schwüre, seine Schwüre brach,
Er seinen Eid mir brach! -

ADALGISA
tritt Norma näher
Ach, wann schliesst sich des Zweifels Thor?
Wahrheit verlangt mein scheues Ohr,
Doch dieser Busen verlangt die Lüge!
Ahnung erfüllt mein banges Herz,
Was wird die Zukunft spenden?
Nie wird mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach.
Ahnung, ja, sie erfüllt mein banges Herz!
O was wird mir die Zukunft spenden?
Ach, nie, niemals wird, nie sich mein Jammer enden,
Wenn er den Eid mir brach! -

Sie schmiegt sich bittend an Normas Schulter

NORMA
macht sich frei; empört zu Pollione
Schändlicher!

POLLIONE
Du rasest!

Er will fort

NORMA
beobachtet beide mit grösster Aufmerksamkeit; zu Pollione
Bleibe noch!

POLLIONE
fasst Adalgisas Hand und will sie mit sich fortziehend
Folge mir!

ADALGISA
sich von ihm losreissend
Nein, niemals folg' ich dir!
Norma nennt dich Gatten!

POLLIONE
Teure, dich hab' ich erkoren!

ADALGISA
Nein, niemals folg' ich dir!

POLLIONE
schliesst Adalgisa fest in seine Arme
Mein wirst du, hab' ich geschworen.

ADALGISA
Geh', falscher Mann!

POLLIONE
mit Feuer
Für dich nur fühl' ich allein
Heisse Liebe, für jene Hass!
Für jene empfind' ich Hass!

NORMA
Wohlan!
Mit erstickter Stimme
Vollende den Meineid
Und fliehe!
Zu Adalgisa
Folge ihm!

ADALGISA
reisst sich von Pollione los und eilt zu Norma hin
Norma, o höre mich! gieb mir den Tod!

NORMA
in höchster Leidenschaft die Mitte nehmend; zu Pollione
Ziehe hin, weil du vergessen
Deinen Schwur, der Kinder Ehre!
Doch lässt meines Fluches Schwere
Nie der Liebe froh dich werden!
Ziehe fort, weil du vergessen
Deinen Schwur, der Kinder Ehre!
Ziehe fort, weil du vergessen
Wort und Ehre!
Sie wendet sich nach links

POLLIONE
zu Norma
Magst du fluchen im Thorengrimme,
Abscheu wecket dies tolle Wüten!

NORMA
zu Pollione
Auf dem Lande, wie auf dem Meere
Wird ereilen dich meine Rache,
An dem Lager hält sie die Wache,
Rüttelt dich mit Allgewalt.

POLLIONE
Magst du fluchen im Thorengrimme,
Abscheu weckt dies tolle Wüten;
Magst du Hassespläne brüten,
Mächt'ger ist der Liebe Stimme.
Fluche nur im Thorengrimme,
Abscheu weckt dies tolle Wüten,
Ja, dies Wüten!

ADALGISA
Norma anflehend
O verzeihe, meine Leiden
Dir getrübet der Seele Ruhe!

POLLIONE
zu Norma
Sieh' mich trotzen dem Schrei nach Rache,
Denn der Himmel schützt die Schwache.
Fluche mir im Thorengrimme,
Ja, ich trotze deiner Wut!

ADALGISA
zu Norma
O verzeihe, dass meine Leiden
Dir getrübt der Seele Ruhe!

NORMA
zu Pollione
Fliehe!

ADALGISA
Berge, Meere sollen scheiden
Ewig mich von dem Verräter!

NORMA
Verräter!

ADALGISA
O verzeih', dass meine Leiden
Dir getrübt der Seele Ruhe -

POLLIONE
Magst du fluchen, magst du wüten!

ADALGISA
Deine Ruhe dir getrübt,
Ja, dir getrübt!

POLLIONE
Sieh' mich trotzen dem Schrei nach Rache,
Denn der Himmel, er schützt die Schwache!

NORMA
Auf dem Lande, wie auf dem Meere
Wird ereilen dich meine Rache!

ADALGISA
Dich nur will ich glücklich wissen,
Meine Schmerzen in mich verschliessen;
Vater sei er seinen Kindern
Und das Grab mein Aufenthalt!

NORMA
Ja, Verräter, meine Flüche
Stören deine Liebeslust!

POLLIONE
Fluche nur im Thorengrimme,
Ja, ich trotze deiner Macht!
Deine Brust,
Sie fühlt sich schuldbewusst.

NORMA
Nie, nie fühle du der Liebe Lust.

