Libretto: Oberon

from Carl Maria von Weber


Personen:
OBERON, König der Elfen (Tenor)
TITANIA, seine Gernahlin (Stumme Rolle)
HÜON VON BORDEAUX, Herzog von Guienne (Tenor)
SCHERASMIN, sein Knappe (Bariton)
HARUN AL RASCHID, Kalif von Bagdad (Sprechrolle)
REZIA, seine Tochter (Sopran)
FATIME, ihre Vertraute (Mezzosopran)
PUCK, Elfe (Alt)
DROLL, Elfe (Sprechrolle)
MEERMÄDCHEN (Sopran)

Stumme Rollen:
Babekan, persischer Prinz; Almansor, Emir von Tunis und Roschana, seine Gemahlin; Abdallah, ein Seeräuber; Karl der Grosse; Haremswächter, Gartenhüter, Sklaven, Geister, Nymphen, Dienerschaft, Wachen, Gefolge des Kalifen und Karls des Grossen.



Ouvertüre

DROLL
Lasst mich erzählen, wie mein Herr, Oberon, der König der Elfen, durch die Liebe zweier Menschen mit seiner Gemahlin Titania versöhnt wird!

ERSTER AKT

ERSTE SZENE
Feengarten im Reiche Oberons, in üppig blühender Blumenpracht. Oberon liegt schlafend auf dem Blumenlager. Genien und Feen sind in einem Tableau gruppiert, das sich bis zum Beginn des Gesanges nur wenig bewegt. Zum Anfang des Chores erscheinen die Elfen, um sich vereint mit den Genien in verschiedenartigen Gruppierungen zu zeigen. Alle tragen Lilienkränze auf dem Kopf und halten Lilienstengel in den Händen

Introduktion

ELFENCHOR
singt ganz leise
Leicht, wie Feentritt nur geht,
Durch den Raum, ihr Elfen, weht!
Viel zu laut die Quelle tönt! Zu laut!
Viel zu laut der Zephyr stöhnt! Zu laut!
Jagt die wirre Mücke fort!
Lasst die Bien' nicht summen dort!
Auf dem Lilienlager liegt
Oberon, im Traum gewiegt!
Schlummer schloss sein Augenlid,
Das so lang der Schlaf vermied.

SOLI
O brächt er Ruh' und sanfte Lust
In unsers trauernden Königs Brust!

CHOR
Leicht, wie Feentritt nur geht,
Durch den Raum, ihr Elfen, weht!
Viel zu laut die Quelle tönt!
Viel zu laut der Zephyr stöhnt!
Zu laut! Viel zu laut!

Droll und Puck kommen rasch hinzu

DROLL
zu den Elfen
Fort mit euch ... Steht nicht länger müssig hier herum.

PUCK
betrachte Oberon mit grosser Teilnahme
Warum sieht Oberon auch im Schlaf so traurig aus?

DROLL
Sein Kummer ist so tief, dass jedes Lächeln darin ertrinkt.

PUCK
Noch immer?

DROLL
Ja, mein lieber Puck. So harmlos es auch anfing, Die Königin Titania fand den Frühling schöner als den Herbst. Ein paar Nächte vorher hatte sie wieder den Herbst wegen seiner schönen Farben über alles gelobt. »Du bist unbeständig wie jede Frau«, sagte darauf unser Oberon. Und lächelte.

PUCK
Er hätte sagen müssen »unbeständig wie der Mann!«, lieber Droll.

DROLL
Ja - Titania gab ihm auch gleich dieselbe Antwort. »Unbeständig wie der Mann!«

PUCK
Oder - wie die Menschen, Droll.

DROLL
Hoffentlich sind die Menschen klüger und lieben einander noch glühender als sie miteinander streiten. Sonst …  Ach, lieber Puck, ich spreche es lieber gar nicht aus.

PUCK
Was ist sonst?

DROLL
Sonst kommt ein grosses Unglück über unsere ganze Elfenwelt. Denn Oberon und Titania haben einen sehr schlimmen Schwur getan. Sie würden einander nie mehr lieben, bevor nicht zwei Menschen der Welt bewiesen, dass sie sozusagen alle beide recht hätten.

PUCK
nickt
Aber wo gibt es solche Menschen?

DROLL
Das ist ja der Kummer.
Deshalb seufzt doch der König im Traum.

PUCK
Und du bist trotzdem so guter Laune?

DROLL
Mit Seufzen ist niemand geholfen. Ich habe unterdessen schon mit dem Suchen begonnen.

PUCK
Und jetzt berichtest du dem König?

DROLL
Ja … Aber still davon. Nur wenn Oberon selbst davon zu reden beginnt …

Puck macht eine Gebärde der Enttäuschung

DROLL
lächelnd
Es sieht mir aber ganz danach aus …

Oberon richtet sich auf, wie aus einem schweren Traum erwachend

Arie

OBERON
Schreckensschwur! - Dein wildes Quälen
Selbst im Schlummer niemals ruht!
Leiden weckst du, nicht zu zählen,
Fachst nur an die inn’re Glut!
Immer Angst und immer Schmerzen,
Doppelt, wenn der Traum verweilet,
Unnennbare Pein im Herzen,
Doch kein Balsam, der sie heilet.
Schreckensschwur! – Dein wildes Quälen
Selbst im Schlaf nicht ruht!
Leiden weckst du, nicht zu zählen,
Fachst nur an die inn’re Glut!
Schreckensschwur!

Droll und Puck kommen ehrfürchtig näher

DROLL
redet ihn mit einer tiefen Verbeugung an
Erlaube uns, grosser König …

OBERON
erwacht völlig
Ach, mein Puck! Und du, Droll, guter Freund …

DROLL
Ich bin nur dein Diener, grosser König.

OBERON
lächelt
Aber der klügste ...

DROLL
Man bemüht sich, liebster Herr. Die ganze Nacht hab ich gesucht.
Von Ost bis West, von Pol zu Pol.

OBERON
überrascht
Hast du sie am Ende schon?

DROLL
Ich bin erst am Anfang. Er ist da und sie ist dort, und die halbe Welt ist zwischen ihnen. Er ist ein Ritter am Hof des Kaisers Karl und heisst Hüon von Bordeaux. Sie ist die Prinzessin Rezia, die Tochter des grossen Kalifen Harun al Raschid. Wenn diese beiden sich so beständig über alle Massen erweisen, wie man annehmen muss, dann ist dein Schwur erfüllt und dann … nun du weisst ja, grosser König.

OBERON
zärtlich
Dann kehrt Titania zu mir zurück!

DROLL
Aber Titania wird nur dann den Schwur als erfüllt ansehen, wenn die Prüfungen so hart werden, wie es der Streit war.

OBERON
Noch länger suchen?

DROLL
Erst müssen sie schon einander finden. Aber dann wieder verlieren und wieder finden und trotzdem nicht voneinander lassen. Hüon ist mit seinem Waffenmeister Scherasmin an unserem Zauberwald vorübergezogen, da war nur noch ganz wenig nötig. Ein paar tanzende Sonnenstrahlen, eine raunende Stimme, und schon habe ich ihn hinter mir hergezogen, wie ich wollte. Gleich wirst du ihn sehen, grosser König.

Hüon und Scherasmin kommen nach vorne

HÜON
Es kam wie Gesang aus der Luft. Ihre Stimme!

SCHERASMIN
Sagen S'endlich, Euer Gnaden, wie diese rätselhafte »Sie« heisst. Das ist doch eine unnötige Quälerei. Eine Geliebte ohne Namen! Eine Schönheit, die man nicht sieht. Eine Braut, von der man nur träumt. Da hätt ich mir längst eine beigebogen, die ich vor mir hab …

HÜON
Wer wirklich in der Tiefe liebt, ist für alle blind … bis er die Geliebte gefunden hat.

SCHERASMIN
Ich weiss nicht, wie tief Ihre Gefühle sitzen, Euer Gnaden. Meine wohnen in der Gurgel und im Magen. Einen Hunger hab ich, dass ich weinen möcht, und einen Durst!