ADALGISA
Ja, ja! Schweigen soll der Schmerz;
In der eignen Brust
Verschliessen meine Schmerzen
Sich schuldbewusst!

POLLIONE
eilt ab nach rechts, Adalgisa stürzt Norma zu Füssen.

ZWEITER AKT

Nr. 8 - Introduktion und Szene

Der Vorhang hebt sich im fünfzigsten Takte.
Dieselbe Felsenwohnung Normas. Die Mittelvorhänge sind zurückgeschlagen.
Es ist Nacht; durch die Fensteröffnung über der Lagerstätte hinten fällt das Mondlicht.



ERSTER AUFTRITT
Norma. Ihre beiden Kinder schlafend auf der Lagerstätte hinter den Mittelvorhängen, vom Mond beschienen, der durch die Fensteröffnung darüber fällt.

NORMA
kommt ohne Schleier, offene Haare, verstört und bleich, mit einer brennenden Lampe und einem Dolche von rechts; sie setzt die Lampe auf den Steintisch an der linken Hinterwand, tritt vor ihre beiden Söhne und neigt sich leicht über sie.

Beide im Schlafe! - Sie sehen nicht das Eisen,
Das sie durchbohren soll.
Sie drückt ihr Mitleid hinab
Nicht rege dich, Erbarmen, sie müssen sterben!
Hier harrt der Tod und Schande trifft sie in Rom.
Ha, Normas Blut entehret! Zum Sklavendienst erniedrigt!
Könnt' ich's ertragen? Rasch vollbracht!
Sie macht einen Schritt, bleibt dann stehen
Ja, wenn ich dem Lager nahe,
Fasst mich ein Schauder,
Es sträubt sich das Haar auf meinem Haupt!
Die Kinder töten -
Die hier in Unschuld noch schlummern? Sie,
Noch vor kurzem Wonne der Mutter,
Sie, deren süsses Lächeln
Die Verzeihung des Himmels mir verhiessen!
Sie tötet dieser Stahl! Sind sie Verbrecher?
Es sind Polliones Söhne: dies ihr Verbrechen!
Mir sind sie schon gestorben!
Sie mögen beide tot auch für ihn sein!
Er find' sie als Leichen! - Wohlan!
Sie schreitet zur Lagerstätte hinten und erhebt den Dolch; plötzlich grell aufschreiend.
O nein! teure Kinder!
Die Kinder erwachen von diesem Aufschrei und richten sich auf

NORMA
kniet über sie gebückt und umfasst sie
Geliebte!
Sie beruhigt die Kinder und legt sie wieder zurück; noch knieend
Herbei! Klothilde!

Klothilde kommt eilig von rechts


ZWEITER AUFTRITT
Klothilde, Norma zu ihrer Linken. Die Kinder auf der Lagerstätte hinten

NORMA
Eile! Bringe mir Adalgisa!

KLOTHILDE
Sie ist dir nahe!
Sie sucht einsame Pfade und weinet und betet.

NORMA
erhebt sich
Geh'!

Klothilde geht ab nach rechts. Die Kinder schlafen wieder ein.

NORMA
Meinen Fehltritt will ich bekennen
Und dann, dann sterben!

Adalgisa kommt von rechts


DRITTER AUFTRITT
Adalgisa, Norma zu ihrer Linken. Die Kinder auf der Lagerstätte hinten

Nr. 9 - Rezitativ und Duett

ADALGISA
furchtsam, mit gesenktem Blick
Du willst mich sprechen?
Sie erhebt den Blick und geht rasch einige Schritte auf Norma zu; erschrocken.
Tief gefurcht die Stirne, bleich dein Gesicht?

NORMA
Blässe des Todes!
Du sollst nun meine Schande erfahren!
Nur eine letzte Bitte höre und erfülle sie,
Wenn du Erbarmen hast
Mit dem grässlichen Schmerz,
Der mich durchwühlet!

ADALGISA
Alles, alles geschehe!

NORMA
Du schwörest?

ADALGISA
Ich schwöre!

NORMA
So höre! Ein Ziel zu setzen
Dem mir verhassten qualvollen Leben
Bin ich entschlossen.
Adalgisa macht eine erschrockene Bewegung

NORMA
Diese Teuern will ich nicht mit mir nehmen.
Sei ihnen Mutter!

ADALGISA
heftig erschrocken
Halt ein! Ich ihnen Mutter?

NORMA
In der Römer Lager
Bring' sie dem Manne,
Den ich zu nennen scheue.

ADALGISA
Ach, was verlangst du!

NORMA
Wird er dein treuer Gatte,
Sei sterbend ihm verziehen.