HÜON
Hörst du nicht, Scherasmin? Alles tönt und klingt. Auf einmal werde ich auch so müde.
sinkt um

SCHERASMIN
lagert sich wie er
Ich rieche einen guten Braten.
Und der gute Wein …
sinkt in Schlaf

HÜON
Geliebte Braut …

In der Mitte des Hintergrundes ziehen sich die Blütenranken nach oben, und wie in einem Blumenrahmen wird ein kleiner persische Kiosk sichtbar, in dessen Mitte Rezia sitzt, mit einer Laute in der Hand

Vision

REZIA
Warum musst du schlafen, o Held voll Mut?
Ein Mädchen sitzt weinend an Babylons Flut!
Auf, rette sie dir, eh als Opfer sie sinkt!
Güienne, zu Hilfe, die Schönheit dir winkt!

OBERON
bewegt seinen Zauberstab
Genug!

Die Blütenranken schliessen sich wieder und die Vision verschwindet

SCHERASMIN
schaut um sich
Hilfe, Herr Hüon! Wo sind wir?
geht zu ihm und rüttelt ihn
Aufwachen! Aufstehen!

HÜON
wehrt sich; noch im Halbschlaf
Lass mich doch …
sehnsüchtig
Du holdes Bild!
wacht endlich völlig auf
Was war das eben?

SCHERASMIN
sieht sich misstrauisch um
Am Ende waren wir richtig verzaubert? In dieser merkwürdigen Gegend muss man schon auf alles gefasst sein.

HÜON
Dann hat die Qual des Suchens ein Ende …

SCHERASMIN
Das ist mir eine schöne Zauberei, die einen so mir nix dir nix ums schöne Leben bringt.

OBERON
tritt, gefolgt von Puck und Droll, vor die beiden
Habt keine Sorge. Ich bin dein Freund, Herr Hüon von Bordeaux.

HÜON
Du kennst mich?

OBERON
Freilich!

DROLL
fällt ein
Wir wissen auch, dass du hier die Frau suchst, die von Anbeginn für dich bestimmt ist. Weil du sie im ganzen Frankenland nicht gefunden hast, bist du über das Meer gekommen.

HÜON
Ich würde über alle Meere der Welt fahren.

OBERON
Das wirst du auch noch tun müssen.

DROLL
einfallend
… aber schon mit ihr, nach der du dich sehnst …

HÜON
Wer kann so etwas versprechen?

OBERON
mit Würde
Ich bin Oberon, der König der Elfen.

SCHERASMIN
Nix als schöne Worte und gute Ratschläge. Davon kann man nicht fett werden!

DROLL
Was willst du sonst von uns?

SCHERASMIN
Das ist für mich kein Ratschlag, der mir nicht rät, wo wir zuschlagen müssen. Das sag uns, lieber Herr! Dann holen wir uns schon die Braut und alles, was dazugehört.

OBERON
lächelnd
Du wirst zufrieden sein, lustiger Bursch.

Er winkt nach rückwärts. Zwei Elfen bringen auf einem Polster zu Hüon ein Horn, zwei andere Genien treten zu Scherasmin: auf ihrem Polster steht ein goldener Becher

OBERON
Nimm dir das Horn, Hüon von Bordeaux.

DROLL
Bläst du leise hinein, Hüon, wird dir sogleich ein Zauber aus der Ferne helfen. Bläst du mit ganzem Atem, dann rufst du Oberon selbst.

HÜON
Oh, das versteh ich, Nur der findet ganz die Liebe, der sich ihr ganz hingibt.

SCHERASMIN
Was soll ich denn mit dem Becher da … ?

OBERON
Trink daraus, wenn du in Bedrängnis bist.

SCHERASMIN
Oh, dann bin ich immer in Bedrängnis.
nimmt und trinkt
Das ist ja grossartig. Da wird man sofort dreimal so couragiert.
Komm, trink mit mir, fescher Geist!
hinter Puck her. Puck entwischt ihm

HÜON
Vorwärts, Scherasmin! Worauf wartest du noch?
geht voraus
Oder willst du jetzt nicht mehr, weil es ernst wird?

SCHERASMIN
trinkt rasch aus dem Becher
Von mir aus bis ans Ende der Welt, Herr Hüon.
Wenn man so ausgerüstet wird …
Da riskier ich jeden Krieg …

Feen, Genien und Elfen erscheinen zu Tänzen und Gruppierungen. Hüon von Bordeaux hält sich rechts vorn auf. Oberon inmitten der Feen, Genien und Elfen. Scherasmin links vorn

Ensemble

FEENCHOR
Ehre und Heil dem, der treu ist ed brav!
In Oberon zeigt sich stets ein Freund!
Doch weh für den Feigen, Verräter und Sklav'!
Die Rache der Feen bereit erscheint.
Ehre und Heil dein, der treu ist und brav!
Ehre und Heil!

HÜON
zu Oberon
Sei ein Führer mir, holder Geist!
Zu dem Thron des Ungläubigen leite mich,
Dort sei der Arm, sei das Herz bewährt,
Dort zeig' die Treu' deines Hüon sich.

OBERON
Es küsst die Sonne den Purpursaum,
Der um Feenlauben fliesst,
Oft muss sie sinken in jene Flut,
Eh, sterblicher Ritter, vergönnt dir ist
Zu nahen Bagdads Schloss.
Doch sieh! Mein Lilienzepter weht,
Und Bagdad liegt vor dir.

In der Mitte des Hintergrundes ziehen sich die Blütenranken wieder nach oben, und wie in einem Blumengarten, von der Abendsonne beleuchtet, wird am Ufer des Tigris die Stadt Bagdad sichtbar

HÜON
Kann ich meinen Augen trau'n?
Ja, auf gold'ne Zinnen hier
Sich das Abendrot ergiesset,
Und der Strom in reicher Zier
Schnell zu seinem Meere fliesset.
Doch ach, wo find' ich sie,
Die mir Liebe im Schlummer hat gespendet?
Floh sie denn auf ewig mich?
Hat der Klang denn ganz geendet?

OBERON
Getrost, mein Held, getrost!
Nach Ruhme strebe kühn!
Nur fort, die Lieb' wird dir in Babylon erblühn.

Er verschwindet unauffällig inmitten der Feen und Elfen

ELFENCHOR
Eil, o Held! Liebe und Ruhm,
Sie werden bald dein schönes Eigentum!
Eil, o Held, Liebe und Ruhm,
Lieb' sei dein Eigentum!

HÜON
Sei ein Führer mir, holder Geist!
Zum Kalifen leite mich!
Dort sei der Arm, sei das Herz bewährt!
Holder Geist, sei mein Führer,
Leite zu dem Gottverworf’nen mich!
Dort sei der Arm, sei das Herz bewährt,
Dort zeig' die Treu' deines Hüon sich!
Sei mein Führer! - Du holder Geist! -

Feen, Genien und Elfen verschwinden nach allen Seiten hin. Oberons Blumenlager versinkt; die Blütenranken ziehen sich vor dem vollen Anblick der in der Abendsonne liegenden Stadt Bagdad nach oben, unten und nach den Seiten hin zurück


ZWEITE SZENE
Auf einer Strasse aus dem Zauberwald Oberons nach Bagdad

SCHERASMIN
kommt mit Droll und Hüon; er geht ein paar Schritte vor den beiden
Immer voran, Herr Hüon! Jetzt ist schon lange genug gescheit geredet  worden. Ich hab einen Hunger


DROLL
Und dein Becher?

SCHERASMIN
Das ist es ja: Wenn man in einem fort trinkt, braucht man erst recht eine Unterlag' für den Magen.

DROLL
Ich will dir noch einen Rat geben, bevor du weiterziehst, Hüon.

HÜON
Wie ich Rezia gewinne?

DROLL
Ihr Herz hast du längst. Du musst jetzt nur dazusehen, wie du sie am besten aus dem Palast des Kalifen bringst.
reicht ihm und Scherasmin zwei kostbare Röcke
Verkleidet euch mit diesen Röcken. Auf diese Weise könnt ihr ungehindert in den Palast hineinkommen und euch unter die Grossen des Kalifen mengen.

SCHERASMIN
Aber das Schwert behalten wir unter dem Rock! Und wenn's keiner vermutet, schlagen wir drein.

DROLL
Ihr seid nur zwei gegen Unzählige. Aber wenn es schlimm wird, gebraucht das Horn.

SCHERASMIN
Wird Oberon wirklich erscheinen, wenn wir ihn rufen?

DROLL
Gewissi Aber dann dürft ihr eins nicht vergessen: dass der nächste Tag vielleicht noch schlimmere Not bringt.

HÜON
Not, wenn ich meine Rezia für immer habe? Was fehlt mit dann noch zu meinem Glück?

DROLL
Du musst erst entdecken, wo es für dich wächst,

HÜON
Aus eurem Zauber?

DROLL
Nein, Hüon, viel seltsamer.
Aus Eurem Leid!

Er verschwindet. Hüon und Scherasmin blicken ihm überrascht und nachdenklich nach. Dann fasst Hüon, weiterschreitend, neuen Mut

Arie

HÜON
Von Jugend auf in dem Kampfgefild',
Die Lanze hoch und vor den Schild,
Stets da, wo sich der Mann erprobt,
Am wild'sten Schlacht und Kampflust tobt.
Führend des Vaters Schwert,
Stolz, dass sein Name mich ehrt;
Im Herzen noch die Liebe schwieg.
Mein einz'ges Streben: Sieg! Sieg! Sieg!-
Jetzt giesst sich aus ein sanft'rer Glanz
Auf meines Lebens Wogentanz,
Der Schönheit Lächeln mildert zart
Des Ruhmes wilde Männerart.
Süss, wie des Abends Weh'n,
Stern in der Nacht so schön,
Nichts reizender's dir je verblieb
Um mich zu fesseln: Lieb'! Lieb'! Liebe! –
Ob aber auch neues Gefühl mich durchbebt,
Doch stets noch die frühere Glut mich belebt!
Sein ohne Lieb' welch' düst'rer Trauerflor!
Doch Sein ohne Ehre, den Tod zög' ich vor!



DRITTE SZENE
Eine offene Halle im Harem des Kalifen Harun al Raschid

Finale

REZIA
allein
Eil, edler Held! Befreie dir
Die Braut, die deiner wartet hier!
Eh' soll die Hand mir Tod verleih'n '
Als eines andern sein, denn dein!
Ja, o Herr! Mein Heil, mein Leben!
Rezia ist für ewig dein,
Liebe wusste wohl zu prägen
Meiner Brust dein Siegel ein.
Ja, im Herzen ruht dein Bildnis,
Dort bestimmt es ganz mein Los!
Ja, im Herzen ruht dein Bildnis,
Wie der Tropfen in der Tulpe
Taugetränktem Liebesschoss.
Ja, o Herr! Mein Heil, mein Leben!
Rezia ist für ewig dein

FATIME
tritt eilig ein, freudig
Glück! Freude! Gerettet sind wir in der Not!
Auf! Er ist da und trotzet kühn dem Tod!

REZIA
erwartungsvoll
Da? ? Wo? ? Süsse Fatime, rede weiter fort!

FATIME
Heut abend führte zu Namuna ihn der Zufall!
Nein, das Schicksal! Fürwahr, das Schicksal!
Dort, ganz Wort für Wort, hört er,
was dir im Traum erschien,
Und schwur zu retten ans den Fesseln dich,
Wo nicht, den Tod für sich!

REZIA
Sagt' ich's nicht? Sagt' ich's nicht?

Duettino

BEIDE
O welches Glück!

REZIA
Seine Nähe trag' ich kaum!

FATIME
Sie erträgt es kaum!

BEIDE
O, welches Glück!

REZIA
Seine Nähe trag' ich kaum!

FATIME
Sie erträgt es kaum!

BEIDE
O welches Glück! O welches Glück!
Hoffnung gab ihn mir/ihr zurück!
Liebe hat erfüllt den Traum!
Hoffnung gab ihn mir/ihr zurück!
O welches Glück, o welches Glück!

REZIA
Seine Nähe trag' ich kaum!

FATIME
Sie erträgt es kaum!

BEIDE
O seine Nähe  trag' ich/trägt sie kaum!
Hoffnung gab ihn mir/ihr zurück!
Seine Nähe trag' ich/trägt sie kaum!
iebe hat erfüllt den Traum!
Hoffnung gab ihn mir/ihr zurück!

FATIME
Horch, Herrin, horch! Auf der Terrasse Bahn
Schon hört man des Harems Wächter nahn,
Und sieh', die Sklaven kommen sacht,
Weil schon zut Ruhe ruft die Nacht.

Rezia and Fatime kommen vor und geben einander Zeichen des geheimen Einverständnisses. Die Janitscharenmusik bewegt sich langsam auf die Terrasse. Mesru, der sehr dicke Anführer der Haremswächter, erscheint wackelnd mit ihnen. Dreissig Mann Wachen von ebendaher, nehmen hinter der Musik Aufstellung

CHOR
Dunkel ist es schon und spät,
Und von jedem Minaret
Stimmen zum Gebet schon riefen,
Die Lüftchen selbst entschliefen.
Länger bleibt nicht hier am Ort,
Fort zur Ruh, fort, fort, fort, fort!

Der Vollmond steigt herauf und überflutet mit seinem Licht die Halle

REZIA
beiseite
Seele, froh in Jubelklängen,
Wie soll ich zurück dich drängen?
Nur zu laut tut dich ja kund
Das glüh’nde Aug'; beredter Mund!
Dass dich nicht verrat' ein Wort,
Fort zur Ruhe, fort, nur fort!

CHOR
Länger bleibt nicht hier am Ort,
Fort zur Ruh'; fort zur Ruh'!
Dunkel ist es schon und spät,
Und von jedem Minaret
Stimmen rufen zum Gebet!
Das Lüftchen selber schlafen geht,
Fort, drum fort! Fort, nur fort!
Nur fort, nur fort!

Die Janitscharenmusik bewegt sich langsam hinweg

ZWEITER AKT

ERSTE SZENE
Ein prächtiger Saal im Palast Harun al Raschids in Bagdad. Harun al Raschid sitzt auf seinem Thron, um den Babekan und die Grossen des Reiches stehen. Leibwachen sind rechts und links zur Seite aufgestellt. Vor dem Thron, mit gekreuzten Armen, Diener

CHOR
Ehre! Ehre! Ehre! Ehre!
Ehre sei dem mächt'gen Kalifen und Preis!
Beugt euch, Gläub'ge, tief in den Staub vor seiner Macht!
Fluch treff' den Ungläub'gen, der es wagt zu trotzen ihm,
Wenn er, sowie der Morgen lacht, entfliehen sieht die Nacht.
Ehre sei dem grossen Kalifen und Preis!

BABEKAN
beugt sein Knie vor dem Kalifen
Grosser Herrscher aller Gläubigen! Deine Tochter Rezia ist nicht nur das Kind des weisesten Fürsten auf dieser Welt. Sie ist auch ihr schönstes Mädchen. Ich kann mich vor Ungeduld nicht fassen …

HARUN AL RASCHID
Du bist klug und höflich, Prinz Babekan. Du wirst bald König von Persien sein, dann bist du der mächtigste unserer Freunde. Aber Frauen beugen sich lieber vor einer anderen Macht: der Liebe.

BABEKAN
Ich will alles tun, damit sich das Herz Rezias mir zuneigt.

HARUN AL RASCHID
Dann streng deinen Kopf an, Prinz Babekan! Wie wir es unserer Rezia recht leicht machen, dass sie dir als ihrem Herrn folgt. Sei erfinderisch …

BABEKAN
Ich will sie nicht wie eine Beute fordern, und sei sie die kostbarste.
Nein, es soll sein …

HARUN AL RASCHID
fällt lachend ein
… oder doch so scheinen …

BABEKAN
… als folge sie ihrer freien Wahl! Fordere sie nur auf, sie möge auf den Mann zugehen, dem sie sich in Liebe ergibt. Dann wird sie leichter wollen …

HARUN AL RASCHID
… was sie muss. Du bist recht klug, Babekan!

Ballett

DROLL
Während des Tanzes treten Hüon und Scherasmin - als arabischer Fürst und dessen Diener verkleidet - in den prächtigen Saal des Palastes ein, rechtzeitig zu Rezias Bräutigamwahl. Rezia geht zunächst einige Schritte in Prinz Babekans Richtung.  Plötzlich aber, wie von unsichtbarer Macht gelenkt, kehrt sie sich zur anderen Seite und geht auf Hüon zu. Hüon und Rezia haben sich gefunden! Der Kalif und Prinz Babekan sehen ihren Plan durchkreuzt. Als sie aber Hüon und Scherasmin von der Palastwache festnehmen lassen wollen, bläst Hüon in Oberons Zauberhorn. Sogleich versinken die Angreifer in tiefe Erstarrung - Hüon und Rezia retten sich in den Palastgarten. Und Scherasmin, der Schelm, hat vorher nicht versäumt, die schöne Sklavin Fatime durch einen Kuss wieder zu erwecken. Fatime erwacht sogleich aus der Erstarrung und lächelt ihm freundlich zu

SCHERASMIN
Mir scheint, das gefällt dir? Also da capo!
küsst sie noch einmal!