ADALGISA
schaut schmerzlich zu Norma auf
Gatte? Ha, nimmer!

NORMA
gross, erhaben
Sei unsern Kindern nun Mutter! -

Duett

NORMA
Diese Zarten jetzt beschütze,
Sei ihr Stab, sei ihre Stütze.
Nicht begehr' ich Rang' und Grösse,
Hüten mögen sie die Herden;
Nur bedecke ihre Blösse
Und lass sie nicht Sklaven werden!
Immer wirst du daran denken,
Dass ich ihnen Mutter ward.
Freiheit wirst du ihnen schenken,
Sklavenlos ist allzuhart!

ADALGISA
Hohe Norma, du Starke, Weise,
Bleibe Mutter, sei Freundin mir;
Deine Kinder kann ich dir nicht rauben,
Deinen Auftrag nimmer vollziehn!

NORMA
Deine Eide -

ADALGISA
Will ich halten,
Dir zum Heile, dir zum Gedeihen!
In das Lager will ich fliegen,
Deinen hehren Sinn zu künden;
Ja, mein Flehn wird ihn besiegen,
Meinen Mund mit Kraft beseelen.
Hoffe! Mit der Einsicht Waffen
Werd' ich bald zurück ihn führen;
Hart ist nicht sein Herz geschaffen,
Norma herrschet noch darin.

NORMA
Ich ihn bitten? Kannst du das glauben? Ich ihn?

ADALGISA
Norma! O hör' mich!

NORMA
Ich darf nicht hören!
Mit der ausgestreckten Rechten.
Eile - fort!

ADALGISA
Ach, nein, ich kann nicht! Ach, nein! -
Sie ergreift die ausgestreckte Rechte Normas.
Sieh', o Norma, ach, hab' Erbarmen,
Diese Pfänder verschmähter Liebe!
Habe Mitleid mit diesen Armen,
Eh' du grausam, ja, grausam dich zerstörst!

NORMA
ihre Hand von Adalgisa losmachend
Ach, warum willst du mein Herz bewegen?
Neue Hoffnung soll ihm entkeimen?
Siehst doch, wie mit solchen Träumen
Du den stolzen Sinn verkehrst!

ADALGISA
zeigt auf die Kinde
Sieh' die teuren Pfänder deiner Liebe,
O hab' Erbarmen, ach!
Sieh', o Norma, o hab' Erbarmen!
Diese Pfänder der verschmähten Liebe,
Habe Mitleid mit diesen Armen,
Ehe du grausam dich zerstörest,
Dich grausam, dich selber zerstörst,
Dich selbst zerstörst!

NORMA
Ach, warum, ach, warum willst du mein Herz,
Dieses Herz, ach! ach, warum denn mein Herz bewegen?
Ja, du willst nur mein Herz bewegen,
Neue Hoffnung soll ihm entkeimen!
Siehst du, wie mit solchen Träumen
Den Sinn mir, den Sinn mir verkehrst,
In mir verkehrst!

ADALGISA
schliesst die Mittelvorhänge und geht auf Norma zu
Höre mein Flehen!

NORM
im Innersten bewegt, schwankend, hoffend
Verlasse mich! Er liebt dich!

ADALGISA
Er wird bereuen.

NORMA
Und du?

ADALGISA
Ich liebt' ihn, nun kann
Ich ihm nur Mitleid weihen.

NORMA
gross, bedeutend
Du reine Seele! Du wolltest?

ADALGISA
entsagend, feierlich
Heiligen deine Rechte, oder mit dir
Auf ewig mich bergen in Waldes Nacht.

NORMA
von Adalgisas Opfer aufs höchste ergriffen
Ja, du siegest! umarme mich!
Gerührt, weich, mit Kuss und Umarmung
Tugend, es siegt deine Macht!
Adalgisas Kopf in ihren beiden Händen haltend

ADALGISA, NORMA
Ja, bis zur letzten Lebensstunde
Bleib' ich dir Freundin und treue Gefährte.
Ach, für zwei Herzen im engen Seelenbunde
Ist gross genug noch die weite Erde.
Sich umschlungen haltend
Stürzt auch die Welt zusammen,
Steht der Altar in Flammen,
Halten zwei Schwesterherzen
Einander treu bewacht!


VIERTER AUFTRITT

Verwandlung

Nr. 10 - Chor und Arie

Der Vorhang hebt sich nach dem neunzehnten Takte.
Kurze Waldgegend. Es ist früh am Morgen.


Anführer und gallische Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet.Die Ersten kommen erregt von rechts vorn.

DIE ERSTEN
Noch nicht fort?