FATIME
packt ihn und zieht ihn mit
Komm.

SCHERASMIN
Wohin, mein schönes Kind?

FATIME
Zu Rezia und deinem Herrn.


ZWEITE SZENE
Dichter Garten hinter dem Palast des Kafifen

SCHERASMIN
in zärtlicher Umarmung mit Fatime
Das ist eine reizende Skala! Mit einem Kuss wirst du von einer Statue zu einem zärtlichen Schatz, mit dem zweiten bist du schon anhänglich. Was wird das erst beim zehnten und hundertsten Kuss sein?

FATIME
Du hast doch nur Unsinn im Kopf!

SCHERASMIN
Oh … jetzt hab ich überhaupt erst einen Sinn in dem ganzen orientalischen Abenteuer gefunden! Seit ich einen so bildhübschen Unsinn im Arme habe.

FATIME
Du hast noch gar nicht gesagt, ob du mich liebst?

SCHERASMIN
Ob ich dich liebe? Warte mal!
tut, als müsse er scharf nachdenken
Wenn dich einer fragt, schmeckt dir dieser Wein? Was wirst du tun? Du wirst ihn kosten! So mach ich's auch! Ich koste dich.
küsst sie

FATIME
Und ob ich dich lieb habe? Das willst du gar nicht wissen?

SCHERASMIN
Was ich nicht weiss, macht mir nicht heiss. Aber was mir heiss macht, das weiss ich. Allerdings - jetzt fällt mir dazu etwas Schreckliches ein.
lässt sie los

FATIME
Was hast du, Scherasmin?

SCHERASMIN
Vielleicht liebst du mich nur in Bagdad, weil du immer im Harem eingesperrt warst?

FATIME
schmiegt sich an ihn
Hab' keine Sorge. Ich bin treu, wenn ich einmal liebe.

SCHERASMIN
Oh. So kokett ist man nur, wenn man lügt …

Ariette

FATIME
Arabiens einsam Kind,
Der Wüste Mädchen bloss,
Die Künste nicht bekannt mir sind,
Zu ziehn der Liebe Los.
Arabiens einsam Kind,
Der Wüste Mädchen bloss,
Gleich abgepflücktem Blatt bin ich,
Das auf dem Bache schwimmt;
Ein Weilchen, dann verliert es sich
Spurlos, wie's ihm bestimmt.
Doch wenn mich Freundes Hand
Dem Wellenspiel entriss',
Und trüg' mich in ein fernes Land,
Blüht' ich ihr neu gewiss.
Und Nachtigall wohl trennt' man eher
Von ihrer Rose ab,
Als ich des Herzens Ruhe stört',
Wo Lieb' mir Heimat gab.

SCHERASMIN
Das ist schön von dir, Fatime. Aber damit dir die Liebe eine neue Heimat gibt, dazu müssen wir vorerst einmal in der Heimat sein.

Rezia und Hüon kommen in grosser Eile von der anderen Seite

HÜON
Rasch. Scherasmin! Wir müssen uns zu den Schiffen durchschlagen, bevor alle erwachen!

SCHERASMIN
zieht Fatime hinter ich her
Höchste Zeit, dass wir uns aus dem Staub machen, bevor sie uns in den Staub werfen.

HÜON
aufjubelnd
Askalon! Meine Heimat!

Oberon macht Droll ein Zeichen, ihm zu folgen, beide verschwinden im Dunkeln

SCHERASMIN
in übermütiger Laune
Nach Askalon! Gnädige Prinzessin Rezia, und du meine muntere Fatime, wisst ihr, was das heisst? Nach Frankreich geht es!

Quartett

HÜON UND SCHERASMIN
Über die blauen Wogen,
Über die Fluten hier,
Stern von Arabiens Töchtern,
Sprich, willst du ziehn mit mir? Sprich!

REZIA UND FATIME
Hätten die Wogen nicht Grenzen,
Nicht Küste die Meerflut hier,
Doch zöge Arabiens Tochter
Furchtlos dahin mit dir.

ALLE VIER
An Bord denn! - An Bord denn, an Bord!
Fort, da der Himmel rein,
Und günstig weht der Wind!
Die Herzen sind treu wie unser Boot,
Und hell von Hoffnung,
Wie Segel in der Sonne Schein!
An Bord, an Bord, da der Himmel rein!
An Bord, an Bord, da günstig weht der Wind!
An Bord, an Bord, an Bord!


DRITTE SZENE
Kurze Felsenlandschaft. Es ist finster. Nur Puck allein ist in ihr zu erkennen

Solo, Chor und Sturm

PUCK
beschwörend den Lilienstengel schwingend
Geister der Luft und Erd' und See!
Geister der Glut in heil'ger Höh'!
All, die gebieten Flut und Wind,
Kommt hierher, ihr Geister, geschwind!
Ob ihr gebannt in die Höhlen ein,
Karg nur beleuchtet von Demantschein;
Oder in den Wassern tief,
Wo die Perl' gefesselt schlief;
Oder dort in Himmeln weit,
Wo kein Auge Beistand leiht;
Oder im Spalt eines Felsens dort,
Wo die Lava kocht noch immer fort;
Geister, wo immer auch eu'r Revier,
Kommt hierher, ihr Geister, kommt hierher zu mir!
Es ruft euch, Geister, nah und fern,
Durch mich Gebot eures Oberherrn!

Luft-, Erd-, Wasser- und Feuergeister, Sylphiden, Feen eilen in verschiedenfarbigen Verhüllungen von allen Seiten herbei; die Feuergeister tragen brennende Fackeln. Puck in der Mitte. Die Geister umringen ihn mit lebhaften Gebärden

CHOR DER GEISTER
Wir sind hier! Wir sind hier!
Sprich, was soll geschehn?
Soll'n wir spalten den Mond?
Soll'n wir verfinstern die Sonn'?
Soll'n wir schaffen den Ozean von Grunde aus leer?
Sprich! Wir tun's, und noch viel mehr!

PUCK
Nein! Nein! Ihr braucht nur vorderhand
Ein Boot zu schleudern in den Strand;
Da Feenmacht dies tun nicht kann,
Such' ich bei euch um Beistand an.

CHOR DER GEISTER
Nichts als das?
lachend
Ho, ho! Ho, ho! Ho, ho!
Leicht're Arbeit nie ich sah.
Wog' und Wind! - Hoch auf und hohl!
Horch! - Geschehn. - Leb' wohl! Leb' wohl!

Donner und Blitz. Puck und die Geister verschwinden, woher sie gekommen. Es wird dunkel. Die Felsenlandschaft verschwindet unauffällig nach oben. Unter dem Leuchten der Blitze erscheint ein ödes Felsengestade am Meeresufer. Gewitterdunkelheit. Rechts ein Felsenlager, hinter dem ein Pfad nach oben führt. Ein Sturm rast unter Donner und Blitz über die Wasserfläche, und ein Wrack wird von rechts nach links vorübergetrieben

Sturmmusik

Gebet

HÜON
kniend
Vater! Hör' mich flehn zu dir!
Schon', o schon' die Blüte hier!
Und muss es sein, so treff' dein Donnerschlag allein
Nur mich, der schuld an dieser Pein!
Schon', o schon' die Blüte hier!
Vater, hör' mich flehn zu dir!
Schon', o schon' die Blüte hier!

REZIA
erwacht langsam
Hüon!

HÜON
Rezia! Du lebst!

REZIA
richtet sich auf
Wo sind wir, Hüon?

HÜON
Der Sturm hat unser Schiff zerstört, und die Brandung hat uns hierher geworfen.

REZIA
Warum rufst du nicht unseren Freund Oberon?

HÜON
Ich habe das Horn verloren. Aber …
wendet sich nach rechts
Ich will vom nächsten Hügel ausschauen. Vielleicht wohnen Menschen in der Nähe. Oder ich bringe Wasser und Früchte.

geht rasch ab

Rezitativ und Ozean-Arie

REZIA
Ozean, du Ungeheuer! Schlangen gleich
Hältst du umschlungen rund die ganze Welt!
Dem Auge bist ein Anblick voll Grösse du,
Wenn friedlich in des Morgens Licht du schläfst!
Doch wenn in Wut du dich erhebst, o Meer,
Und schlingst die Knoten um dein Opfer her,
Zermalmend das mächtige Schiff, als wär's ein Rohr,
Dann, Ozean, stellst du ein Schreckbild dar. –

Die Wellen werden etwas ruhiger und heller

Noch seh' ich die Wellen toben,
Durch die Nacht ihr Schäumen schleudern,
An der Brandung wild gehoben,
Jede Lebenshoffnung scheitern! –

Die durch die Gewitternacht verdrängte Abendsonne zerteilt in einzelnen Strahlen die Wolken

Doch, still! Seh' ich nicht Licht dort schimmern,
Ruhend auf der fernen Nacht,
Wie des Morgens blasses Flimmern,
Wenn vom Schlaf er erwacht?

Die Wellen werden immer ruhiger

Heller nun empor es glühet
In dem Sturm, dess' Nebelzug
Wie zerrissne Wimpel fliehet,
Wie wilder Rosse Mähnenflug! -

Die Abendsonne strahlt hell und voll am Himmel

Und nun die Sonn' erstrahlt! Die Winde lispeln leis;
Gestillter Zorn wogt nur im Wellenkreis.
Wolkenlos strahlt jetzt die Sonne
Auf die Purpurwellen nieder,
Wie ein Held nach Schlachtenwonne
Siegreich eilt zur Heimat wieder. -

Das Meer wird ganz ruhig, und die untern Wolkenschichten zerteilen sich

Ach, vielleicht erblicket nimmer
Wieder dieses Aug' ihr Licht!
Lebe wohl, du Glanz, für immer!
Denn für mich erstehst du nicht. -

Die Sonne geht unter. Ein Schiff zieht entfernt von rechts nach links vorüber

Doch was glänzt dort schön und weiss,
Hebt sich mit der Wellen Heben?
's ist die Möwe, sie schweift im Kreis,
Wo die Flut raubt ein Leben!
Nein - kein Vogel ist's! - Es naht!
Heil! Es ist ein Boot, ein Schiff!
Und ruhig segelt's seinen Pfad,
Ungestört durch das Riff. –
O Wonne! Mein Hüon! Zum Ufer herbei!

Sie nimmt den Schleier ab, der sie umhüllt, und gibt damit nach dem Schiffe hin ein Zeichen

Schnell! Schnell! Diesen Schleier! Er weht!
O Gott, sende Rat!
Sie sehn mich! Schon Antwort! Sie rudern mit Macht!
Hüon! Hüon! Hüon! –
Mein Hüon! Mein Gatte! Die Rettung, sie naht!
Rettung naht! Rettung naht! Rettung naht!

Sie will nach links hinten ab

DROLL
Doch Rezia hat sich getäuscht: Es ist ein Seeräuberschiff! Nicht die erhoffte Rettung naht, sondern eine neue schwere Prüfung steht bevor. Die Piraten fangen  Rezia und schleppen sie auf das Schiff. Abdallah, der Anführer, wird sie seinem Herren, Almansor, dem Emir zu Tunis, als Sklavin verkaufen. Hüon, von den Piraten niedergeschlagen und schwer verwundet, bleibt am Ufer zurück. Da erscheint über dem Meere, in einem Muschelboot von zwei Schwänen gezogen, Oberon …

Oberons Ankunft

Das Boot schwebt ans Ufer, der König der Elfen steigt aus und beugt sich über den wie leblos daliegenden Hüon

DROLL
Er tut mir so leid.

ODERON
Mir scheint, du willst ihm schon wieder helfen?

DROLL
Ja, grosser König. Aber gerade darum bitte ich dich, ihm auch weiterhin kein Leid zu ersparen. Denn nur so kann er zum Ziele kommen.

OBERON
Sieben Tage soll er im Traum liegen. Und dann bring' ihn nach Tunis. Dort soll er im Garten des Palastes aufwachen und wieder gesund und kräftig sein.

DROLL
Sein Körper! Aber sein Herz muss leiden …

OBERON
Ja, bis er die letzte Probe besteht … Und jetzt lass uns heimkehren.

DROLL
Darf ich etwas anderes raten, grosser König? Du musst etwas nachholen.

OBERON
Hier am Meer?

DROLL
Ja, gerade hier, wenn du nicht zürnst. Wegen der Liebenden hast du das Meer bewegt. Erlaube, dass ich nun auch für deine treuen Elfen ein Meeresschauspiel ausdenke und in Bewegung setze.

OBERON
nickt
Gut, mein kluger Droll.

Droll bewegt nach allen Seiten seinen Lilienstengel. Meermädchen tauchen aus den Fluten auf und wogen darin hin und her. Puck erscheint mit ihnen und tritt zu Droll

PUCK
Sieh, die Meermädchen! Oberon, dein Reich beginnt!

ERSTES MEERMÄDCHEN
O wie wogt es sich schön auf der Flut,
Wenn die müde Welle im Schlummer ruht!
Leise verschwand der Sonnenschein,
Und sich die Sterne dort oben reih'n.
Und sich der Nachthauch hebt so sanft und mild,
Düfte entatmend aus fernem Gefild.
O wie wogt und singt sich's hold,
Trocknend der nassen Locken Gold.

Oberon und Puck wenden sich nach hinten

ZWEITES MEERMÄDCHEN
O wie wogt es sich schön auf der Flut,
Wenn die stille Nacht ihr am Busen ruht!
Der Wächter lehnet im Dämm'rungsschein
Über dem Turm, den die Zeit stürzt ein,
Bekreuzt sich, murmelt ein frommes Gebet
Und horcht auf das Lüftchen, das zaub’risch weht.
O wie wogt und singt sich's hold,
Trocknend der nassen Locken Gold.

PUCK
vortretend
Meister, sprich! Es ist getan!
Soll'n wir tanzen auf dem Plan,
Oder in der Mädchen Sang
Mischen froher Lieder Klang?

OBERON
Besser'n Lohn verdient hast du,
Ich verweil' und seh' ihm zu.

PUCK UND OBERON
bewegen ihre Lilienstengel
Hierher, hierher, ihr Elfen all!
Kommt, tanzt nach der Nymphen melod'schem Schall!
Eilt und beweiset den Mädchen der Flut,
Dass die Geister der Erde auch froh und gut.
Kommt so reizend und seid so schön,
Wie Blüten im Hauche des Sommers wehn.
Hierher! Hierher! Hierher, ihr Elfen all,
Tanzt nach der Nymphen melod'schem Schall!

Aus dem Wasser tauchen Meermädchen auf und kommen ans Land; von beiden Seiten, von oben und unten zeigen sich Nymphen, Elfen und Feen; zuletzt von oben Luftgeister mit transparenten Sternen

PUCK, NYMPHEN, SYLPHIDEN, MEERMÄDCHEN, LUFTGEISTER
Wer blieb' im korallenen Schacht,
Wenn der Mond auf stillen Wogen lacht,
Und die Sterne schmücken das blaue Haus,
Wo nächtlich sie gehn, wandern ein und aus?
Wohlgemut! Wohlgemut segelt fort!
Über der See glühn, so mild sie dort,
Über der See glühn so blass sie dort!
Wohlgemut! Wohlgemut segelt fort!
Wer blieb' im korallenen Schacht,
Wenn der Mond auf stillen Wogen lacht,
Und die Sterne schmücken das blaue Haus,
Wo nächtlich sie wandern ein und aus?
Wohlgemut! Wohlgemut segelt fort!
Über der See glühn so mild sie dort!
Wohlgemut! Wohlgemut segelt fort!

OBERON, ELFEN
Wer schlief in der Lilie Schoss,
Wenn der Mond scheint über Wald und Moos,
Und die Sterne schmücken das blaue Haus,
Wo nächtlich wandern sie ein und aus?
Wohlgemut! Wohlgemut tanzen wir!
Ufer entlang bei der hellen Zier,
Bei der hellen Zier tanzen wir!
Wohlgemut! Wohlgemut tanzen wir!