DIE ZWEITEN
Er ist im Lager, im Lager!
Nichts gewisser!
Die rauhen Klänge
Der Schlachtgesänge
Schallen laut empor!
Gebietrisch stehen
Adler noch am Lagerthor.

BEIDE
in feurigem Unmute
Ein kurzes Zaudern
Bringet unsern Plan zur Reife.
Wartet noch, wartet noch!
Ein kurzes Zaudern
Bringet unsern Plan zur Reife.
Ob sich Not und Elend häufe,
Gläubig blickt zu Gott empor!
In trotziger Ruhe
Haltet still und keiner greife
Nun dem Rat der Götter vor!

Oroveso kommt von links hinten


FÜNFTER AUFTRITT
Die Vorigen. Oroveso.

OROVESO
die Mitte nehmend
Ihr Tapfern! Wohl durft' ich hoffen,
Dem raschen Mut ein nahes Ziel zu zeigen;
Gern hätt' ich euch befohlen,
Der Römer Stolz zu beugen.

Alle mit den Waffen in freudiger Bewegung

OROVESO
Doch - bezähmt euern Zorn!
Die Götter schweigen.

CHOR
Schrecklich! soll in den Wäldern
Der verhasste Prokonsul länger hausen?
Er ward nach Rom berufen!

OROVESO
Er kehrt zurück zur Tiber,
Doch einen wildern Krieger
Gedenkt uns Rom zu senden.

CHOR
Und Norma weiss? Und Frieden
Verkündet noch ihr Mund?

OROVESO
Es war vergebens,
Zur Rach' sie anzueifern.

CHOR
Und was befiehlst du?

OROVESO
Dem Schicksal die Stirn zu beugen,
Uns zu trennen und vorsichtig noch
Zu bergen unser Unternehmen.

CHOR
trotzig, wild
Warum Verstellung?

OROVESO
Sie nur allein führt zum Ziele! -
Fluch den Römern! ihr Joch zu brechen,
Zucket krampfhaft diese Rechte!
Doch die Gottheit will nicht Gefechte,
Nur Verstellung rät sie an!

CHOR
So lasst uns schweigen und schweigend harren,
Bis der Rache Stunden schlagen!

OROVESO
Glaubt der Feind an unsre Schwächen,
Wird er sorglos sich entscharen:
Kommt die Stunde, soll er erfahren,
Dass der Gallier kämpfen kann!

CHOR
Wehe Rom, wenn unsre Waffen
Stürmend seinen Adlern nahn!
Heuchelt denn, wenn heucheln nützet,
Wallt das Blut auch zornerhitzet!
Wehe Rom, wenn unsre Waffen
Stürmend seinen Adlern nahn!
Doch Verstellung rät sie an!

OROVESO
Nur Verstellung rät sie an!
Kommt die Stund', soll er erfahren,
Dass der Gallier kämpfen kann.
Doch Verstellung rät sie an!


SECHSTER AUFTRITT

Verwandlung

Nr. 11 - Szene

Der Vorhang hebt sich nach dem zehnten Takte.
Der heilige Hain des heidnischen Gottes Irmin wie zu Anfang des ersten Aufzuges. Es ist Tag.


Norma allein, wie im ersten Aufzug mit dem Kranz

NORMA
ruhig, doch freudig verklärt
Er kehrt zurück!
Ja, fest kann ich vertrauen auf Adalgisa!
Er wird den Fehl bereuen,
Um Verzeihung flehn, wieder mein sein.
Ach! die süsse Ahnung
Verscheucht die dunklen Wolken,
Die meine Stirn bedeckten!
Mit erhobenen Armen
Es scheint die Sonne, wie in den Tagen
Unsrer jungen Liebe.

Klothilde kommt eilig von links


SIEBENTER AUFTRITT
Norma, Klothilde zu ihrer Linken. Dann nahe Stimmen

NORMA
tritt ihr erwartungsvoll entgegen
Klothilde!

KLOTHILDE
O Norma! Jetzt handle rasch!

NORMA
Was sagst du?

KLOTHILDE
Treulos!

NORMA
Erzähle, berichte!

KLOTHILDE
Umsonst flehte Adalgisa und weinte.

NORMA
wendet sich von Klothilde ab nach vorn
Ihr konnt' ich trauen,
Ihr, meiner Feindin?
Sie log, die Falsche! bestürmte
Mein Herz mit Thränen!
Sie ist hingegangen, neu ihn zu fesseln!

KLOTHILDE
Sie kehrt zurück zum Tempel,
Trauernd, beklommen,
Bereit, das Gelübde abzulegen.