Der Meeresgott zieht auf einem mit Wassergeistern gruppierten, mit Wasserblumen und Schlingpflanzen verzierten Fahrzeug herbei; von rechts und links nahen Wassernymphen mit Blütenstäben in den Händen; die Blumen und Blüten flammen alle plötzlich auf in glühendem Licht

DRITTER AKT

ERSTE SZENE
Palastgarten des Emirs Almansor zu Tunis. Links vorn ein grösserer Busch mit einer Bank davor. Sonnenaufgang. Scherasmin gräbt und arbeitet als Gärtner. Die Gärtnertracht wirkt an ihm ungewonhnt und reizt zum Lachen. Fatime kommt langsam von hinten. Ein paar Schritte vor Scherasmin bleibt sie stehen; auch sie belustigt der komische Anblick

SCHERASMIN
klatscht in die Hände
Du siehst ja reizend aus, Fatime!

FATIME
Wirklich? Ich habe mich schon gefürchtet, dass ich dir gar nicht mehr gefallen werde.
dreht und wendet sich
So ohne Schleier und ohne Schmuck?

SCHERASMIN
Jetzt sieht man doch erst, was wirklich an dir dran ist, meine Liebe. Den schönen Mund, die weichen Wangen … die zarte Brust … und überhaupt … zum Anbeissen!
wird sehr zärtlich

FATIME
wehrt sich ein bisschen
Wenn jemand kommt …

SCHERASMIN
Was kann uns denn noch geschehen? Sklaven sind wir ja nun einmal!

FATIME
Du bist gar nicht mehr verzweifelt darüber?

SCHERASMIN
Warum? Unser schönes Schiff ist gescheitert … Das war ein Unglück. Dann wurden wir von einem anderen Schiff entdeckt und pudelnass aufgefischt. Das war ein Glück.

FATIME
Dann zeigte es sich, dass dieses Schiff ein Räuberschiff war …

SCHERASMIN
Das war ein Unglück. Aber liess man uns deshalb hungern und leiden? Nein. Nur fette Hühner und glänzende Fasane kann man gut verkaufen. Und also auch nur gut genährte Sklaven. Das war wieder ein Glück.

FATIME
Aber dann stellte man uns auf dem Sklavenmarkt von Tunis aus …

SCHERASMIN
Das war ein Unglück. Doch dann kaufte uns der Gärtner des Emirs …

FATIME
fällt rasch ein
Das war ein Glück.

SCHERASMIN
Falsch! Das war nur ein Zufall. Aber dass man uns dann beisammen liess und dass der Gärtner sich gerade auf ein Paar kaprizierte, dass wir beisammen blieben - siehst du, das war ein wirkliches Glück.
Sie küssen einander immer wieder

FATIME
macht sich frei
Aber dass wir jetzt weder das Horn Oberons noch den Becher haben … Das ist doch ein Unglück.

SCHERASMIN
Es nötigt uns, dass wir uns nur auf uns verlassen. Und das ist wieder ein Glück. Denn die Liebe macht erfinderisch, und darauf kommt es an. Auf das Finden und noch  mehr auf das Suchen. Denn wenn sie auch Hüon und Rezia so aufgefischt haben wie uns, so werden die beiden sogleich einander suchen, wie sie es schon vorher getan haben. Und dann werden wir eines Tages wieder alle beisammen sein. Pass nur auf.

FATIME
Und dann geht es heimwärts.

SCHERASMIN
Nach Marseille, Fatime.

FATIME
Nein, nach meiner Heimat! Jetzt bist du doch schon so gut an die Hitze gewöhnt. Und auch an die Kost.

SCHERASMIN
Ohne Hammelbraten, darüber liesse sich noch reden. Aber ohne Wein, Fatime …

FATIME
Ist denn der Wein alles? Du weisst gar nicht, wie schön es in Arabien sein kann.

Arie

FATIME
Arabien, mein Heimatland,
Du Land, so teuer mir!
Ist's doch, als flög ich übers Meer,
Wär' wiederum in dir.
Und säh' dort meines Vaters Zelt
Dicht unterm Dattelbaum;
Und der Klang der Töne der Fröhlichkeit
Erschallt mir wie ein Traum.
Da hört' ich bei leisem Zitherschlag
Ein Mädchen singen einmal,
Von Zenab, die dem Serdar entfloh
Mit dem Jüngling ihrer Wahl.
aufstehend
Al, al, al …
Sei's auch finstere Nacht! Al, al, al …
Doch der Morgen für mich und für Jussuf erwacht!
Ob die Blumen des Gartens geschlossen sich auch,
Blüht doch Rose des Herzens im Liebeshauch.
Al, al, al … Bald vorbei die Gefahr!
Hinter uns Anderun und der harte Serdar.
Al al, al …
Al, al, al …
Horcht, es wiehert sein Ross! Al, al, al …
Beweise, mein Berber, dich treu dem Genoss'!
Durch die salzige Wüste geht's schnell wie ein Blick,
Es bleibet die Angst mit den Türmen zurück.
Al, al, al …    Auf der Grenze wir nun!
Und wir lachen des Herrn und des Anderun.
Al, al, al …

SCHERASMIN
Oho! Glaubst du, nur bei euch geht es so lustig zu, du wirst die Augen aufreissen, wenn du erst einmal mit mir am Strande der Garonne spazieren gehst …

FATIME
Was werden da deine Freunde zu der dunkelhäutigen Frau sagen, die du mitgebracht hast?

SCHERASMIN
Sie werden ihr fränkische Komplimente und schöne Augen machen. Aber mehr erlaube ich nicht, merk dir das …

Duett

SCHERASMIN
An dem Strande der Garonne
Mich im Lenz des Lebens freuend,
Als allein ich laufen konnte,
Knuff und Puff und Stoss nicht scheuend,
Arbeit meidend, liebend Spass,
Waffenfeind, kein Weinverächter,
Prügelnd jedes Nachbars Sohn
Und küssend alle Nachbarstöchter.

Fatime tritt böse und trotzig von Scherasmin fort

Oh wie floh'n die Tage schön,
Dort an jenes Flusses Höh'n!
Oh wie floh'n die Tage schön,
Dort an der Garonne Höh'n,
Dort an jenes Flusses Höh'n!

FATIME
An dem Strom des Bendemir
Sah zuerst das Licht ich glänzen;
Dort verlebt ich Jahr für Jahr
Bei der Wellen leichten Tänzen;
Wanderte mit meinem Stamm,
Wo der Dattelbaum sich neigte,
Oder grüner Weideplan
Für der Herde Schar sich zeigte.
Unbekannt war Kummer mir
An dem Strom des Bendemir.

SCHERASMIN
Sich geändert hat die Zeit!

FATIME
Ausgelöscht der Freude Flammen!
Wir sind Sklaven! Sklaven!

SCHERASMIN
Was kümmert das?
Sind wir Sklaven doch zusammen!
Darum fröhlich so wie treu
Lass uns jubeln, singen, lieben;
Graben erst und schnäbeln dann,
Wie's Adam schon und Eva trieben!

BEIDE
Also fröhlich so wie treu!
Lass uns jubeln, singen, lieben;
Graben erst und schnäbeln dann.
Wie's Adam schon und Eva trieben.

Von der Höhe senkt ich ein Blütenwagen nieder, in dem Droll Hüon in den Garten des Emir bringt und sorgsam auf die Erde bettet

DROLL
beugt sich voll Teilnahme über Hüon
Erwache Hüon! Und wenn du dich völlig verlassen findest, ohne Waffen und Horn, dann erwache erst recht zu dir selbst. Bewähre die Kraft deiner Liebe. Rette dich und Rezia - rette das Glück Oberons.

Er entschwindet auf dieselbe Art, wie er die Szene gelangt ist

HÜON
erwacht wenige Augenblicke später
Wo bin ich? Allein? Verlassen von allen?
ruft
Rezia! Ach, weiss Gott, wo sie ist …
Er läuft nach rückwärts
Kein Horn! Kein Oberon!

Dreht sich in der Mitte der Bühne um und kommt langsam nach vorne. Scherasmin kommt von der anderen Seite. Hüon bleibt, sobald er in erkennt, ganz starr vor Überraschung stehen

SCHERASMIN
hält es ebenso, Dann sagt er vor sich hin:
Ich wundere mich nicht! Nein, ich wundere mich nicht.

HÜON
Scherasmin! Lieber, treuer Scherasmin!

SCHERASMIN
eilt auf ihn zu. Umarmt ihn
Lieber, lieber Herr!

HÜON
Scherasmin als Gärtner! Wenn das die Leute an der Garonne wüssten …

SCHERASMIN
Sie würden sich wundern.

FATIME
kommt von links and entdeckt mit glücklichem Staunen Hüon bei Scherasmin
Unser lieber Herr …

SCHERASMIN
Ja, Fatime, gesund und kräftig! Wenn er gestern neben uns auf dem Sklavenmarkt gestanden wäre, der Gärtner hätte für uns zwei nicht den halben Preis bezahlt. Und wir wären heute noch dort zu haben, wie ein paar altbackene Semmeln.

HÜON
Der Gärtner hätte schlecht gekauft. Was nützte ihm ein Unglücklicher, den keine menschliche Macht wieder zu m Menschen machen kann, der er einmal war?

FATIME
mischt sich ein
Das kann bald anders werden, Herr Hüon.

HÜON
traurig
Unmöglich, gute Fatime. Nur Rezia könnte mich trösten. Und Rezia ist geraubt und verschleppt.

FATIME
Jetzt werdet ihr aber staunen!

SCHERASMIN
Ich wundere mich nicht. Nein, ich wundere mich über nichts.

HÜON
aufschreiend
Du weisst etwas von Rezia?

FATIME
Alle Schiffe, die nach dem Scheitern des unseren auf dem Meer kreuzten, waren Räuberschiffe. So ist auch Rezia gewiss von Räubern ergriffen worden.

HÜON
fällt ein
Ja! Korsaren haben sie vor meinen Augen fortgeschleppt.

FATIME
Dann ist richtig, was alle hier flüstern, Die Korsaren hätten eine arabische Prinzessin vor den Emir gebracht, und der Emir hätte sie in den schönsten Pavillon gesperrt.

HÜON
Ich bin der Glücklichste und zugleich …

SCHERASMIN
fällt ein
Ich weiss … zugleich der Unglücklichste. Das ist in der Liebe nun einmal so.

HÜON
Rezia ist nur hundert Schritte von mir, und ich bin schwach und ohnmächtig.
ringt die Hände
Was ist da zu tun?

SCHERASMIN
Das ist doch klar!
Zuerst werden wir mit dem Gärtner sprechen. Er wird dich hier behalten und arbeiten lassen. Und dann werden wir uns neu auf unser Abenteuer einstellen und wo es nottut, blitzschnell umstellen. Und niemand wird uns eine Falle stellen, weil wir uns selbst so rasch und gut verstellen …

Terzett

HÜON
So muss ich mich verstellen?

SCHERASMIN
Dies führt zum Ziel allein.

HÜON
Doch zittern mög' der Freche,
Der Rache will ich ihn weih'n!

Er tritt mit Scherasmin beratend einige Schritte nach hinten

FATIME
vorne
Unsichtbarer, voll Macht und Licht,
Der du die Tugend belohnest durch Glück:
Oh sende dem Bravsten der Ritter nun
Die Schönste der Schönen auch bald zurück!

Hüon und Scherasmin treten vor

HÜON
Geist, hoch verehrt, steh uns bei,
Schütze mein Schwert und mein Herz so treu!

SCHERASMIN UND FATIME
Geist, hoch verehrt, steh uns bei,
Schütze sein Schwert und sein Herz so treu!


ZWEITE SZENE
Säulenhalle im Palast des Emirs Almansor zu Tunis. Rezia auf einem Ruhelager im Vordergrund

Kavatine

REZIA
Trauere, mein Herz, um verschwundenes Glück!
Tränen, entströmt für das Hoffen, das floh!
Kummer ist jetzt noch mein einziges Gut,
Wie Peris vom Tau leb' von Tränen ich so;
Und sei auch für andre wohl trübe ihr Quell,
Mir ist er wie Himmelsgewässer so hell.
Ihr, die ihr sonnt euch im Strahle der Lust,
Segler auf goldener Hoffnungen Flut,
Ein Wölkchen kann euch nahn, die Woge euch droh'n,
Die Zukunft euch bringen voll Dunkel und Grau'n!
Doch die Geissel der Wüste traf mein Herz, ach, so schwer;
Abgestorb'ner Baum scheut den gift'gen Hauch nicht mehr!

ALMANSOR
tritt durch die erste Seitentür rechts ein, geht auf Rezia zu und sagt schmeichlerisch:
Wie kann man nur so traurig sein, wenn man so schön ist wie du, Rezia? Du brauchst doch bloss mit dem Finger zu winken und hast alles, worum man nur eine Frau beneidet …

REZIA
Mich könnte nur eines frohmachen. Und das vermagst du nicht! Kein Mensch kann Tote erwecken.

ALMANSOR
Dann halte dich doch an das Leben.

REZIA
Hüon hält mich fest …

ALMANSOR
Versuch erst, ob ich nicht stärker hin?
Er fasst sie an, Rezia wehrt sich

ABDALLAH
kommt von links und tritt zu dem Emir
Sollen wir sie wieder auf das Schiff bringen und in Sizilien verkaufen? Ich tausch' sie dir gern gegen eine andere, die nicht so starrköpfig ist.

ALMANSOR
Du bist ein grober Klotz, Abdallah. Hast du nicht gesehen, wie viel Leidenschaft in ihr steckt? Ich bin zufrieden. Heute habe ich das erstemal einen Vorgeschmack bekommen, wie sie lieben kann. Man muss Geduld haben …

geht ab

DROLL
Weit weniger geduldig verhält sich in unserem Liebesreigen Almansors Frau, Roschana. Sie hat im Palastgarten den schönen Sklaven Hüon bei der Arbeit beobachtet und ist in heftige Leidenschaft zu ihm verfallen, Abdallah, von ihr geschickt, flüstert Hüon heimlich zu, dass ihn eine schöne Frau von Geblüt zu sehen wünscht, und bezeichnet ihm, wie er von dem Garten, ohne dass es auffällt, in Roschanas Garten gelangen kann. In dem Glauben, dass dies ein Zeichen von Rezia sei, eilt Hüon in den Palast. Doch nicht auf Rezia trifft er, sondern auf Roschana, die ihm ihre Liebe gesteht. Als Hüon beteuert, dass er nur eine Frau auf der Welt liebt, Rezia, und dass nichts ihn verführen kann, versucht Roschana, ihn zu umgarnen …

Chor, Solo und Ballett

CHOR
der tanzenden Mädchen und Sklaven
Für dich hat Schönheit sich geschmücket,
Die Lust den Becher voll ergossen;
O schlürf ihn aus! Die Blume gepflücket,
Eh die Rose welkt, eh der Wein vergossen! -

HÜON
Fort! Fort! Den Blumen, die ihr preist,
Gift in den Kelchen kreist,
Und des Bechers Purpurflut
Scheint gerötet mir von Blut.

Er macht sich frei. Roschana umschlingt ihn und hält ihn zurück

CHOR
Wenn Frauenaugen liebend glüh'n,
Kannst du scheu'n dies Zauberlicht?
Hast du noch das Herz zu flieh'n,
Wenn dich ein weisser Arm umflicht?
Kannst du flieh'n, ja, kannst du flieh'n,
Wenn dich ein weisser Arm umflicht?

HÜON
Kein Frauenauge besel'gend grüsst,
Das der Sinnlichkeit glüh'nde Flamme schiesst;
Dem Aug' des Toten gleicht es so,
Wenn die Seel', die's belegt, daraus entfloh.
Nie spendet Glück und nie Liebeshuld
Der Versuch'rin Hand, die voll Schmach ist und Schuld.
Über mein Herz hast du nicht Gewalt;
Drum weiche zurück! Deine Hand ist kalt.

Er reisst sich von Roschana los. Die tanzenden Mädchen kommen ihm zuvor und gruppieren sich so, dass er nicht entfliehen kann

CHOR
O wende dich nicht von dem Mahle der Lust!
Verlier nicht Momente, nur Sel'gen bewusst.
Des Weisen gedenk', der von dem Mahle schrieb:
»Wie froh wär' das Sein, wenn ein Schatten nur blieb’!«
Drum, Sterblicher, freu dich! Sei glücklich! Verlach den, der sieht,
Dass Leben ein Schatten, und harrt bis es flieht.
Für dich hat Schönheit sich geschmückt,
Die Lust den Becher voll ergossen:
O schlürf ihn aus! Die Blum' gepflückt,
Eh die Ros' verblüht und der Wein vergossen!
O schlürf ihn aus! Die Blum' gepflückt!