NORMA
ohne Klothilde anzusehen
Und er?

KLOTHILDE
Er schwur, vom Altar der Götter
Sich seine Braut zu rauben.

Norma giebt Klothilde ein Zeichen. Klothilde entfernt sich nach rechts hinter dem Druidenstein.

NORMA
Voll ist die Sündenschale
Und erwacht ist die Rache!
Ja, Blut soll fliessen, römisches Blut,
Stromweis will ich's vergiessen!

Sie geht nach rechts hinauf zur heiligen Eiche, ergreift das dort hängende Schwert und schlägt dreimal damit auf den Schild. Drommeten links in der Nähe.

CHOR
links und rechts in der Nähe
Schallt das Erz unsrer Gottheit?

Priesterinnen kommen mit Mantel, Schleier und Kranz von rechts hinter dem Druidenstein.
Oroveso, Priester, vier Tempelwächter, zwei Barden, gallische Anführer und Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet, kommen von links, teils über den Felsenablauf.



ACHTER AUFTRITT
Tempelwächter. Norma. Barden. Priesterinnen. Priester. Oroveso. Krieger.

CHOR
Norma, was soll's?
Erklungen der Schild von Gott Irmin?
Wirst du der Erde Götterspruch künden?

NORMA
hält das Schwert hoch
Kämpfe! - Schlachten! - Vertilgung!

CHOR
Doch hat erst heute dein prophet'scher Mund
Frieden geboten!

NORMA
Die Götter zürnen und eure Feinde fallen!
Lasst Schlachtenruf erschallen,
Ihr starken Krieger! Kämpfet, kämpfet!

Nr. 12 - Schlachtgesang

CHOR
begeistert gegen Norma
Kämpfe! Kämpfe! die gallischen Eichen
Sind nicht stärker als Galliens Mann!
Wie das hungernde Raubtier die Herden,
Fallt die römischen Phalangen an.
Schlachtgemetzel! Vernichtung und Rache!
Falle Wucht und der Sturmbock erkrache!
Wie die Mistel der Sichel erlieget,
Sei der Römer durch Schwerter besieget!
Stürzt die Adler, beschneidet die Schwingen,
Tötet alles, was Waffen noch trägt!
Lasst ins Lager der Römer uns dringen,
Wo das Herz unsres Todfeindes schlägt.

Die Barden spielen die Harfe. Die Krieger knieen nieder, erheben die Waffen, dass sie gesegnet werden.
Die Priester und Priesterinnen segnen die Waffen mit erhobenen Händen.
Auch Norma segnet, das Schwert in der Linken vor sich hinhaltend, mit ihrer Rechten.


CHOR
Auf, ihr kräftigen Söhne der Wälder!
Lasset den Boden mit Blut uns befeuchten,
In höchster Aufregung
Dass die Strahlen der Sonne beleuchten
Roms Verderben und Galliens Sieg!

Die Krieger erheben sich und schlagen die Waffen aneinander.
Die vier Tempelwächter entfernen sich unauffällig nach rechts hinter dem Druidenstein.


Nr. 13 - Rezitativ und Duett

OROVESO
Du willst den Göttern opfern?
Noch gewahr' ich kein Opfer.

NORMA
Es wird sich stellen!
Es hat noch dem Altare
Ein Opfer nie gefehlt.
Lärmen rechts entfernt.
Doch welch Getümmel?

Klothilde kommt eilig von rechts hinter dem Druidenstein


NEUNTER AUFTRITT
Die Vorigen. Klothilde nimmt die Mitte und steht dann zurück

KLOTHILDE
Der Tempel ward geschändet
Durch einen Römer. In geweihter Halle,
Wo die Jungfrauen beten, ward er ergriffen.

Grosse Bewegung

OROVESO UND CHOR
Ha, ein Römer!

NORMA
beiseite
Was hör' ich? Wenn er es wäre!

OROVESO UND CHOR
nach rechts hinten sehend
Der Frevler nahet!

Die vier Tempelwächter führen den entwaffneten Pollione von rechts hinter dem Druidenstein herbei.


ZEHNTER AUFTRITT
Die Vorigen. Pollione. Oroveso zur Rechten. Die Tempelwächter

NORMA
beiseite
Er ist es!

OROVESO UND CHOR
Ha, Pollione!

Norma gibt ein Zeichen. Die Tempelwächter lassen Pollione los und treten auf ihre vorige Stelle.

NORMA
beiseite
Süss ist der Rache Stunde!

Sie tritt über die Stufen herunter

OROVESO
Du Lästrer unsrer Götter,
Aus welchem Grund entweihtest du
Der frommen Jungfraun Zellen,
Betratest Gott Irmins Gebiet?

POLLIONE
Durchbohrt mich, doch stellet keine Fragen!

NORMA
Ich will ihn töten! Entfernet euch!

Sie tritt zwischen Pollione und Oroveso

POLLIONE
Wen seh' ich? Norma!?

NORMA
Ja, Norma!

OROVESO
ergreift das Schwert eines Kriegers und reicht es Norma
Das Heldenschwert ergreife,
Räche die Götter!

NORMA
nimmt das Schwert
Wohlan, es sei!

Sie erhebt es, um Pollione zu durchbohren, hält inne

OROVESO UND CHOR
Du zögerst?

NORMA
beiseite
Ach, ich vermag's nicht!

OROVESO UND CHOR
Du wankst? - Darfst du noch zaudern?

NORMA
beiseite
Er flösst mir Mitleid ein.

OROVESO UND CHOR
Durchstoss' ihn!

NORMA
unsicher und wankend
Erst muss ich ihn befragen,
Ob er allein der Schuld'ge, ob jene Jungfrau
Nicht im geheimen Bunde stand mit dem Verführer;
Ich muss ihn sprechen ganz ohne Zeugen.

Sie giebt das Schwert an Oroveso zurück

OROVESO UND CHOR
Welch Geheimnis?

POLLIONE
für sich
Ich bebe!

Die Priesterinnen, Klothilde, Oroveso, Tempelwächter, Priester, Barden, Krieger gehen ab, woher sie kamen.


ELFTER AUFTRITT
Pollione, Norma zu seiner Linken

Duett

NORMA
schwer atmend
Nun bist du in meinen Händen,
Niemand kann dich mehr erretten,
Ich vermag es.

POLLIONE
Doch du darfst nicht!

NORMA
Ja, ich will es!

POLLIONE
Du, Norma?

NORMA
Höre!
Schwöre mir bei unsern Söhnen
Und bei Phöbus Sonnenwagen,
Adalgisa zu entsagen, und mit ihr
Zum Altare nicht zu treten;
Und ich löse dann deine Ketten,
Sah heute dich, sah dich jetzt zum letztenmal!
Schwöre!

POLLIONE
Nein! Ich bin nicht feige!

NORMA
drängend
Schwöre! Schwöre!

POLLIONE
entschlossen
Gieb mir den Tod!

NORMA
Hoffest du,
Dass mir genüge nur dein Leben?

POLLIONE
Es ist verfallen!

NORMA
nahe an ihn herantretend
Schon gezückt
Aufs Herz der Kinder war das Eisen!

POLLIONE
aufschreiend
Ha, unerhört!

NORMA
schmerzlich weinend
Schlummernd wollt' ich sie ermorden!
Treulos ist mein Mut geworden,
Ich verschonte die Kinder; doch heute
Sind sie meine sichre Beute.
Zögre ferner, und ich vergesse,
Dass ich Gattin und Mutter bin.

POLLIONE
ausser sich
Ha! Megäre, den Stahl entblösse!
Nimm mein Leben, o nimm es hin!
Kein Erbarmen!

NORMA
Nur dich?

POLLIONE
O dass ich allein als Opfer falle!

NORMA
Meinst du? - Alle!
Tausend nicht von Römerleichen
Können meinen Grimm erweichen.
Adalgisa -

POLLIONE
leidenschaftlich empört
Auch sie?

NORMA
Sie vergass ihr Gelübde!

POLLIONE
Willst du sie töten?

NORMA
Büssen soll sie ihr Verbrechen,
Sterben heut' den Flammentod!

POLLIONE
flehend
Strafe mich, den Missethäter,
Wende ab, was sie bedroht.

NORMA
Sinkt dein Hochmut?
Zu spät nun. Verräter!
Durch das Wort, das jene richtet,
Wirst auch du, dein Glück vernichtet.
An dem Schmerz will ich mich weiden,
Lächeln bei dem Todesstöhnen;
Rächen mich, und euch verhöhnen
Kann ich jetzt, und will es auch!
Mit unterdrückter Stimme
Kann mich rächen und euch verhöhnen;
Ja, bebet beide, ich will es auch!

POLLIONE
Lass mich mein Verbrechen büssen!
Er kniet vor ihr
Sieh' mich hier zu deinen Füssen!
Richte mich mit strenger Wage,
Aber schone ihrer Tage.
Norma in vor Eifersucht rasender Bewegung

POLLIONE
Magst du mich allein verderben,
Segen sei mein letzter Hauch!