DROLL
Hüon reisst sich von Roschana los und will entfliehen - doch zu spät: Almansor entdeckt ihn! Sklaven ergreifen ihn, und der Emir bestimmt seinen Tod: Er soll auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden! Hüons Schicksal scheint besiegelt. Auf dem Markplatz von Tunis wird ein grosser Holzstoss errichtet. Eine schaulustige Menge, unter ihnen Scherasmin und Fatime, strömt zusammen, der Emir mit seinem Gefolge - neben ihm die verschleierte Rezia - haben auf einem Schaugerüst Platz genommen. Da drängt sich Abdallah durch die Menge …


DRITTE SZENE
Platz in Tunis

ABDALLAH
Erhabener Herr! Ich muss mit dir sprechen. Nur ein Wort!

ALMANSOR
Jedes Wort eines Herrschers bedeutet eine Tat. Und wünsche dir lieber nicht, Abdallah, dass ich jetzt handle. Das könnte schlimm für dich ausgehen.

ABDALLAH
Handeln! Gerade das ist es, was ich jetzt will, erhabener Fürst.
Wir müssen etwas aushandeln.

ALMANSOR
Nicht hier und nicht jetzt.

ABDALLAH
Gerade hier und gerade jetzt. Du kommst nie mehr so billig davon, Emir.
winkt den Korsaren, die mit ihm gekommen sind. Die Korsaren stellen drei grosse Kisten vor dem Emir ab
Diese drei Kisten wurden heute von der Flut an den Strand geworfen.

ALMANSOR
zeigt sich sogleich habgierig
Alles, was das Meer an den Strand wirft, gehört mir.
beugt sich über die zweite und dritte Kiste
Schmuck! In beiden Kisten! Armer Abdallah! Was sollst du und deine Matrosen mit Schmuck anfangen? Du kannst dir doch nicht die Ohren stechen lassen und Ringe in ihnen tragen.
sucht weiter
Aber, da schau her! Da ist etwas für dich, Abdallah.
Er hebt das Horn Oberons, das in der Kiste liegt, auf
Ein herrliches Kunstwerk.

ABDALLAH
zornig
Eine Kindertrompete!

ALMANSOR
heuchlerisch
Wie gut du dich verstellst. Ein Weltmann und Kunstkenner wie du! Du kommst doch auf alle grossen Märkte. Nach Sizilien, nach Rom und Griechenland. Du weisst ganz genau, dass das ein unschätzbares Stück ist. Du kannst es überall gegen ganze Berge von Gold eintauschen.
wirft ihm das Horn zu
Nimm das Horn, Abdallah, und geh, ehe mich dieser Vergleich reut.

ABDALLAH
wütend
Willst du, dass ich darauf gleich ein Lied zu deinem Ruhme blase?

ALMANSOR
drohend
Das halte wie du willst. Du musst nur gut aufpassen, dass du lange genug den Kopf auf den Schultern behältst, um so zu musizieren …

ABDALLAH
Ich verstehe, grosser Emir, Und ich gehe.
Er geht durch die Menge. Als er bei Scherasmin vorbeigeht, folgt er einer plötzlichen Laune und wirft es Scherasmin zu
Da hast du den armseligen Bettel.

SCHERASMIN
fängt es geschickt auf
Wertloses Zeug! Aber ich nehm's.

FATIME
Das ist doch … das Zauberhorn.

SCHERASMIN
Verstellung, Fatime, Verstellung …

ALMANSOR
steht von seinem Stuhl auf und befiehlt:
Bringt den Sklaven, den ich zum Tod verurteilt habe. Und bindet ihn auf dem Scheiterhaufen fest.

Palastwächter bringen den gebundenen Hüon nach vorne. Als sie ihn an dem Gerüst vorbeiführen, springt Rezia auf und wendet sich flehend an den Emir

REZIA
Almansor!

ALMANSOR
dreht ich zu ihr
Was willst du, Rezia?

REZIA
auf Hüon deutend
Gnade - für diesen Mann. 

ALMANSOR
Er ist in meinen Harem eingedrungen und büsst seine Leidenschaft für Roschana. Was hast du mit ihm zu schaffen?

REZIA
Er ist Hüon, mein Gemahl.
Er darf nicht sterben!

ALMANSOR
Willst du sein Schicksal teilen, obwohl er dich betrogen hat?

REZIA
Tausendmal lieber sterbe ich mit ihm, als dass ich ohne ihn lebe.

ALMANSOR
Du wirst gleich hören, wie wenig er diese törichte Treue verdient.
Er winkt ihn zu sich
Komm her, Sklave!

HÜON
wendet sich ihm zu
Sprichst du mit mir, Emir von Tunis?

ALMANSOR
Höre gut zu, Sklave. Ich lasse dich frei! Abdallah wird dich irgendwo an der Küste deiner Heimat absetzen. Und Rezia bleibt bei mir. Du wirst als freier Mann zurückkehren und kannst heiraten, wen du willst.

HÜON
Ich habe nie eine andere als Rezia geliebt, und ich sterbe mit ihr glückselig, wenn es mir nicht vergönnt ist, glücklich mit ihr zu leben.

Er springt auf das Gerüst und umarmt Rezia.

REZIA
ruft jubelnd
Wir sind ein einziges Stück aus der Hand des Schöpfers. Nichts kann uns trennen!

ALMANSOR
in grossem Zorn
Das probt nur gleich im Feuer aus. Auf den Scheiterhaufen mit beiden!

Als Almansor diese Worte ausgerufen hat, setzt der listige Scherasmin das Zauberhorn an die Lippen, und mit dem ersten Ton fangen alle an zu tanzen

Finale

SKLAVENCHOR
Horch! Welch Wunderklingen!
Horch! Woher kommt der Ton?
Horch! Jeder Fuss muss springen
Im lust'gen Tanz hier schon. Horch! Horch!

HÜON, REZIA, SCHERASMIN, FATIME
O Dank! O Dank für des Hornes Macht!
Sie tanzen im Hof und dort im Palast,
Sie tanzen im Garten, sie tanzen im Saal,
Was das Meer begrenzt, was die Stadt umfasst.
Es bringet ein zweiter, stärk'rer Hauch,
Den Elfenkönig nun selbst wohl auch.

Scherasmin bläst stärker ins Horn. Lilien und Palmen zeigen sich von unten, von oben und von den Seiten; in langsamer Bewegung erhebt sich auf einem grossen Globus inmitten dieses Blütenpalastes Titania in den Armen Oberons

OBERON
Heil, treues Paar! Vorbei die Leiden!
Es danket Oberon euch beiden;
Durch euch ward ihm des Siegs Gewinn,
Und neu umarmt er seine Königin.
Schnell wie der Blitz entflieht,
Bring ich dich, Kampfgenoss', hin in Frankens beglückt' Gebiet,
In des Kaisers hohes Schloss.
Wirf dich vor ihm hin mit der schwererrung'nen Braut!
Preis tönet dir durch die Welt, voll und laut.
Sieh, der Zauber endet hier!
Lebe wohl! Mein Dank bleibt ewig dir!
Lebe wohl! Lebe wohl!

Der Blütenpalast Oberons verschwindet nach oben. Szenenwechsel. Man sieht den Thronsaal Kaisers Karl des Grossen. Feierlicher Aufzug der Hofleute. Hüon und Rezia zur Rechten des Thrones

SCHERASMIN
Nun aber rasch auf ein Schiff, bevor die Narren noch einmal auf uns losgehen! Und dann, zum Thron unseres Kaisers!

Marsch

Rezitativ

HÜON
O Herr! Seinem geschworenen Eid getreu,
Kniet Hüon vor deinem Thron aufs neu;
Durch Himmels Beistand hat er nun vollbracht
Was du gebot'st: hat sich aus Bagdad gebracht
Die holde Maid, der nicht vorm Tod gegraut,
Die Erbin seines Throns und jetzt Vasallenbraut.

CHOR
Heil sei dem Helden und seinem Schwert,
Das vom Sarazenen ihm hat die schöne Braut gewährt.
Heil sei der Jungfrau, die über's Meer
Gefolgt ist dem Ritter getreu hierher!
In Bardengesängen die Mär soll erblühn,
Von Rezia der Schönen und Hüon kühn.