NORMA
Durch das Wort, das jene richtet -

POLLIONE
Lass mich mein Verbrechen büssen!

NORMA
Wirst nun auch du -

POLLIONE
Willst du nicht?

NORMA
Dein Glück vernichtet!

POLLIONE
Richte mich mit strenger Wage,
Aber schone ihrer Tage.

NORMA
An dem Schmerz will ich mich weiden,
Lächeln bei dem Todesstöhnen,
Rächen mich und euch verhöhnen
Kann ich jetzt und will es auch.

POLLIONE
Ungerechte!

NORMA
Rache ist so süss!

POLLIONE
Magst du mich allein verderben,
Segen sei mein letzter Hauch!
Er steht auf

NORMA
Rächen kann ich mich an beiden,
Und will es auch!
Ich kann und will und will es auch!

Nr. 14 - Rezitativ und Schlussarie

POLLIONE
Gib mir das Eisen!

NORMA
Du wagst es? Fort von mir!

POLLIONE
stürzt nach rechts auf die Eiche zu, um das Schwert zu ergreifen
Das Eisen! Das Eisen!

NORMA
vertritt ihm den Weg und eilt hinauf
Herbei, ihr Wächter!
Tempelpriester, erscheinet!

Sie ergreift das Schwert und schlägt dreimal auf den Schild.
Priesterinnen kommen zurück mit Mantel, Schleier und Kranz von rechts hinter dem Druidenstein.
Oroveso, Priester, Tempelwächter, zwei Barden, gallische Anführer und Krieger mit Schilden, Lanzen, Keulen und Beilen bewaffnet, ebenso von links, teils über den Felsenablauf



ZWÖLFTER AUFTRITT
Die Vorigen. Barden. Tempelwächter. Priesterinnen. Oroveso. Priester. Krieger

Norma schreitet herunter und in die Mitte. Alle stehen erwartungsvoll.

NORMA
Ein neues Opfer
Liefre ich eurem Grimme!
Eine Verruchte vom Priesterstande
Schloss schnöde Liebesbande,
Verriet die Götter,
Ward treulos ihrem Lande!

OROVESO UND CHOR
Welch Verbrechen, welche Schmach!
Entdecke alles!

NORMA
Ihr mögt den Holzstoss rüsten.

Vier Priester entfernen sich nach links hinten

POLLIONE
zu Norma
Lass dich erweichen, töte sie nicht!

OROVESO UND CHOR
Den Namen!

NORMA
Vernehmt ihn! -
Sie zittert heftig; für sich
Ich Thörin, darf ich eigne Schuld
An andern rächen?

CHOR
Norma, den Namen!

POLLIONE
zu Norma
O nenn' ihn nicht!

NORMA
nach einem langen Blick auf Pollione
Ich selber!

Allgemeine grösste Betroffenheit. Alle stehen bewegungslos.

CHOR
Du? - Norma?

NORMA
Ich selber - entflammt den Holzstoss!

CHOR
Mich fasset Grauen!

POLLIONE
für sich
Es bricht mein Herz.

CHOR
Du uns betrügen?

Norma und Pollione stehen ganz frei

POLLIONE
Ihr müsst nicht glauben -

NORMA
Kann Norma lügen?

OROVESO UND CHOR
in tiefster Trauer
O welcher Schmerz!

NORMA
zu Pollione wie geflüstert
In dieser Stunde sollst du erkennen,
Was für ein Herz du dein konntest nennen.
Du wolltest fliehen - du bist bezwungen,
Treuloser Römer, du bleibest hier!
Des Schicksals Stimme, der Götter Gnade.
Hat uns vereinigt am Todespfade;
Am Holzstoss hier nur in Flammenzungen
Hat deine Norma ein Grab mit dir.

POLLIONE
zu Norma
Da ich verloren, was ich besessen,
Kann deine Grösse ich erst ermessen,
Und mit der Reue ist meine Liebe
Mit neuer Stärke zurückgekehrt.

NORMA
Das Herz, das du gebrochen,
Der Liebe war es doch wert!

POLLIONE
Ja, lass uns sterben so fest verschlungen -
Er umfasst sie

NORMA
O grause Stunde!

POLLIONE
Mein letzter Seufzer soll dir gehören,
Doch lass im Scheiden die Worte hören,
Dass der Verzeihung ich dennoch wert!

OROVESO UND CHOR
O widerrufe die harten Worte,
Die unwillkürlich dem Mund entflogen!
Sag', dass du rasest, dass du gelogen,
Dass nur im Wahnsinn die Lippe sprach.
Rein ist der Himmel, die Götter schweigen,
Und ruhig säuseln die alten Eichen.
O widerrufe, um wegzunehmen
Von dir die Strafe, von uns die Schmach,
Von uns die Schmach!

NORMA
zu den Priestern
Ich bin die Schuld'ge!
Zu Pollione
Du sollst erkennen,
Welch Herz du dein konntest nennen. -
Du sollst erkennen,
Welch Herz du dein konntest nennen!
Dahin! - Auf immer! - Dahin, dahin!

POLLIONE
zu Norma
Du wirst verzeihen! Nun lass uns sterben,
Einander wert. Du bist verloren,
Du bist verloren, erhabnes Wesen,
Verzeihe, verzeihe! Du bist verloren,
Erhabnes Wesen, dahin, dahin!

Zwei Priester kommen mit einem grossen schwarzen Schleier von links hinten zurück und nehmen hinter Pollione und Norma Aufstellung.

CHOR
Norma! Ach, widerrufe! - Schweigst du? - Verstummt die Zunge?

NORMA
leise zu Pollione
Himmel, meine Kinder!

POLLIONE
leise
Ach, elternlos! Verlassen!

NORMA
ebenso
Weh, unsre Kinder!

POLLIONE
leise
Sind Waisen!

CHOR
Bist du die Schuld'ge, rede!

NORMA
Ja!
Sie nähert sich plötzlich, von einem Gedanken ergriffen, Oroveso

POLLIONE
beobachtet beide mit gespannter Aufmerksamkeit

NORMA
Doppelt ist mein Verbrechen!

CHOR
Schrecklich!

NORMA
zu Oroveso
O hör' mich!

OROVESO
Schändliche!

NORMA
Vater, hör' mich!

OROVESO
O welcher Schmerz!

NORMA
leise zu ihm
Ich bin Mutter!

OROVESO
entsetzt
Mutter?

NORMA
leise
Verborgen hat Klothilde die teuern Pfänder;
Sei ihnen Vater, beschütze sie,
Ergreife mit ihnen die Flucht!

OROVESO
leise
Deine Kinder? Fort, lasse mich!

NORMA
ebenso
O Vater, es fleht dein Kind!
Sie fällt auf die Knie

POLLIONE UND CHOR
Ha, welcher Schmerz!

NORMA
immer leise zu Oroveso
Soll für der Mutter Frevelthat
Kindliche Unschuld büssen?
Kelche, die sich erschliessen,
Früchte der bösen Saat?
Blut sind sie deines Blutes.
Kannst du sie wohl verstossen?
O Vater, sei gnädig doch,
Erbarme dich!

OROVESO
weint

POLLIONE
für sich
Er ist gerührt, es tritt ins Aug'
Ihm schon der Schmerz.
Mein Wunsch ist erfüllet
Und froh besteig' ich nun das Gerüst!
Ja, mein Wunsch ist erfüllt,
Da er verzeiht,
Mein Wunsch erfüllet
Und froh besteig' ich nun das Gerüst!

NORMA
leise
Vater, du weinst und verzeihest,
Du hast verziehen, das sagt die Thräne,
Mein Schmerz gestillet, mein Wunsch erfüllet
Und froh besteig' ich nun das Gerüst!

Sie steht auf und umarmt Oroveso

OROVESO
drückt sie bewegt und zärtlich ans Herz; leise
Das Herz des Vaters hast du gerührt,
Es tritt ins Auge schon der Schmerz.
Tochter, ach, o bestieg' ich
Selbst das Blutgerüst!
Mein Herz ist gebrochen!
Kann das dich trösten:
Dir sei verziehn, Tochter!
Ach, o bestieg ich selbst das Blutgerüst!

CHOR
Weine, bete, o Druide,
Nimmer lächelt dir der Friede!
Nehmt den Schmuck aus ihrem Haar,
Dann zur Bahre, wo ihr sie
Als Opfer grüsst.

Die beiden Priester bedecken Norma mit dem schwarzen Schleier

CHOR
Zum Schafotte! Zum Flammentode!
Hebt die Fackeln! Macht rein die Lüfte!
Steig', Verruchte, steig', Verfluchte in das Grab!

OROVESO
Geh', du Arme!

NORMA
sinkt unter dem Schleier zusammen
Ach, ich scheide!

POLLIONE
auf die Kniee stürzend
Eine Flamm' verzehrt uns beide!

NORMA
Vater, ich scheide!

POLLIONE
Unsere Liebe, sie reicht noch übers Grab!

OROVESO
Du scheidest! Ach, es reicht
Des Vaters Liebe übers Grab!

Die beiden Priester wenden sich mit Pollione und Norma nach hinten